Dr. Max Stadler

zurück | | Sitemap | Seite weiterempfehlen | Druckversion | 
Donnerstag, 3. Januar 2013

Menschenwürde, Wahrheit und praktische Politik

Anrede,

zu der heutigen Veranstaltung darf ich zugleich die Grüße der Stadt Passau und des Herrn Oberbürgermeisters Albert Zankl übermitteln. Es ist mir eine besondere Ehre, bei der Katholischen Deutschen StudentenVerbindung Oeno-Danubia den Festvortrag halten zu dürfen. Denn mit der Mitgliedschaft haben Sie sich die Prinzipien des Cartellverbandes katholischer deutscher Studentenverbindungen (CV) zu eigen gemacht:
religio (Religion), scientia (Wissenschaft), amicitia (Freundschaft) und patria (Vaterland).
Dies ist ein anspruchsvolles Programm. Gerade das Prinzip ?religio? - wörtlich ?Bindung? - bedeutet, dass Sie sich für ein werteorientiertes Handeln entschieden haben.

Das ist kein bequemer Weg. Die christliche Botschaft ist eine radikale Botschaft. Sie setzt hohe Maßstäbe und stellt hohe Ansprüche an unser Verhalten im Alltag. Hans Küng formuliert dies in seinem Buch ?Christ sein? (Seite 239) so: ?Jesus erwartet einen anderen, neuen Menschen: ein radikal verändertes Bewusstsein, eine grundsätzlich andere Haltung, eine völlig neue Orientierung im Denken und handeln.?
Christliche Werteorientierung ist also keine bloße Theorie, sondern hat konkrete Auswirkungen z.B. auch auf politische Haltungen und Entscheidungen.
Ich bin eingeladen worden, um über meine aktuelle politische Arbeit im Bundestag hier zu sprechen. Dies möchte ich gerne verbinden mit dem Versuch, anhand einiger konkreter aktueller Problemstellungen zu zeigen, wie wertorientierte Ansätze in praktische Politik einfließen.

Schon aus dem Grundgesetz ergibt sich diese Anforderung an die Politik. Denn der Grundrechtskatalog verbürgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eben nicht nur - im liberalen Sinne - Abwehrrechte der Bürger gegen den Staat, sondern enthält eine objektive Werteordnung.
Diese Ordnung ist vielfach christlich geprägt. Zu nennen ist beispielhaft
1.etwa die Ausgestaltung der Eigentumsgarantie in Artikel 14 GG. Dort ist der freiheitsverbürgenden, sozusagen ?liberalen? Gewährleistung des Eigentums des Absatzes 1 ein Absatz 2 hinzugefügt, der die Sozialpflichtigkeit des Eigentums betont - ein wichtiger Gedanke aus der katholischen Soziallehre.
2. Der Schutz des Lebens in Artikel 2 II GG wurde und wird in der politischen Debatte um den § 218 StGB immer wieder von den christlichen Kirchen angemahnt mit der Betonung, dass dieser Schutz auch dem ungeborenen Leben zukommt. Deshalb hat das Bundesverfassungsgericht auch nie von einem ?Recht auf Abtreibung? gesprochen, sondern nur gesagt, dass der Staat den gebotenen Lebensschutz nicht nur durch strafrechtliche Sanktionen sichern könne, sondern ergänzend oder statt dessen mit sozialpolitischen und fürsorgerischen Mitteln.

3. Asyl ist eine Schutzgewährung in langer christlicher Tradition. Das Asylprivileg ist schon unter Kaiser Konstantin auf die christlichen Kirchen übergegangen. Im kanonischen Recht heißt es: ?Ecclesia iure asyli gaudet ita ut rei, qui ad illam confugerint, inde non sint extrahandi? - Die Kirche erfreut sich des Asylrechts, zu ihr Geflüchtete dürfen von dort nicht von den weltlichen Behörden in ihre Gewalt gebracht werden. Somit erweist sich das Asylgrundrecht als traditionell christlicher Gedanke. Die praktische Umsetzung freilich stößt - wie die Asyldebatte der Neunziger Jahre gezeigt hat - an gewisse Grenzen.

Die wenigen Beispiele bestätigen den Eingangsgedanken, wonach werteorientiertes Handeln kein einfacher Lösungsweg ist, denn oft ergeben sich Abwägungsprobleme wie etwa die Frage der Asylgewährung einerseits und der Aufnahmekapazität des Gastlandes andererseits. Solche Spannungsfelder führen zu politischen Entscheidungen wie den so genannten Asylkompromiss von 1993.

Bisweilen geben uns jedoch sowohl das GG als auch die Maßstäbe christlicher Ethik die Pflicht zur Kompromisslosigkeit vor.
Ich spreche vom Schutz der Menschenwürde, der an erster Stelle im Grundrechtskatalog des GG stehenden zentralen Vorschrift: ?Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.?

Diese Grundnorm verlangt, so das BVerfG im 45. Band Seite 228, dass der ?Mensch als selbstverantwortliche Persönlichkeit mit Eigenwert? anerkannt wird?.

Die Wurzeln des Begriffs der Menschenwürde liegen - ich zitiere Reinhold Zippelius - außerhalb der Jurisprudenz, nämlich vor allem im christlichen Würdebegriff. Nach christlicher Auffassung ist jeder Mensch Gottes Ebenbild, so dass ihm ein Eigenwert zukommt. Die Lehre von der personalen Würde des Individuums war ein epochaler Fortschritt, den das Christentum gebracht hat.
Dazu heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der deutschen Bischofskonferenz und der EKD von 1989 (?Gott ist ein Freund des Lebens?): ?Die Vorstellung vom Menschen als dem "Bild Gottes" stammt aus dem ersten Schöpfungsbericht der Bibel (Gen/ 1 Mose 1,26f). Nach der heute vorherrschenden Deutung zielt ihr ursprünglicher Sinn darauf, dass der Mensch für die Schöpfungswelt zum Repräsentanten und Statthalter Gottes eingesetzt ist. Jedoch verbinden sich in der Auslegungsgeschichte von Gen/1 Mose 1,26f und im Denken und Glauben der Kirche mit dem Gedanken der Gottebenbildlichkeit des Menschen weiter gefasste Inhalte. Die Gottebenbildlichkeit wird darum in der geistigen Welt des Christentums zu einem Zentralbegriff in der Beschreibung der besonderen Würde des menschlichen Lebens. Auch Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes steht in diesem Traditionszusammenhang.?
Die Konsequenzen sind bis in die heutige Zeit dramatisch, wie wir gleich anhand einiger aktueller Beispiele sehen werden:

1. Der Gesetzgeber wollte das schwierige Problem lösen, wie man Flugzeugangriffe wie die des 11. Septembers abwehren könne. Das Luftsicherheitsgesetz gab die Befugnis, entführte Passagierflugzeuge abzuschießen. Dem ist Karlsruhe - unter Berufung auf Artikel 1 GG - in einer wirklich an Radikalität des Denkens und der Sprache nicht zu überbietenden Entscheidung vom 15. Februar 2006 - entgegengetreten: ?Es ist unter der Geltung des Art. 1 Abs. 1 GG schlechterdings unvorstellbar, auf der Grundlage einer gesetzlichen Ermächtigung unschuldige Menschen, die sich wie die Besatzung und die Passagiere eines entführten Luftfahrzeugs in einer für sie hoffnungslosen Lage befinden, vorsätzlich zu töten.? Eine Abwägung von Leben gegen Leben hat das Bundesverfassungsgericht nicht zugelassen. Auch die morituri genießen den vollen Grundrechtsschutz! Karlsruhe hat ein an sich unauflösbares ethisches Dilemma kompromisslos gelöst.
Ich zitiere wörtlich: Das menschliche Leben ist die vitale Basis der Menschenwürde als tragendem Konstitutionsprinzip und oberstem Verfassungswert. Jeder Mensch besitzt als Person diese Würde, ohne Rücksicht auf seine Eigenschaften, seinen körperlichen oder geistigen Zustand, seine Leistungen und seinen sozialen Status. Sie kann keinem Menschen genommen werden. ? Das gilt unabhängig auch von der voraussichtlichen Dauer des individuellen menschlichen Lebens.
2. Auch das Folterverbot gilt absolut. Die Begründung folgt wiederum aus der Achtung der Menschenwürde - auch der Menschenwürde eines Verdächtigen. Abstrakt wird dies jeder teilen. In konkreten Fällen gerät die Gewissheit rasch ins Wanken - s. Fall Jakob von Metzler. Und doch darf das Rechtsbewußtsein nicht erodieren. Im Fall Kafaghy war es noch intakt. Deutsche Kriminalbeamte lehnten Vernehmung eines alten Mannes, der gefoltert worden war, und unter entwürdigenden Umständen aussagen sollte ab, obwohl sie damit eine Möglichkeit der Informationsgewinnung ungenutzt ließen.
Heute ist es eher herrschende Meinung, wenigstens an den Früchten des verbotenen Baumes zu partizipieren. Das bringt die Gefahr mit sich, ungewollt Folter zu legitimieren. Andererseits: Sollte die Bundesregierung die gestern geschilderten Warnungen vor Anschlägen ignorieren, weil sie womöglich von Geheimdiensten stammen, für deren Methoden wir die Hand nicht ins Feuer legen können? Das wäre kaum zu verantworten. Sollte ein mutmaßlicher Kofferbomber unbehelligt ausreisen können, weil die entscheidenden Informationen für seine Festnahme aus dem Libanon stammten? Ich meine: Nein. Aber die Beispiele zeigen, dass schwierige Abgrenzungsfragen noch einer in sich stimmigen Lösung harren.

3. Völlig einig ist sich dagegen der Bundestag in der Forderung, die Schließung von Guantanamo zu verlangen. Die USA halten Verdächtige bewusst außerhalb ihres Territoriums fest, damit diesen in einem ?rechtsfreien Raum? keinerlei Verfahrensgarantien zustehen sollen. Daraus folgt nach Meinung der Bush-Administreation die Rechtsfertigung der Anwendung der Folter, die von Murat Kurnaz in seinem bewegenden Buch ?Fünf Jahre meines Lebens? mit schlichten Worten und gerade deshalb so eindringlich geschildert worden ist. Guantanamo ist mit europäischer Rechtstradition nicht vereinbar.
Da die Täter des 11. September die Menschenwürde der Opfer negiert haben, steht ihnen in einer Art ?Negation der Negation? nach der Lehre vom ?Feindstrafrecht? ihrerseits keinerlei Menschenwürde zu. Guantanamo ist somit ein Synonym für die Abkehr von der christlichen Lehre der personalen Würde des Individuums.

Dennoch verstehen es viele Menschen nicht, wenn man sich in einem konkreten Fall dafür einsetzt, dass ein Gefangener von dort freikommt. Angela Merkel hat dies getan und Murat Kurnaz herausgeholt. Für mich ist das kein Zufall, denn als Tochter eines protestantischen Pfarrers hat Angela Merkel eine andere Prägung als die Akteure aus der Vorgängerregierung, die sich offenbar mehr von Nützlichkeitsargumenten leiten ließen. Angela Merkel wusste: die Würde jedes Menschen ist unantastbar.
Ein Zeuge hat vor zwei Wochen dagegen klar geschildert, warum die frühere Regierung gegen Kurnaz eine Wiedereinreisesperre verhängt hatte: aus Angst vor dem zu erwartenden ?Pressehype.?
Eine nach dem Prinzip der Wertorientierung unvertretbare Entscheidung wurde also aus Angst vor politischem Ansehensverlust getroffen, da es in der Abwägung mehr eigenen Nutzen zu bringen schien, sich gegen Kurnaz zu wenden:

a) Kurnaz war zwar in Bremen geboren und hat nur dort gelebt, ist aber türkischer Staatsangehöriger - ein Inländer ohne deutschen Pass. Man konnte sagen. Dafür war nur die Türkei zuständig. Aber sind wir für Inländer ohne deutschen Pass gänzlich unzuständig? Wir sagten eingangs: christliche Wertorientierung ist unbequem. Im Fragen der Menschenrechte ist der Verweis auf Unzuständigkeit nicht überzeugend, seit die Ausrede ?Bin ich denn meines Bruders Hüter? als mangelhaft verworfen worden ist.
b) Kurnaz wirkt befremdlich, wahrscheinlich unsympathisch. Die Bildzeitung zeigte ein Foto von ihm mit seinem langen Bart und titelte: ?So sieht er aus - der Bremer Taliban?. Wer sich für ihn einsetzte, konnte nicht auf Wählerstimmen hoffen. Aber- darf das Aussehen eines Menschen, dürfen Sympathie und Antipathie Maßstab eines werteorientierten Handelns sein?
c) Kurnaz war verdächtig. Das alleine konnte der akzeptable Grund sein, ihm die Rückkehr nach Bremen zu verweigern. Im Zusammenhang damit ist ein Streit um die Reichweite der Unschuldsvermutung entstanden. Gefahrenabwehr ist selbstverständlich auch gegen Verdächtige, also möglicherweise Unschuldige, zulässig. Aber je schwerwiegender der Eingriff, umso valider müssen die Beweise sein. Vage Verdachtsmomente genügen, um einen Menschen zu beobachten. Um ihm die Rückkehr in das Land, in dem er berechtigt sich aufhält, zu verweigern, braucht man schon belastbare Indizien.
Frau Merkel hat entschieden, dass es diese Indizien nicht im ausreichenden Maße gab. Sie hat eine unbequeme, unpopuläre Entscheidung getroffen. Aber es war eine Entscheidung im Sinne christlicher Wertorientierung und im Sinne des Grundgesetzes.

Somit zeigt sich, dass sowohl Gesetzgebung als auch konkretes Regierungshandeln ohne Rückgriff auf ein inhaltliches Fundament zu bloßen Opportunitätsentscheidungen verkommen würde. Sich nur an kurzfristigem Eigennutz zu orientieren ist nicht der Weg, für den Sie sich als Mitglieder einer Katholischen Deutschen Studentenverbindung entschieden haben. Sie haben sich vorgenommen, tiefer zu schürfen bei der Suche nach der Wahrheit, bei der ewigen Frage des Pilatus an Jesus aus Johannes 18, 38. ?Was ist Wahrheit??
Es lohnt sich - trotz all unserer begrenzten Erkenntnismöglichkeiten -, den Versuch zu unternehmen, unser praktisches Verhalten an Werten und Wahrheiten auszurichten, wie schon das Alte Testament Tobias 4,6) empfiehlt:
Denn wenn du dich an die Wahrheit hältst, wirst du bei allem, was du tust, erfolgreich sein?.

 zurück | Startseite | Seite weiterempfehlen | Druckversion | zum Seitenanfang