Rede vom 19.05.2006
Beeinträchtigung der Pressefreiheit durch Aktivitäten des BundesnachrichtendienstesAktuelle Stunde
Vizepräsidentin Petra Pau:
Das Wort hat der Kollege Dr. Max Stadler.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Dr. Max Stadler (FDP):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Röttgen, ich beziehe mich nicht auf den noch nicht veröffentlichten Schäfer-Bericht, sondern nur auf die Vorgänge, die schon im November und Dezember letzten Jahres bekannt geworden sind und zur Beauftragung von Herrn Schäfer mit Ermittlungen geführt haben, nämlich auf die unzulässigen, schon damals bekannten Oberservierungen von einzelnen Journalisten durch den Bundesnachrichtendienst. Das führte immerhin dazu, dass sich der ehemalige BND-Präsident bei Betroffenen entschuldigt hat und diese Vorgänge als rechtswidrig bezeichnet hat. Das kann man als Ausgangspunkt der Debatte nehmen. Von da ist es nur ein kurzer Weg zu der Aussage: Man fühlt sich schon sehr an die „Spiegel“-Affäre des Jahres 1962 erinnert.
(Beifall bei der FDP und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Bei aller Unterschiedlichkeit der Vorgänge gibt es einen gemeinsamen Punkt. Auch damals wurde versucht, eine kritische Berichterstattung mundtot zu machen; das war der Kern der „Spiegel“-Affäre. Es hat dagegen massiven Widerstand gegeben. Die FDP hat den Rücktritt von Franz Josef Strauß erzwungen. Die Bürger haben protestiert. Das Zusammenwirken von Bürgergesellschaft und Liberalen hat dazu geführt, dass heute im Rückblick gesagt wird: Erst nachdem die „Spiegel“-Affäre durchgestanden war, hat sich das Bewusstsein für die Pressefreiheit in der noch jungen Bundesrepublik Deutschland so richtig entwickelt.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Dieses Bewusstsein ist aber offenbar im Laufe der Zeit wieder verloren gegangen. Der Stellenwert der Pressefreiheit wird heute vielfach geringer angesetzt. Wir haben das bei der Durchsuchung der Zeitschrift „Cicero“ feststellen müssen. Auch da haben Sicherheitsbehörden Durchsuchungen bei Journalisten durchgeführt, um Informanten aufzudecken, obwohl der Schutz der Informanten ein wesentlicher Bestandteil der Pressefreiheit ist.
(Beifall bei der FDP)
Die FDP-Bundestagsfraktion ist schon damals initiativ geworden und hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, auf den ich gleich zu sprechen komme. Aber wir haben uns im letzten Herbst nicht vorstellen können, dass die Anzahl der Observierungen und Beobachtungen von Journalisten durch den Bundesnachrichtendienst über Jahre hinweg so groß ist. Während es für die Durchsuchung bei „Cicero“ immerhin einen richterlichen Beschluss gab, hat der Bundesnachrichtendienst nun offenbar in eigener Machtvollkommenheit gehandelt; er hat rechtswidrig gehandelt. Wir, die FDP, wollen einen gut funktionierenden Bundesnachrichtendienst, aber einen, der sich strikt an Recht und Gesetz hält.
(Beifall bei der FDP – Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Wer will das nicht?)
Wir schlagen dem Parlament drei Sofortmaßnahmen vor, damit hier nicht nur Empörungsdebatten laufen, sondern etwas Konkretes geschieht. Erstens. Die Vorwürfe müssen sofort und umfassend aufgeklärt werden mit dem Ziel, Wiederholungen zu verhindern. Wir, die FDP, sind der Meinung, dass es nicht ausreicht, auf den Schäfer-Bericht zu warten. Wer weiß schon, was genau veröffentlicht werden kann. Schließlich muss der Persönlichkeitsschutz gewahrt werden. Aber wer hindert die Bundesregierung daran, ihr eigenes Wissen der Bevölkerung mitzuteilen und aufzuklären, ob die in der Öffentlichkeit erhobenen Vorwürfe zutreffen oder nicht?
(Beifall bei der FDP und der LINKEN)
Die Bundesregierung hat sich schließlich nicht daran gehindert gesehen, die Meldung zu dementieren, bei der „Berliner Zeitung“ habe es eine Telefonüberwachung gegeben. Dann kann die Bundesregierung – meinetwegen ohne Namensnennung; unter Wahrung des Persönlichkeitsschutzes – doch auch sagen: Diese oder jene Vorgänge haben sich sehr wohl zugetragen. – Ich verstehe nicht, warum man Tag für Tag darauf warten muss. Das ist der erste Punkt.
Der zweite Punkt ist: Die FDP hat den Entwurf eines Gesetzes zum Schutz der Pressefreiheit eingebracht. Der Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Journalist und Informant – auf dessen Informationen ist der Journalist angewiesen –, das ähnlich schützenswert ist wie das Verhältnis zwischen Arzt und Patient oder zwischen Anwalt und Mandant, darf nicht beeinträchtigt werden. Um das sicherzustellen, haben wir einen Gesetzentwurf eingebracht, der in der nächsten Sitzungswoche im Innenausschuss debattiert wird. Ich bitte die große Koalition, sich unseren Vorstellungen anzuschließen, damit wir als Gesetzgeber das Unsere für einen besseren Schutz der Pressefreiheit tun.
(Beifall bei der FDP)
Drittens. Die Reform der Geheimdienstkontrolle erweist sich immer mehr als dringend notwendig. Darüber herrscht allmählich Einigkeit. Wir haben gehandelt. Unser Gesetzentwurf zur Reform der Arbeit des Kontrollgremiums steht in der nächsten Sitzungswoche auf der Tagesordnung dieses Plenums. Auch hier fordern wir die Koalition auf, unseren Vorstellungen zu folgen, damit diese Kontrolle endlich effektiver wird.
Damit ist es aber nicht getan. Für mich hat diese BND-Affäre zwar nicht die Züge einer Krise des Rechtsstaats, aber deutliche Anzeichen einer Krise des Grundwertebewusstseins in unserem Land.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir erleben immer wieder – genau das nehmen diejenigen beim BND für sich in Anspruch, die gehandelt haben –, dass Sicherheitsbedürfnisse formuliert werden – hier sind es die der „Eigensicherung“, wie es im Gesetz heißt – und dass es bei der Wahrung dieser Sicherheitsinteressen zu rechtswidrigen und unverhältnismäßigen Eingriffen in Grund- und Freiheitsrechte kommt.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Herr Kollege Stadler, Sie müssen zum Schluss kommen.
Dr. Max Stadler (FDP):
Ich möchte meinen Gedanken noch zu Ende bringen. – Das ist der eigentliche Kern der Auseinandersetzung, über die Verantwortlichkeit beim BND, über die eventuelle Verantwortlichkeit im Kanzleramt, die wir noch klären müssen, hinaus.
Wir müssen diese Debatte dazu nutzen, dass der Wert fundamentaler Grundrechte und Verfassungsprinzipien
(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Das steht doch gar nicht infrage!)
im Parlament wieder eindeutig befürwortet wird.
(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Ach! Wer bestreitet das denn?)
Auch in diesem Parlament sind mit großer Mehrheit leider Entscheidungen getroffen worden – Stichwort „Luftsicherheitsgesetz“ –, die das Bundesverfassungsgericht aufheben musste.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Dr. Max Stadler (FDP):
Wir sollten diese Debatte zum Anlass nehmen, den Wert der Grundrechte wieder zu betonen. Wenn wir – wie am Ende der „Spiegel“-Affäre – dazu gekommen sein sollten, dass die Pressefreiheit wieder den Stellenwert hat, der ihr zukommt, dann hätte das Ganze wenigstens einen Nutzen gehabt.
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP und der LINKEN)