Dr. Max Stadler

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Donnerstag, 3. Januar 2013

Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen

Bundesrat - 871. Sitzung - 04. Juni 2010

Erklärung von Parl. Staatssekretär Dr. Max Stadler (BMJ) zu Punkt 27 der Tagesordnung Mit dem Vorschlag für eine Richtlinie zur Europäischen Ermittlungsanordnung in Strafsachen setzt die kommende belgische Ratspräsidentschaft demnächst ein weitreichendes Thema auf die Agenda der europäischen Rechtspolitik.

Die belgische Initiative zielt darauf ab, auf der Grundlage des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung ein umfassendes System für die Gewinnung von Beweisen möglichst jeder Art zu schaffen. Damit würden von der Ermittlungsanordnung z. B. Zeugenaussagen ebenso erfasst wie DNA-Proben, Fingerabdrücke oder auch Telekommunikationsüberwachungen. Die Europäische Ermittlungsanordnung will ein einheitliches Verfahren unter Vorgabe von klaren Fristen schaffen.


Hintergrund der belgischen Initiative ist, dass es derzeit kein einheitliches europäisches Rechtsregime im Bereich der grenzüberschreitenden Beweiserhebung gibt. Zum einen können die Strafverfolgungsbehörden hier auf Instrumente der Rechtshilfe zurückgreifen, insbesondere auf das Rechtshilfeübereinkommen des Europarats von 1959 und das Rechtshilfeübereinkommen der Europäischen Union von 2000. Zum anderen wurden mit dem europäischen Rahmenbeschluss „Sicherstellung“ und dem Rahmenbeschluss „Europäische Beweisanordnung“ bereits zwei EU-Rechtsinstrumente im Bereich der Beweisgewinnung geschaffen, die auf dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung beruhen.

Der Anwendungsbereich des Rahmenbeschlusses über die Europäische Beweisanordnung ist allerdings auf die Erlangung von Beweisen in Form von Sachen, Schriftstücken oder Daten beschränkt, die im Vollstreckungsstaat bereits verfügbar sind. Der Gedanke, innerhalb der Europäischen Union künftig ein einheitliches Rechtsinstrumentarium für alle Beweismittel zu schaffen, klingt natürlich zunächst einmal verlockend. Und die Einführung von einheitlichen Verfahren und möglicherweise auch von klaren Fristen kann ja durchaus einen Mehrwert für die Rechtspraxis aufweisen. Gleichwohl hat Deutschland die Initiative Belgiens nicht als Co-Sponsor unterstützt.

Die Gründe, die die Bundesregierung von einer Co-Sponsorenschaft abgehalten haben, stimmen weitgehend mit den Bedenken überein, die auch der Bundesrat gegenüber dem Vorschlag geäußert hat. So weiß ich mich mit der Sorge des Bundesrates in Einklang, ob die Zeit schon reif ist für eine weitere Ausdehnung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung auf einen großen Teil von Beweisgewinnungsarten. Ein Grund zur Sorge ist dabei, dass europaweit einheitliche Mindeststandards im Strafverfahren immer noch fehlen.

Ein weiteres Kernproblem ist, dass die belgische Initiative möglichst alle Arten der Beweisgewinnung erfassen will, während die Zurückweisung der Ermittlungsanordnung im Vollstreckungsstaat stark beschränkt sein soll. Eine solche grundsätzliche Pflicht zur Anerkennung von ausländischen Ermittlungsanordnungen könnte aus deutscher Sicht nur dann akzeptiert werden, wenn die Anforderungen an bzw. die Voraussetzungen für die Beweiserhebung nach den nationalen Verfahrensvorschriften der Mitgliedstaaten vergleichbar wären. Das ist aber bislang nicht der Fall. Die nationalen Strafprozessordnungen beruhen jeweils auf unterschiedlichen Rechtstraditionen und weisen erhebliche Unterschiede auf.

Die Bundesregierung hat sich deshalb in den informellen Vorgesprächen zum Richtlinienvorschlag für die Ermittlungsanordnung für eine Entschleunigung des Verfahrens eingesetzt. Wie der Bundesrat bedauern wir es sehr, dass trotz aller anderslautender Grundsatzerklärungen im Stockholmer Programm Vorschläge für neue Rechtsinstrumente vorgelegt werden, ohne dass man sich der Mühe unterzogen hat, die Effizienz oder mögliche Defizite der existierenden europäischen Rechtsinstrumentarien zu untersuchen. Wir müssen aber leider zur Kenntnis nehmen, dass sich die Beratungen zur Europäischen Ermittlungsanordnung nicht mehr aufhalten lassen.

Deutschland muss sich also in die anstehenden Beratungen in Brüssel aktiv einbringen, wenn es seine wesentlichen Belange zu Gehör bringen will. Ein Aspekt wird dabei von besonderer Bedeutung sein: Unsere gut austarierten Beweiserhebungsregelungen im deutschen Recht dürfen nicht dadurch unterlaufen werden, dass wir als Vollstreckungsstaat Ermittlungsanordnungen anderer EU-Staaten ohne weitere Prüfung anerkennen und vollstrecken müssen. Aus meiner Sicht darf es insbesondere keine Verpflichtung zur Anerkennung und Ausführung von Ermittlungsanordnungen geben, die nach deutschem Recht unzulässig wären.

Dies gilt vor allem für solche Strafverfolgungsmaßnahmen, die besonders grundrechtsintensiv sind, z. B. die akustische Wohnraumüberwachung oder die Telekommunikationsüberwachung. Für die Anordnung solcher Maßnahmen sieht das deutsche Strafprozessrecht als Ausfluss verfassungsrechtlicher Vorgaben hohe Voraussetzungen vor. Solange nicht gewährleistet ist, dass vergleichbare hohe Schutzstandards in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union beachtet werden, kann es keinen Automatismus bei der Anerkennung ausländischer Ermittlungsanordnungen geben. Hierfür wird sich die Bundesregierung bei den anstehenden Beratungen zum Richtlinienentwurf einsetzen. Die Stellungnahme des Bundesrates stärkt uns dabei den Rücken. Ich bin zuversichtlich, dass Bund und Länder bei diesem wichtigen Thema weiterhin gut und eng zusammenarbeiten.

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