Bewertung des Anbringens von Kruzifixen in Schulen
Frage der Abgeordneten Sevim Daðdelen (DIE LINKE) (Drucksache 17/1534, Frage 33):
Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass Migrantinnen und Migranten, die die Meinung vertreten, dass Kruzifixe in Klassenräumen staatlicher Schulen gegen die Religionsfreiheit verstoßen, nicht nur in Übereinstimmung mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes stehen, das 1995 mit Blick auf Bayern festgestellt hat, ein Schulkreuz verstößt gegen die weltanschauliche Neutralität des Staates, sondern auch mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom November 2009, und ist diese Meinung nicht Ausdruck von Toleranz und einer europäischen Gesinnung im Geiste der Aufklärung, ganz im Gegensatz zu jenen, die mittels des Kruzifixes eine einseitige Bezugnahme auf das Christentum erzwingen wollen?
Nach dem sogenannten Kruzifix-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts von 1995 verstößt das Anbringen eines Kruzifixes in den Unterrichtsräumen einer staatlichen Pflichtschule, die keine Bekenntnisschule ist, dann gegen die Religionsfreiheit, Art. 4 Abs. 1 des Grundgesetzes, wenn die Schülerinnen und Schüler dem Kruzifix zwangsweise ausgesetzt werden. In ähnlicher Weise hat eine Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, EGMR, 2009 in der Sache Lautsi gegen Italien entschieden, es verstoße gegen das Recht auf Bildung, Art. 2 des Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention, in Verbindung mit dem Recht auf Religionsfreiheit, Art. 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention, wenn Schülerinnen und Schüler in öffentlichen Schulen zwangsweise dem Anblick eines Kruzifixes ausgesetzt würden. Diese Entscheidung ist noch nicht endgültig, da Italien die Große Kammer des EGMR angerufen hat.
Die Auffassung, dass Kruzifixe in Klassenräumen staatlicher Schulen generell gegen die Religionsfreiheit verstoßen, trifft somit nicht zu. Das Anbringen von Kruzifixen ist nach wie vor möglich, allerdings nicht gegen den erklärten Widerspruch der Schülerinnen und Schüler beziehungsweise ihrer Erziehungsberechtigten.