Rede vom 07.06.2002
Stadler zum ZuwanderungsgesetzRede von Dr. Max Stadler am 09.05.2003
Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungssteuerungs- und Integrationsgesetz)
Dr. Max Stadler (FDP):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, man greift nicht zu hoch mit der Feststellung, der Deutsche Bundestag hätte heute die Chance zu einem historischen Kompromiss, um den seit einem Jahr andauernden Streit um das Zuwanderungsgesetz zu beenden. Deutschland braucht in seinem eigenen Interesse ein Gesamtkonzept, um die Zuwanderung zu steuern und zu begrenzen und um die Integration zu fördern.
(Beifall bei der FDP und der SPD sowie des Abg. Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Die FDP-Bundestagsfraktion hat basierend auf Vorarbeiten aus Baden-Württemberg einen, wie wir meinen, allseits akzeptablen Kompromissvorschlag vorgelegt. Es wäre schade, wenn der Deutsche Bundestag heute seine Chance versäumen würde, sich auf diesen Kompromiss zu einigen.
(Beifall bei der FDP)
Nach drei Jahren öffentlicher Debatte birgt eine solche Aussprache wie die heutige die Gefahr, dass nur altbekannte Argumente wiederholt werden. Ich meine aber, dass die Einwände, die die Union heute noch einmal geltend gemacht hat – der Kollege Bosbach hat sie eben vorgebracht –, durchaus ernst zu nehmen sind.
Auch wir, die wir ein Zuwanderungsgesetz befürworten, stellen uns die Frage, ob die Bedingungen für ein solches Gesetz jetzt noch dieselben sind wie vor zwei Jahren, als die Süssmuth-Kommission ihren Bericht vorgelegt hat, oder vor einem halben Jahr. Denn der Arbeitsmarkt hat sich inzwischen geändert; er ändert sich aufgrund der verfehlten rotgrünen Wirtschaftspolitik leider zum Schlechteren.
Daher ist die auch von der Bevölkerung gestellte Frage berechtigt, ob bei mehr als 4 Millionen Arbeitslosen noch eine Zuwanderung auf den deutschen Arbeitsmarkt vertretbar ist. Wir glauben aber, dass diese Frage zu bejahen ist. Wir meinen sogar, dass es dringend notwendig ist, die Zuwanderung – die ohnehin stattfindet – zu steuern.
(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Darin sind wir anderer Meinung!)
Die Notwendigkeit eines solchen Gesetzes hängt nicht vom Monats oder Quartalsbericht der Bundesanstalt für Arbeit ab. Wir schaffen eine gesetzliche Grundlage – darin besteht der Unterschied zur derzeitigen Praxis der Ausnahmeverordnungen – nicht für eine Situation des Augenblicks; vielmehr streben wir mit diesem Gesetz eine Grundlage für die gesamte weitere Zuwanderungspolitik der Bundesrepublik Deutschland auf längere Dauer an. Dieses Gesetz soll sozusagen zum Grundgesetz für die deutsche Migrationspolitik werden. Deswegen macht es nach wie vor Sinn.
(Beifall bei der FDP)
Im Übrigen – das ist der wichtigste Punkt, den es herauszustellen gilt – bedeutet ein Zuwanderungsgesetz nicht automatisch mehr Zuwanderung. Es geht um zwei völlig verschiedene Fragen. Ob wir mehr Zuwanderung nach Deutschland brauchen, ist aufgrund der Situation auf dem Arbeitsmarkt von Zeit zu Zeit unterschiedlich zu beantworten. Hier geht es aber auch um die Frage, ob wir ein Gesetz brauchen, das die Zuwanderung steuert. Wir Freie Demokraten meinen, dass ein solches Gesetz nach wie vor notwendig ist.
Wir schlagen Ihnen einen Mechanismus vor, der alle Bedenken aufgreift, indem wir Ihnen anbieten, die Zuwanderung auf den Arbeitsmarkt und aus humanitären Gründen nach einer Jahreshöchstquote zu gestalten. Damit hätten wir als Politiker es in der Hand, die jeweilige aktuelle Situation zu beurteilen und die Quote gegebenenfalls auf Null festzusetzen. Insofern sind die zum Ausdruck gebrachten Sorgen unbegründet und es ist und bleibt vernünftig, in diesem Bereich gesetzgeberisch tätig zu werden.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)
Lassen Sie mich nun auf einen weiteren Punkt zu sprechen kommen. Nachdem wir in früheren Debatten darauf hingewiesen haben, dass bei der CDU/CSU Anspruch und Wirklichkeit auseinander klaffen, indem sie sich zum Beispiel hier gegen das Zuwanderungsgesetz ausspricht, aber in Bayern Pflegekräfte aus der Slowakei und Kroatien anwirbt,
(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das ist doch kein Widerspruch!)
hat die Union ihre Argumentation jetzt geändert und vorgebracht, es sei zwar richtig, dass in manchen Bereichen ausländische Arbeitskräfte benötigt würden; dies könne jedoch über Ausnahmeverordnungen geregelt werden.
(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das ist bei Saisonarbeitskräften auch der Fall!)
Nun komme ich zu dem entscheidenden Punkt. Notwendig ist nicht der alte Flickenteppich von Ausnahmeverordnungen;
(Dr. Cornelie SonntagWolgast [SPD]: Sehr richtig!)
notwendig ist vielmehr ein Gesamtkonzept, weil alle drei Bereiche eng miteinander verzahnt sind: Zuwanderung auf den Arbeitsmarkt, Zuwanderung aus humanitären Gründen und Integration. Alle drei Bereiche gehören zusammen.
(Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich möchte Ihnen das an den Vorschlägen deutlich machen, die die FDP dazu gemacht hat. Wir meinen – das kann niemand bestreiten –, dass es eine Fehlsteuerung im Asylrecht gegeben hat. Viele versuchen nämlich, sich über das Asylrecht Zugang zu Deutschland zu verschaffen, obwohl sie keine Chance haben, jemals anerkannt zu werden. Wenn man diesen Menschen eine legale Zuwanderungsmöglichkeit – ich gebe zu: in begrenztem Umfang; denn die Zahlen würden etwas anderes nicht zulassen – bietet und wenn man zugleich festlegt, dass diejenigen, die sich zu Unrecht auf ein nicht mehr bestehendes Asylrecht berufen, von der legalen Möglichkeit der Zuwanderung in den Arbeitsmarkt ausgeschlossen werden, dann wird dieser Steuerungsmechanismus dazu führen, dass das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge und die Verwaltungsgerichte nicht mehr mit einer solchen Vielzahl von Asylverfahren, die im Endeffekt aussichtslos sind, belastet werden wie jetzt.
(Beifall bei der FDP)
Ich möchte Ihnen die Verzahnung noch an einem zweiten Beispiel deutlich machen. Wenn man ein Gesamtkonzept für die Integration entwickelt, dann hat man die Möglichkeit, mehr Angebote als bisher zu machen, aber auch mehr Anforderungen an diejenigen zu stellen, die nach Deutschland kommen, und zwar unter anderem dadurch, dass man die Teilnahme an Deutschkursen und an Integrationskursen zum entscheidenden Kriterium für die Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung macht. Das ist nicht unzumutbar, sondern eine sinnvolle Steuerung und zeigt erneut, dass wir eine Verknüpfung aller Elemente brauchen.
Der gescheiterte Gesetzentwurf war nur formal ein rot-grüner. Die FDP hat in den Verhandlungen mit Minister Schily etliche ihrer Vorstellungen in den Gesetzentwurf einbringen können. Deswegen hat ja Rheinland-Pfalz im Bundesrat zugestimmt. Aber wir werden heute nicht zustimmen, sondern uns enthalten;
(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Mut zur Enthaltung!)
denn Sie haben den gescheiterten Gesetzentwurf erneut unverändert eingebracht, obwohl er nicht mehr dem aktuellen Stand der Diskussion entspricht.
(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Dann müsst ihr Nein sagen!)
Die weitere Diskussion hat nämlich ergeben, dass ein Zuwanderungsgesetz mehr Maßnahmen für die Integration derjenigen vorsehen muss, die schon hier sind. Hier treffen sich unsere Vorstellungen mit denen der Union.
(Zurufe von der CDU/CSU: Aha!)
Wir brauchen die so genannte nachholende Integration
(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Sehr richtig!)
und müssen besonders im Blick behalten, dass die jetzige Generation der Spätaussiedler im Gegensatz zu denjenigen, die Anfang der 90erJahre gekommen sind, aufgrund fehlender Sprachkenntnisse große Probleme hat, in den Arbeitsmarkt und in das Sozialgefüge integriert zu werden.
(Beifall bei der FDP)
Daher gehen die Integrationsangebote der FDP – ich betone: mit entsprechenden Verpflichtungen betreffend die Migrantinnen und Migranten – weiter als das, was Ihr Gesetzentwurf vorsieht. Aber alles muss seriös finanzierbar sein. Die Angebote, die die Union in ihren Änderungsanträgen macht, sind zeitlich unbegrenzt. Das geht nicht; denn das können die Kommunen auf keinen Fall mehr finanzieren. Auch wenn wir einen eigenen Beitrag von den Migrantinnen und Migranten verlangen, meinen wir, dass sich die nachholende Integration auf diejenigen beziehen sollte, die in den letzten fünf Jahren nach Deutschland gekommen sind.
Sie sehen also, dass wir Kompromissangebote in unsere Vorschläge eingearbeitet haben, die dem neuesten Stand der Diskussion entsprechen und die vor allem auch ein Angebot an die Union sind. Die Tatsache, dass Sie 128 Änderungsanträge gestellt haben, kann als ein hohes Pokern verstanden werden, um im Vermittlungsausschuss möglichst viel von den eigenen Vorstellungen durchzusetzen. Das wäre noch verständlich. Aber wir haben nach der vorangegangenen Rede des Kollegen Bosbach den Eindruck, dass es Ihnen gar nicht um einen Kompromiss geht, sondern dass Sie ein Zuwanderungsgesetz generell ablehnen, obwohl es dringend notwendig wäre.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Deswegen hoffen wir, dass diejenigen aus Kirche und Wirtschaft, die Einfluss auf Sie haben und auf deren Wort Sie hören, Sie doch noch eines Besseren belehren.
Zum Schluss möchte ich noch folgendes Grundsätzliche anmerken: Ein solches Gesetzesvorhaben löst bei der Bevölkerung zunächst Ängste und Besorgnisse aus, beispielsweise Besorgnis darüber, dass es mehr Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt geben wird – und das, obwohl Inländer bei der Besetzung eines Arbeitsplatzes Vorrang haben –, und Besorgnis darüber, dass die sozialen Systeme überlastet werden. Man kann den Weg gehen, diese Besorgnisse aufzugreifen – das ist ehrenhaft – und ihnen nachzugeben, das ist die Politik der Union. Politische Führung heißt für mich aber, solche Besorgnisse ernst zu nehmen und daraus vernünftige Lösungen zu entwickeln. Das ist die Politik der FDP.
Wir bieten Ihnen noch einmal an, die Brücke zu betreten, die wir Ihnen mit unserem Gesetzeskompromiss vorschlagen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)