Dr. Max Stadler

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Donnerstag, 3. Januar 2013

Rede zum „Tag der Heimat“ 2011 im Passauer Großen Rathaussaal

1.    Rückblick auf die Lage in Bayern nach dem Zweiten Weltkrieg

Der Deutsche Bundestag hat die Vertreibung wiederholt klipp und klar als Unrecht gekennzeichnet. Er hat dies getan in dem Bewusstsein um die historischen Zusammenhänge und die große Schuld Nazi-Deutschlands hinsichtlich der politischen Umwälzungen in Europa zur Mitte des 20. Jahrhunderts.

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs kamen 1,9 Millionen Flüchtlinge und Vertriebene nach Bayern. Nie in der bayerischen Geschichte hatte es bis dahin eine solche Bevölkerungszunahme bei gleichbleibendem
Territorium gegeben. Im Jahr 1946 betrug der Flüchtlingsanteil an der Gesamtbevölkerung Bayerns 23 Prozent . Die Integration der Heimatvertriebenen war eine große Leistung der bayerischen Politik, vor allem aber auch eine großartige Leistung der Heimatvertriebenen selbst. Die Neubürger wurden relativ bald als positives Zukunftspotenzial betrachtet. Sie trugen auch entscheidend zur Industrialisierung und zum neuen Wohlstand des Landes bei.

Die Charta der Heimatvertriebenen aus dem Jahr 1950 ist von historischer Bedeutung. Sie bereitete einen Kurs der europäischen Einigung und Versöhnung unter Einbeziehung der mittel- und osteuropäischen Nachbarn vor. Dies ist deswegen beachtlich, weil die Situation der Heimatvertriebenen zunächst alles andere als einfach war. Es war vielmehr eine Zeit erheblicher existentieller Veränderungen der Lebensverhältnisse für Millionen Menschen. Zwei Drittel der vor dem Krieg im Osten beschäftigten Flüchtlinge und Vertriebenen mussten zwischen 1945 und 1950 in Westdeutschland ihren Erwerbszweig  wechseln. Bei den Agrarbeschäftigten waren es sogar 87 Prozent.

Heute ist das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland 50 mal so hoch wie damals. Das ist eine Erfolgsgeschichte, an der die Vertriebenen und Flüchtlinge einen großen Anteil haben.

Richard von Weizsäcker hat diese Leistung in seiner berühmten Rede zum 8. Mai 1985 gewürdigt. Der damalige Bundespräsident sagte: „Früh und beispielhaft haben sich die Heimatvertriebenen zum Gewaltverzicht bekannt. Das war keine vergängliche Erklärung im anfänglichen Stadium der Machtlosigkeit, sondern ein Bekenntnis, das seine Gültigkeit behält.“

Und er führte weiter aus: „Bei uns  wurde das Schwerste den Heimatvertriebenen abverlangt. Ihnen ist noch lange nach dem 8. Mai (1945) bitteres Leid und schweres Unrecht widerfahren. Um ihrem schweren Schicksal mit Verständnis zu begegnen, fehlte uns Einheimischen oft die Phantasie und auch das offene Herz.

Aber es gab alsbald auch große Zeichen der Hilfsbereitschaft. Viele Millionen Flüchtlinge und Vertriebene wurden aufgenommen. Im Laufe der Jahre konnten sie neue Wurzeln schlagen. Ihre Kinder und Enkel bleiben auf vielfache Weise der Kultur und der Liebe zur Heimat ihrer Vorfahren verbunden. Das ist gut so, denn das ist ein wertvoller Schatz in ihrem Leben.“

Von Weizsäcker schloß dieses Kapitel seiner großen Rede mit einer auch heute noch gültigen Aussage: „Friedensliebe zeigt sich gerade darin, daß man seine Heimat nicht vergißt und eben deshalb entschlossen ist, alles zu tun, um immer in Frieden miteinander zu leben.“

Diesen Feststellungen ist auch heute, nach anderthalb Jahrzehnten, nichts hinzuzufügen.



2.„Bayern unsere Heimat, Deutschland unser Vaterland, Europa unsere Zukunft“?



Die Chance, im Sinne Richard von Weizsäckers in Frieden, Freiheit und Wohlstand zu leben, bietet uns heute das vereinigte Europa. Angesichts der Schuldenkrise in Griechenland und anderen Staaten bildet sich freilich ein neuer Skeptizismus gegenüber Europa heraus. Die Bundeskanzlerin sieht in der Gestaltung der Zukunft Europas daher die zentrale Aufgabe der Bundesregierung in dieser Legislaturperiode. Wer würde dem widersprechen? Es ist geradezu eine historische Verpflichtung, die Europäische Union zu erhalten und neu zu gestalten, damit das bekannte, schon von Franz Josef Strauß geprägte Motto gültig bleibt: „Bayern unsere Heimat – Europa unsere Zukunft“.

Deutschland, ist zentraler Teil der Europäischen Union. Nach Jahrhunderten langer Kriege war die europäische Einigung Garant und Schrittmacher für eine dauerhafte Aussöhnung nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Ein einheitlicher Wirtschaftsraum braucht in einer globalisierten Welt auch eine einheitliche Währung. Unabhängig von der gegenwärtigen Krise bleibt diese Erkenntnis richtig, da sonst unsere Wettbewerbsfähigkeit in einer globalisierten Wirtschaft erheblich eingeschränkt wäre. Wirtschaftswissenschaftler haben errechnet, dass der Euro uns Deutschen alleine in den letzten beiden Jahren 690 Milliarden Wohlstandsgewinn gebracht hat. Der Euro war die letzten zehn Jahre stabiler als zuvor die D-Mark. Er ist stark gegenüber anderen Währungen. Die Schweiz hat nicht ohne Grund ihre Franken nunmehr an den Euro angekoppelt.

Diese Vorzüge des Euro müssen erhalten werden. Deutschland ist gestärkt aus der Finanzkrise herausgekommen. Wir müssen es schaffen, dass auch Europa gestärkt aus der gegenwärtigen Schuldenkrise herauskommt.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat am 7. September 2011 im Deutschen Bundestag die Zielsetzung formuliert:

„Daraus ergibt sich unsere heutige Verpflichtung gegenüber den Gründervätern unseres Landes und dieses Europas. Die Gründerväter haben mit ganzer Kraft, mit Mut, mit Ideen und mit vielen Risiken Europa gebaut. Sie haben es nicht nur für sich getan, sondern vor allen Dingen für zukünftige Generationen.“

Und Angela Merkel stellte weiter fest: „Die Geschichte sagt uns: Länder, die eine gemeinsame Währung haben, führen nie Krieg gegeneinander. Deshalb ist der Euro viel, viel mehr als nur eine Währung. Der Euro ist der Garant eines einigen Europas, oder anders gesagt: Scheitert der Euro, scheitert Europa.“

Dem ist zuzustimmen. Daher ist es richtig, dass die Bundesregierung mit aller Kraft ein Ziel verfolgt: Wir wollen die Europäische Union nicht als Schuldenunion, sondern als Stabilitätsunion. Ich bin überzeugt, dass wir, um dies zu erreichen, sogar „mehr Europa“ brauchen. Die Unterstützung für schwächere Länder, die wir übrigens im eigenen Interesse leisten, ist ja nur vertretbar, wenn die Bedingungen strikt eingehalten werden. Dafür braucht man aber Überwachungsmechanismen und Institutionen, die Konsequenzen durchsetzen könne, wenn ein Mitgliedsland die Spielregeln nicht einhält.
Und wir brauchen dabei ein starkes Mitspracherecht des Deutschen Bundestags.

Dass politisch über den richtigen Weg gestritten wird, ist normal und sogar notwendig. Aber das Ziel sollte unstreitig sein. Bayern ist unsere Heimat, aber unsere Zukunft liegt weiterhin in Europa!

Übrigens plädiere ich damit nicht für eine vielleicht etwas naive Europabegeisterung. Gerade auch im Justizbereich stelle sich oft schwierige Fragen. Die Idee eines einheitlichen europäischen Raumes des rechts, der Sicherheit und der Freiheit ist nach wie vor großartig. Aber die Rechtstraditionen sind oft sehr unterschiedlich. Wir achten als Bundesministerium der Justiz bei den Verhandlungen in Brüssel sehr stark darauf, dass der bei uns erreichte Standard des Grundrechtsschutzes gewahrt bleibt. Ich hatte kürzlich zu verhandeln über die „Europäische Ermittlungsanordnung“. Natürlich ist es nützlich, die grenzüberschreitende Strafverfolgung in Europa zu beschleunigen. Es kann aber nicht sein, dass aufgrund der Entscheidung eines ausländischen Staates z.B. eine Telefonüberwachung in Deutschland durchgeführt wird, wenn diese Maßnahme im konkreten Fall nach deutschem Recht gar nicht zulässig wäre. Beim Spannungsfeld zwischen Anerkennung ausländischer Entscheidungen und dem Schutz der Bürgerrechte sind den Zentralsierungstendenzen grenzen durch das Grundgesetz und die Grundrechte gezogen.




3. Heimatlose in aller Welt

Werfen wir noch kurz einen Blick über Europa hinaus. Ich will nicht die historische Situation nach dem 2. Weltkrieg vermengen mit den aktuellen Problemstellungen. dennoch sollten wir am „Tag der Heimat“ auch daran denken, wie viele Menschen weltweit aus den verschiedensten Ursachen, teil zwangsweise, teils mangels Zukunftsperspektiven, ihre Heimat verlassen oder verlassen müsssen. Auskunft über die Lage der Flüchtlinge gibt der UNHCR-Jahresbericht „Global Trends 2010“.

Demnach halten sich vier von fünf Flüchtlingen weltweit in Entwicklungsländern auf, nicht etwa in Europa. Die größten Flüchtlingsbevölkerungen der Welt lebten im letzten Jahr in Pakistan (1,9 Mio.), Iran (1,1) und Syrien (1,0). Insgesamt waren im letzten Jahr rund 43,7 Millionen Menschen auf der Flucht. Die Zahl von 27,5 Millionen Binnenvertriebenen, die aufgrund von Konflikten in ihrem eigenen Land heimatlos wurden, ist die höchste seit einem Jahrzehnt.

Dabei spielt der dauerhafte Charakter der größten internationalen Konflikte der heutigen Zeit eine entscheidende Rolle. Der UNHCR-Bericht zeigt, dass immer mehr Flüchtlinge für einen langen Zeitraum Flüchtlinge bleiben.

Das Bemühen des Bundes der Vertriebenen – so habe ich jedenfalls Frau Präsidentin Erika Steinbach immer verstanden – auf das Thema Vertreibung als weltweites Phänomen hinzuweisen, halte ich angesichts dieser Berichte des UNHCR für vollauf berechtigt.


Es würde den Rahmen dieser Festveranstaltung sprengen, diese Problematik näher zu beleuchten. Gestatten Sie mir nur eine Anmerkung: Wenn man die Bilder aus Lampedusa sieht, wird einem schnell klar, dass die – durchaus notwendigen – Maßnahmen der Sicherung der Außengrenzen der Europäischen Union keine Lösung des Problems bilden. Es ist beinahe eine Binsenweisheit, muß aber doch an einem „Tag der Heimat“ gesagt werden: es gilt, Fluchtursachen zu bekämpfen und den Menschen in ihrer jeweiligen Heimat Zukunftsperspektiven zu vermitteln. Das ist eine Mega-Aufgabe.
Die Bundesregierung trägt ihren Teil u.a. dadurch bei, dass Dirk Niebel als Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung die Organisationen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit gebündelt hat und damit effizienter gestaltet. Und wir unterstützen die neuen Freiheitsbewegungen beispielsweise in Afrika auf vielfältige Weise. Dazu gehört auch die Hilfe beim Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen. Dies wird künftig eine sehr wichtige Aufgabe auch des Bundesministeriums der Justiz sein.

Ausblick: Deutsch-Tschechisches Gesprächsforum

Zum Schluß möchte ich an das Motto des Tages der Heimat, ""Wahrheit und Dialog - Schlüssel zur Verständigung", anknüpfen und auf das deutsch-tschechische Gesprächsforum hinweisen. Mit der deutsch-tschechischen Erklärung von 1997, die damals noch von Außenminister Klaus Kinkel ausgehandelt worden ist, wurde dieses jährliche Forum der Regierungen beider Staaten eingerichtet. Das Gesprächsforum dient genau diesem Dialog. Ich finde es großartig, dass das Gesprächsforum am 5.November2011 erstmals in der Europastadt Passau stattfindet. Wenn auch das diesjährige Generalthema „Identitäten in Europa“ etwas akademisch klingen mag, so wird doch Gelegenheit genug bestehen, auch aktuelle politische Fragen, die Deutschland und Tschechien betreffen, zu erörtern. Meiner persönlichen Meinung nach haben sich die nachbarschaftlichen Beziehungen gut entwickelt, aber wir haben auch die Pflicht, weiter daran zu arbeiten. Für mich ist es eine große Ehre, dass mir die Bundesregierung in diesem Jahr die Leitung des Gesprächsforums übertragen hat. Die Resonanz im Vorfeld ist sehr gut. Die bisherigen Reaktionen auf die Einladungen zeigen, dass in der Region Passau das Interesse offenbar noch größer ist als in früheren veranstaltungsorten. Selbstverständlich habe ich dafür gesorgt, dass auch die örtlichen Vertreter der Heimatvertriebenen dazu eingeladen worden sind. Ich bin überzeugt, dass diese Chance des Dialogs von Ihnen wahrgenommen wird. Dafür danke ich Ihnen schon jetzt sehr herzlich.


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