Wahrung der Unabhängigkeit der Justiz bei einem unmittelbaren Wechsel ausscheidender Richter
Fragestunde - Protokoll Nr. 113 vom 08.06.2011Mündliche Fragen 77 und 78 Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Sieht die Bundesregierung bei einem unmittelbaren Wechsel von ausscheidenden Richterinnen und Richtern bei Gericht hin zu im gleichen Zuständigkeitsbereich tätigen Anwaltskanzleien, was laut Medienberichten häufiger auftritt (vergleiche den Spiegel vom 30. Mai 2011: „Bundesgerichtshof – Wertvolle Verstärkung“), ein Problem für die Wahrung der Unabhängigkeit der Justiz?
Ich bitte Sie, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Max Stadler, um Beantwortung.
Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz:
Herr Präsident! Herr Kollege Montag, die Rechtsprechung wird in der Bundesrepublik Deutschland bekanntlich in voller richterlicher Unabhängigkeit ausgeübt. Dies garantiert Art. 97 des Grundgesetzes. Damit ist die Unabhängigkeit der Richter als zentrale Voraussetzung einer rechtsstaatlichen Rechtsprechung garantiert. Ein Richter, der aus dem richterlichen Dienst ausgeschieden und als Anwalt oder in beratender Funktion in einer Kanzlei tätig ist, übt jedoch gerade keine rechtsprechende Gewalt mehr aus. Insofern ist durch eine solche Konstellation die richterliche Unabhängigkeit unmittelbar nicht betroffen. Zudem schützt die zitierte Vorschrift des Art. 97 Grundgesetz davor, dass aus dem staatlichen Bereich, insbesondere von den anderen Staatsgewalten, auf einen Richter eingewirkt wird. Darum geht es hier nicht.
Jedoch, Herr Kollege Montag: Interessenkollisionen, wie Sie sie ansprechen, können die Besorgnis der Befangenheit im Einzelfall begründen bei noch aktiven Richtern. Dies können die Verfahrensbeteiligten nach den einschlägigen prozessualen Vorschriften geltend machen. Zudem beugen weitere Regelungen – dazu gehören auch diejenigen zu Dienstverletzungen im Beamtenrecht – solchen eventuellen Interessenkollisionen vor.
Herr Präsident, ich bitte darum, bei dieser Gelegenheit auch die zweite Frage des Kollegen Montag beantworten zu dürfen, weil sich die Nachfragen dann auf den gesamten Komplex beziehen können.
Vizepräsident Eduard Oswald:
Wenn der Kollege Montag dem zustimmt – ich sehe seinem Gesichtsausdruck an, dass dies der Fall ist –, rufe ich auch die Frage 78 des Kollegen Jerzy Montag auf:
Erwägt die Bundesregierung, darauf hinzuwirken, entsprechende Vorschriften im Deutschen Richtergesetz, Beamtenstatusgesetz oder ähnlichen Gesetzen klarer fassen zu lassen, um entsprechende Vorfälle künftig zu vermeiden?
Bitte schön.
Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz:
Hierzu ist zu sagen, dass das geltende Recht bereits Regelungen bereithält, die in einer unserer Meinung nach ausgewogenen Weise das Spannungsverhältnis lösen, nämlich das Spannungsverhältnis zwischen dem auch grundgesetzlich verankerten Recht eines ausgeschiedenen Richters auf eine nachfolgende Berufstätigkeit auf der einen Seite und dem Vertrauen der Allgemeinheit in die Integrität der Justiz und des öffentlichen Dienstes auf der anderen Seite.
Hierfür gibt es verschiedene Regelungen. Beispielsweise § 105 Bundesbeamtengesetz und § 41 Beamtenstatusgesetz, die über Verweisungen entsprechend auch für Richterinnen und Richter gelten, begründen eine Anzeigepflicht für Ruhestandsbeamte mit Versorgungsbezügen. Danach müssen diese beim Ausscheiden mit der Regelaltersgrenze innerhalb eines Zeitraumes von drei Jahren – ansonsten innerhalb eines Zeitraumes von fünf Jahren – jede Erwerbstätigkeit oder sonstige Beschäftigung außerhalb des öffentlichen Dienstes anzeigen, die mit der dienstlichen Tätigkeit in den letzten fünf Jahren vor Beendigung des Beamtenverhältnisses in Zusammenhang steht und durch die dienstliche Interessen beeinträchtigt werden können. Ist zu besorgen, dass dienstliche Interessen beeinträchtigt werden, dann ist die Erwerbstätigkeit oder sonstige Beschäftigung zu untersagen.
Ich komme zum letzten Punkt der etwas umfangreichen Antwort: Auch das anwaltliche Berufsrecht enthält für den Fall einer anschließenden anwaltlichen Tätigkeit Vorkehrungen in Form von Tätigkeitsverboten. Gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO darf ein Rechtsanwalt nicht tätig sein, wenn er in derselben Rechtssache als Richter bereits tätig geworden ist.
Vizepräsident Eduard Oswald:
Kollege Montag, jetzt haben Sie natürlich auch die entsprechende Menge an Zusatzfragen. Bitte schön.
Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Danke, Herr Präsident. Davon bin ich selbstverständlich ausgegangen, weswegen ich der Zusammenlegung der beiden Fragen nonverbal zugestimmt habe. – Herr Staatssekretär, ich danke für Ihre umfangreiche Antwort, die eine kleine Vorlesung des geltenden Rechts war, das mir – davon können Sie selbstverständlich ausgehen – bekannt ist.
Mir geht es um etwas anderes. Es geht mir um die politische bzw. rechtspolitische Situation, vor der wir aktuell stehen. Im letzten Spiegel hat sie der Präsident des Bundesgerichtshofs, Herr Tolksdorf, selbst als ein Problem dargestellt. Er hat gesagt:
… bereits der Anschein von mangelnder Neutralität schadet dem Ansehen des Gerichts und damit der Akzeptanz seiner Rechtsprechung …
In diesem Artikel, Herr Kollege Stadler, sind drei Fälle genannt worden. Ich kenne diese Richter überhaupt nicht. Diesen Richtern werfe ich auch subjektiv und persönlich gar nichts vor. Mir geht es nur um den bösen Schein und um die Akzeptanz der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Das ist ein wirklich hohes Gut. In dieser Situation ist es so, dass ein Vorsitzender Richter eines Senats, der sich über Jahre hinweg mit Versicherungsfragen beschäftigt hat, direkt nach seiner Pensionierung in eine internationale Anwaltskanzlei gewechselt ist, die auf der Seite der Versicherungsgesellschaften seit Jahren in seinem Senat aufgetreten ist, und nun als Mitglied dieser Kanzlei für diese Mandanten Gutachten erstellt und Prozessvertretungen macht. Noch schlimmer: Der zweite Richter war Vorsitzender eines Senats für Aktienrecht und ist einen Tag nach seinem Ausscheiden aus dem Richterdienst in eine international tätige Anwaltskanzlei eingetreten, die seit Jahren vor dem Bundesgerichtshof – vor seinem Senat – Fälle verhandelt hat.
Mich interessiert dieser konkrete Fall, nicht die allgemeine Rechtslage. Deswegen habe ich an die Bundesregierung die Frage: Warum ist es aufgrund geltenden Rechts nicht möglich, solche Fälle zu unterbinden? Wenn es nicht möglich ist: Was gedenkt die Bundesregierung anzustoßen, damit sich diese Fälle so nicht wiederholen können?
Vizepräsident Eduard Oswald:
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz:
Herr Kollege Montag, wir sprechen über ein Problem, das nicht völlig neu ist, auch wenn es jetzt aktuelle Fälle gibt, über die der Spiegel gerade berichtet hat. Vielmehr geht es im Kern um die Frage: Soll es zulässig sein, dass jemand, der eine berufliche Tätigkeit im öffentlichen Dienst – in diesem Fall im Richteramt – ausgeübt hat, nach dem Ausscheiden aus dem öffentlichen Dienst in einem verwandten Bereich anderweitig beruflich tätig wird? – Der Gesetzgeber hat in der Vergangenheit die Regelung getroffen, dass dies im Grundsatz zulässig ist. Ich habe aber beschrieben – das ist Ihnen natürlich bekannt –, dass es dafür auch Grenzen gibt. Diese brauche ich nicht ein zweites Mal zu zitieren.
Ich glaube, hierbei muss man auch noch verschiedene Sachverhalte unterscheiden. Wenn ein Richter noch im aktiven Dienst tätig ist und beispielsweise schon vorvertragliche Beziehungen zu einer Anwaltskanzlei hat – ich weiß nicht, ob das in den konkreten Fällen so war –, dann ist dies ein Fall, für den das Prozessrecht die Möglichkeit bietet, dass der Richter dies den Prozessparteien anzeigt. Sie haben recht: Schon der Anschein einer Befangenheit muss vermieden werden. Das ist die eine Konstellation.
Die andere Frage lautet: Soll es zulässig oder verboten sein, nach dem Ausscheiden aus dem Dienst eine berufliche Tätigkeit auszuüben? Auch hierzu hat der Gesetzgeber schon immer Überlegungen angestellt; denn das theoretische Problem ist ja alt, nur die praktischen Fälle sind jetzt neu. Der Gesetzgeber hat sich eben nicht dazu entschlossen, eine solche Tätigkeit generell zu verbieten, sondern er hat Regelungen vorgesehen, die ich bereits zitiert haben.
Wenn man an ein generelles Verbot oder an ein zeitlich limitiertes Verbot denken würde, was ja auch in der Diskussion ist, dann müsste man sich gleichzeitig auch Fragen hinsichtlich Art. 12 Grundgesetz – Berufsfreiheit – stellen, auf den sich jemand durchaus stützen kann, der eine solche Tätigkeit ausüben will. Das ist also nicht einfach mit einem Federstrich zu lösen, sondern ich sage: Die Lösung, die der Gesetzgeber gefunden hat, ist eine differenzierte, und wir als Bundesregierung meinen, dass diese ausreicht.
Vizepräsident Eduard Oswald:
Ihre zweite Frage.
Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Danke. – Herr Staatssekretär Stadler, ich habe den Eindruck, dass Sie mir und dem Problem, das wir tatsächlich haben, ausweichen.
Sie wissen ganz genau – wahrscheinlich sogar besser als ich –, dass die Stimmung am Bundesgerichtshof seit Monaten in einem hohen Maße vergiftet ist. Seit vielen Jahren hat es am Bundesgerichtshof keine so schlimme emotionale Situation wie zurzeit gegeben. Die vom Spiegel berichteten drei Fälle sind beileibe nicht alle.
Es geht nicht darum, dass Beamte oder Richter nach dem Ausscheiden aus ihrem Dienst keinen Beruf ausüben dürfen. Das sollen sie natürlich dürfen, und das ist auch vernünftig und ihr verfassungsmäßiges Recht, aber das Grundrecht, das Sie zitiert haben, wird durch gesetzliche Bestimmungen ausgeformt und gestaltet. Wir haben hier ein hohes Gut zu verteidigen, nämlich die Akzeptanz der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes. Deswegen frage ich Sie noch einmal konkret.
Es gibt folgende Fälle – hierbei geht es nicht um alte, sondern um neue, konkrete Fälle, die sich wiederholen können –: Vor bestimmten Senatsvorsitzenden, die viele Jahre in ihrem Senat die Rechtsprechung in einem bestimmten Rechtsgebiet gestaltet haben, haben Anwaltskanzleien seit Jahren um die Rechtsprechung dieses Senates gerungen – das alles geschieht ja im Bereich Zivilrecht; es ist ein enger Closed Shop von 50 Personen –, und einige Tage oder einige Wochen nach Ende ihrer Dienstzeit sind diese Senatsvorsitzenden in die entsprechenden Anwaltskanzleien gewechselt. Dadurch wird doch der böse Schein erweckt, dass der Bundesgerichtshof in seiner Rechtsprechung nicht unabhängig und objektiv, sondern mit den Interessen der vor ihm auftretenden Parteien verwoben ist. Deswegen frage ich noch einmal: Gedenkt die Bundesregierung irgendetwas zu unternehmen, um in Zukunft den sich aus diesen Fallkonstellationen – nicht aus der Berufstätigkeit allgemein – ergebenden bösen Schein, ein Gericht, das höchste deutsche Gericht, sei nicht mehr unabhängig, zu vermeiden?
Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz:
Noch einmal, Herr Kollege Montag: Ich widerspreche Ihnen gar nicht, dass dies ein Gebiet ist, dass von allen Akteuren wirklich Fingerspitzengefühl erfordert. Das will ich ganz deutlich im Namen der Bundesregierung sagen. Die aktuelle Debatte, die aufgrund der Berichterstattung eingesetzt hat, mag dazu beitragen, dass alle Akteure stärker für das Thema sensibilisiert werden. Trotzdem muss man zurückweisen, dass die Unabhängigkeit des Gerichtes nicht gegeben sei.
Ich habe nicht ohne Grund darauf verwiesen, dass Fallkonstellationen sehr unterschiedlich gelagert sein können. Man kann doch nicht daraus, dass sich jemand, der vorher mit einer Anwaltskanzlei in keinerlei Beziehung gestanden hat – ich habe die Konstellation genannt, dass kein Vorvertrag oder keine Abrede besteht, dort in absehbarer Zeit einzutreten –, nach Ausscheiden aus dem richterlichen Dienst dafür entscheidet, sein berufliches Wissen in anwaltlicher Tätigkeit weiterhin zu nutzen, den Rückschluss ziehen, dass die richterliche Tätigkeit nicht neutral und unabhängig ausgeübt worden sei.
Nun wird, um auch jeglichen bösen Anschein zu vermeiden – das ist das Anliegen Ihrer Fragestellung –, diskutiert, dass man hier eine Art Karenzzeit von einem Jahr oder zwei Jahren vorsieht. Diese Lösung hätte zweifellos den Vorteil, dass sie einfach handhabbar wäre, während das geltende Recht auf die Situation in Einzelfällen abstellt.
Aber noch einmal: Wir sind ganz am Anfang einer Diskussion. Wir müssen in diese Diskussion auch einbeziehen, dass es eben ein Grundrecht aus Art. 12 des Grundgesetzes gibt und dass wir nach dem Apothekenurteil des Bundesverfassungsgerichts in einer Stufenfolge prüfen müssen, welche Einschränkungen zulässig sind und welche nicht. Man kann nicht am Anfang einer Diskussion sagen: Es ist völlig unproblematisch und zulässig, hier eine Lösung in Form einer Karenzzeit von einem Jahr oder zwei Jahren zu finden.
Vizepräsident Eduard Oswald:
Bitte schön, Herr Kollege Jerzy Montag, Ihre dritte Nachfrage.
Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herzlichen Dank für Ihre Antwort. – Immerhin habe ich der etwas verklausulierten Wortwahl entnommen, dass die Idee einer objektiven Karenzzeit von einem Jahr oder zwei Jahren als eine Möglichkeit dazu, wie wir das geltende Recht für das vorliegende Problem schärfen könnten, nicht aus der Welt ist.
Sie haben gesagt: Es liegen keine Vorverträge oder keine Verhandlungen aus der aktiven Zeit vor. – Ich sage Ihnen: Diese vorvertraglichen Verhandlungen – das ist alles bekannt und nicht neu – werden beim gemeinsamen Tennis- und Golfspiel in Karlsruhe angebahnt.
Aber ganz konkret: Der Präsident des Bundesgerichtshofs zeigt sich wegen der aktuellen Situation an seinem Gericht besorgt. Ich zitiere noch einmal Professor Tolksdorf:
… bereits der Anschein von mangelnder Neutralität schadet dem Ansehen des Gerichts und damit der Akzeptanz seiner Rechtsprechung …
Das hat er nicht allgemein gesagt, sondern das hat er auf die aktuellen Vorfälle der letzten Wochen bezogen. Stimmen Sie diesen Aussagen des Präsidenten zu oder nicht?
Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz:
Herr Kollege Montag, zum einen habe ich mich nicht auf konkrete Fälle bezogen, deren Einzelheiten ich gar nicht kenne. Vielmehr habe ich Beispiele für Fallgruppen genannt, die man berücksichtigen muss, wenn man sich der Frage nähert, ob die geltenden Gesetze ausreichen oder ob es Änderungsbedarf gibt.
Zum anderen haben Sie offenbar mehr Kenntnisse darüber, was auf Tennisplätzen alles besprochen wird, als ich. Das will ich jetzt nicht kommentieren; ich will nur sagen: Selbstverständlich enthält auch das Deutsche Richtergesetz eine einschlägige Vorschrift, die ich gerne zitieren möchte – neuerdings darf man im Plenum des Bundestags auch das iPad als technisches Hilfsmittel benutzen –:
Der Richter hat sich innerhalb und außerhalb seines Amtes … so zu verhalten, dass das Vertrauen in seine Unabhängigkeit nicht gefährdet wird.
Daraus kann man ersehen, dass das Problem, dass es nicht nur um tatsächliche Abhängigkeiten geht, sondern auch der Anschein von Unabhängigkeitsverlusten zu vermeiden ist, dem Gesetzgeber schon immer bewusst war und dass er dafür Regelungen getroffen hat.
Ich habe nur auf eines aufmerksam gemacht: Wenn man nun anhand aktueller Fälle meint, Präzisierungen in den langjährig geltenden gesetzlichen Bestimmungen zu brauchen, wie Sie es in Ihrer Frage genannt haben, dann ergeben sich neue Probleme, nämlich beispielsweise Abgrenzungsfragen. Sollte einem Richter, der später in einer Anwaltskanzlei tätig ist, beispielsweise für die Dauer von einem oder zwei Jahren jegliche Tätigkeit dort untersagt werden oder nur eine spezielle? Soll also jemand, der, wie Sie es geschildert haben, im Zivilrecht tätig war, künftig nicht als Strafverteidiger tätig sein dürfen?
Das macht deutlich, dass die Fragen nicht so leicht zu beantworten sind, dass es in einer Fragestunde im Deutschen Bundestag schon abschließende Antworten geben könnte. Ich darf unsere Grundposition wiederholen: Wir meinen, dass die geltenden Bestimmungen durchaus geeignet sind, die Probleme zu bewältigen.
Vizepräsident Eduard Oswald:
Sie haben jetzt Ihre vierte Nachfrage. Bitte schön.
Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sie wird sehr kurz sein, Herr Staatssekretär Stadler, weil sie sich auf meine dritte, nicht beantwortete Nachfrage bezieht.
Der Präsident des Bundesgerichtshofs hat die Situation an seinem Gericht, die sich durch einige aktuelle Fälle ergeben hat, und die geltende Rechtslage mit den Worten beklagt, bereits der Anschein von mangelnder Neutralität schade dem Ansehen des Gerichts und damit der Akzeptanz der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Stimmen Sie dieser Aussage zu, oder halten Sie sie für falsch?
Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz:
Herr Kollege Montag, ich habe hier nicht Bewertungen des Präsidenten des Bundesgerichtshofs zu kommentieren. Ich darf vielmehr meinerseits aus seinen Äußerungen zitieren. Der Präsident des Bundesgerichtshofs hat auch gesagt, er habe keine Zweifel an der persönlichen Integrität der betreffenden Richter. Damit zitiere ich aus demselben Artikel im Spiegel wie Sie.
Ich wiederhole, dass die ganze Debatte dazu führen möge, dass sich alle Beteiligten der sensiblen Thematik mit dem gebotenen Fingerspitzengefühl nähern. Das ist das Erste, was man erwarten kann. Davon zu unterscheiden ist die Frage – über die wir uns schon längere Zeit austauschen –, ob es Bedarf gibt, Gesetze zu ändern. Das muss sehr sorgfältig geprüft werden, weil man dann zu neuen Abgrenzungsproblemen kommt, auch zu grundrechtlichen Problemen im Zusammenhang mit Art. 12 des Grundgesetzes, und weil schon ein Regelwerk besteht, das sich über die Jahre durchaus bewährt hat.
Vizepräsident Eduard Oswald:
Wir haben jetzt eine weitere Nachfrage unseres Kollegen Volker Beck.
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, dass zumindest der eine Fall, der vom Kollegen Montag geschildert wurde, dass jemand einen Tag nach Beendigung des Richteramtes eine Tätigkeit in einer einschlägigen Anwaltskanzlei aufnimmt, zumindest darauf hindeutet – wenn sie sich nicht am ersten freien Tag morgens zum Tennisspielen getroffen haben –, dass in der Zeit, als der Richter noch im Amt war, er gleichzeitig Vertragsverhandlungen mit seinem zukünftigen Arbeitgeber geführt haben muss, und dass das eine Deutung zumindest als möglich erscheinen lässt, dass in dieser Zeit eine Verpflichtung des Richters zwar noch nicht vertraglicher Art, aber doch künftig gegenüber der Kanzlei bestand und damit der Anschein erweckt werden kann, dass hier die Unabhängigkeit infrage gestellt wird?
Wenn dieser Fall nach der gängigen Rechtslage möglich ist, meinen Sie nicht, dass dann zumindest klar ist, dass wir an der Rechtslage etwas ändern müssen? Was zu ändern ist, können wir in den Fachgremien diskutieren.
Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz:
Herr Kollege Beck, der Vorgang, den Sie zitieren, ist im Spiegel ganz bewusst im Konjunktiv dargestellt. Der Spiegel formuliert in solchen Artikeln immer ganz bewusst und unterscheidet zwischen dem, was man als Tatsachen kennt, und dem, was nur eine Möglichkeit ist. Darauf darf ich doch hinweisen. Da ich dazu keine intimeren Kenntnisse als hier dargestellt habe, versage ich es mir, aus Möglichkeiten Schlussfolgerungen zu ziehen.
Der entscheidende Punkt ist aber ein anderer: Wollen wir, wie es dem geltenden Recht entspricht, weiterhin zulassen, dass jemand auch nach seiner aktiven Zeit im öffentlichen Dienst in einem anderen Beruf, der mit dem früheren durchaus verwandt ist, tätig ist, oder soll dies nicht zugelassen werden, weil Interessenkonflikte bestehen oder ein Verlust des Vertrauens in den öffentlichen Dienst – in dem Fall in ein Gericht – entstehen kann? Wenn man der Meinung ist, dass hier ein Problem besteht, muss man die weitere Frage erörtern, wann die Quantität in Qualität umschlägt. Sie haben in Ihrer Frage den Vorgang erwähnt, dass am Tag nach dem Ausscheiden der Betroffene für eine Anwaltskanzlei tätig geworden sein soll. Wie wäre es, wenn es eine Woche, einen Monat oder zwei Monate später – bei einem anderen Vorgang war es nach eineinhalb Jahren – geschieht? Wo zieht man da die Grenze? Ich will bei Ihnen dafür für Verständnis werben, dass diese Fragen nicht so einfach zu beantworten sind, wie Sie es jetzt mit Ihrer Wortwahl, dass doch alles klar sei, insinuiert haben.
Vizepräsident Eduard Oswald:
Kollege Volker Beck, Sie haben eine weitere Nachfrage.
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Es gibt bezüglich der Karenzzeit unterschiedliche Modelle. Es gibt das Modell, das ein Totalverbot vorsieht, und es gibt das Karenzmodell der Europäischen Kommission für ausscheidende Kommissionsmitglieder, das einen Genehmigungsvorbehalt durch ein Gremium vorsieht. Man kann die Modelle unterschiedlich bewerten. Zumindest gegen die Regelung, die den Genehmi-gungsvorbehalt vorsieht, kann man wahrscheinlich verfassungsrechtliche Bedenken nicht vorbringen.
Ich möchte etwas richtigstellen. Vielleicht bin ich der deutschen Grammatik nicht so mächtig, aber ich meine, einen Indikativ zu erkennen. Ich darf zitieren:
Der Vorsitzende Richter am Zweiten Zivilsenat ging am 30. September vorigen Jahres in den Ruhestand. Nur einen Tag später begann er als Berater bei der Wirtschaftskanzlei Gleiss Lutz. Weitere 24 Stunden später hatte er seinen ersten Auftrag. Am 5. Oktober lieferte Goette die vom Fresenius-Konzern bestellte Expertise ab.
Nach meinen grammatikalischen Kenntnissen handelt es sich um indikativische Formulierungen im Imperfekt. Vielleicht hat die Bundesregierung weitergehende grammatikalische Kenntnisse.
Vizepräsident Eduard Oswald:
Ohne die Duden-Redaktion heranziehen zu müssen – bitte schön.
Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz:
Herr Kollege Beck, meine Äußerung bezog sich auf eine weitere Formulierung im Spiegel, die ich Ihnen wörtlich vortragen darf:
Hätte er schon in jenen Tagen
– gemeint ist, als er noch im richterlichen Dienst war –
einen Vertrag verhandelt oder unterschrieben, wäre – –
(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hat er freilich nicht gemacht! Das hat er am Morgen nach Beendigung des Richteramtes gemacht!)
– Ich bin jetzt mit der Beantwortung dran, Herr Kollege Beck. Ich habe Ihnen aufmerksam zugehört, als Sie die Stellen zitierten, und in der Tat lauter Indikative vorgefunden. – Aber die entscheidende Frage ist doch: Ist die Konstellation eine solche, dass hier ein Vertrauensverlust zu besorgen ist? Ein solcher wird vom Spiegel für den Fall unterstellt, dass schon im Vorhinein ein Vertrag verhandelt worden wäre. Dies ist – das habe ich zum Ausdruck gebracht – im Spiegel ganz bewusst in den Konjunktiv gesetzt worden, weil vermutlich eine tatsächliche Kenntnis darüber auch beim Spiegel nicht vorhanden ist.
Der entscheidende Punkt – da sind wir uns doch alle einig – ist: Mit welchem Modell sichert man das Vertrauen der Bevölkerung in die Integrität der Rechtsprechung? Ich sage noch einmal: Ich habe nicht den geringsten Zweifel an der Unabhängigkeit unserer Gerichte und an der Unabhängigkeit des Bundesgerichtshofs.
Es gibt ja jetzt auch schon ein Modell, mit dem das Vertrauen in die Integrität gesichert werden soll; ich habe es vorhin zitiert. Da sich die Diskussion darauf jetzt zuspitzt, darf ich das noch einmal erwähnen: Tätigkeiten nach Beendigung des Dienstverhältnisses als Beamter oder Richter, die mit der früheren Tätigkeit im Zusammenhang stehen und durch die dienstliche Interessen beeinträchtigt werden können, können nach der geltenden Rechtslage untersagt werden. Bei diesem Ansatz hat sich ja der Gesetzgeber – dazu gab es ja keinen parteipolitischen Streit; das ist eine lange bestehende Regelung – etwas gedacht, nämlich dass man der Thematik damit angemessen begegnet.
Ich habe überhaupt nichts dagegen, dass andere Modelle diskutiert werden. Ich habe mir aber erlaubt, nicht einfach pauschal zu sagen: „Darin liegt das Heil“; viel-mehr habe ich auf Probleme aufmerksam gemacht, die bei anderen Lösungen entstehen würden, Probleme, die wir jetzt so nicht haben. Mit dieser differenzierten Betrachtungsweise gehen wir in die weitere Debatte.
Vizepräsident Eduard Oswald:
Vielen Dank, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Max Stadler, für die Beantwortung der Fragen. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, alle anderen Fragen, auch die zu anderen Geschäftsbereichen, werden schriftlich beantwortet.
Damit ist die Fragestunde beendet.