Expertenmeinungen zur Livestream-Debatte
„Der Demokratie einen Bärendienst erwiesen“
veröffentlicht von Esther Mischkowski
Lokalnews hat drei Experten nach ihrer Meinung zur Debatte um den Livestream aus dem Passauer Rathaus befragt.
Der Livestream aus den Stadtratsitzungen – was ging er schon durch die Medien. Mittlerweile wird auch überregional über die Politposse aus Passau gelacht. Die öffentliche Diskussionsrunde um Befürworter Dr. Max Stadler (FDP) und Verweigerer Markus Sturm von der SPD brachte gestern nicht wirklich Licht ins Dunkel – geschweige denn einen Kompromiss, mit dem beide Seiten einverstanden wären (nachzulesen hier). So bleibt es wohl dabei, dass sich rund die Hälfte der Stadtratsmitglieder in den Ausschussitzungen nicht live im Internet zeigen lassen. Bei den Bürgern sorgt die Verweigerungshaltung ihrer gewählten Vertreter überwiegend für Kopfschütteln. Doch wie sieht es denn bei denen aus, die sich allein schon aus beruflichen Gründen mit einer solchen Problematik auseinandersetzen?
Lokalnews hat drei Experten nach ihrer Meinung gefragt.
"Nicht mit einer solchen Akzeptanz und diesem Ansturm gerechnet"
Es fing ja noch harmlos an, als eher die schlechte Qualität der Übertragung an den Pranger gestellt wurde. Das eigentlich zu Unrecht, findet Dr. Ulrich Zukowski. Der Leiter des Zentrums für eLearning- und Campusmanagement der Universität Passau (kurz InteLeC) kann den ruckeligen Start nachvollziehen: „Die technischen Probleme am Anfang überraschen mich nicht, denn diese sind in der Tat nicht trivial.“ Zukowski spricht aus Erfahrung: An der Universität wird bei überfüllten Hörsälen die Vorlesung live in den Nachbarhörsaal übertragen, online sind zudem viele Vorlesungen als Aufzeichnung verfügbar. „Auch bei unseren Übertragungen gab es zu Beginn Startschwierigkeiten“, gibt er zu.
Und auch von Klaus Furtner kommen verständnisvolle Worte, und er muss es wissen. Der Chef der VSH Medientechnik aus Kellberg half nach den ersten Problemen der Stadt aus der Klemme: „Die technischen Probleme wurden durch mangelnde Bandbreite des Internetanschlusses hervorgerufen. Man hatte schlicht nicht mit einer solchen Akzeptanz und diesem Ansturm gerechnet.“ Furtner vermittelte der Stadt einen Streamingserver in Norddeutschland, den er kürzlich auch für die Liveübertragung des CSU-Parteitages genutzt hatte.
„Die Gründe sind ebenso karg dargelegt wie beachtlich“
So hat sich die Debatte rund um die Technik mittlerweile wohl erledigt. Die Verweigerungshaltung von Sturm und Co. dominiert sowieso stattdessen die mediale Berichterstattung. Und da hört auch bei unseren Experten das Wohlwollen weitestgehend auf. So wie bei Stefan Loebisch. Er ist Rechtsanwalt in Passau und auf IT-Recht spezialisiert. Von der gesetzlichen Warte her kann er diese Haltung zwar nachvollziehen, doch seine persönliche Meinung fällt nicht so verständnisvoll aus: „Datenschutzrechtliche Aspekte – welche überhaupt gemeint sein sollen, bleibt seltsam vage – und das bislang wohl noch gar nicht so wirklich in die Diskussion eingeworfene Recht am eigenen Bild, Furcht vor verzerrter Darstellung: Die Gründe verschiedener Stadträtinnen und Stadträte, sich gegen eine Videoübertragung der Passauer Stadtratssitzungen im Internet auszusprechen, sind ebenso karg dargelegt wie trotzdem beachtlich.“
„Ich persönlich finde es komisch“
„Parlamentarismus – nicht nur im Bundestag und in den Landtagen, sondern auch in den Gemeinderäten – lebt von seiner Öffentlichkeit und seiner Transparenz,“ gibt Loebisch weiter zu Bedenken, „unsere Volksvertreter sind keine gewählte Geheimloge, die im Verborgenen waltet. Aus diesem Grunde sind die Sitzungen öffentlich. Eine Übertragung per Livestream ist nur eine neue technische Form, diese Öffentlichkeit herzustellen.“ Dass Politiker mit ihrer Darstellung in der Öffentlichkeit leben müssen, findet auch Unternehmer Klaus Furtner: „Meiner Meinung nach haben Abgeordnete und Volksvertreter eine gewisse Pflicht, Aussagen in öffentlichen Sitzungen den Bürgern zugänglich zu machen. Ich sehe keinen Unterschied darin, ob dies durch Anwesenheit im Sitzungssaal oder vor dem Monitor passiert.“ Und die Angst der Politiker, dass ihre Aussagen durch die Liveübertragung im Netz verzerrt dargestellt werden könnten? Rechtsanwalt Loebisch: „Diese Gefahr besteht im Web 2.0 immer, ob als Videoveröffentlichung, als bloßes Wortzitat in einem Blog, über Twitter.“ Dieses Argument kann er sogar ins Gegenteil ummünzen: „Die Videoveröffentlichung schützt gerade vor dieser Gefahr: Der volle Beitrag ist für jeden, den es interessiert, verfügbar. Die verzerrte Darstellung kann jederzeit widerlegt werden. Das Argument der Video-Verweigerer zieht nicht.“ Oder wie es Furtner einfach ausdrückt: „Ich persönlich finde es komisch, wenn man sich bei der Tätigkeit als gewählter Volksvertreter bei der Erfüllung seiner Aufgabe nicht zusehen lässt.“
„Ein ganz heißes Thema“
Dass das Gesetz dennoch auf Seiten der Livestream-Gegner ist, kann Loebisch als Anwalt jedoch nur bekräftigen, das Recht am eigenen Bild und Ton gelte es zu akzeptieren. Dennoch muss er feststellen: „Der Demokratie wird dadurch ein Bärendienst erwiesen.“ Auch Unternehmer Furtner sieht ein: „Da scheinbar gesetzliche Grundlagen wie die Datenschutzrechte vorsehen, dem zu widersprechen, muss man die Entscheidung, sich nicht live im Internet zu zeigen, respektieren und akzeptieren.“ Der Datenschutz ist hier in Passau nicht nur bei den Liveübertragung aus den Stadtratsitzungen ein hochbrisantes Thema. Mit derselben Problematik musste sich auch Dr. Ulrich Zukowski auseinandersetzen: „Bei unseren Übertragungen aus dem Hörsälen ist der Schutz der Persönlichkeitsrechte auch ein ganz heißes Thema. Wir haben die strikte Vorgabe, dass Studierende ohne Einwilligung keinesfalls hör- oder sichtbar sein dürfen. Das lösen wir damit, dass der Dozent deren Fragen einfach nochmals für die Aufzeichnung wiederholt.“
Leider eine Lösung, die bei den umfangreichen Wortmeldungen in einer Stadtratssitzung schwer umzusetzen wäre. Und so bleibt es wohl derweilen beim Kleinklein ums Zeigen und Gezeigt werden. Unsere Experten dürfen somit auch weiterhin den Kopf schütteln.