Rede vom 09.02.2006
Gesetz zur Verbesserung der sozialen Situation von Ausländerinnen und Ausländern, die ohne Aufenthaltsstatus in Deutschland leben12. Sitzung des Deutschen Bundestages am 09. Februar 2006
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Max Stadler von der FDP-Fraktion.
(Beifall bei der FDP)
Dr. Max Stadler (FDP):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn man über die Situation von illegalen Ausländern in Deutschland spricht, dann ist dies von vornherein heikel. Denn bei einem solchen Thema kann es leicht zu Missverständnissen kommen. Deswegen möchte ich bewusst mit der eigentlich völlig selbstverständlichen Aussage beginnen, dass illegale Migration in einem Rechtsstaat nicht akzeptiert werden kann und dass der Staat das Recht und die Pflicht hat, sich dagegen zur Wehr zu setzen.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich übernehme daher auch nicht ganz die Formulierung des Kollegen Winkler, man müsse die Realität der Situation von Illegalen in Deutschland anerkennen. Ich bevorzuge vielmehr die Formulierung: Wir müssen uns dieser Realität stellen. Dass die Realität des Aufenthalts einer unbekannt hohen Zahl von Illegalen in Deutschland einige Probleme aufwirft, die den Deutschen Bundestag sehr wohl interessieren müssen, scheint klar zu sein. Das ist nicht etwa ein Anliegen der Grünen, wie Sie es hier formuliert haben, Herr Kollege Grindel; vielmehr wird dieses Anliegen – wie Sie genau wissen – seit langem insbesondere von der katholischen Kirche an uns herangetragen.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Rüdiger Veit [SPD])
Alle Fraktionen dieses Bundestags waren oft zu Gast im Forum „Leben in der Illegalität“, das von Pater Alt und Schwester Bührle geleitet wurde. Wir haben dort gelernt, dass entgegen Ihren Ausführungen, Herr Kollege Grindel, sehr wohl praktische Probleme bestehen, für die wir als Bundestag eine Lösung anbieten müssen, ohne dass wir uns gegenseitig verdächtigen sollten, hier würde irgendjemand einen rechtsstaatlichen Grundsatz aufgeben oder gar illegale Migration fördern oder eine Sogwirkung herbeiführen wollen.
Worin bestehen die Probleme, die insbesondere von der katholischen Kirche so nachdrücklich an uns herangetragen werden? Es besteht eine Rechtsunsicherheit, ob sich diejenigen, die aus humanitären Gründen Hilfe leisten – beispielsweise Ärzte, die einem kranken Illegalen medizinische Versorgung zukommen lassen –, möglicherweise der Beihilfe zu einer Straftat schuldig machen. Ich meine, dass es eine solche Rechtsunsicherheit nicht geben darf. Insofern ist der Bundestag verpflichtet, Klarstellungen vorzunehmen.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Auch ein weiterer Punkt ist bedenkenswert. Die Kinder von Illegalen können doch am allerwenigsten für ihre Situation. Deshalb muss man bei allem, was Sie zu Recht über Abschiebungen gesagt haben, die durchgesetzt werden müssen, darüber nachdenken, wie dennoch gewährleistet werden kann, dass diesen Kindern ein elementares Recht – nämlich der Zugang zum Bildungssystem – nicht vorenthalten wird.
(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Den haben sie doch! Sie können zur Schule gehen!)
Das berührt das Problem der Meldepflichten.
Ihnen ist das Manifest vom 2. März 2005 bekannt, das sich mit diesen Fragen befasst. Kollege Winkler hat es bereits erwähnt. Aus Anlass der Debatte habe ich nachgesehen, welche honorigen Personen dieses Manifest unterzeichnet haben. Es sind Mitglieder aller damaligen vier Bundestagsfraktionen. Drei von ihnen sprechen übrigens in der heutigen Debatte. Für mich ist dabei besonders interessant, dass das Manifest, mit dem von uns als Gesetzgeber verlangt wird, dass wir die Augen vor diesen Problemen wenigstens nicht verschließen, auch von Vertretern von Berufsverbänden der deutschen Kriminalbeamten, der Polizeigewerkschaft, von Sicherheitsbehörden, Kirchen, einem Kardinal und vielen anderen respektablen Persönlichkeiten unterzeichnet worden ist.
Wenn dies nicht Beweis genug ist, darf ich daran erinnern, dass uns die Unabhängige Kommission „Zuwanderung“ unter der Leitung von Frau Professor Dr. Rita Süssmuth und dem ebenfalls allseits anerkannten früheren SPD-Vorsitzenden Dr. Hans-Jochen Vogel, der bei der Trauerfeier für Johannes Rau eine sehr bewegende Rede gehalten hat, klare Ratschläge gegeben hat. Diese unabhängige Kommission hat uns ganz klare Ratschläge gegeben. Die Kommission empfiehlt,
… in den allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum Ausländergesetz
– so hieß es damals –
eindeutig klarzustellen, dass Schulen und Lehrer nicht verpflichtet sind, den Behörden ausländische Schüler zu melden, die sich illegal in Deutschland aufhalten.
Die Süssmuth/Vogel-Kommission, an der zum Beispiel auch Cornelia Schmalz-Jacobsen, die ehemalige Ausländerbeauftragte, mitgearbeitet hat, empfiehlt uns des Weiteren, klarzustellen, dass Personen, die sich aus humanitären Gründen um Illegale kümmern, nicht wegen Beihilfe in Strafverfahren gezogen werden dürfen.
Wir sollten diese Ratschläge beherzigen und im Ausschuss über die Einzelheiten – genauso wie Sie, Herr Grindel, es in dem versöhnlichen Schlussteil Ihrer Rede gesagt haben – sachlich und ergebnisoffen debattieren. Es ist seit langem ein Anliegen der FDP, dass diese Debatte im Hohen Haus geführt wird. Ich bin froh, dass wir nun an dieser Stelle angelangt sind.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)