Dr. Max Stadler

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Donnerstag, 3. Januar 2013

Fehlentwicklungen der deutschen Innenpolitik

Ein Beitrag zur aktuellen Debatte um Sicherheit und Freiheit

Spätestens seit dem 11.9.2001 ist die Innenpolitik der jeweiligen Mehrheit des Bundestags gekennzeichnet durch laufende legislatorische Eingriffe in Grundrechte. Das berechtigte Anliegen, die Bürgerinnen und Bürger vor den unbestreitbaren Bedrohungen durch den internationalen Terrorismus zu schützen, wurde nicht - was richtig wäre - durch eine optimale personelle und technische Ausstattung der Sicherheitsbehörden erfüllt. Vielmehr gab es immer wieder Grenzüberschreitungen bei der Gesetzgebung, so dass das Bundesverfassungsgericht wiederholt korrigierend eingreifen musste.

Die Karlsruher Richter taten dies konsequent und bisweilen mit sehr deutlichen Worten. Das Luftsicherheitsgesetz wurde als verfassungswidrig verworfen, weil es unter Geltung des Grundgesetzes schlechthin undenkbar sei, gesetzlich die Tötung unschuldiger Passagiere und Besatzungsmitglieder zuzulassen. In anderen Entscheidungen - wie etwa zum „großen Lauschangriff“ - hob das höchste deutsche Gericht hervor, dass der Kernbereich privater Lebensführung für den Staat unantastbar bleiben müsse.

Dennoch fordert der Bundesinnenminister die heimliche Online-Durchsuchung von Privatcomputern - ein Eingriff von mindestens ebenso starker Intensität wie die akustische Wohnraumüberwachung. Das Karlsruher Urteil zu den parallelen Regelungen für Online-Durchsuchungen in NRW will Schäuble nicht abwarten, obwohl alle Fachleute davon ausgehen, dass das Bundesverfassungsgericht dieses Landesgesetz jedenfalls so nicht bestätigen wird.

Soll man sich über das Eindringen des Staates in die Privatsphäre deswegen keine Sorgen machen, weil die Zahl der Maßnahmen - so die Befürworter - gering bleiben werde? Dieses Quantitätsargument zieht nicht. Alleine die theoretische Möglichkeit, dass man überwacht werden könnte, ist ein Stück Freiheitsverlust und führt bereits jetzt zu verändertem Kommunikationsverhalten. Wer bespricht denn heute noch wichtige Fragen, beispielsweise mit einem Anwalt, am Telefon? Wenn Ermittlungsrichter und Staatsanwälte auf die Idee kommen, das Telefon des Anwalts eines Verbrechensopfers überwachen zu lassen (so geschehen im Fall des von der CIA verschleppten Khaled el Masri!), ist offenbar Vorsicht geboten.

Die Passauer Zeitung „Am Sonntag“ berichtete kürzlich, dass ein Lehrer mit einem Schüler (dummerweise am Telefon) über die Eingrenzung des Prüfungsstoffes auf bestimmte Gebiete gesprochen hat, so wie dies üblich war und wie er dies mit der ganzen Klasse machte. Das Telefon dieses betreffenden Schülers wurde aber abgehört, weil der Schüler einer Straftat im Sinne von § 100 a StPO verdächtig war. Gegen den Lehrer läuft jetzt ein Disziplinarverfahren. Wie kam der Vorgang zur Disziplinarbehörde? Regelt nicht § 100a StPO, dass Abgehörtes nur zur Verfolgung der dort genannten (schweren) „Katalogtaten“ verwendet werden darf?

Daher beruhigt auch die Idee des „Grundrechtsschutzes durch Verfahren“ nicht wirklich. Ist ein Eingriff erst einmal gesetzlich erlaubt, wird er erfahrungsgemäß mit wachsender Zahl und Intensität praktiziert. Die Max-Planck-Untersuchungen zur Telefonüberwachung haben erschreckend deutlich gemacht, dass Verfahrensregelungen den Grundrechtsschutz oft nur unzureichend sichern. Selbst der Richtervorbehalt nützt nicht immer. Was soll man davon halten, wenn sich ein Bürger der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verdächtig gemacht hat, weil er zweimal bei Treffen mit einem anderen Beschuldigten kein Handy dabei hatte. Sind das wirklich Indizien für Konspiration oder ist das nicht der Beweis dafür, wie sehr Verdachtsschwellen in der Praxis abgesenkt werden?

Daher wird immer wieder von CDU/CSU und SPD argumentiert, man werde neue Einschränkungen von Grundrechten nur in engen Grenzen einführen. Aber der Gesetzgeber, dem die Bürger den kleinen Finger reichen, nimmt später doch die ganze Hand. Online-Abfragen von Bankdaten sollten sich ursprünglich gegen Geldwäsche und Organisierte Kriminalität richten - mittlerweile sind sie Alltagsroutine. Mautdaten sollten nur zu Zwecken der Abrechnung mit der Privatfirma (!) Toll Collect erhoben werden - heute wird im Parlament lautstark gefordert, die ausdrückliche Begrenzung auf diesen Verwendungszweck aufzugeben. Der Gesetzgeber handelt sich auf diese Weise selbst das Misstrauen ein, das ihm von immer mehr Bürgerinnen und Bürgern entgegengebracht wird.

Sogar Bundespräsident Horst Köhler hat kritisiert, dass Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble „in einer Art Stakkato“ Forderungen nach weiteren Gesetzesverschärfungen vorträgt. Man müsse sich fragen, ob dies für die Bevölkerung nachvollziehbar sei.

Tatsächlich geht es nicht nur um die Form („Stakkato“), sondern um Schäubles Inhalte und seinen Denkansatz.

Schäuble lässt kein Reizthema aus. Unentwegt verlangt er den Einsatz der Bundeswehr im Inneren. Die Unschuldsvermutung, ein Fundament des Rechtsstaates, relativierte Schäuble hinsichtlich der Gefahrenabwehr in missverständlicher Weise. Richtig ist dagegen, dass man auch bei Maßnahmen der Gefahrenabwehr einen gewissen Verdachtsgrad braucht. Aber Schäuble will den Präventionsstaat immer mehr ausdehnen. Damit geht die Gefahr einher, dass Eingriffsschranken nicht mehr klar definiert werden, da man zur Verhinderung von Verbrechen (fast) alles tun dürfe. Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikationsdaten knüpft nicht mehr in klassischer Weise an konkrete Verdachtsmomente an, sondern greift in die Privatsphäre von Millionen Menschen ohne jeden Verdacht ein. Dies zeigt eine Tendenz vom vorsorgenden Präventionsstaat hin zum Überwachungsstaat.

Auch die Behauptung, die Unterscheidung zwischen äußerer und innerer Sicherheit sei nicht mehr zeitgemäß, soll einen Paradigmenwechsel vorbereiten. Denn daraus folgt logisch, man müsse gegen Terrorismus auch mit militärischen Mitteln vorgehen. Dafür gelten dann die rechtlichen Bindungen des Polizeirechts, der Strafprozessordnung und des Strafrechts nicht.

Die USA haben diesen Grundgedanken weiterentwickelt und die Figur des enemy combattant formuliert, für den nicht einmal Kriegsrecht gilt, also für den weder die Schutzmechanismen der Genfer Konvention noch der Strafprozessordnung eingreifen.

Deshalb werden Verdächtige bewusst auf Guantanamo festgehalten, weil dies kein amerikanisches Territorium ist und demnach die Rechtsordnung der USA nicht gilt. Gefangene dürfen nach amerikanischer Doktrin gefoltert werden, da dies Menschenleben schützen könne. Sie werden ohne Haftbefehl inhaftiert, werden für längere Zeit gehindert, Kontakt zu ihren Angehörigen oder zu Anwälten aufnehmen, sie erhalten jahrelang keine Anklage und auch kein Urteil durch ein unabhängiges Gericht. Kurz: die USA praktizieren genau das, was manche deutsche Rechtswissenschaftler unter dem Stichwort „Feindstrafrecht“ propagieren.

Man darf Herrn Schäuble natürlich keinesfalls unterstellen, dass er dies alles gutheißen würde. Aber das Denkmuster, neue rechtliche Kategorien einzuführen, scheint im Spiegel-Interview vom 9. Juli 2007 durch, wenn Schäuble sagt: „Wir sollten versuchen, … Rechtsgrundlagen zu schaffen, die uns die nötigen Freiheiten im Kampf gegen den Terrorismus bieten.“ Gemeint ist wohl, hinderliche Bindungen an Vorschriften des Rechtsstaates sollen außer Kraft gesetzt werden, damit eine - nach Schäubles Meinung - wirksame Terrorismusabwehr möglich wird.

Aus diesem Denkansatz heraus erklären sich Schäubles Fragestellungen zur Inhaftierung auf Verdacht (Schilys alte Forderung nach „Sicherungshaft“) und zum targeted killing. Beides ist in einem Rechtsstaat völlig inakzeptabel.

Davon, dass Schäuble missverstanden worden sei, weil er ja nur Fragen gestellt habe, kann jedoch keine Rede sein. Er ist klug genug, solche Fragen bewusst aufzuwerfen, um den Boden für eine Abkehr vom klassischen rechtsstaatlichen Denken zu bereiten.

Die liberale Gegenposition betrachtet Terrorismus als eine besonders verwerfliche Form der Schwerkriminalität, der mit den Mitteln des Rechtsstaats und der wehrhaften Demokratie entgegenzutreten ist, ohne Grundprinzipien des Rechtsstaats aufzugeben.

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