Dr. Max Stadler

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Donnerstag, 3. Januar 2013

Sollen die deutschen Geheimdienste abgeschafft werden?

(Debattenbeitrag für die Zeitung "Neues Deutschland" vom 9.1.2009)

Selten passt die Redensart, man solle das Kind nicht mit dem Bade ausschütten, so gut wie auf die Forderung nach der Abschaffung der Geheimdienste. Zwar hat es im Zusammenhang mit der Arbeit der Dienste in den letzten Jahren so viele Probleme gegeben, dass der Deutsche Bundestag einen eigenen Untersuchungsausschuss eingerichtet hat. Aber schon die Bezeichnung „BND-Untersuchungsausschuss“ greift zu kurz. Überwiegend geht es um Fehler der politischen Ebene, also der jeweiligen Bundesregierung, nur zum Teil um eigenständiges Fehlverhalten des Bundesnachrichtendienstes.

Es ist nachvollziehbar, dass die Frage nach der Notwendigkeit von Geheimdiensten immer wieder gestellt wird, zumal diese in einem äußerst grundrechtssensiblen Bereich tätig sind. Das gilt aber auch für die Polizei. Trotzdem käme niemand auf die Idee, die Abschaffung der Polizei vorzuschlagen, sondern zu Recht dreht sich die Debatte darum, wie in einem Rechtsstaat die polizeilichen Eingriffsbefugnisse beschaffen sein müssen. Regelungen wie das neue BKA-Gesetz gehen weit über das Ziel hinaus. Die Folgerung kann aber nicht sein, das Bundeskriminalamt abzuschaffen, sondern ihm einen angemessenen Rechtsrahmen vorzugeben.

Ähnliches gilt für die Dienste. Auch die Arbeit des Bundesamtes für Verfassungsschutz ist in vielen (nicht allen!) Bereichen unerlässlich. Beispielsweise stellt das Erstarken der Neonazi-Szene den Staat vor die Notwendigkeit, Informationen auch schon im Vorfeld von Straftaten zu sammeln. Die Abwehr konkreter Gefahren ist typische Polizeiaufgabe, die Erkenntnisgewinnung im Vorfeld eine Aufgabe für den Verfassungsschutz. Es wäre gerade jetzt nicht zu verantworten, darauf zu verzichten. Selbst die Fehler, die im Zusammenhang mit dem NPD-Verbotsverfahren von 2003 begangen worden sind, als es an der Koordination der verschiedenen Verfassungsschutzämter fehlte, sind kein Argument dafür, dass die Beobachtung der rechtsextremen Szene durch den Verfassungsschutz unnötig wäre.

Legitim ist auch das Interesse der Bundesrepublik Deutschland, beispielsweise außenpolitische Entscheidungen auf einem Fundament umfassender und zuverlässiger Nachrichten treffen zu können. Auch die Informationsgewinnung mit nachrichtendienstlichen Mitteln kann zur Qualität politischer Entscheidungen beitragen.

Der umstrittene Einsatz des BND vor und während des Irak-Kriegs in Bagdad ist daher nicht schon aus dem Grunde kritikwürdig, weil die damalige rot/grüne Bundesregierung ein eigenständiges Lagebild haben wollte. Es lag vielmehr im deutschen Interesse, bei der Lagebeurteilung nicht etwa auf die Amerikaner oder Briten angewiesen zu sein. Die berechtigte Kritik setzt vielmehr an der Tatsache an, dass durch den BND militärisch relevante Informationen an die USA als Kriegspartei geliefert wurden, während der eigenen Bevölkerung gegenüber der Anschein der Nichtbeteiligung erweckt worden war. Diese zwiespältige Politik ist aber der Bundesregierung und nicht dem BND anzulasten.

Ein weiteres Faktum ist völlig unverständlich. Die Vertreter der damaligen Bundesregierung berufen sich darauf, sie hätten für die Informationsweitergabe an die Amerikaner einschränkende Kriterien formuliert. Dann wäre erwarten gewesen, dass die Einhaltung dieser restriktiven Kriterien strengstens kontrolliert worden ist. Das Gegenteil war der Fall: Kanzleramt und BND-Spitze überließen nach eigenen Angaben die Auswahl der weiterzuleitenden Informationen einem Referatsleiter beim BND. Dieses Kontrolldefizit belegt nicht, dass der Dienst unkontrollierbar sei, sondern besagt, dass das Kanzleramt seine Aufsichtsfunktion auch tatsächlich wahrnehmen muss.

Der Untersuchungsausschuss hat sich des weiteren ausgiebig mit dem Fall Murat Kurnaz befasst. Der gebürtige Bremer war fünf Jahre ohne stichhaltige Beweise in Guantanamo inhaftiert und der Folter ausgesetzt. Gegen ihn ist eine Wiedereinreisesperre nach Deutschland verhängt worden, obwohl nur vage Verdachtsmomente vorlagen. Das war rechtsstaatlich verfehlt und ist später gerichtlich beanstandet worden Die BND-Spitze war an der Vorbereitung dieser Entscheidung beteiligt, indem sie an den Beratungen in der so genannten Präsidentenrunde im Kanzleramt mitgewirkt hat. Verfügt wurde die Einreisesperre jedoch letztendlich nicht vom BND, sondern vom Bundesinnenministerium. Dort ist daher die politische Verantwortung festzumachen.

Problematisch sind auch Befragungen im Ausland, wenn die befragten Personen zuvor gefoltert worden sind (Guantanamo), oder wenn sie unter folterähnlichen Umständen inhaftiert waren. Beamte des BKA haben sich im Fall Kafaghy geweigert, unter solchen Umständen eine Vernehmung durchzuführen. Die Dienste hielten später nicht denselben rechtsstaatlichen Maßstab ein. Es wäre aber (auch) Sache der politischen Ebene gewesen, Kriterien für die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit von Befragungen zu entwickeln.

Somit steht fest, dass manche der skandalösen Ereignisse sich zwar in Mitverantwortung des BND, aber in hauptsächlicher Verantwortung der Politik ereignet haben. Es ist zu hoffen, dass der BND-Untersuchungsausschuss dazu beiträgt, dass gerade das Kanzleramt als Aufsichtsbehörde wieder zu strikt rechtsstaatlichen Vorgaben für das Agieren des BND findet.

Gleichwohl muss jeder BND-Präsident und jede Bundesregierung penibel darauf achten, dass sich nicht Teile des Dienstes verselbständigen und damit der These von der Unkontrollierbarkeit Nahrung geben. Es ist völlig inakzeptabel, dass Weisungen, die Bespitzelung von Journalisten zu unterlassen, kurz darauf im bekannten Fall der Spiegel-Journalistin Susanne Koelbl missachtet worden sind.

Gerade solche Skandale zeigen, dass vor allem die Möglichkeiten der parlamentarischen Kontrolle effizienter ausgestaltet werden müssen. Die Vorschläge hierfür liegen auf dem Tisch, sind aber von der großen Koalition bisher vor sich hergeschoben worden. All diese politischen Versäumnisse rechtfertigen jedoch nicht die Abschaffung der Dienste.

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