Ein Treffen „europäischer Unionsbürger“
Die Jahreskonferenz des Deutsch-Tschechischen Gesprächsforums tagte in Passau zum Thema Europäische IdentitätenVon Stefan Rammer
Passau. Mit seiner Begrüßungsformel „Liebe Unionsbürger“ traf der Passauer Staats- und Europarechtler Prof. Dr. Christoph Herrmann den Nagel auf den Kopf. Und als eine Frau, die viele Jahre lang darunter gelitten hat, dass sie als deutschsprachig erzogenes Mädchen ihre Muttersprache als in Tschechien aufwachsendes Mädchen verleugnen musste, sich als „Europäerin“ bezeichnete, war man gleich zu Beginn bei sich und beim Thema angekommen.
Sonst tagt das Deutsch-Tschechische Gesprächsforum in großen Städten wie Berlin, München oder Prag, doch dieses Mal war die Wahl auf die Europastadt Passau gefallen, die selbst vielfältige Verbindungen ins Nachbarland pflegt. So war es denn für den von der Bundesregierung zum neuen deutschen Konferenzleiter des Forums ernannten Max Stadler ein Heimspiel, das der parlamentarische Staatssekretär sichtlich genoss.
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„Europa Herz und Seele geben“
________________________________________Stadler selbst ist von Anfang an dabei beim 1997 auf der Grundlage der Deutsch-Tschechischen Erklärung gegründeten Forum. Es hat die Aufgabe, mit allen an einer engen und guten deutsch-tschechischen Partnerschaft interessierten Kreise den deutsch-tschechischen Dialog zu pflegen. Zusammen mit der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik wurde für Passau eine hochkarätig besetzte Jahreskonferenz zum Thema „Identitäten und Bürgerschaften in Europa“ auf die Beine gestellt, die tschechische und deutsche Perspektiven aufzeigen sollte. Referenten wie Teilnehmer waren aktive wie ehemalige Minister, Parlamentarier, Diplomaten und Wissenschaftler.
Die Tagung eröffnete Emilia Müller, Staatsministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten. Sie betonte, dass Ministerpräsident Horst Seehofer bei seinem Prag-Besuch ein neues Kapitel guter Nachbarschaft aufgeschlagen und Türen der Freundschaft geöffnet habe. Dank des Forums könne der „Weg des Erfolgs“ konsequent weiter begangen werden und das „europäische Projekt Herz und Seele“ bekommen.
Dass es noch viele „Baustellen“ gibt, dass aber man aber insbesondere beim deutsch-tschechischen Dialog deutliche Fortschritte gemacht hat, kristallisierte sich im Reigen der Vorträge schnell heraus. In vier „Panels“ wurden unterschiedliche Aspekte des Tagungsthemas erörtert. Dabei ging es grundsätzlich um die Frage der modernen Nationsbildung und der kollektiven Identitäten in Europa, aber auch darum, was eine „Unionsbürgerschaft“ ausmacht. Wissenschaftler wie Stefan Fuchs, Prof. Peter Graf oder Magda Faltova skizzierten die Rolle von Familie und Schule als Schlüssel zur staatsbürgerlichen Integration bzw. als Ort der Selbstfindung. Der Kulturan-thropologe Fabiano Golgo und der Schweizer Nationalrat Andreas Gross zeigten den Aspekt der Identitätssuche im Generationenkonflikt auf und arbeiteten den Wandel der Staatsbürgerschaften auf.
Dass der Zusammenhalt Europas und der Aufbau einer gemeinsamen Wertegemeinschaft als Basis des gemeinschaftlichen Wirkens im Dialog vorangetrieben wird, darüber diskutierten der Prof. Andreas Paulus, Richter am Bundesverfassungsgericht, die ehemalige österreichische Justizministerin Claudia Bandion-Ortner, der tschechische Ex-Außenminister Josef Zielenic und die Staatssekretäre Christian Schmidt und Vojtech Belling.
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Ziele: Freiheit, Sicherheit, Recht
________________________________________Alle outeten sich als „Europäer“, die eine Vision der europäischen Zukunft auf der Basis einer ausbuchstabierten Wertegemeinschaft eint. Ein Europa der Bürgerschaften sei anzustreben, das in einer Solidargemeinschaft den Raum von Freiheit, Sicherheit und Recht weiter entwickle. Wie Paulus betonte, müsse man dazu weder nationale Staats- noch Rechtssysteme auflösen. Für Zieleniec ist die Vertiefung der Integration die Lösung auch der gegenwärtigen Krise und Bandion-Ortner meinte. „Ich bin Europäerin und in einigen Jahren werden viele Unionsbürger so denken.“
Max Stadler zog eine positive Bilanz der Konferenz: „Wir haben uns einem schwieriges Thema aus dem Blickwinkel verschiedener Disziplinen genähert. Wir werden jetzt im Nachklang herausdestillieren, was an praktischen Ideen für die Politik umzusetzen ist.“ Besonders dem Problem des Sprachunterrichts Jugendlicher beider Staaten werde man sich widmen. Denn zuletzt lernte man auf beiden Seiten die jeweilige Sprache des anderen. Als wichtige Erkenntnis hielt Stadler fest. „Ich glaube, dass der Stand der deutsch-tschechischen Beziehungen derzeit besser ist als der Zustand der EU.“