Rede vom 29.10.2010
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur erbrechtlichen Gleichstellung nichtehelicher Kinder (zu Protokoll)– Drucksache 17/3305 –
Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz: Im Erbrecht sind alle Kinder gleich, egal ob ehelich oder nichtehelich. So sollte es sein, und davon gehen viele Bürgerinnen und Bürger eigentlich heute schon aus. Dieser Grundsatz gilt aber noch nicht für alle vor dem 1. Juli 1949 geborenen nichtehelichen Kinder.
Diese Ungleichbehandlung wollen wir mit dem vorgelegten Gesetzentwurf beseitigen. Damit setzen wir auch die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 28. Mai 2009 um, der in einem entsprechenden Fall Deutschland zu einer Entschädigungszahlung an eine Betroffene verurteilt hat.
Alle bislang nicht gesetzlich erbberechtigten vor dem 1. Juli 1949 geborenen nichtehelichen Kinder werden künftig mit den ehelichen Kindern gleichgestellt. Diese Gleichstellung wird für alle Erbfälle gelten, die ab dem 29. Mai 2009, dem Tag nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, eingetreten sind.
Für Erbfälle, die sich vor diesem Stichtag ereignet haben und in denen der Staat anstelle eines vor dem 1. Juli 1949 geborenen nichtehelichen Kindes gesetzlicher Erbe geworden ist, wird der Staat verpflichtet, dem nichtehelichen Kind den Wert des Nachlasses herauszugeben.
Mit der Anknüpfung an den 29. Mai 2009 schlagen wir eine geringfügige Rückwirkung vor. Diese erscheint zulässig und sogar geboten, weil seit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte klar ist, dass nichteheliche Kinder als gesetzliche Erben zu behandeln sind. Damit dies so rasch wie möglich auch aus dem Bundesgesetzblatt ablesbar wird, bitte ich Sie herzlich um eine zügige Beratung.
Manche fragen nun, warum wir bei der Herstellung der Rechtsgleichheit nicht noch einen Schritt weiter gehen. Wäre es denn nicht angezeigt, auch jene Erbfälle zu erfassen, bei denen der nichteheliche Vater bereits vor dem 29. Mai 2009 verstorben ist?
Bei allem Verständnis für die betroffenen nichterbberechtigten nichtehelichen Kinder muss ich die Frage verneinen. Wir können Erbfälle, in denen der Vater des vor dem 1. Juli 1949 geborenen nichtehelichen Kindes bereits vor dem 29. Mai 2009 verstorben ist, nicht rückabwickeln. Bei der Frage, ob und inwieweit ein Gesetz auch auf abgeschlossene Sachverhalte in der Vergangenheit Anwendung finden kann, sind dem Gesetzgeber enge verfassungsrechtliche Grenzen gesetzt. Bei Erbfällen, die sich bereits in der Vergangenheit, also vor Inkrafttreten des geplanten Gesetzes ereignet haben, sind die gesetzlichen Erben unmittelbar mit dem Erbfall im Wege der Gesamtrechtsnachfolge in die Rechtsstellung des Erblassers eingetreten. Das damit erworbene Eigentum ist grundrechtlich geschützt. Ein rückwirkender Entzug oder eine rückwirkende Schmälerung dieser Rechtsstellung greift in das bereits bestehende Eigentum ein, auf dessen Erwerb die Erben auch vertrauen durften.
Freilich ist der 28. Mai 2009 der letzte Tag, für den dieses Vertrauen Schutz beanspruchen kann. Bei Erbfällen, die sich nach der oben genannten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ereignet haben, konnten die Erben nicht mehr darauf vertrauen, dass die Rechtslage, die den Ausschluss der nichtehelichen Kinder vom Erbrecht festlegte, bestehen bleiben würde. Für alle anderen zurückliegenden Fälle muss es jedoch – bei allem Verständnis für die hiervon betroffenen nichterbberechtigten nichtehelichen Kinder – bei der bisherigen Rechtslage bleiben.
Ich denke, wir haben einen guten Weg im Interesse aller Betroffenen gefunden. Gehen Sie nun diesen Weg mit uns zu Ende und lassen Sie uns zügig das Gesetz verabschieden!