Untersuchungen zur Aufarbeitung der Rolle des Justizministeriums während der NS-Zeit
Fragestunde - Protokoll Nr. 77 vom 01.12.2010
Ich rufe die Frage 4 des Kollegen Burkhard Lischka auf:
Worin bestand die „umfassende Untersuchung“ zur Rolle des Justizministeriums während der NS-Zeit, und was sind die wesentlichen Ergebnisse dieser Untersuchung, auf die ein Sprecher des Bundesministeriums der Justiz in einem Beitrag zu Forderungen nach der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit von Bundesministerien gegenüber der tageszeitung (17. November 2010) verwiesen hat, um dann auszuführen, dass „kein weiterer Handlungsbedarf“ bestehe?
Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz:
Herr Kollege Lischka, das Bundesministerium der Justiz hat sich bereits seit den 1980er-Jahren als wohl erstes Ressort selbstkritisch mit seiner Geschichte auseinandergesetzt, und zwar auch mit personellen Kontinuitäten nach 1945. Ich darf folgende Beispiele nennen: 1984 publizierte das Bundesministerium der Justiz die kritische Broschüre Justiz im nationalsozialistischen Deutschland. 1987 förderte das BMJ eine wissenschaftliche Untersuchung zur Rolle des Reichsjustizministeriums im Dritten Reich, und zwar die Abhandlung von Lothar Gruchmann: Justiz im Dritten Reich, 1933–1940, Anpassung und Unterwerfung in der Ära Gürtner. Das Buch gilt mittlerweile als Standardwerk zu dem Thema. 1989 erstellte das BMJ die Wanderausstellung und den Katalog Im Namen des Deutschen Volkes – Justiz und Nationalsozialismus. Diese Ausstellung ist in eigener Regie des Bundesjustizministeriums entstanden, begleitet durch einen wissenschaftlichen Beirat von Experten.
Ich kann das, glaube ich, etwas abkürzen; denn wir haben eine längere Liste zusammengetragen. Wissenswert für Sie ist sicherlich noch Folgendes: In der Ausstellung und im Katalog Im Namen des Deutschen Volkes – Justiz und Nationalsozialismus nimmt die Zeit nach 1945 knapp ein Drittel des Umfangs ein. Das ist deswegen wichtig, weil dort auch exemplarische Fälle personeller Kontinuitäten im Bundesjustizministerium genannt werden, nämlich Generalbundesanwalt Fränkel und seine Mitwirkung an Todesurteilen sowie Ministerial-rat Maßfeller als Kommentator des „Blutschutzgesetzes“.
Diesen Beispielen können Sie entnehmen, dass das Bundesministerium der Justiz sich seiner Historie gestellt hat.
Ich sage auch ganz klar zum Ende dieser Antwort: Sowohl in der Öffentlichkeit als auch in der Justiz und im Bundesjustizministerium selbst gibt es heute keinerlei Zweifel daran, dass während der NS-Diktatur die Justiz und das damalige Reichsjustizministerium an zahlreichen Verbrechen mitgewirkt haben. Ebenso unstreitig ist die sogenannte zweite Schuld der bundesdeutschen Justiz, nämlich ihr Versagen bei der juristischen Aufarbeitung und der personellen Erneuerung nach 1945. Das sei von unserer Seite in aller Klarheit hier festgestellt.
(Beifall des Abg. Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Zusatzfragen?
Burkhard Lischka (SPD):
Vielen Dank, Herr Staatssekretär Stadler, für diese Antwort. Mich würde interessieren, ob im Zusammenhang dieser Aufarbeitung und der Studien vor allen Dingen aus den 80er-Jahren, die Sie angesprochen haben, ermittelt wurde, wie viele Mitarbeiter mit nationalsozialistischer Vergangenheit eigentlich im BMJ weiterbeschäftigt wurden. Gibt es auch dazu Erkenntnisse? Gibt es möglicherweise sogar Namenslisten?
Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz:
Herr Kollege Lischka, das ist mir bei der Vorbereitung nicht präsent gewesen. Ich lasse gerne nachprüfen, ob es auch hierüber Informationen gibt. Jedenfalls gab es vielfältige schriftliche historische Auseinandersetzungen mit der NS-Zeit, übrigens beginnend – das will ich hier nicht unterschlagen – durch den allseits hochgeschätzten seinerzeitigen Bundesjustizminister Hans-Jochen Vogel, den früheren Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei. Ob der von Ihnen genannte Inhalt gegebenenfalls mit bearbeitet worden ist, müsste ich noch prüfen lassen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Weitere Zusatzfrage?
Burkhard Lischka (SPD):
Herr Staatssekretär, Sie haben angesprochen, dass ein Großteil der Aufarbeitung in den 80er-Jahren erfolgt ist. Nun ist in der historischen Forschung ein Zeitraum von 30 Jahren durchaus ein erheblicher Zeitraum, weil auch neue Quellen und neue Archive zugänglich gemacht werden. Vor diesem Hintergrund: Halten Sie eine weitere Bearbeitung dieses Themas für erforderlich, gerade auch deshalb, weil es neue Quellen und Archive gibt, die auch zu neuen Erkenntnissen führen könnten?
Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz:
Herr Kollege Lischka, meinen umfangreichen Ausführungen, die ich aus Zeitgründen sogar gekürzt habe, konnten Sie entnehmen, dass sich das Bundesministerium der Justiz seiner Nazivergangenheit, besser gesagt, der Tätigkeit des Reichsjustizministeriums in der NS-Zeit, bereits sehr umfassend gestellt hat. Selbstverständlich sind wir jederzeit bereit, Hinweisen auf weiße Flecken in der Forschung, wenn es diese gibt, nachzugehen. Im Moment besteht der Eindruck – diese Debatte ist mittlerweile seit einigen Wochen im Gange –, dass gerade dieses Ministerium betreffend schon eine sehr sorgfältige Aufarbeitung erfolgt ist.