Eine Livestream-Diskussion mit Zwischenrufen
"Sand'S dagegen? Dann sagen'S des klipp und klar"
veröffentlicht von Susanne Wax am 14.10.2011 11:24 Uhr im Ressort Politik
Zwei sachlich argumentierende Kontrahenten, ein nicht ganz unparteiischer Moderator und einige erhitzte Gemüter im Publikum: Drei Aspekte, die die Diskussion zum Thema Livestream gestern Abend auszeichnen.
"Sand's dagegen? Dann sagen'S des klipp und klar." Siegfried Bauer, links am Tisch neben dem Podium im Gasthof Bayerischer Löwe sitzend, in der Hand ein Weizenglas, war sauer. Zu langatmig waren ihm die Argumente von Markus Sturm, der als SPD-Fraktionsführer die Argumente gegen eine Live-Übertragung von Stadtratssitzungen schilderte. Drum schrie er dazwischen. Die Faust schlug geballt auf den Tisch, der Blick war grantig. Während der gesamten fast zwei Stunden langen Debatte.
Markus Sturm und Dr. Max Stadler von der FDP, die zu diesem Abend geladen hatte, bemühten sich umso mehr um Sachlichkeit. Ausführlich wurde argumentiert. Einen richtigen Kompromiss schlossen die beiden nicht. Die SPD will zwar über eine Übertragung im Plenum nachdenken. Die mehrfach vorgetragene Bitte von Stadler aber, es doch mit der Probephase zu versuchen und Passau nicht weiter nach außen zu blamieren, fand - noch? - keinen Anklang.
Den nächsten Zwischenruf aus dem Publikum, zu dem neben etwa 20 Stadträten nur wenige Bürger gehörten, betraf Moderator Alois Feuerer (FWG): Er ließ sich ein bisschen zu lange zum Argumentieren statt zum Fragen hinreißen. "Sind Sie Moderator oder Diskutant?", rief Hans Kriegl aus der vorderen Reihe. Ein einsichtiges Lächeln von Feuerer. Dann mehr Disziplin.
Die Argumente der beiden Seiten: Zitate und Auszüge
Markus Sturm, SPD und contra Livestream:
"Wir haben die berechtigte Sorge, dass der Mehrwert nicht in gerechtfertigtem Verhältnis zum Aufwand steht."
"Weder meine Kollegen noch ich haben Angst vor der Öffentlichkeit. Bedenken habe ich hinsichtlich der Mitarbeiter der Stadtverwaltung." Hier führte Sturm im Verlauf der Diskussion aus: Man dürfe die Mitarbeiter nicht dazu zwingen, auf ihr Recht an Wort und Bild zu verzichten. "Hier darf der Druck nicht so groß werden, dass sich ein Mitarbeiter auf hoher Position vielleicht auf eine andere Stelle bewirbt."
Verwaltungsmitarbeiter könnten im Gegensatz zu Stadträten in Sitzungen nicht selbst entscheiden, ob sie einen Redebeitrag liefern: "Sie werden gefragt, sie müssen Auskunft geben." Auch wenn sich kein Mitarbeiter verstecken müsste, wie Sturm betonte. Bei Referenten könne man wieder eine separate Entscheidung treffen.
"Mir scheint, Livestream lässt sich mit dem Wort ,lebenswichtig' übersetzen. Gerade wenn ich mir die mediale Aufmerksamkeit anschaue könnte ich meinen, es sei so."
"Als ich zum ersten Mal mit der Thematik konfrontiert wurde - in Weihenstephan von Sebastian Frankenberger - da habe ich, ungeachtet der Person Frankenberger, gesagt: Im Grunde genommen ist's mir wurscht."
Zum Argument, man müsse sich übertragen lassen, wenn man in ein öffentliches Amt gewählt wird: "Wir haben immer noch ein Ehrenamt. Keiner, der in den Stadtrat eintritt, gibt damit irgendwelche Rechte ab. Die Öffentlichkeit, die wir in einer Sitzung haben, ist nicht vergleichbar mit der, die wir in der Live-Übertragung haben." Er schätze es außerdem, wenn Bürger direkt an der Sitzung teilnehmen, sagte Sturm: Vor allem, wenn sie ein Thema direkt betrifft. Zum Beispiel bei der Donaubrücken- Angelegenheit war die Anwesenheit von Betroffenen sehr hilfreich."
"Wenn man sich die letzten Ausschüsse vor Augen führt: Es ist die Tendenz da, dass Dinge in einer Breite diskutiert werden, die nicht der Sache geschuldet sind." Es bestehe die Gefahr, dass die Zuschauer "Aufdringlichkeit und Selbstdarstellerei verwechseln mit Kompetenz".
"Ich habe Bedenken, dass spontane Redebeiträge verloren gehen, die oft viel zur Sache beitragen. Wenn mitgefilmt wird, besteht die Gefahr, dass man sich fünf Minuten vorher schon seine Worte überlegt."
Hier übrigens wieder ein grantiger Siegfried-Bauer-Zwischenruf: "Ja, des soin'sa se ah überlegen."
Sturm: "Wenn man die Berichterstattung der Medien verfolgt, beginnt man selbst, manches zu hinterfragen. Ich habe diese Tragweite der medialen Aufmerksamkeit nicht vorhergesehen."
"Wenn es negativ ist, dass man sich als Partei ernsthaft mit einem Thema beschäftigt und nicht gleich ,Ja' schreit, dann ist das bedauerlich."
In Gesprächen mit Bürgern habe er Bestätigung für den Kurs der SPD erhalten, sagte Sturm: Argumente der Leute seien die hohen Kosten, die bestehende Möglichkeit, an Sitzungen teilzunehmen, und die Bürgerversammlungen in den Stadtteilen, bei denen man sich ohnehin ausführlich am Stadtgeschehen beteiligen könne.
Dr. Max Stadler, FDP und pro Livestream:
"Wir wollen mehr Demokratie wagen", zitierte Stadler zu Beginn Auszüge aus der Regierungserklärung von Willy Brandt: "Dieses Postulat kann man auch auf die Kommunalpolitik übertragen." Demokratie hänge natürlich nicht von einem Livestream ab: "Aber es ist eine neue technische Möglichkeit, die es Bürgern ermöglicht, an der Stadtpolitik teilzuhaben."
"Die SPD hat überhaupt keinen Grund, sich mit ihren Beträgen im Stadtrat zu verstecken. Das sind sehr gehaltvolle Beiträge."
"Mit diesem Projekt hätte Passau eine Vorreiterrolle einnehmen können. So ist es eher eine Steilvorlage für den nächsten Starkbieranstich."
"Wir haben niemals gewollt, dass wegen dieser Sache so eine Spaltung in den Stadtrat kommt."
Stadler verwies auf die Übertragung von Debatten aus dem Bundestag: "Ich weiß, dass viele Bürger das nutzen. Es ist für sie eine Erleichterung." Die Möglichkeit, bei Stadtratssitzungen im Saal dabei zu sein, könnten und wollten nicht alle nutzen, "so mancher hat auch die Zeit nicht."
"Zu den Aufgaben eines Verwaltungsmitarbeiters gehört es, bei Bürgerversammlungen öffentlich Auskunft zu geben. Ich rede hier von Spitzenbeamten, von denen würde ich erwarten, dass sie sich zeigen lassen. Die wissen vorher: Wenn ich mich auf eine Führungsposition bewerbe, dann gehört Öffentlichkeit dazu."
Zum Schritt der SPD, sich im Plenum zeigen zu lassen, in den Ausschüssen weiterhin nicht, sagte Stadler: "Die wahren Diskussionen finden doch in den Ausschüssen statt. Im Plenum ist meist sowieso schon alles gesagt."
"Die SPD hat sich kompromissbereit gezeigt. Ich möchte vorschlagen, über einen weiteren Kompromiss nachzudenken", sagte Stadler. Sein Vorschlag: Die SPD gibt ihr Einverständnis für alle Sitzungsübertragungen für die Zeit der Probephase. Dann könne man eine abschließende Bewertung vornehmen: "Sie hätten dann auch die Chance zu bewerten, ob die eigene skeptische Haltung richtig war oder nicht", sagte er an Sturm gerichtet.
Das hatte das Publikum zu sagen:
Karl Synek, Grünen-Stadtrat, plädierte für eine Zusammenarbeit mit der Uni Passau in Sachen Livestream: Dort gebe es sowohl den Lehrstuhl für Medien und Kommunikation als auch den Lehrstuhl für Computervermittelte Kommunikation, beide mit der nötigen Technik ausgestattet. Man könnte sich zusammentun – und das oft kritisierte viele Geld für die Übertragungen sparen: „Ich habe von der Uni Signale bekommen, dass die Studenten gerne die Möglichkeit wahrnehmen würden, die Sitzungen zu übertragen. Qualitätvoll. Und kostenlos.“
Ralph Friedenberger, Mitarbeiter der Stadt Passau, nahm in seinem Wortbeitrag seine Verwaltungskollegen in Schutz: „Was ich vermisse, ist Toleranz.“ Einer seiner Kollegen sei wegen eines Beitrags in einer Sitzung von einer Zeitung „wie die Sau durchs Dorf getrieben worden“. Der Großteil der Presse, sagte Friedenberger, „will eine Schlagzeile, koste es, was es wolle.“ So könnte es auch Ziel der Presse sein, in Sitzungen zu schauen, „wer im Gremium im Moment nicht gerade so toll dreinschaut, wer sein Hosentürl offen hat oder wer Loriots vielzitierte Nudel am Kinn hat. Das findet man dann am nächsten Tag bei Youtube.“
Boris Burkert, Sprecher des Kreisverbandes der Grünen, entgegnete: "Als Politiker wird man ohnehin durch den Kakao gezogen." Die Sturm-Argumente verstehe er nicht: "Der Mehrwert ist nicht die Frage. Es ist eine Chance, Demokratie für den Bürger erfahrbar zu machen." Man müsse auch viel weiter gehen als schlicht zu übertragen: "Das muss gespeichert und verschlagwortet werden. Auch die Unterlagen zu den öffentlichen Sitzungen sollten vorab ins Internet: Damit der Zuschauer sich einlesen kann."
Korbinian Faltner, Kreisvorsitzender der FDP Passau-Stadt und Mitveranstalter gestern, sah das ähnlich: "Ich verstehe nach wie vor keines der Gegenargumente." Den Kosten-Nutzen-Aspekt könne man nicht abwägen, so lange es "diesen Fleckerlteppich" an Ausblendungen gebe. Nach FDP-Absicht hätte im Übrigen auch eine fest installierte Webcam mit guter Tonausrichtung im Sitzungssaal gereicht. Zur öffentlichen Rolle eines Stadtrats sagte Faltner: "Stadträte sind gewählt, damit sie Interessen der Bürger vertreten. Die Übertragungen ermöglichen dem Bürger zu schauen, wie ihr Stadtrat wirklich abgestimmt hat."
JU-Mitglied Hans Kriegl machte auf die maue Besetzung im Saal aufmerksam: "Wenn Sie Politiker und Pressevertreter abziehen können Sie sich ausrechnen, wie relevant das Thema Livestream für die Bevölkerung wirklich ist." Zu langatmig und zu einer Uhrzeit, zu der die meisten noch in der Arbeit seien: Er kritisierte die Übertragungen. Und den Umgang mit dem Begriff der Öffentlichkeit: "Es wird hier von Öffentlichkeit geredet als wäre das ein Wert an sich. Öffentlichkeit kann aber auch schädlich sein."
FDP/PaL-Stadtrat und Stadtfuchs Matthias Koopmann sprach das befürchtete "Schindluder" an, das laut SPD mit Übertragungsmaterial getrieben werden könnte: "Dann muss ich als Politiker so konsequent sein und sagen: Ich möchte gar keine Aufnahmen von mir, auch kein Wahlplakat, auf das dann eventuell ein Schnurrbart draufgeschmiert wird."
Peter Klimczak aus dem Publikum äußerte sich vor allem kritisch an Max Stadler gerichtet: "Sie sagen, die Übertragung ist die unmittelbarste Form der Information. Das stimmt nicht. Die unmittelbarste Form ist die Anwesenheit in der Sitzung." Er betonte den Unterschied zwischen etwas direkt Wahrgenommenem und etwas Gefilmtem: "Abfilmen verändert die Wirklichkeit." Wenn die Kanzlerin am Rande einer Sitzung gefilmt werde, wie sie Zeitung liest, wirke sie auf den Zuschauer desinteressiert - zu Unrecht, wie Klimczak findet: "Durch Filmen generieren Sie Bedeutung." Wenn jemand auch vor 250 Leuten öffentlich spreche, "so hat das Gesprochene dennoch eine Flüchtigkeit", sagte er. Die Hemmschwelle, etwas zu sagen, wenn es nicht dauerhaft archiviert wird, sei außerdem niedriger.
Kurz und knapp war der letzte Beitrag von Siegfried Bauer, dessen Empörung bis zum Schluss nicht abnahm: "Livestream, Livestream. Jeder redet immer von Livestream. Wir san hier eine bayerische Versammlung." Man könnte ja "Direkt-Übertragung" sagen, schlug Moderator Alois Feuerer vor.