Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen
Bundesrat - 871. Sitzung - 04. Juni 2010 
 Erklärung  von Parl. Staatssekretär Dr. Max Stadler (BMJ) zu Punkt 27 der Tagesordnung  Mit dem Vorschlag für eine Richtlinie zur Europäischen Ermittlungsanordnung in Strafsachen setzt die kommende belgische Ratspräsidentschaft demnächst ein weitreichendes Thema auf die Agenda der europäischen Rechtspolitik. 
Die belgische Initiative zielt darauf ab, auf der Grundlage des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung ein umfassendes System für die Gewinnung von Beweisen möglichst jeder Art zu schaffen. Damit würden von der Ermittlungsanordnung z. B. Zeugenaussagen ebenso erfasst wie DNA-Proben, Fingerabdrücke oder auch Telekommunikationsüberwachungen. Die Europäische Ermittlungsanordnung will ein einheitliches Verfahren unter Vorgabe von klaren Fristen schaffen. 
Hintergrund der belgischen Initiative ist, dass es derzeit kein  einheitliches europäisches Rechtsregime im Bereich der  grenzüberschreitenden Beweiserhebung gibt. Zum einen können die  Strafverfolgungsbehörden hier auf Instrumente der Rechtshilfe  zurückgreifen, insbesondere auf das Rechtshilfeübereinkommen des  Europarats von 1959 und das Rechtshilfeübereinkommen der Europäischen  Union von 2000. Zum anderen wurden mit dem europäischen Rahmenbeschluss  „Sicherstellung“ und dem Rahmenbeschluss „Europäische Beweisanordnung“  bereits zwei EU-Rechtsinstrumente im Bereich der Beweisgewinnung  geschaffen, die auf dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung beruhen. 
Der Anwendungsbereich des Rahmenbeschlusses über die Europäische  Beweisanordnung ist allerdings auf die Erlangung von Beweisen in Form  von Sachen, Schriftstücken oder Daten beschränkt, die im  Vollstreckungsstaat bereits verfügbar sind. Der Gedanke, innerhalb der  Europäischen Union künftig ein einheitliches Rechtsinstrumentarium für  alle Beweismittel zu schaffen, klingt natürlich zunächst einmal  verlockend. Und die Einführung von einheitlichen Verfahren und  möglicherweise auch von klaren Fristen kann ja durchaus einen Mehrwert  für die Rechtspraxis aufweisen. Gleichwohl hat Deutschland die  Initiative Belgiens nicht als Co-Sponsor unterstützt. 
Die Gründe, die  die Bundesregierung von einer Co-Sponsorenschaft abgehalten haben,  stimmen weitgehend mit den Bedenken überein, die auch der Bundesrat  gegenüber dem Vorschlag geäußert hat. So weiß ich mich mit der Sorge des  Bundesrates in Einklang, ob die Zeit schon reif ist für eine weitere  Ausdehnung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung auf einen großen  Teil von Beweisgewinnungsarten. Ein Grund zur Sorge ist dabei, dass  europaweit einheitliche Mindeststandards im Strafverfahren immer noch  fehlen. 
Ein weiteres Kernproblem ist, dass die belgische Initiative  möglichst alle Arten der Beweisgewinnung erfassen will, während die  Zurückweisung der Ermittlungsanordnung im Vollstreckungsstaat stark  beschränkt sein soll. Eine solche grundsätzliche Pflicht zur Anerkennung  von ausländischen Ermittlungsanordnungen könnte aus deutscher Sicht nur  dann akzeptiert werden, wenn die Anforderungen an bzw. die  Voraussetzungen für die Beweiserhebung nach den nationalen  Verfahrensvorschriften der Mitgliedstaaten vergleichbar wären. Das ist  aber bislang nicht der Fall. Die nationalen Strafprozessordnungen  beruhen jeweils auf unterschiedlichen Rechtstraditionen und weisen  erhebliche Unterschiede auf. 
Die Bundesregierung hat sich deshalb in den  informellen Vorgesprächen zum Richtlinienvorschlag für die  Ermittlungsanordnung für eine Entschleunigung des Verfahrens eingesetzt.  Wie der Bundesrat bedauern wir es sehr, dass trotz aller  anderslautender Grundsatzerklärungen im Stockholmer Programm Vorschläge  für neue Rechtsinstrumente vorgelegt werden, ohne dass man sich der Mühe  unterzogen hat, die Effizienz oder mögliche Defizite der existierenden  europäischen Rechtsinstrumentarien zu untersuchen. Wir müssen aber  leider zur Kenntnis nehmen, dass sich die Beratungen zur Europäischen  Ermittlungsanordnung nicht mehr aufhalten lassen. 
Deutschland muss sich  also in die anstehenden Beratungen in Brüssel aktiv einbringen, wenn es  seine wesentlichen Belange zu Gehör bringen will. Ein Aspekt wird dabei  von besonderer Bedeutung sein: Unsere gut austarierten  Beweiserhebungsregelungen im deutschen Recht dürfen nicht dadurch  unterlaufen werden, dass wir als Vollstreckungsstaat  Ermittlungsanordnungen anderer EU-Staaten ohne weitere Prüfung  anerkennen und vollstrecken müssen. Aus meiner Sicht darf es  insbesondere keine Verpflichtung zur Anerkennung und Ausführung von  Ermittlungsanordnungen geben, die nach deutschem Recht unzulässig wären.  
Dies gilt vor allem für solche Strafverfolgungsmaßnahmen, die besonders  grundrechtsintensiv sind, z. B. die akustische Wohnraumüberwachung oder  die Telekommunikationsüberwachung. Für die Anordnung solcher Maßnahmen  sieht das deutsche Strafprozessrecht als Ausfluss verfassungsrechtlicher  Vorgaben hohe Voraussetzungen vor. Solange nicht gewährleistet ist,  dass vergleichbare hohe Schutzstandards in allen Mitgliedstaaten der  Europäischen Union beachtet werden, kann es keinen Automatismus bei der  Anerkennung ausländischer Ermittlungsanordnungen geben. Hierfür wird  sich die Bundesregierung bei den anstehenden Beratungen zum  Richtlinienentwurf einsetzen. Die Stellungnahme des Bundesrates stärkt  uns dabei den Rücken. Ich bin zuversichtlich, dass Bund und Länder bei  diesem wichtigen Thema weiterhin gut und eng zusammenarbeiten.