Dr. Max Stadler

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Donnerstag, 3. Januar 2013

Haltung der Bundesregierung zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 zur Sicherungsverwahrung

Fragestunde Protokoll Nr. 107 vom 11. Mai 2011

Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Max Stadler auf die Fragen des Abgeordneten Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ) (Drucksache 17/5733, Fragen 56 und 57):

Wie reagiert die Bundesregierung auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011, durch das keine sechs Monate nach der Reform durch die Koalitionsfraktionen der CDU/CSU und FDP sämtliche Regelungen der Sicherungsverwahrung im Strafgesetzbuch für verfassungswidrig erklärt wurden?

Wie ist in diesem Zusammenhang die Äußerung der Bundesministerin der Justiz, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, zu verstehen, wonach die „grundlegende Weichenstellung“ der Reform von den Karlsruher Richtern „nicht infrage gestellt“ worden sei und die das Urteil offenbar sogar als eine teilweise Bestätigung der Regierungspolitik sieht (vergleiche ddp-Meldung vom 4. Mai 2011, 13.09 Uhr)?


Das Bundesverfassungsgericht hat die Regelungen zur Sicherungsverwahrung im Wesentlichen für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt, da es durch ihren Vollzug das sogenannte Abstandsgebot verletzt sieht, also die Pflicht, den Vollzug der Sicherungsverwahrung klar vom Vollzug der Strafhaft zu unterscheiden. In seiner Entscheidung aus dem Jahr 2004 (Urteil vom 5. Februar 2004, 2 BvR 2029/01, Leitsatz 2 d und Rn. 125 am Ende) hatte es das Bundesverfassungsgericht noch für ausreichend gehalten, dass die Landesjustizverwaltungen hierfür die Möglichkeiten einer Besserstellung im Vollzug der Sicherungsverwahrung soweit ausschöpfen, wie sich dies mit den Belangen der Justizvollzugsanstalten verträgt. Die Regelung des Vollzugs obliegt dem Landesgesetzgeber, zumal die Länder seit 2006 auch die Gesetzgebungskompetenz für den Straf- und Maßregelvollzug besitzen.

Daran orientierte sich die zum 1. Januar 2011 in Kraft getretene Neuordnung der Sicherungsverwahrung. Sie entsprach damit auch der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die primär die Länder zur Wahrung des Abstandsgebots verpflichtet sah.

Jetzt mahnt das Gericht Änderungen nicht nur der Vollzugspraxis, sondern auch der normativen Vorgaben an. Grund dafür sind die Wertungen der Europäischen Menschenrechtskonvention in ihrer Auslegung durch die aktuellen Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die das Gericht bei seiner Verfassungsauslegung maßgeblich berücksichtigt. Mit seiner Entscheidung vom 4. Mai 2011 hat das Gericht die Grenzlinien zwischen der Gesetzgebungskompetenz des Bundes und der der Länder bei der Ausgestaltung der Sicherungsverwahrung erstmals näher definiert. Es nimmt jetzt auch den Bundesgesetzgeber – gemeinsam mit den Landesgesetzgebern – in die Pflicht, ein freiheitsorientiertes und therapiegerichtetes Gesamtkonzept der Sicherungsverwahrung zu entwickeln und normativ festzuschreiben. Dabei sieht es den Bundesgesetzgeber darauf beschränkt, die wesentlichen Leitlinien vorzugeben.

In wesentlichen Weichenstellungen der Neuordnung der Sicherungsverwahrung sieht sich die Bundesministerin der Justiz, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, schon deshalb bestätigt, weil der vom Bundesverfassungsgericht betonte Gedanke des Vertrauensschutzes und das Ultima-Ratio-Prinzip gegenüber der bis dahin geltenden Rechtslage deutlich gestärkt wurden. So hat die Reform die nachträgliche Sicherungsverwahrung im allgemeinen Strafrecht nach § 66 b Abs. 1 und 2 des Strafgesetzbuches, die erst im Jahr 2004 von der seinerzeitigen Regierungskoalition eingeführt worden war, für die Zukunft – Tatbegehung nach dem 31. Dezember 2010 – wieder abgeschafft und den Anwendungsbereich der primären Sicherungsverwahrung wesentlich enger gefasst.

Die Bundesregierung wird jetzt das Urteil eingehend prüfen und ihre Schlussfolgerungen zügig mit den ebenfalls unmittelbar und in erheblichem Umfang betroffenen Ländern erörtern.



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