Dr. Max Stadler

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Donnerstag, 3. Januar 2013

„Kein Wohlstand ohne Leistung“ Interview mit Herrn Westerwelle

Trotz der scharfen Kritik an seinen Äußerungen zu Hartz IV will FDP-Chef und Außenminister Guido Westerwelle "keine Silbe" zurücknehmen.

"Brandstifter", "Esel", "Spalter" - für Ihre Äußerungen in der Hartz-IV-Debatte hagelt es Kritik nicht nur vom politischen Gegner - haben Sie einen falschen Ton angeschlagen?

Westerwelle: Die Vorwürfe meiner Kritiker zeigen doch nur, dass sie keine Argumente haben. Die Diskussion über Leistungsgerechtigkeit in Deutschland war überfällig. Jetzt, wo die Kritiker sehen, dass Millionen Bürger mir Recht geben, mäkeln sie an einer angeblich falschen Tonlage herum. Ich habe nur ausgesprochen, was alle Politiker wissen, aber sich nicht zu sagen trauen.


"Leistung ist für viele Linke eine Form von Körperverletzung"



Hat Sie die Heftigkeit der Reaktionen überrascht?

Westerwelle: Wenn man in Deutschland schon dafür angegriffen wird, dass derjenige, der arbeitet, mehr haben muss als derjenige, der nicht arbeitet, dann ist das geistiger Sozialismus. Die Diskussion über das Hartz-IV-Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat sozialistische Züge. Von meiner Kommentierung dieser Debatte habe ich keine Silbe zurückzunehmen. Im Gegenteil: Die wütenden Reaktionen aus dem linken Lager zeigen doch, dass ich den Finger in die Wunde gelegt habe. Für viele Linke ist Leistung ja beinahe eine Form von Körperverletzung. Dagegen wehre ich mich. Im Übrigen habe ich nicht das Karlsruher Urteil kritisiert. Davor habe ich großen Respekt. Ich kritisiere die Debatte darüber.

Gibt es in Deutschland zu wenig Leistungsbereitschaft?

Westerwelle: Wer vergisst, dass sich Leistung lohnen muss, legt die Axt an die Wurzel des Wohlstandsbaumes. Darunter leiden die Schwächsten unserer Gesellschaft. Wenn wir die Leistung der Mittelschicht länger ignorieren, ist die Gefahr groß, dass unser Land scheitert. Eine Spaltung der Gesellschaft droht, wenn die Mittelschicht noch weiter schrumpft. Dann bricht die Brücke, die Arm und Reich verbindet, weg. Wer seinem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspricht, sorgt dafür, dass wir alles verlieren. Deswegen mögen mich die Sozialdemokraten aller Parteien kritisieren, es bleibt dabei: Leistung muss sich lohnen, und es gibt keinen Wohlstand ohne Anstrengung und Leistung. Wer arbeitet, darf nicht mehr und mehr zum Deppen der Nation gemacht werden. Das ist die geistig-politische Wende, die ich meine.


"Der normale Steuerzahler droht zum Sozialfall zu werden"



Das Bundesverfassungsgericht verlangt eine Neuregelung der Hartz-IV-Sätze bis Ende 2010.

Westerwelle: Es sollte der Ehrgeiz der Politik sein, sehr viel schneller eine neue Regelung zu verabschieden.

CSU-Chef Horst Seehofer fordert bereits eine Totalrevision von Hartz IV.

Westerwelle: Ich war nie ein Freund der Hartz-IV-Gesetzgebung, so wie sie von Rot-Grün technisch und handwerklich schlecht gemacht worden ist. Wir haben dafür gesorgt, dass das Schonvermögen für Hartz-IV-Empfänger verdreifacht wurde. Wer ein Leben lang Altersvorsorge betrieben hat, darf nicht bestraft werden, wenn er in Not gerät.

Wie sollte die Reform des Sozialstaats konkret aussehen?

Westerwelle: Wir müssen dafür sorgen, dass der Sozialstaat treffsicherer wird. Gerade auch im Interesse der Bedürftigen. Sozialetat und Schuldendienst machen 60 Prozent unseres Haushalts aus. Nach elf Jahren staatlicher Umverteilung droht der ganz normale Steuerzahler zum Sozialfall zu werden. Das kann nicht so weitergehen. Die FDP hat vom Bürgergeld bis zur flexiblen Rente Vorschläge gemacht. Wer sich dieser Diskussion verweigert, setzt die Zukunft des Landes aufs Spiel.


"Verhältnis zwischen der Kanzlerin und mir ist ausgezeichnet"



Die CSU wirft Ihnen vor, nur Getöse statt konstruktiver Ideen zu verbreiten. Werden Sie angesichts der schlechten Umfrageergebnisse vor der NRW-Wahl nervös?

Westerwelle: Wir haben uns in der Vergangenheit mit der CSU so manches Scharmützel geliefert. Aber in der Bekämpfung linker Ideologen hatten wir früher die CSU auf unserer Seite.

Wie erklären Sie den Fehlstart der schwarz-gelben Koalition?

Westerwelle: Das wird sich zurecht rütteln. Die Anfangsschwierigkeiten habe ich mir nicht gewünscht, aber sie sind erklärbar: Die Union hat die letzten vier Jahre mit der SPD regiert. Das hat auch mentale Spuren hinterlassen. Wir waren in der Opposition und wollen einen politischen Wechsel weg von der Staatswirtschaft, hin zur sozialen Marktwirtschaft. Das wird sich alles mehr und mehr synchronisieren. Die bisherigen Ergebnisse stimmen ja auch, denken Sie nur an die Entlastungen für Familien.

Aber der Streit zwischen Union und FDP nimmt kein Ende. Mitunter wird es sogar persönlich. Wieso stimmt die Chemie zwischen den Wunsch-Koalitionspartnern nicht?

Westerwelle: Das Verhältnis zwischen der Bundeskanzlerin und mir ist ausgezeichnet. Es ist eine sehr tragfähige Voraussetzung für die richtigen Ergebnisse in der Koalition.

Beim Thema Atomausstieg sollen Sie in der Koalitionsrunde richtig laut geworden sein. Was stört Sie an der Position von Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU)?

Westerwelle: Kernkraft ist eine Brückentechnologie auf dem Weg in das regenerative Zeitalter. So steht es im Koalitionsvertrag, daran halten wir fest. Was nützt es der Umwelt, wenn wir in Deutschland aus den sichersten Kraftwerken der Welt aussteigen, nur um am Tag danach den Strom aus sehr viel unsichereren Kraftwerken aus dem Ausland einzukaufen?

Wie sehr besorgt Sie als FDP-Vorsitzender das Werben der Union um die Grünen?

Westerwelle: Ich nehme zur Kenntnis, dass einige CDU-Abgeordnete in Nordrhein-Westfalen eine schwarz-grüne Koalition als Ziel ausrufen. Das schafft Klarheit für die bürgerlichen Wähler: Wer Schwarz-Gelb in Nordrhein-Westfalen will, muss auf Nummer Sicher gehen und die FDP wählen.

Nach fast 15 Prozent bei der Bundestagswahl liegt die FDP nun in den Umfragen bei acht Prozent. Schrillen da bei Ihnen nicht alle Alarmglocken?

Westerwelle: Ich bin jetzt im neunten Jahr Parteivorsitzender. Bei jeder Bundestagswahl haben wir seitdem zugelegt. Ausschläge in den Umfragen hat es immer gegeben. Aber die Wahlergebnisse stimmen. Das zählt. Im Übrigen: Die Leistung einer neuen Regierungspartei bereits nach etwas mehr als 100 Tagen abschließend bewerten zu wollen, ist doch unangebracht. Nicht einmal eine Mischung aus Albert Einstein und Herkules könnte in 100 Tagen richten, was elf Jahre lang schiefgelaufen ist.

Nicht alle in der FDP scheinen so gelassen zu sein wie Sie. Wolfgang Kubicki spricht von fehlender Ordnung, Wolfgang Gerhardt von einer ausgesprochen schwierigen Lage für die Partei . . .

Westerwelle: Ein Moment macht noch keinen Tag, und eine Meinungsumfrage noch keinen Trend. In einer Krise wäre die FDP, wenn sie nicht mehr wüsste, was sie will. Aber wir wissen genau, was wir wollen: Die Mittelschicht stärken, die Familien entlasten und für mehr Leistungsgerechtigkeit sorgen.

Wollen Sie, dass über weitere Entlastungen noch vor der Steuerschätzung im Mai entschieden wird?

Westerwelle: Ich interpretiere, was wir aus der Bevölkerung hören, so, dass man von der FDP schnelles und entschiedenes Handeln erwartet. Das nehme ich als Auftrag und Verpflichtung. Wir wollen die nächsten Wochen auch vor unserem Bundesparteitag nutzen, um unsere Pläne zu konkretisieren. Dazu gehört im Steuerbereich vor allem die Abflachung des Mittelschichtsbauches im Steuertarif. Dass die Mittelschicht steuerlich überproportional belastet wird, ist eine Schwächung unserer Wohlstandschancen. Es ist ein wichtiges Anliegen der FDP, für mehr Steuer-Fairness zu sorgen.

NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) hat bereits mit einem Veto gegen weitere Steuersenkungen gedroht. Was, wenn er seine Ankündigung wahr macht?

Westerwelle: Auch Herr Rüttgers hat dem Koalitionsvertrag zugestimmt.

Es geht um ein Entlastungsvolumen von fast 20 Milliarden Euro. Wie wollen Sie das gegenfinanzieren?

Westerwelle: Das ist vor allem eine Frage des Subventionsabbaus. Das ist eine Frage staatlicher Effizienzreserven. Nicht der teure Staat ist auch der gute Staat. Im Übrigen sind wir haushaltspolitisch solider als die Vorgängerregierung. Obwohl wir Arbeitnehmer und Familien entlastet haben, machen wir weniger Schulden, als es in der Finanzplanung von Peer Steinbrück vorgesehen war.

Was spricht aus Ihrer Sicht gegen eine Abschaffung des Solidaritätszuschlags?

Westerwelle: Was im Solidarpakt verabredet worden ist, gilt. Darauf muss sich jeder verlassen können.


"Es tut Bayern gut, dass die CSU jetzt mit der FDP regiert"



Themenwechsel: Die CSU befindet sich weiter auf Talfahrt in den Umfragen. Ist die Partei bundespolitisch überhaupt noch ein Schwergewicht?

Westerwelle: Es tut Bayern gut, dass die CSU jetzt gemeinsam mit der FDP regiert. Die CSU ist unser Partner in Bayern und im Bund. Ich bin immer für eine faire Zusammenarbeit. Gelegentliche Zwischenrufe lasse ich an mir abperlen. Sie sehen: Ich zeige die ersten Anzeichen von Altersmilde!

Nicht der Generalsekretär, sondern CSU-Chef Horst Seehofer hat die Pläne der FDP für eine Gesundheitsprämie als "Nonsens" bezeichnet . . .

Westerwelle: Wir müssen verhindern, dass alte Menschen künftig durch den Rost der Budgetierung und Rationierung fallen. Genau dahin würde die Fortschreibung eines planwirtschaftlichen Gesundheitswesens führen. Wir müssen das System umbauen, damit es funktionsfähig bleibt. Damit ist einer der besten FDP-Politiker überhaupt betraut: Philipp Rösler. Wir müssen die Zeichen der Zeit erkennen. Gelingt uns das nicht, werden wir im weltweiten Wohlstandsvergleich immer weiter zurückfallen.


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