Europäischer Haftbefehl gegen den Chef des mongolischen Geheimdienstes Bat Khurts
Fragestunde Protokoll Nr. 132 vom 19. Oktober 2011
Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Max Stadler auf die Frage des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/7311, Frage 53):
Was ist der Bundesregierung – insbesondere Bundesministerium der Justiz und Bundeskanzleramt – bekannt über die Gründe, die dazu geführt haben, dass Mitte September 2011 der vom Generalbundesanwalt erwirkte Europäische Haftbefehl gegen den Chef des mongolischen Geheimdienstes Bat Khurts aufgehoben sowie dieser freigelassen wurde und prompt in die Mongolei ausreiste, nachdem er aufgrund jenes Haftbefehls im September 2010 in London verhaftet, Ende Juli 2011 nach Deutschland ausgeliefert sowie am 4. August 2011 vom Generalbundesanwalt vor dem Kammergericht angeklagt worden war wegen Verschleppung und gefährlicher Körperverletzung, weil Bat Khurts den mongolischen Staatsangehörigen D. Enkhbat, im Mai 2003 aus Frankreich entführt, nach Deutschland verschleppt, mit Drogen betäubt, in einen Rollstuhl gefesselt durch die Kontrollen des Berliner Flughafens Tegel geschleust sowie in die Mongolei ausgeflogen haben soll, wo das Opfer inhaftiert, gefoltert sowie nach Haftentlassung gestorben ist, und hat die Bundeskanzlerin bei ihrem Besuch am 12. Oktober 2011 in der Mongolei, bei dem ein Lieferabkommen über „kritische Rohstoffe“ unterzeichnet wurde und mit dem in den mongolischen Medien die überraschende Freilassung in Zusammenhang gebracht wurde, gegenüber der mongolischen Regierung darauf gedrungen, dass Bat Khurts nach Eröffnung des Hauptverfahrens am Kammergericht seiner Ladung zur Hauptverhandlung nachkommt?
Zum ersten Teil Ihrer Frage kann ich Ihnen Folgendes mitteilen:
Der Generalbundesanwalt ermittelt seit Jahren gegen den mongolischen Staatsangehörigen B. K. wegen Verschleppung und gefährlicher Körperverletzung. Am 30. Januar 2006 hat der Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof einen Haftbefehl erlassen, der zur Grundlage des Europäischen Haftbefehls wurde und damit das Auslieferungsverfahren in Gang setzte. Der Beschuldigte wurde am 17. September 2010 im Vereinigten Königreich festgenommen und am 19. August 2011 nach Deutschland überstellt.
Der Generalbundesanwalt hat am 4. August 2011 vor dem Staatsschutzsenat des Kammergerichts in Berlin Anklage erhoben. Auf eine Haftbeschwerde des Angeschuldigten hat der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs am 16. September 2011 den Haftbefehl aufgehoben und die sofortige Freilassung des Angeschuldigten angeordnet. Der Generalbundesanwalt hat sich in seiner Stellungnahme zuvor gegen eine Aufhebung des Haftbefehls ausgesprochen. Der Angeschuldigte hat anschließend Deutschland verlassen und ist in die Mongolei zurückgekehrt.
Dem Haftbefehl und der Anklage liegt folgender vom Generalbundesanwalt ermittelte Tatvorwurf zugrunde, wie Sie auch einer hierzu veröffentlichten Pressemitteilung des Generalbundesanwalts vom 23. August 2011 entnehmen können:
„Als Angehöriger des mongolischen Geheimdienstes und zugleich Diplomat an einer Botschaft in Europa erhielt der Angeschuldigte im Jahr 2003 den Auftrag, seinen in Frankreich lebenden Landsmann D. in die Mongolei zu verschleppen. D. sollte der mongolischen Öffentlichkeit als Mörder des im Jahr 1998 in Ulan Bator getöteten Politikers Zorig Sanjasuuren präsentiert werden. Anhaltspunkte für seine Täterschaft gab es allerdings nicht. Zusammen mit weiteren Angehörigen des mongolischen Geheimdienstes lockte der Angeschuldigte den arglosen D. auf einen Parkplatz in Le Havre, überwältigte ihn und brachte ihn mit einem Auto zunächst in die Mongolische Botschaft in Brüssel, dann in die Botschaft in Berlin. Wenige Tage später fuhren sie den seit dem Zwischenhalt in Brüssel wiederholt mit Betäubungsmitteln ruhig gestellten D. zum Flughafen Tegel. Dort wurde er betäubt, in einem Rollstuhl fixiert und gefesselt als angeblich verletzter mongolischer Diplomat durch die Flughafenkontrollen geschleust. Anschließend flog der Angeschuldigte mit ihm in die Mongolei, wo D. in Haft genommen wurde. Er sollte zugeben, Sanjasuuren ermordet zu haben. Trotz ihm gegenüber angewandter rechtsstaatswidriger Vernehmungsmethoden nahm D. die Tat nicht auf sich. Das Verfahren gegen ihn wegen seiner angeblichen Beteiligung am Attentat an Zorig Sanjasuuren wurde im November 2003 eingestellt. D. ist im April 2006 aus Strafhaft in anderer Sache entlassen worden und noch im gleichen Monat verstorben.“
Der Generalbundesanwalt hat dieses Tatgeschehen rechtlich als Verschleppung gemäß § 234 a Abs. 1 StGB in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 StGB gewertet, wobei eine Zuständigkeit der Bundesjustiz im Hinblick auf den angenommenen Tatbestand der Verschleppung, § 234 a StGB, eröffnet war. Auf dieser rechtlichen Wertung beruhte auch der Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofes und der am 9. Februar 2006 ausgestellte Europäische Haftbefehl, der rechtliche Grundlage für die Auslieferung des Angeschuldigten Khurts aus dem Vereinigten Königreich nach Deutschland war.
In Abkehr von der früheren Wertung im Haftbefehl vom 30. Januar 2006 und einer Entscheidung des Kammergerichts Berlin zur Aufrechterhaltung des Haftbefehls direkt nach der Überstellung vom 19. August 2011 hat der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 16. September 2011 das Vorliegen eines dringenden Tatverdachts bezüglich der dem Beschuldigten vorgeworfenen Verschleppung, § 234 a StGB, abgelehnt. Die weiteren Einzelheiten ergeben sich aus den Gründen des Beschlusses, der in der Entscheidungsdatenbank des Bundesgerichtshofes unter dem Aktenzeichen StB 11/11 veröffentlicht ist.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage:
Der Fall Bat Khurts war nicht Gegenstand der Gespräche der Bundeskanzlerin in der Mongolei.