Rede vom 02.12.2004
Kulturelle Vielfalt - universelle WerteDie FDP-Fraktion will mit ihrem Antrag „Kulturelle Vielfalt - universelle Werte. Neue Wege zu einer rationalen Integrationspolitik“ einen Beitrag leisten zur Versachlichung der Debatte. Aufgeregter Streit über ideologisch besetzte Begriffe wie „Multi-Kulti“ oder „Leitkultur“ hilft nicht weiter. Wir brauchen jetzt pragmatische Lösungen. Dazu machen wir in unserem heutigen Antrag und in einem umfassenden, vom Kollegen Klaus Haupt vorgelegten Integrationskonzept konkrete Vorschläge wie z.B. die verpflichtenden Sprachstandserhebungen im Vorschulalter, damit alle Kinder in der ersten Grundschulklasse gute Deutschkenntnisse und damit bessere Bildungschancen haben.
Die Leitlinien für unsere Integrationspolitik folgen aus dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Dessen Grundwerte sind für alle verpflichtend, an erster Stelle der Schutz der Menschenwürde.
Darüber hinaus enthält unsere Verfassung drei zentrale Aussagen:
1. Das Grundgesetz sichert jedem Einzelnen die persönliche Freiheit zu, auch die Freiheit, gemäß den eigenen kulturellen Wurzeln zu leben. Kulturelle Vielfalt wird somit ausdrücklich im Grundgesetz anerkannt.
2. Das Grundgesetz kennt aber nicht nur Grundrechte, sondern auch Grenzen der Freiheit und Grundpflichten. Beispielsweise spricht Artikel 6 nicht nur von den Elternrechten, sondern auch von der elterlichen Pflicht zur Erziehung. Artikel 2 verbürgt jedem das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt. Kulturelle Eigenheiten und Freiheitsrechte finden also ihre Grenzen in Grundpflichten und der Wahrung der Rechte anderer. Deswegen ist es z.B. ein liberales Kernanliegen, die Würde der Frau auch gegen Angriffe aus dem eigenen Umfeld zu schützen. Wir hoffen, dass die Initiative von Justizminister Ulrich Goll gegen Zwangsheirat breite Unterstützung findet.
3. Das Grundgesetz bietet auch das Recht auf aktive Teilhabe an politischen Entscheidungen. Das Wahlrecht ist auch für Integration wichtig. Warum sollen Menschen, die länger als fünf Jahre rechtmäßig in Deutschland leben, über kommunale Angelegenheiten, als über ihren eigenen unmittelbaren Lebensbereich, nicht mitbestimmen dürfen?
Insgesamt bietet das Grundgesetz ein großartiges Fundament für ein freies und friedliches Zusammenleben. Wer dieses Angebot voll annimmt und die deutsche Staatsangehörigkeit erwirbt, sollte durch eine feierliche Zeremonie erfahren, dass er „dazugehört“. Ich denke vor allem auch an die jungen Erwachsenen, die nach dem neuen Staatsangehörigkeitsrecht mit 18 Jahren entscheiden, ob sie die deutsche Staatsangehörigkeit behalten.
Eine auf das Grundgesetz bezogene Integrationspolitik darf freilich die Augen vor den Problemen nicht verschließen. Andererseits gibt es nicht erst jetzt, sondern seit Jahren auch erfolgreiche Integrationsbemühungen. Doch die Integrationspolitik hätte mit dem Zuwanderungsgesetz schon lange eine neue Qualität erhalten könne, wäre nicht durch fast uferlosen Streit zu viel Zeit verloren worden! Das von manchen ausgerufene „Jahrzehnt der Integration“ muss jetzt erst - endlich - beginnen.
Leider waren wir im Integrationsteil des Zuwanderungsgesetzes nicht mutig genug. Die nachholende Integration blieb nahezu ganz ausgespart - ein schwerer Fehler! Warum es für Menschen, die seit vielen Jahren hier leben und bereits bestens integriert sind, keine Bleiberechtsregelung gibt, ist unverständlich.
Wahrscheinlich war es falsch, dass bei den Verhandlungen am Ende wir Juristen unter uns waren. Integration ist aber eine Aufgabe für alle. Daher greift die FDP-Fraktion den Vorschlag von Guido Westerwelle auf, der einen „runden Tisch der Religionen“ verlangt hat. Wir brauchen ohne falsche Berührungsängste den Dialog mit allen Vertretern islamischer Vereinigungen, die bereit sind, die Grundwerte des Grundgesetzes weiter zu transportieren, damit diese zum selbstverständlichen Allgemeingut aller in Deutschland lebenden Menschen werden.