Rede vom 15.06.2005
Probleme mit der Türkei nicht ausblendenVizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat der Kollege Dr. Max Stadler von der FDP-Fraktion.
Dr. Max Stadler (FDP):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die FDP-Fraktion wird sich bei dem Antrag der CDU/CSU, über den wir gerade debattieren, der Stimme enthalten.
(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Schade! – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr mutig!)
Wir wollen damit zum Ausdruck bringen, dass in diesem Antrag durchaus berechtigte Fragen thematisiert werden, etwa die wirklich nicht akzeptable Praxis der Türkei,
(Beifall der Abg. Dorothee Mantel [CDU/ CSU])
eigene Staatsbürger auszubürgern, wenn sie im Ausland straffällig geworden sind. Das sehen wir genauso wie die CDU/CSU.
(Zuruf von der CDU/CSU: Bravo!)
Wir können diesem Antrag aber nicht zur Gänze zustimmen, weil er zum Teil überholt ist: Er bezieht sich auf die Aufnahmeentscheidung der Europäischen Union vom 17. Dezember 2004; insoweit ist er einfach durch den Zeitablauf überholt. Wir wollen diesem Antrag aber auch deswegen nicht zustimmen, weil wir glauben, dass einige innenpolitische Fragen, die von der CDU/CSU hier zur Debatte gestellt werden, die gesamte Dimension des Problems des Beitritts der Türkei zur Europäischen Union nicht erfassen. Dieser Antrag ist nicht geeignet, eine neue Debatte über den EU-Beitritt der Türkei zu initiieren.
(Beifall des Abg. Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Ich verweise auf die klare Haltung der FDP zu diesem Thema: Wir sind für wirklich ergebnisoffene Verhandlungen über den EU Beitritt der Türkei. Diese werden sich voraussichtlich über einen längeren Zeitraum hinziehen, und wenn sie abgeschlossen sind, wird entschieden. Das Ergebnis lässt sich heute nicht vorwegnehmen.
(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Natürlich ist es legitim – die CDU/CSU macht dies –, in der Zwischenzeit einzelne Probleme zu diskutieren. Durch die von SPD, Grünen und FDP gemeinsam getragene Reform des Staatsangehörigkeitsrechts im Jahr 2000 ist eine wirklich schwierige Situation entstanden. Damals ist vor allem auf Wunsch der CDU/CSU an dem Grundsatz festgehalten worden, dass jeder nur eine einzige Staatsangehörigkeit haben soll
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Leider!)
und dass die doppelte Staatsangehörigkeit prinzipiell verboten ist.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schade!)
Daraus erwachsen nun praktische Probleme; denn damals ist folgende Regelung geschaffen worden: Deutsche Staatsangehörige, die ihren Wohnsitz im Inland haben und zusätzlich eine ausländische Staatsangehörigkeit erwerben, verlieren mit diesem Erwerb automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit. Der Grund für diese Regelung war natürlich folgender – daran muss man sich einmal erinnern –: Es sollte verhindert werden, dass es entgegen der mit diesem Gesetz verbundenen Intention zu doppelten Staatsangehörigkeiten kommt.
Die normale Sanktion bei diesem Regelverstoß – der Entzug der deutschen Staatsangehörigkeit – konnte nicht im Gesetz verankert werden, da ein solches Vorgehen durch Art. 16 des Grundgesetzes verboten ist. Diese Regelung im Grundgesetz soll deutsche Staatsangehörige vor Rechtsverlusten schützen. Aus genau diesem Grund haben wir eine viel weiter gehende Regelung geschaffen, nämlich die „Fallbeilregelung“, die vorsieht, dass die deutsche Staatsangehörigkeit mit dem Erwerb einer anderen Staatsangehörigkeit automatisch verloren geht. Es ist etwas paradox, dass eine Schutzvorschrift – Art. 16 des Grundgesetzes – zu einer eigentlich weiter gehenden Regelung geführt hat.
Ich wage zu bezweifeln, dass dies der Weisheit letzter Schluss war;
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sicher nicht!)
wir sehen nämlich, dass diese Regelung den unterschiedlichen Fällen, um die es geht, nicht gerecht wird. Beispielsweise haben Personen vor In-Kraft-Treten der Neuregelung die türkische Staatsangehörigkeit aus privaten Gründen beantragt, ohne dass eine Stichtagsregelung vorgegeben war. Es ist nicht so, dass diese Menschen ausgebürgert werden – dieser Gedanke kommt in vielen Briefen an uns zum Ausdruck –; vielmehr haben sie die deutsche Staatsangehörigkeit schon per Gesetz verloren.
Aus diesem Grund wäre es klüger, eine Regelung zu finden, die den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit bei Erwerb einer ausländischen zwar weiterhin grundsätzlich vorsieht, diesen Verlust aber erst mit einer feststellenden Verwaltungsentscheidung in Kraft setzt. Die Rechtsnachteile treffen ja nicht nur einzelne Personen; vielmehr wirkt sich die dadurch entstehende Rechtsunklarheit auf unser gesamtes Gemeinwesen nachteilig aus. Schließlich weiß man nicht genau, wer wahlberechtigt ist und wer nicht, woran viele andere Rechtsfolgen anknüpfen. Angesichts dessen müsste die notwendige Klarheit durch die Entscheidung einer Verwaltung hergestellt werden.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Damit wird in keiner Weise akzeptiert, dass manche der Betroffenen die geltende Rechtslage bewusst umgehen wollten. Das verkennen wir nicht. Eine solche Haltung wird von uns nicht akzeptiert.
Ich sage zum Schluss aus rein praktischen Erwägungen: Die Menschen, über die wir hier reden, wohnen schon jahrelang in Deutschland. Wäre es anders, hätten sie die deutsche Staatsangehörigkeit nicht erwerben können. Diese Menschen werden weiterhin – vielleicht ihr Leben lang – in Deutschland wohnen. Unsere Politik macht doch nur dann einen Sinn, wenn wir ihnen unabhängig von der Schuldfrage die Möglichkeit geben, die deutsche Staatsangehörigkeit wieder zu erwerben. Dies ist aber – ich sage dies in aller Deutlichkeit – nur im Rahmen der geltenden Vorschriften möglich.
Ich möchte deshalb in dieser Debatte die Gelegenheit nutzen, an alle Betroffenen zu appellieren, ihre türkische Staatsangehörigkeit wieder aufzugeben; denn anders geht es nicht. Unsere Behörden sollten dann die neue Einbürgerung wirklich schnell durchführen.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und vor allem billig!)
Dies ist die einzig sinnvolle und praxisgerechte Lösung des Problems.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr korrekt!)