Dr. Max Stadler

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Donnerstag, 3. Januar 2013

Rede vom 27.03.2009

Gesetz zur Änderung des Artikel-10-Gesetzes

Dr. Max Stadler (FDP):

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Bitte des Kollegen Brandt, diesem Gesetz zuzustimmen, kann die FDP-Fraktion leider nicht erfüllen. Ich komme gleich auf die Einzelheiten zu sprechen.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hoffentlich!)

Zunächst ist darauf zu verweisen, dass wir es mit einem äußerst sensiblen Bereich zu tun haben, der den Deutschen Bundestag erstmals in dieser Form im Jahr 1968 beschäftigt hat, als die erste Große Koalition aus CDU/CSU und SPD regiert hat. Damals, am 13. August 1968, ist das Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses – es heißt G-10-Gesetz, weil es Art. 10 des Grundgesetzes einschränkt – in Kraft getreten. Dagegen gab es eine Verfassungsklage. Das Bundesverfassungsgericht hat das Gesetz mit Mehrheit für verfassungskonform erachtet, jedenfalls im Grundsatz, wenn es später auch Details beanstandet hat. Es gab aber das berühmte Sondervotum der Verfassungsrichterin Wiltraud Rupp-von Brünneck, das Rechtsgeschichte geschrieben hat. Sie schrieb in dieses Sondervotum: Principiis obsta – wehret den Anfängen!

(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut!)

Das war der erste Schritt zur Abkehr von rechtsstaatlichen Grundsätzen, weil mit diesem Gesetz der damaligen Großen Koalition die richterliche Kontrolle bei einem Grundrechtseingriff beseitigt worden ist.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Eine Mehrheit des Bundesverfassungsgerichts hat dieses Gesetz dennoch für verfassungskonform gehalten. Deswegen hatte der Deutsche Bundestag die Aufgabe, in der G-10-Kommission den Grundrechtsschutz so gut wie möglich zu gewährleisten. Ich will an dieser Stelle nicht verschweigen, dass die Kontrolldichte in diesem Bereich gerade in den letzten Jahren wesentlich verbessert wurde. Wir wissen mittlerweile aus Studien des Max-Planck-Instituts, dass auch die richterliche Kontrolle im Bereich Telefonüberwachung in manchen Fällen nicht wie gewünscht funktioniert hat. Ich will die Gelegenheit der heutigen Debatte nutzen, um zu erwähnen, dass gerade unter dem Vorsitz des Sozialdemokraten Dr. Hans de With, der in der sozialliberalen Koalition Staatssekretär im Bundesjustizministerium unter Dr. Hans-Jochen Vogel gewesen ist – das einmal zur rechtsstaatlichen Tradition der SPD –, versucht wurde, den Grundrechtsschutz zur Geltung zu bringen.

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Klaus Uwe Benneter [SPD])

Dieses verdienstvolle Bemühen der G-10-Kommission wird meiner Meinung nach teilweise konterkariert, indem mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf schon wieder Erweiterungen der Eingriffsbefugnisse der Nachrichtendienste geschaffen werden, ohne dass sie zwingend notwendig sind. Ich nehme das Beispiel auf: Ist es denn unumgänglich, die Daten Jugendlicher zu speichern? Was ist der nächste Schritt?

(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kinder!)

In einem Bundesland gab es kürzlich die Speicherung der Daten von Kindern. Wollen wir das wirklich? Wir haben doch eines aus dem BND-Untersuchungsausschuss gelernt: Es gibt oft Verdachtsmomente, die sich aus zweiter Hand speisen und die äußerst vage sind. Das ist nicht so, wie wenn vor Gericht nach einem strikten Verfahren etwas festgehalten wird. Deshalb muss man, wenn es darum geht, schon Jugendliche oder gar Kinder zu erfassen, äußerst vorsichtig sein.

(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Völlig richtig!)

Ich frage mich auch, ob Schleuserkriminalität Gegenstand der strategischen Fernmeldeaufklärung sein muss. Schleuserkriminalität ist strafrechtlich gesehen Unrecht. Wir können den BND aber nicht auf alle Straftaten ansetzen. Es muss klar getrennt werden zwischen Geheimdienstarbeit und Polizeiarbeit.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Klaus Uwe Benneter [SPD])

Ich komme zum Schluss. Das Verfahren, das die Große Koalition gewählt hat, ist eine Zumutung. Sie haben den Gesetzentwurf im Jahr 2006 eingebracht. Dann blieb er drei Jahre bei Ihnen liegen. Am letzten Freitag sind Sie mit zahlreichen Änderungen gekommen, die heute in zweiter und dritter Lesung durchs Parlament gehen sollen. Das ist jetzt ein völlig anderer Gesetzentwurf als der, den Sie vor drei Jahren eingebracht haben. Sie haben sich mit dieser Vorgehensweise die erste Lesung für diesen völlig neuen Gesetzentwurf, den Sie uns letzten Freitag um 14 Uhr per Fax ins Büro geschickt haben, gespart. Sie haben so eine korrekte Behandlung in den Ausschüssen, vielleicht mit Sachverständigenanhörung, umgangen, und das in einem Bereich, der grundrechtsrelevant ist. Dem können wir nicht zustimmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


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