Die Entstehung des Grundgesetzes ist aus dem historischen Kontext heraus zu verstehen. Das Grundgesetz war sowohl eine Antwort auf die Schwächen der Weimarer Republik und ist deshalb als „wehrhafte Demokratie“ ausgestaltet worden, als auch eine Antwort auf die Tyrannei des Nationalsozialismus - deshalb sind die Grundrechte besonders betont worden.
Im Organisationsteil hat das Grundgesetz Fehler der Weimarer Verfassung vermieden. Die Vorschriften sind daher zum Teil sehr vorsichtig angelegt. Nachdem sich in sechs Jahrzehnten in Deutschland eine stabile Demokratie entwickelt hat, könnte auch an der einen oder anderen Stelle eine Änderung vorgenommen werden (während es dringend erforderlich ist, die Grundrechte in ihrer Substanz zu bewahren!).
Beispielsweise hat das Grundgesetz bewusst keine Direktwahl des Bundespräsidenten vorgesehen, um ihm nicht dieselbe Stellung wie dem Reichspräsidenten in der Weimarer Republik zuzuweisen. Der wiedergewählte Bundespräsident Horst Köhler hat selbst zu erwägen gegeben, ob es nicht mittlerweile an der Zeit wäre, die Direktwahl des Bundespräsidenten einzuführen.
Auch die Zurückhaltung des Grundgesetzes gegenüber Plebisziten sollte dazu dienen, dass sich eine stabile repräsentative Demokratie entwickelt. Wegen der guten Erfahrungen in den Ländern mit Volksbegehren und Volksentscheiden könnten auch an dieser Stelle - wie ebenfalls Bundespräsident Köhler vorgeschlagen hat - vorsichtige Schritte in Richtung mehr direkte Demokratie erwogen werden. Beispielsweise wäre an das sogenannte kassatorische Referendum zu denken, mit dem Gesetzbeschlüsse des Bundestages per Volksentscheid aufgehoben werden können. Dann bliebe gleichwohl die Gesetzgebungshoheit beim Repräsentativorgan Bundestag (und Bundesrat).
Auch die Institute der Grundrechtsverwirkung und des Parteienverbots (dazu gibt es ja die aktuelle NPD-Debatte) sind Elemente der wehrhaften Demokratie. Bewusst hat das Grundgesetz im Sinne einer Gewaltenteilung - auch auf Wunsch der Alliierten - dem Bundesrat und damit den Bundesländern eine starke Stellung zugewiesen. Dies führte allerdings in der Praxis zum Beispiel in den 90er Jahren zu einer Art Blockadepolitik, als Lafontaine als damaliger Ministerpräsident des Saarlands über den Bundesrat eine notwendige Steuersenkung verhinderte.
Aus diesem Grund wurde versucht, die Zuständigkeiten durch eine Föderalismusreform besser zu verteilen. Dieser Reform fehlt aber eine klare Linie.
Insgesamt haben sich die stabilisierenden Elemente im Organisationsteil des Grundgesetzes bewährt und verhindert, dass die Demokratie so wie in der Weimarer Republik gefährdet gewesen wäre. Einzelne Änderungen könnten daher durchaus ohne Schaden gewagt werden.
Weniger eine Antwort auf Weimar als eine Antwort auf die Nazizeit ist die geradezu revolutionäre Entscheidung der Väter und Mütter des Grundgesetzes, den Grundrechtsteil an die erste Stelle der Verfassung zu setzen noch vor dem Organisationsteil. Insbesondere wurde bewusst die Menschenwürde in Artikel 1 des Grundgesetzes verankert. Diese Bestimmung wie auch der Kern der Grundrechte sind unabänderlich.
Darin kommt die Erkenntnis von Carlo Schmid zum Ausdruck: „Der Staat ist für den Menschen da, nicht der Mensch für den Staat“.
Hinsichtlich der Grundrechte muss man als Liberaler „konservativ“ sein, dass heißt sie sind zum Teil unabänderlich, zum Teil müssen sie jedenfalls im Kern bewahrt bleiben.
Das bedeutet, dass die Grundrechte des einzelnen Individuums beachtet werden müssen. Dies ist beispielsweise, wie der Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages herausgearbeitet hat, bei den Methoden der Terrorismusbekämpfung nach dem 11.09.2001 nicht immer beachtet worden (Fälle Kurnaz, Kafaghy, El Masri).
Durch die Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts ergibt sich bei Grundrechtseingriffen folgende Dreistufigkeit:
1) Manche Eingriffe sind gänzlich unzulässig (Beispiele: Folter; Überwachung des Kernbereichs privater Lebensführung; Entscheidung des BVG zum Luftsicherheitsgesetz). Das Bundesverfassungsgericht bezieht sich hierbei des öfteren auf die Menschenwürde, weil diese nicht relativierbar ist, auch nicht durch EU-Recht!
2) Manche Engriffe in Bürgerrechte sind zulässig, unterliegen aber dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit der Mittel. Genau dies ist nach dem 11.09.2001 von den deutschen Behörden häufig nicht eingehalten worden.
3) Schließlich gibt es das Prinzip, notwendige Grundrechtseingriffe zumindest durch geeignete Verfahrensregelungen unter Kontrolle zu halten („Grundrechtsschutz durch Verfahren“). Deshalb gibt es etwa bei Maßnahmen wie Telefonüberwachungen den Richtervorbehalt. Die FDP lehnt es ab, Eilzuständigkeiten zu schaffen - wie dies die Koalition beim BKA-Gesetz versucht hat, - um den Richtervorbehalt zu umgehen. Außerdem hat die FDP darauf hingewirkt, dass die parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste durch den Gesetzgeber verbessert wird.
Die Hauptgefährdungen für die Grundrechte gehen leider vom Gesetzgeber aus. Das Bundesverfassungsgericht musste in den vergangenen Jahren in einer Vielzahl von markanten Entscheidungen Gesetzesbeschlüsse wegen Verfassungswidrigkeit aufheben. Es ist die Aufgabe des Gesetzgebers, nicht darauf zu warten, was Karlsruhe sagt, sondern von selbst für eine verfassungskonforme Gesetzgebung zu sorgen.
In der an sich wünschenswerten und notwendigen internationalen Zusammenarbeit gehen bisweilen rechtsstaatliche Standards verloren. Beispielsweise gibt es einen umfangreichen Datenaustausch (Stichwort: Abkommen über Austausch von Passagierdaten im Flugverkehr mit den USA), wobei der datenschutzrechtliche Standard nicht immer gewahrt ist. Hier besteht Nachbesserungsbedarf.
Schließlich führt auch die weitere Entwicklung der Europäischen Union zu neuen Problemen beim Grundrechtsschutz. Die FDP als Europapartei befürwortet aus voller Überzeugung die weitere europäische Integration. Die FDP-Bundestagsfraktion hat daher zu Recht auch für den Lissabonvertrag gestimmt.
Die europäische Gerichtsbarkeit ist aber schon aus praktischen Gründen derzeit noch nicht in der Lage, einen vollständigen Grundrechtsschutz zu gewährleisten, wie ihn das Bundesverfassungsgericht so erfolgreich praktiziert. Beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte sind 80.000 Verfahren anhängig, die Verfahrensdauer beträgt fünf bis neun Jahre. Die Entscheidungen haben keine unmittelbar bindende Wirkung für die Mitgliedsstaaten. Zum Europäischen Gerichtshof gelangt man nicht durch individuelle Verfassungsbeschwerde, sondern ist auf eine Richtervorlage angewiesen.
Unter diesen Umständen ist es wünschenswert, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem im Juni 2009 zu erwartenden Lissabon-Urteil sich die Prüfungskompetenz zur Wahrung des Grundrechtsschutzes weiterhin vorbehalten wird. Die „Solange“ - Rechtssprechung muss aktualisiert werden. Noch ist der Zeitpunkt nicht gekommen, in dem der Grundrechtsschutz durch die europäischen Institutionen in vollem Umfang übernommen werden könnte.