Einführung einer nachträglichen Therapieunterbringung
Fragestunde Protokoll Nr. 145 vom 30. November 2011
Rechtliche Haltbarkeit der Einführung einer nachträglichen Therapieunterbringung
Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Max Stadler auf die Frage des Abgeordneten Burkhard Lischka (SPD)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Ich rufe nun die Frage 43 des Kollegen Lischka auf:
Wie begründet die Bundesregierung ihre in der Pressemitteilung vom 9. November 2011 vertretene Position, die Einführung einer nachträglichen Therapieunterbringung würde „vor dem Bundesverfassungsgericht oder dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte nicht bestehen“?
Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz:
Ich darf dazu aus der Pressemitteilung des Bundesministeriums der Justiz vom 9. November 2011 die Passage, auf die Sie sich beziehen, wörtlich zitieren, sonst kann man den Zusammenhang nicht verstehen. Dort heißt es:
Die nachträgliche Sicherungsverwahrung, deren Wiedereinführung nun einige Bundesländer fordern, war wenig praxisrelevant, rechtlich kaum handhabbar und hatte negative Auswirkungen auf den Vollzug insgesamt. Ihre Wiedereinführung birgt das Risiko, dass das deutsche Recht vor dem Bundesverfassungsgericht oder dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte abermals nicht besteht. Das kann dazu führen, dass erneut Sicherungsverwahrte entlassen werden müssten. Dieses Risiko sollte gerade angesichts des äußerst geringen Anwendungsbereichs der nachträglichen Sicherungsverwahrung unbedingt vermieden werden.
Um Ihre Frage mit der hier gebotenen Kürze zu beantworten: Wir haben auf bestehende Risiken hingewiesen. Es kann keine sichere Prognose gestellt werden, wie das von einigen Ländern vorgeschlagene Institut bei den beiden genannten Gerichten letztendlich bewertet würde. Aber wenn man die bisherige Rechtsprechung betrachtet, sehen wir da jedenfalls ein erhebliches Risiko. Darauf haben wir hingewiesen.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Nachfrage, Herr Kollege Lischka?
Burkhard Lischka (SPD):
Vielen Dank. – Herr Stadler, darf ich Ihrer Antwort entnehmen, dass Sie es für unmöglich halten, eine verfassungskonforme Regelung im Hinblick auf eine nachträgliche Therapieunterbringung zu entwickeln?
Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz:
Das habe ich nicht gesagt. Ich darf auf Folgendes hinweisen: Die nachträgliche Sicherungsverwahrung – selbst wenn man jetzt eine andere Bezeichnung wählt, handelt es sich unserer Meinung nach in der Sache um eine nachträgliche Sicherungsverwahrung, die in die Debatte gebracht wird – ist mit der Reform zum 1. Januar 2011 vom Deutschen Bundestag und vom Bundesrat mit den Stimmen der CDU/CSU, der FDP und der SPD zugunsten eines neuen Konzepts abgeschafft worden. Das neue Konzept sieht den Ausbau der sogenannten primären Sicherungsverwahrung und der im Urteil vorbehaltenen Sicherungsverwahrung vor. Auch die Fraktion der Grünen hat diesen Teil der Reform für richtig gehalten.
(Signalton)
Wir sind der Meinung, dass man bei der vor etwa einem Jahr politisch getroffenen Entscheidung bleiben sollte, und weisen darauf hin, dass ein hohes Risiko im Hinblick darauf besteht, dass das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom Mai 2011 den Vertrauensgrundsatz bemüht hat. Man sollte daher jetzt hinter die damals gemeinsam getroffene Entscheidung nicht zurückgehen.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Wir kommen zu einer zweiten Nachfrage des Kollegen Lischka.
Burkhard Lischka (SPD):
Herr Staatssekretär, vielen Dank. Eine kurze Nachfrage: Zu welchem Ergebnis kommt denn ein Gutachten, das im Bundesjustizministerium zur Frage der Verfassungsmäßigkeit einer nachträglichen Therapieunterbringung gefertigt wurde?
Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz:
Herr Kollege Lischka, ich weiß jetzt offen gestanden nicht ganz genau, worauf Sie sich beziehen. Ich kann nur die Position unseres Hauses vortragen; denn das ist das Entscheidende und nicht die Frage, was in einer Meinungsäußerung dargelegt worden ist.
Dazu darf ich Folgendes ausführen: Die Bundesministerin der Justiz hat jetzt einen Entwurf zur Neuregelung der Sicherungsverwahrung an die Bundesländer versandt; denn im Mai 2011 sind die bisherigen Regelungen hauptsächlich wegen eines Verstoßes gegen das Abstandsgebot zum Strafvollzug aufgehoben worden. Das Bundesverfassungsgericht hat dabei keineswegs die Konzeption des Reformgesetzes infrage gestellt, das wir im Bundestag gemeinsam mit Ihnen zum 1. Januar 2011 beschlossen haben. Wir haben daher in dem Entwurf, den wir versandt haben, die nachträgliche Sicherungsverwahrung nicht aufgeführt.
(Signalton)
Wir werden jetzt die Antworten und Stellungnahmen der Bundesländer bekommen und dann darüber diskutieren.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Ich darf noch einmal auf die Neuregelung mit dem Signalton hinweisen. Den jeweiligen Staatssekretären ist für die Antwort auf die schriftliche Frage etwas mehr Zeit gegeben; Nachfragen und Antworten aber sollen jeweils nur eine Minute dauern. – Ich hätte dem Kollegen Stadler gerne mehr Zeit eingeräumt, weil er regelmäßig so druckreif zu antworten versteht. Ich muss aber alle Staatssekretäre gleich behandeln. Deshalb kann ich keine Ausnahme machen.
Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz:
Das ist ein alter Rechtsgrundsatz, Herr Präsident.