Rede vom 11.10.2001
Rede zum Tagesordnungspunkt
Online-Wahlen
In wenigen Jahren wird die Online-Stimmabgabe bei Wahlen eine Selbstverständlichkeit sein. Die FDP unterstützt daher alle Bemühungen, rechtzeitig die hierfür notwendigen rechtlichen Rahmenbedingungen zu schaffen.
Das Internet hat jetzt schon die Möglichkeiten der Menschen, sich Informationen zu verschaffen, gigantisch ausgeweitet. Zugleich bietet es die Chance, sich mit anderen Internet-Nutzern auszutauschen. Es ist somit ein Medium für einen intensiven politischen Diskurs.
Die FDP nutzt diese neuen technischen Möglichkeiten und bietet beispielsweise Interessenten an, über das Internet an der Diskussion für das Wahlprogramm 2002 mitzuwirken.
Die wichtigste Form der politischen Mitwirkung ist die Ausübung des Wahlrechts.
Auch dies lässt sich über das Internet machen. Selbstverständlich muss das Wahlgeheimnis gewahrt werden, der Wahlvorgang vor Manipulation gesichert werden und Vorsorge getroffen werden, dass eine Stimme nur einmal abgegeben wird.
Diese Probleme sind lösbar. Die Einführung der digitalen Signatur ist dabei ein wichtiger Zwischenschritt.
Wenn im Antrag der Union aufgeführt wird, dass bei Online-Stimmabgabe die Wahlergebnisse schneller verfügbar sein werden, so mag mancher dies im Rückblick auf die früheren spannenden Wahlabende bedauern. Man erinnert sich daran, wie sich die Spannung mit der fortschreitenden Auszählung der Wahlergebnisse früher am Wahlabend erst so richtig aufgebaut hat. Heute ist häufig schon mit Bekanntgabe der ersten Prognose um 18.00 Uhr fast alles klar.
Dennoch: Die Vorteile der Online-Stimmabgabe überwiegen, vor allem jüngere Menschen werden diese Möglichkeit nutzen. Die Online-Stimmabgabe wird eines Tages wahrscheinlich nahezu vollständig an die Stelle der Briefwahl treten.
Diese Entwicklung ist ohnehin unaufhaltsam. Wir sollten sie mit rechtsstaatlichen Rahmenbedingungen gestalten.
Rede vom 11.10.2001
Rede im Plenum des Deutschen Bundestag
in der Debatte um die Innere Sicherheit
Ohne Sicherheit gibt es keine Freiheit. Deshalb unterstützt die Freiheitspartei FDP die Bemühungen der Bundesregierung, die innere Sicherheit in Deutschland zu verbessern. Kriterium unserer Zustimmung bleibt aber, ob die vorgeschlagenen Maßnahmen notwendig, geeignet und verhältnismäßig sind. Deshalb fragen wir als FDP in erster Linie nach dem Vollzugsdefizit bei der inneren Sicherheit. Wer neue Gesetze fordert, muss zuerst eine Antwort auf die Frage geben: Woran liegt es, dass offenkundig die bereits bestehenden Sicherheitsgesetze in der Praxis nicht ausreichend angewandt werden. Dann kommt man rasch zu der Feststellung, dass es bei den Sicherheitsbehörden an Personal und Sachausstattung fehlt. Die Politik muss bereit sein, den Sicherheitsbehörden das notwendige Personal und die notwendige technische Ausstattung zur Verfügung zu stellen. Wir dürfen die Innenminister, die Justizminister und die Finanzminister von Bund und Ländern nicht aus der Verantwortung entlassen, die Vollzugsdefizite bei der inneren Sicherheit zu beseitigen. Das ist die dringendste Aufgabe und die wirkungsvollste Antwort auf die neuen Bedrohungen der inneren Sicherheit.
Darüber hinaus werden seit dem 11. September zahlreiche Gesetzesänderungen diskutiert. Die FDP-Bundestagsfraktion hat hierzu in ihrem umfangreichen Thesenpapier zur inneren Sicherheit eine differenzierte Position vertreten. Wir werden den wirklich notwendigen Gesetzesänderungen zustimmen. Das heißt nicht, alles unbesehen zu unterschreiben. Etwa die Pläne zur zentralen Erfassung aller Bankkonten gehen viel zu weit. Die FPD bleibt dabei: Es darf nicht unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung der „gläserne Bürger“ geschaffen werden.
Der Bundestag sollte seine Entscheidungen rasch treffen. Gleichwohl muss es ein sorgfältiges Gesetzgebungsverfahren geben, in dem Innen- und Rechtsausschuss sachverständige Beratung von Experten in Anspruch nehmen können. So wird immer wieder gesagt, der Datenschutz behindere den Informationsaustausch zwischen Sicherheitsbehörden. Als Liberale möchten wir im Gesetzgebungsverfahren genau dargelegt haben, welche konkreten Beispielsfälle aus der Praxis es dazu gibt und welche gesetzlichen Bestimmungen im einzelnen geändert werden müssten, oder ob nicht vielmehr die gesetzlichen Grundlagen bereits bestehen und es sich erneut um einen Fall des Vollzugsdefizits handelt.
Zu einer rationalen Sicherheitspolitik gehört auch die ständige Erfolgskontrolle von gesetzgeberischen Maßnahmen. Die FDP hat durchgesetzt, dass eine solche Kontrolle durch das Parlament jetzt bei Telefonüberwachungen eingeführt worden ist. An diesem Modell werden wir uns auch bei anderen Maßnahmen orientieren, damit Gesetzgebung nicht Aktionismus bleibt, sondern wirklich erfolgsbezogen arbeitet.
Schließlich darf nicht vergessen werden, dass angesichts der internationalen Bedrohung durch den Terrorismus die internationale Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden sowie die EU-weite Rechtssetzung erhöhte Bedeutung gewinnt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
in einer parteiübergreifenden Resolution vom Frühjahr 2001 hat der Deutsche Bundestag dem Rechtsextremismus, der Fremdenfeindlichkeit, dem Antisemitismus und der Gewalt den Kampf angesagt. Wir waren darüber einig, dass es eine massive Einschränkung der persönlichen Freiheit ist, wenn z.B. Ausländer sich in so genannten nationalbefreiten Zonen nicht mehr gefahrlos und frei bewegen können. Wir haben unsere Entschlossenheit zum Ausdruck gebracht, dies nicht hinzunehmen.
Genauso verhält es sich mit der terroristischen Bedrohung der inneren Sicherheit. Dieser Bedrohung der Freiheit treten wir gerade als Liberale entschieden entgegen. Mit rechtsstaatlichen Mitteln und nur mit rechtsstaatlichen Mitteln muss die Freiheit verteidigt werden.
Rede vom 14.12.2001
Rede im Plenum des Deutschen Bundestag
am 13.12.2001 zum
Terrorismusbekämpfungsgesetz
(Es gilt das gesprochene Wort!)
Die schrecklichen Ereignisse vom 11. September haben der Bundesregierung, vor allem dem Bundesinnenminister, aber auch dem gesamten Parlament die besondere Verantwortung auferlegt, alle geeigneten und rechtsstaatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus und zur Erhöhung der inneren Sicherheit zu ergreifen.
Die FDP hat sich an dieser Aufgabe von Anfang an konstruktiv beteiligt. Wir wissen uns einig mit vielen Praktikern, dass der wirkungsvollste Beitrag zur Erhöhung der inneren Sicherheit die bessere finanzielle, personelle und technische Ausstattung der Sicherheitsbehörden ist. Die gesetzlichen Grundlagen für eine effektive Arbeit von Polizei, Geheimdiensten und Justiz ist längst gelegt. Insbesondere durch eine umfangreiche Gesetzgebungstätigkeit der damaligen Koalition von FDP, CDU und CSU in den Jahren 1990 bis 1998.
Mittlerweile ist unser ständiges ceterum censeo vom Vollzugsdefizit Allgemeingut im Deutschen Bundestag geworden. Es kommt darauf an, die bestehenden Gesetze konsequent anzuwenden. Die FDP hat die ersten Schritte des Bundesinnenministers, hierfür die notwendigen Haushaltsmittel einzustellen, befürwortet.
Darüber hinaus haben wir notwendige gesetzgeberische Neuerungen wie etwa das sogenannte Sicherheitspaket Schily I ebenfalls unterstützt.
Mit dem Regierungsentwurf des Terrorismusbekämpfungsgesetzes ist aber von Anfang an die gebotene Balance zwischen sicherheitserhöhenden Maßnahmen einerseits und zu weitgehenden Eingriffen in die persönliche Freiheit der Bürgerinnen und Bürger andererseits nicht gewahrt worden. Dies ist durch die vielfache Kritik in der Sachverständigenanhörung am Entwurf Schily II deutlich geworden.
Daher wäre eine besonders sorgfältige parlamentarische Beratung trotz aller Eilbedürftigkeit der Entscheidung notwendig gewesen.
Denn dieses Gesetz ist von elementarer Bedeutung für die Frage, wie ein freiheitlicher Rechtsstaat auf eine neue Bedrohung der Sicherheit seiner Bürgerinnen und Bürger reagiert.
Bei einem solchen Gesetz gilt die alte Forderung von Professor Niklas Luhmann: „Legitimation durch Verfahren“.
Die beispiellose Mißachtung der Rechte des Parlaments bei diesem Gesetzgebungsverfahren führt jedoch im Gegenteil zu der Feststellung: Durch das Verfahren hat dieses Gesetz seine Legitimation verloren.
Niemand macht dem Innenminister und der Koalition streitig, dass intern durchaus eine solche intensive Beratung stattgefunden hat. Im Gegenteil, wir erkennen ausdrücklich an, dass die nach der Sachverständigenanhörung von der FDP in einem Entschließungsantrag formulierten Kritikpunkte ihre Wirkung auf die Koalition nicht verfehlt haben. Mehrere unserer Forderungen nach besserer Kontrolle der mit neuen Eingriffsbefugnissen versehenen Geheimdienste oder etwa nach einer besseren Erfolgskontrolle der neuen Maßnahmen durch das Parlament sind in die endgültige Gesetzesfassung eingeflossen.
Die ausgiebige Beratungszeit, die die Koalition für sich selber in Anspruch genommen hat, hat sie jedoch der Opposition verweigert. Das Verfahren im Innenausschuß war eine beispiellose Beschneidung der Mitberatungsmöglichkeiten der Opposition.
Bis zum Dienstagabend brauchte die Koalition, um sich auf den endgültigen Gesetzestext zu verständigen. 30 Seiten Änderungsanträge sind uns somit erst unmittelbar vor der einzigen und abschließenden Beratung in den Ausschüssen zugegangen. Kollege Zeitlmann von der CSU, der bestimmt zu den Hardlinern bei der inneren Sicherheit zu rechnen ist, hat im Innenausschuß zu Recht erklärt, dass er in 18 Jahren Zugehörigkeit zu diesem Gremium sich an einen solchen Vorgang nicht erinnern kann. Er hat ferner zu Recht darauf hingewiesen, dass von der Sache her keinerlei Anlaß war, mit dieser übertriebenen Hektik die Opposition praktisch zu übergehen.
Tatsächlich gibt es nur eine einzige Erklärung für diese Mißachtung des Parlaments:
Die rot-grüne Koalition möchte mit der raschen Verabschiedung von Schily II Handlungsfähigkeit und Stärke demonstrieren, in Wahrheit ist aber das Vorgehen der Koalition ein Beweis ihrer inneren Schwäche. Denn die Koalition hat eine qualifizierte, umfangreiche parlamentarische Erörterung vermieden, weil sie sich des eigenen Zusammenhalts in dieser wichtigen Frage nicht sicher sein konnte. Die vermeintliche Demonstration von Stärke gerät somit zu einem Ausdruck eigener Schwäche. Das zeigt sich schon an der unterschiedlichen
Bewertung des Gesetzes durch den Bundesinnenminister einerseits und die Grünen andererseits. Herr Schily behauptet, die Änderungen seien nur „marginales Grün“ Herr Wiefelspütz und Herr Özedmir machen geltend, Sie hätten den Entwurf so verändert, dass man ihn nicht mehr wiedererkenne.
Die FDP-Fraktion ist unter diesen Umständen nicht bereit, dem Gesetz zuzustimmen.
Dafür gibt es allerdings auch eine Reihe von inhaltlichen Erwägungen. Beispielhaft nenne ich folgende Punkte:
1) Die Geheimdienste erhalten Zugriff auf Kundendaten von Banken, Telekommunikationsunternehmen, Post und Luftfahrtunternehmen.
2) Wir hätten uns eine vorrangige richterliche Kontrolle gewünscht, wie sie auch der Präsident der Bundesamtes für Verfassungsschutz in der Sachverständigenanhörung akzeptiert hat.
3) Bei der Benachrichtigung Betroffener stellt sich dasselbe Problem, das schon im Zusammenhang mit dem G 10 Gesetz diskutiert worden ist:
In manchen Fällen wird der Betroffene einer Überwachungsmaßnahme überhaupt nicht informiert mit der Folge, dass der nachträgliche gerichtliche Rechtsschutz entfällt.
4) Die für die Polizei geltende Verfahrensregelung bei Informationsgewinnung kann umgangen werden.
5) Diejenigen, deren Bankkonten künftig von Geheimdiensten überprüft werden, müssen keineswegs selber im Verdacht terroristischer Betätigung stehen. Auch völlig Unverdächtige können auf diese Weise überprüft werden, wie überhaupt mit diesem Gesetz eine Vielzahl unbeteiligter Bürger in Berührung mit den Nachrichtendiensten kommen wird.
6) Der Bundesnachrichtendienst, der für die Auslandsaufklärung zuständig ist, bekommt mit diesem Gesetz erweiterte Operationsbefugnisse im Inland.
7) Wer Personen aus dem Ausland zu einem Besuch in der Bundesrepublik Deutschland einlädt, kann künftig in bestimmten Fällen selbst von den Geheimdiensten überprüft werden.
8) Selbstverständlich sollen Personen, die die öffentliche Sicherheit gefährden, nicht in die Bundesrepublik einreisen dürfen oder, sofern sie sich hier schon aufhalten, ausgewiesen werden können. Die hierfür vorgesehenen Neuerungen sind von den Voraussetzungen her sehr unbestimmt. Minister Schily hat im Innenausschuß selbst problematisiert, dass nach dem Gesetzeswortlaut auch Freiheitskämpfern, die gegen ein Unrechtsregime kämpfen, die Einreise in die Bundesrepublik verweigert werden könnte, und er hat sich dabei aus der Geschichte auf die Widerstandskämpfer vom 20. Juli bezogen, die bei wörtlicher Anwendung dieses Gesetzes kein Einreisevisum in die Bundesrepublik Deutschland erhalten würden. Dieses absurde Ergebnis muß vermieden werden. Die entsprechende Kritik der Sachverständigenanhörung blieb bisher unberücksichtigt.
9) Und schließlich der politisch bedeutendste Gesichtspunkt:
Wenn künftig biometrische Daten wie z.B. Fingerabdrücke in Ausweispapieren aufgenommen werden, dann soll nach dem Willen der Datenschützer und nach der Beschlußlage der FDP keine zentrale Vergleichsdatei errichtet werden, da damit dem Mißbrauch Tür und Tor geöffnet würde. Der nun neuerdings im Gesetz vorgesehene Ausschluß einer bundesweiten Datei reicht nicht aus, denn der Effekt einer nicht wünschenswerten Vergleichsdatei wäre selbstverständlich bei 15 miteinander vernetzten Länderdateien derselbe, so daß der Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen in diesem Punkt zu kurz greift.
Unser Fazit:
Die FDP will Verbesserungen bei der inneren Sicherheit. Schily II schießt nach wie vor über das Ziel hinaus. Zusammen mit dem unzumutbaren Ablauf des Beratungsverfahrens kann daher unser Votum trotz punktueller Übereinstimmung nur auf Ablehnung lauten.
Rede vom 27.02.2002
Vizepräsidentin Petra Bläss: Nächster Redner ist der Kollege Dr. Max Stadler für die FDP-Fraktion.
Dr. Max Stadler (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Heute stehen zwei Gesetzent-würfe zur Debatte, die allerdings nach Auffassung der FDP-Fraktion sehr unterschiedlich zu bewerten sind.
Der Gesetzentwurf des Bundesrates zur Änderung des Beamtenrechtsrahmengesetzes greift zwei berechtigte Anlie-gen auf. Die Möglichkeit, Beamte bei begrenzter Dienstfähigkeit weiterzubeschäftigen, ist bisher an die Vollendung des 50. Lebensjahres geknüpft. Die Streichung dieser Altersgrenze soll eine Gleichbehandlung aller begrenzt dienst-fähigen Beamten sicherstellen. Dem kann man zustimmen.
Im Dienstrechtsreformgesetz, das die frühere Koalition aus CDU/CSU und FDP in der letzten Legislaturperiode beschlossen hat, war der Grundsatz „Rehabilitation vor Versorgung“ betont worden. Dieser richtige Gedanke wird nun durch den Gesetzentwurf des Bundesrates konsequent fortgeführt, indem die erneute Berufung in ein Beamten-verhältnis auch in den Fällen der begrenzten Dienstfähigkeit möglich werden soll. Bei dem großen Anstieg vorzeiti-ger Ruhestandsversetzungen darf der Gesetzgeber nicht tatenlos zusehen; das hat ja erhebliche Konsequenzen für die öffentlichen Haushalte. Daher ist diesem Vorschlag des Bundesrates aus Sicht der FDP zuzustimmen.
Dagegen lehnen wir Ihren Entwurf zum Versorgungsänderungsgesetz 2001 weiterhin entschieden ab. Herr Staats-sekretär Körper hat sich heute auf den Versorgungsbericht berufen, den die Bundesregierung im September be-schlossen hat und der wohl dem Parlament zugeleitet ist, beim Parlament aber noch nicht angekommen ist. Deswegen ist es ein etwas schwieriges Unterfangen, auf der Basis von Herr-schaftswissen über eine Versorgungs-rechtsreform zu diskutieren.
(Walter Hirche [FDP]: Das ist der Unterschied zwischen Körper und Antikörper! – Heiterkeit bei der CDU/CSU)
Klar ist, dass Sie sich in der Vergangenheit ohnehin nicht auf diesen Versorgungsbericht bezogen haben, da Sie be-reits seit Monaten ankündigen, dass Sie die Reformmaßnahmen der gesetzlichen Rentenversicherung „wirkungs-gleich“, wie es heißt, auf die Beamtenversorgung übertragen wollen. Dabei haben Sie außer Betracht gelassen, dass mit der Einführung der Versorgungsrücklage durch die alte Koalition die notwendige Vorsorge für die Erfüllung der Pensionsansprüche bereits getroffen worden war. Der Reformbedarf war von uns in der letzten Legislaturperiode längst erkannt. Der Einschnitt, den wir bei der Beamtenversorgung vorgenommen haben, ist von Ihnen nicht rückgängig gemacht worden, die Rentenreform dagegen sehr wohl.
(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das ist der Widerspruch!)
Deswegen ist es eine verquere Logik, wenn Sie jetzt behaupten, man müsse im Beamtenrecht das nachvollziehen, was im Rahmen Ihrer Rentenreform von Bundestag und Bundesrat beschlossen worden ist. Vielmehr ist die Reform in der Beamtenversorgung längst von CDU/CSU und FDP vollzogen worden. Es besteht daher nach Auffassung der FDP kein Anlass, erneut in die Beamtenversorgung einzugreifen. Es wäre sachgerecht gewesen, es bei der Versor-gungsrechtsreform der letzten Legislaturperiode zu belassen.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Meine Damen und Herren, die FDP will weder eine Besserstellung noch eine Schlechterstellung der Beamten. Entge-gen allgemeiner Meinung in der Öffentlichkeit gibt es aber im Versorgungsrecht längst keine Besserstellung der Be-amtenschaft mehr. Deswegen kann das, was Sie heute auf den Weg bringen, nur als ungerechtfertigte Schlechter-stellung bezeichnet werden.
Ich möchte zum Schluss noch einen Gedanken aus der aktuellen politischen Situation einbringen. Bei den Debatten um die innere Sicherheit wird allseits gesagt, dass wir einen leistungsfähigen, hoch moti-vierten und mit kompeten-ten Beamten ausgestatteten Sicherheitsapparat brauchen würden. Um diesen zu erhalten und zu bekommen, muss der Staat aber auch die Bedingungen für das Beamtenverhältnis attraktiv gestalten und attraktiv halten. Dazu passt das, was Sie jetzt zur Versorgungsreform vorschlagen, überhaupt nicht. Auch aus diesem Grund kann die FDP bei einer solchen Politik nicht mitmachen.
(Beifall bei der FDP)
Rede vom 01.03.2002
Rede von Dr. Max Stadler am 01.03.2002
Zuwanderungsgesetz
(Es gilt das gesprochene Wort!)
Die FDP hält seit langem eine gesetzliche Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung für eine zentrale Aufgabe der deutschen Politik. Die FDP hat diese Auffassung bekräftigt, in dem sie als erste Fraktion am 27.06.2000 einen Gesetzentwurf zur Steuerung der Zuwanderung in den Bundestag eingebracht hat.
Wir haben unser Zuwanderungskonzept am 30.07.2001 im Anschluß an den verdienstvollen Bericht der Süssmuth-Kommission aktualisiert. Viele der uns wichtigen Punkte haben sich dann im Gesetzentwurf der Bundesregierung wiedergefunden.
Wir begrüßen auch, dass es nunmehr nach einem langwierigen Diskussionsprozeß zu einer Entscheidung kommt, die freilich endgültig nicht heute im Bundestag, sondern später im Bundesrat getroffen werden wird.
Trotz unser positiven Grundbewertung des Projekts werden wir uns in der heutigen Abstimmung der Stimme enthalten aus folgenden Gründen:
1. Das von der Bundesregierung und der Koalition gewählte Verfahren, im letzten Augenblick umfangreiche Änderungsanträge zu präsentieren, kann im Interesse der Selbstachtung des Parlaments nicht akzeptiert werden.
2. Die FDP hat sich am gesamten öffentlichen Diskussionprozeß stets konstruktiv beteidigt. Dieser Diskussionsprozeß ist nunmehr innerhalb der Regierungskoalition abgeschlossen, nicht jedoch in Bezug auf die Opposition. Aus Sicht der FDP enthält das Zuwanderungsgesetz Licht und Schatten, wie ich gleich noch näher darstellen werde und wie wir dies in einem eigenen Entschließungsantrag zum Ausdruck bringen.
3. Schließlich ist der Diskussionprozeß in Bezug auf die Bundesländer noch nicht abgeschlossen. Die FDP ist über vier Landesregierungen an der Entscheidung im Bundesrat beteiligt. Insbesondere dem Abstimmungsverhalten des sozial-liberal regierten Bundeslandes Rheinland-Pfalz kommt eine entscheidende Bedeutung zu.
Nachdem die Bundesregierung ihre endgültige Gesetzesfassung erst Anfang dieser Woche vorgelegt hat, werden die FDP-Landespolitiker ihre Haltung in der nächsten Woche koordinieren und festlegen. Dem will die Bundestagsfraktion am heutigen Tage nicht vorgreifen.
Aus alledem ergibt sich als Momentaufnahme eine Stimmenhaltung, die ich aber im Hinblick auf das weitere Verfahren im Bundesrat als wohlwollende Stimmenthaltung charakterisieren möchte.
Lassen sie mich aber noch einmal kurz zum Verfahren und dann detailliert zum Inhalt Stellung nehmen.
Bundesinnenminister Otto Schily, den wir bei anderen Themen an dieser Stelle wiederholt und deutlich kritisiert haben, hat seit der Vorlage seines Gesetzentwurfs im August 2001 mit der FDP-Bundestagsfraktion laufend faire, sachliche und absolut angemessene Beratungen geführt. Dies ist zwar eigentlich selbstverständlich, wird aber von uns dennoch ausdrücklich anerkannt.
All dies galt bis einschließlich Mittwoch der letzten Woche.
Das weitere Vorgehen der Koalition und der Bundesregierung seit Donnerstagabend kann jedoch von keiner Oppositionspartei hingenommen werden. Ich rede dabei nicht über die entschuldbare Tatsache, dass eine Übermittlungsfrist, die am Donnerstag um Mitternacht abgelaufen ist, um einige Minuten überschritten worden ist. Das ist aus der Sicht der FDP ein nebensächlicher Punkt.
Ganz und gar nicht nebensächlich ist dagegen der Umgang der Mehrheit hier im Hause mit der Opposition. Beim Terrorismusbekämpfungsgesetz
sind in letzter Sekunde umfangreiche Änderungen durch die Koalition eingebracht worden. Dies haben alle Oppositionsredner heftig kritisiert. Daraufhin hieß es, es habe sich um einen einmaligen Vorgang gehandelt, der sich auf keinen Fall beim Zuwanderungsgesetz wiederholen werde.
Dieses Versprechen vom Dezember ist jetzt nach zwei Monaten bereits gebrochen worden. Wir respektieren die Arbeitsleistung derjenigen Kolleginnen und Kollegen, die Erkenntnisse aus der Sachverständigenanhörung eingearbeitet haben und in sicherlich mühevoller Kleinarbeit den Gesetzentwurf abstimmungsreif gemacht haben. Aber dies ist so spät geschehen, dass eine sorgfältige Beratung und Bewertung des geänderten Gesetzentwurfs in den Gremien der Oppositionsfraktionen nicht mehr möglich gewesen ist. Das Argument, die Opposition sei ja ohnehin zur Ablehnung entschlossen gewesen, so dass auch ein längerer Vorlauf daran nichts geändert hätte, trifft bekanntlich für die FDP nicht zu. Wenn sie uns eine wirkliche Mitwirkungsmöglichkeit in der Endphase hätten geben wollen, hätten sie sich anders verhalten müssen. Daher kann ich der Mehrheit in diesem Hause die Feststellung nicht ersparen:
Bei ihnen trifft der Satz zu: „Es gilt das gebrochene Wort“.
In der Sache selbst bleibt es jedoch dabei, dass die Zuwanderung auf den Arbeitsmarkt, die entscheidend wichtige Aufgabe der Integration sowie die Regelung humanitäre Verpflichtungen in einem Gesamtkonzept erforderlich ist. Diese drei Teile sind im Gesetzentwurf der Regierung mit unterschiedlicher Qualität abgehandelt.
Zum humanitären Teil hat es in der Sachverständigenanhörung erhebliche Kritik gegeben, die Sie nur zum Teil aufgegriffen haben, weil Sie der irrigen Meinung gewesen sind, dann leichter die Zustimmung der CDU/CSU zu erhalten. Somit bleiben in diesem Teil Lücken, auf die wir in unserem Entschließungsantrag hinweisen. In diesem Zusammenhang muß auch daran erinnert werden, dass entgegen dem Willen des Bundestages die Vorbehalte gegen die UN-Kinderrechtskonvention immer noch nicht zurückgezogen worden sind.
Richtig ist dagegen, dass schon die Genfer Flüchtlingskonvention den Schutz derjenigen Personen vorsieht, die von nichtstaatlicher oder geschlechtsspezifischer Verfolgung betroffen sind. Ein neuer Asylgrund ist damit nicht verbunden. Dies war schon immer die Auffassung der FDP. Für die neuerliche Klarstellung sind wir dankbar.
Der Kompromiß um das Nachzugsalter von Kindern mit einer Absenkung auf 12 Jahre bei einer gleichzeitigen Härtefallregelung kann noch akzeptiert werden. Die gesamte Diskussion ist in diesem Bereich aber sehr kleinlich geführt worden. Selbstverständlich ist es im Interesse der Integration wünschenswert, wenn Kinder in Deutschland aufwachsen. Wir meinen aber, dass die Union mit ihrer Haltung das Elternrecht und damit ein Grundrecht nicht hinreichend berücksichtigt.
2. Damit komme ich zum Zukunftsthema Integrationsaufgabe des Staates. Warum sind wir nicht in der Lage, diese Aufgabe als Staatsziel in das Grundgesetz aufzunehmen, um damit die überragende Wichtigkeit der Integration zu dokumentieren? Der Gesetzentwurf geht in die richtige Richtung, wenn die Vermittlung der deutschen Sprache als entscheidender Ansatzpunkt für die Integration formuliert wird. Kostenfragen mögen demgegenüber zweitrangig sein. Es ist trotzdem erwähnenswert, dass es Migratinnen und Migranten je nach ihrer Leistungsfähigkeit zumutbar ist, einen eigenen maßvollen Beitrag an den Kosten etwa von Sprachkursen zu übernehmen. Umgekehrt dürfen Bund und Länder diese Kosten den Kommunen aufgrund ihrer derzeitigen Finanzlage nicht überbürden.
Dies ist jedoch nicht das Entscheidende. Wichtig ist aus Sicht der FDP, dass Integrationspolitik sich nicht nur auf neue Migrantinnen und Migranten beziehen darf, sondern auch die bereits in Deutschland lebenden Ausländer einbeziehen muß und ebenso aus gegebenen praktischen Anlässen die neue Generation Kinder und Jugendlicher aus Aussiedlerfamilien. Der Gesetzentwurf hinterläßt an dieser Stelle einen zwiespältigen Eindruck, weil er sich zu knapp mit dem Integrationserfordernis auseinandersetzt und ein zwischen Bund und Ländern abgestimmtes Gesamtkonzept noch vermissen läßt. Hier bleibt für die Zukunft noch viel zu tun.
3. Ursprünglicher Anlaß für das Gesetz war aber die Erkenntnis, dass trotz hoher Arbeitslosigkeit in bestimmten Branchen und Regionen eine begrenzte und gesteuerte Zuwanderung auf den Arbeitsmarkt möglich gemacht werden muß. Es bleibt dabei: Eine Millionen Arbeitsplätze, insbesondere Facharbeiterstellen im Mittelstand, können derzeit aus dem einheimischen Arbeitsmarkt nicht besetzt werden. Wer will verantworten, dass unter diesen Umständen Menschen, die in Deutschland arbeiten wollen, der Zugang verwehrt wird? Wer will verantworten, dass Betriebe, die solche Fachkräfte dringend brauchen und derzeit nicht bekommen, das Angebot von Arbeitnehmern aus Drittstaaten annehmen?
Die Argumentation der Union, das Zuwanderungsgesetz führe zu mehr Zuwanderung, ist für diesen Bereich überhaupt nicht nachvollziehbar.
Wenn eine begrenzte und gesteuerte Zuwanderung auf den Arbeitsmarkt in unserem eigenen Interesse liegt, dann kann ich doch nicht als Kritik formulieren, dass mit einem Zuwanderungsgesetz mehr Arbeitskräfte auf den Arbeitsmarkt zuwandern werden. Dies entbehrt jeder Logik.
Sehr wohl muß man aber die Ängste und Vorbehalte in der Bevölkerung wahrnehmen und sich mit ihnen auseinandersetzen. Die FDP stellt daher fest:
1. Ein Zuwanderungsgesetz darf nicht dazu dienen, Versäumnisse der eigenen Politik auszugleichen. Es besteht weiterhin dringender Reformbedarf im Bildungswesen. Wir wollen der eigenen Jugend eine Ausbildung vermitteln, die ihr beste berufliche Perspektiven eröffnet. Wir wollen Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Wir wollen Qualifizierung der Arbeitslosen zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt. Wir wollen Reformen auf dem verkrusteten deutschen Arbeitsmarkt, die es erlauben, Angebot und Nachfrage in Einklang zu bringen. Wir wollen eine neue Wirtschafts- und Steuerpolitik, die zu neuen Arbeitsplätzen führt.
All dies geht vor. Es gilt aber auch das Vorrangprinzip, wonach ein Arbeitsplatz nur dann mit einem Bewerber aus einem Drittstaat besetzt werden darf, wenn kein Arbeitnehmer aus dem einheimischen Arbeitsmarkt zur Verfügung steht.
Insgesamt muß niemand Angst haben, dass eine zu umfangreiche, nicht verkraftbare Zuwanderung auf den deutschen Arbeitsmarkt stattfinden wird, sondern eine am Bedarf orientierte Zuwanderung, die zu neuem Wirtschaftswachstum und neuen Arbeitsplätzen führen wird.
Aus diesem Grund wünscht die FDP, dass am Ende des langen, in Detailfragen noch nicht abgeschlossenen Diskussionsprozesses ein liberales, von der Bevölkerung akzeptiertes Zuwanderungsgesetz zustande kommt.
Rede vom 19.04.2002
Rede im Plenum des Deutschen Bundestages
am 19.04.2002 zum Parteiengesetz
Nach den Spendenskandalen zunächst der CDU und jetzt der SPD ist in der öffentlichen Diskussion vielfach der Ruf nach einer völligen Neuregelung der Parteienfinanzierung und damit des Parteiengesetzes laut geworden. Es war auch völlig klar, dass der Gesetzgeber nicht einfach zur Tagesordnung übergehen und alles beim alten belassen konnte.
Am Ende der auch von einer unabhängigen Expertenkommission des Bundespräsidenten begleiteten öffentlichen Debatte steht mit dem gemeinsamen Gesetzentwurf von SPD, Union, Grünen und FDP keine Revolution des Parteienrechts, aber doch eine beachtliche Reform.
Die FDP hat daran konstruktiv mitgewirkt. Unter Leitung von Klaus Kinkel hat eine interne Arbeitsgruppe der FDP-Fraktion 27 Kernpunkte für das neue Parteiengesetz formuliert, von denen sich 23 im gemeinsamen Entwurf der vier Fraktionen wiederfinden.
Allein diese Zahl zeigt schon, dass die Änderungen durchaus ins Detail gehen. In der Grundlinie ist aber das System der Parteienfinanzierung beibehalten worden, denn es gibt dazu trotz allem keine vernünftige Alternative. Die Skandale der letzten zwei Jahre waren ja nicht durch das bisherige Parteiengesetz ermöglicht worden, sondern haben ihre Ursache in bewussten Rechtsverstößen. Solche können auch für die Zukunft nur erschwert, aber nicht von vorneherein gänzlich verhindert werden.
Daher hat es auch die FDP für richtig gehalten, an der Parteienfinanzierung durch Mitgliedsbeiträge, staatliche Zuwendungen und Spenden festzuhalten.
Auch Spenden sind ein legitimer Bestandteil der Parteienfinanzierung.
Freilich müssen dabei bestimmte Regeln eingehalten werden.
Diese Regeln werden in einigen wichtigen Punkten verändert, um mehr Transparenz zu schaffen und der Gefahr des politischen Einflusses über Spendenleistungen entgegenzuwirken.
So besteht eine der wichtigsten Neuerungen im Verbot der sogenannten „Danke-schön-Spenden“.
Damit wird ein Grundgedanke der schon geltenden Rechts in einem entscheidenden Punkt ergänzt. Schon bisher sind Spenden, die erkennbar in Erwartung eines bestimmten wirtschaftlichen oder politischen Vorteils gewährt werden, verboten.
Nach den Verhandlungen im Parteispenden-Untersuchungsausschuss war niemandem mehr zu vermitteln, warum eine nachträglich als Gegenleistung eines bestimmten wirtschaftlichen oder politischen Vorteils gegebene Spende anders behandelt werden sollte. Hier war eine Anpassung der Rechtslage unumgänglich, um eine bisherige Gesetzeslücke zu schließen.
Der Gesetzentwurf greift aus der aktuellen Diskussion ferner auf:
Das Weiterleitungsgebot von Barspenden, das Verbot der Spendenstückelung, der Ausweis der Erträge aus Vermögen getrennt nach Immobilien, Finanzanlagen und Beteiligungen sowie - ganz wichtig, um bessere Transparenz zu schaffen - die sofortige Veröffentlichung von Großspenden über 50.000 Euro.
Nicht durchsetzen konnten sich Union und FDP mit ihrer Forderung, aus Gründen der Gewaltenteilung Beteiligungen an Parteien an Medienunternehmen zu verbieten. Immerhin wird auch in diesem Bereich künftig mehr Transparenz gewährleistet.
Die Vorgänge, die den Untersuchungsausschuss beschäftigt haben, hatten auch noch eine weitere Gesetzeslücke offenbart:
Es war nicht mehr hinnehmbar, dass bestimmte Verstöße gegen das Parteiengesetz strafrechtlich kaum fassbar waren, allenfalls über das Steuerstrafrecht oder über Umwegkonstruktionen aus dem Untreuetatbestand. Die FDP hat daher die Klarstellung, welche Verstöße gegen das Parteiengesetz künftig strafbar sind, von Anfang an gefordert und mitgetragen.
Nicht durchsetzbar war leider unser Vorschlag, die Aufsicht über die Parteifinanzen einer beim Bundespräsidenten einzurichtenden unabhängigen Sachverständigenkommission zu übertragen. Damit bleibt leider wie bisher die Zuständigkeit beim Bundestagspräsidenten. Dem Amt des Bundestagspräsidenten erweist man damit keinen Gefallen. Denn der Vorwurf der Parteilichkeit wird auch bei künftigen Entscheidungen so oder so von der jeweils einen oder anderen Seite erhoben werden.
Insgesamt bietet das neue Parteiengesetz eine brauchbare Grundlage, damit die Parteien ihre nach dem Grundgesetz hervorgehobene Mitwirkungsrolle bei der politischen Willensbildung wahrnehmen und die für ihre Arbeit erforderlichen Finanzmittel in korrekter Weise beschaffen und verwenden können. Es liegt nun an den Parteien selbst, es liegt nun an uns selbst, das Ansehen der Parteien zu stärken und das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik zurückzugewinnen, indem die neuen Regeln strikt und korrekt eingehalten werden.
Rede vom 07.06.2002
Rede von Dr. Max Stadler am 09.05.2003
Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungssteuerungs- und Integrationsgesetz)
Dr. Max Stadler (FDP):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, man greift nicht zu hoch mit der Feststellung, der Deutsche Bundestag hätte heute die Chance zu einem historischen Kompromiss, um den seit einem Jahr andauernden Streit um das Zuwanderungsgesetz zu beenden. Deutschland braucht in seinem eigenen Interesse ein Gesamtkonzept, um die Zuwanderung zu steuern und zu begrenzen und um die Integration zu fördern.
(Beifall bei der FDP und der SPD sowie des Abg. Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Die FDP-Bundestagsfraktion hat basierend auf Vorarbeiten aus Baden-Württemberg einen, wie wir meinen, allseits akzeptablen Kompromissvorschlag vorgelegt. Es wäre schade, wenn der Deutsche Bundestag heute seine Chance versäumen würde, sich auf diesen Kompromiss zu einigen.
(Beifall bei der FDP)
Nach drei Jahren öffentlicher Debatte birgt eine solche Aussprache wie die heutige die Gefahr, dass nur altbekannte Argumente wiederholt werden. Ich meine aber, dass die Einwände, die die Union heute noch einmal geltend gemacht hat – der Kollege Bosbach hat sie eben vorgebracht –, durchaus ernst zu nehmen sind.
Auch wir, die wir ein Zuwanderungsgesetz befürworten, stellen uns die Frage, ob die Bedingungen für ein solches Gesetz jetzt noch dieselben sind wie vor zwei Jahren, als die Süssmuth-Kommission ihren Bericht vorgelegt hat, oder vor einem halben Jahr. Denn der Arbeitsmarkt hat sich inzwischen geändert; er ändert sich aufgrund der verfehlten rotgrünen Wirtschaftspolitik leider zum Schlechteren.
Daher ist die auch von der Bevölkerung gestellte Frage berechtigt, ob bei mehr als 4 Millionen Arbeitslosen noch eine Zuwanderung auf den deutschen Arbeitsmarkt vertretbar ist. Wir glauben aber, dass diese Frage zu bejahen ist. Wir meinen sogar, dass es dringend notwendig ist, die Zuwanderung – die ohnehin stattfindet – zu steuern.
(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Darin sind wir anderer Meinung!)
Die Notwendigkeit eines solchen Gesetzes hängt nicht vom Monats oder Quartalsbericht der Bundesanstalt für Arbeit ab. Wir schaffen eine gesetzliche Grundlage – darin besteht der Unterschied zur derzeitigen Praxis der Ausnahmeverordnungen – nicht für eine Situation des Augenblicks; vielmehr streben wir mit diesem Gesetz eine Grundlage für die gesamte weitere Zuwanderungspolitik der Bundesrepublik Deutschland auf längere Dauer an. Dieses Gesetz soll sozusagen zum Grundgesetz für die deutsche Migrationspolitik werden. Deswegen macht es nach wie vor Sinn.
(Beifall bei der FDP)
Im Übrigen – das ist der wichtigste Punkt, den es herauszustellen gilt – bedeutet ein Zuwanderungsgesetz nicht automatisch mehr Zuwanderung. Es geht um zwei völlig verschiedene Fragen. Ob wir mehr Zuwanderung nach Deutschland brauchen, ist aufgrund der Situation auf dem Arbeitsmarkt von Zeit zu Zeit unterschiedlich zu beantworten. Hier geht es aber auch um die Frage, ob wir ein Gesetz brauchen, das die Zuwanderung steuert. Wir Freie Demokraten meinen, dass ein solches Gesetz nach wie vor notwendig ist.
Wir schlagen Ihnen einen Mechanismus vor, der alle Bedenken aufgreift, indem wir Ihnen anbieten, die Zuwanderung auf den Arbeitsmarkt und aus humanitären Gründen nach einer Jahreshöchstquote zu gestalten. Damit hätten wir als Politiker es in der Hand, die jeweilige aktuelle Situation zu beurteilen und die Quote gegebenenfalls auf Null festzusetzen. Insofern sind die zum Ausdruck gebrachten Sorgen unbegründet und es ist und bleibt vernünftig, in diesem Bereich gesetzgeberisch tätig zu werden.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)
Lassen Sie mich nun auf einen weiteren Punkt zu sprechen kommen. Nachdem wir in früheren Debatten darauf hingewiesen haben, dass bei der CDU/CSU Anspruch und Wirklichkeit auseinander klaffen, indem sie sich zum Beispiel hier gegen das Zuwanderungsgesetz ausspricht, aber in Bayern Pflegekräfte aus der Slowakei und Kroatien anwirbt,
(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das ist doch kein Widerspruch!)
hat die Union ihre Argumentation jetzt geändert und vorgebracht, es sei zwar richtig, dass in manchen Bereichen ausländische Arbeitskräfte benötigt würden; dies könne jedoch über Ausnahmeverordnungen geregelt werden.
(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das ist bei Saisonarbeitskräften auch der Fall!)
Nun komme ich zu dem entscheidenden Punkt. Notwendig ist nicht der alte Flickenteppich von Ausnahmeverordnungen;
(Dr. Cornelie SonntagWolgast [SPD]: Sehr richtig!)
notwendig ist vielmehr ein Gesamtkonzept, weil alle drei Bereiche eng miteinander verzahnt sind: Zuwanderung auf den Arbeitsmarkt, Zuwanderung aus humanitären Gründen und Integration. Alle drei Bereiche gehören zusammen.
(Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich möchte Ihnen das an den Vorschlägen deutlich machen, die die FDP dazu gemacht hat. Wir meinen – das kann niemand bestreiten –, dass es eine Fehlsteuerung im Asylrecht gegeben hat. Viele versuchen nämlich, sich über das Asylrecht Zugang zu Deutschland zu verschaffen, obwohl sie keine Chance haben, jemals anerkannt zu werden. Wenn man diesen Menschen eine legale Zuwanderungsmöglichkeit – ich gebe zu: in begrenztem Umfang; denn die Zahlen würden etwas anderes nicht zulassen – bietet und wenn man zugleich festlegt, dass diejenigen, die sich zu Unrecht auf ein nicht mehr bestehendes Asylrecht berufen, von der legalen Möglichkeit der Zuwanderung in den Arbeitsmarkt ausgeschlossen werden, dann wird dieser Steuerungsmechanismus dazu führen, dass das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge und die Verwaltungsgerichte nicht mehr mit einer solchen Vielzahl von Asylverfahren, die im Endeffekt aussichtslos sind, belastet werden wie jetzt.
(Beifall bei der FDP)
Ich möchte Ihnen die Verzahnung noch an einem zweiten Beispiel deutlich machen. Wenn man ein Gesamtkonzept für die Integration entwickelt, dann hat man die Möglichkeit, mehr Angebote als bisher zu machen, aber auch mehr Anforderungen an diejenigen zu stellen, die nach Deutschland kommen, und zwar unter anderem dadurch, dass man die Teilnahme an Deutschkursen und an Integrationskursen zum entscheidenden Kriterium für die Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung macht. Das ist nicht unzumutbar, sondern eine sinnvolle Steuerung und zeigt erneut, dass wir eine Verknüpfung aller Elemente brauchen.
Der gescheiterte Gesetzentwurf war nur formal ein rot-grüner. Die FDP hat in den Verhandlungen mit Minister Schily etliche ihrer Vorstellungen in den Gesetzentwurf einbringen können. Deswegen hat ja Rheinland-Pfalz im Bundesrat zugestimmt. Aber wir werden heute nicht zustimmen, sondern uns enthalten;
(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Mut zur Enthaltung!)
denn Sie haben den gescheiterten Gesetzentwurf erneut unverändert eingebracht, obwohl er nicht mehr dem aktuellen Stand der Diskussion entspricht.
(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Dann müsst ihr Nein sagen!)
Die weitere Diskussion hat nämlich ergeben, dass ein Zuwanderungsgesetz mehr Maßnahmen für die Integration derjenigen vorsehen muss, die schon hier sind. Hier treffen sich unsere Vorstellungen mit denen der Union.
(Zurufe von der CDU/CSU: Aha!)
Wir brauchen die so genannte nachholende Integration
(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Sehr richtig!)
und müssen besonders im Blick behalten, dass die jetzige Generation der Spätaussiedler im Gegensatz zu denjenigen, die Anfang der 90erJahre gekommen sind, aufgrund fehlender Sprachkenntnisse große Probleme hat, in den Arbeitsmarkt und in das Sozialgefüge integriert zu werden.
(Beifall bei der FDP)
Daher gehen die Integrationsangebote der FDP – ich betone: mit entsprechenden Verpflichtungen betreffend die Migrantinnen und Migranten – weiter als das, was Ihr Gesetzentwurf vorsieht. Aber alles muss seriös finanzierbar sein. Die Angebote, die die Union in ihren Änderungsanträgen macht, sind zeitlich unbegrenzt. Das geht nicht; denn das können die Kommunen auf keinen Fall mehr finanzieren. Auch wenn wir einen eigenen Beitrag von den Migrantinnen und Migranten verlangen, meinen wir, dass sich die nachholende Integration auf diejenigen beziehen sollte, die in den letzten fünf Jahren nach Deutschland gekommen sind.
Sie sehen also, dass wir Kompromissangebote in unsere Vorschläge eingearbeitet haben, die dem neuesten Stand der Diskussion entsprechen und die vor allem auch ein Angebot an die Union sind. Die Tatsache, dass Sie 128 Änderungsanträge gestellt haben, kann als ein hohes Pokern verstanden werden, um im Vermittlungsausschuss möglichst viel von den eigenen Vorstellungen durchzusetzen. Das wäre noch verständlich. Aber wir haben nach der vorangegangenen Rede des Kollegen Bosbach den Eindruck, dass es Ihnen gar nicht um einen Kompromiss geht, sondern dass Sie ein Zuwanderungsgesetz generell ablehnen, obwohl es dringend notwendig wäre.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Deswegen hoffen wir, dass diejenigen aus Kirche und Wirtschaft, die Einfluss auf Sie haben und auf deren Wort Sie hören, Sie doch noch eines Besseren belehren.
Zum Schluss möchte ich noch folgendes Grundsätzliche anmerken: Ein solches Gesetzesvorhaben löst bei der Bevölkerung zunächst Ängste und Besorgnisse aus, beispielsweise Besorgnis darüber, dass es mehr Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt geben wird – und das, obwohl Inländer bei der Besetzung eines Arbeitsplatzes Vorrang haben –, und Besorgnis darüber, dass die sozialen Systeme überlastet werden. Man kann den Weg gehen, diese Besorgnisse aufzugreifen – das ist ehrenhaft – und ihnen nachzugeben, das ist die Politik der Union. Politische Führung heißt für mich aber, solche Besorgnisse ernst zu nehmen und daraus vernünftige Lösungen zu entwickeln. Das ist die Politik der FDP.
Wir bieten Ihnen noch einmal an, die Brücke zu betreten, die wir Ihnen mit unserem Gesetzeskompromiss vorschlagen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)
Rede vom 09.05.2003
Rede von Dr. Max Stadler am 09.05.2003
Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungssteuerungs- und Integrationsgesetz)
Dr. Max Stadler (FDP):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, man greift nicht zu hoch mit der Feststellung, der Deutsche Bundestag hätte heute die Chance zu einem historischen Kompromiss, um den seit einem Jahr andauernden Streit um das Zuwanderungsgesetz zu beenden. Deutschland braucht in seinem eigenen Interesse ein Gesamtkonzept, um die Zuwanderung zu steuern und zu begrenzen und um die Integration zu fördern.
(Beifall bei der FDP und der SPD sowie des Abg. Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Die FDP-Bundestagsfraktion hat basierend auf Vorarbeiten aus Baden-Württemberg einen, wie wir meinen, allseits akzeptablen Kompromissvorschlag vorgelegt. Es wäre schade, wenn der Deutsche Bundestag heute seine Chance versäumen würde, sich auf diesen Kompromiss zu einigen.
(Beifall bei der FDP)
Nach drei Jahren öffentlicher Debatte birgt eine solche Aussprache wie die heutige die Gefahr, dass nur altbekannte Argumente wiederholt werden. Ich meine aber, dass die Einwände, die die Union heute noch einmal geltend gemacht hat – der Kollege Bosbach hat sie eben vorgebracht –, durchaus ernst zu nehmen sind.
Auch wir, die wir ein Zuwanderungsgesetz befürworten, stellen uns die Frage, ob die Bedingungen für ein solches Gesetz jetzt noch dieselben sind wie vor zwei Jahren, als die Süssmuth-Kommission ihren Bericht vorgelegt hat, oder vor einem halben Jahr. Denn der Arbeitsmarkt hat sich inzwischen geändert; er ändert sich aufgrund der verfehlten rotgrünen Wirtschaftspolitik leider zum Schlechteren.
Daher ist die auch von der Bevölkerung gestellte Frage berechtigt, ob bei mehr als 4 Millionen Arbeitslosen noch eine Zuwanderung auf den deutschen Arbeitsmarkt vertretbar ist. Wir glauben aber, dass diese Frage zu bejahen ist. Wir meinen sogar, dass es dringend notwendig ist, die Zuwanderung – die ohnehin stattfindet – zu steuern.
(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Darin sind wir anderer Meinung!)
Die Notwendigkeit eines solchen Gesetzes hängt nicht vom Monats oder Quartalsbericht der Bundesanstalt für Arbeit ab. Wir schaffen eine gesetzliche Grundlage – darin besteht der Unterschied zur derzeitigen Praxis der Ausnahmeverordnungen – nicht für eine Situation des Augenblicks; vielmehr streben wir mit diesem Gesetz eine Grundlage für die gesamte weitere Zuwanderungspolitik der Bundesrepublik Deutschland auf längere Dauer an. Dieses Gesetz soll sozusagen zum Grundgesetz für die deutsche Migrationspolitik werden. Deswegen macht es nach wie vor Sinn.
(Beifall bei der FDP)
Im Übrigen – das ist der wichtigste Punkt, den es herauszustellen gilt – bedeutet ein Zuwanderungsgesetz nicht automatisch mehr Zuwanderung. Es geht um zwei völlig verschiedene Fragen. Ob wir mehr Zuwanderung nach Deutschland brauchen, ist aufgrund der Situation auf dem Arbeitsmarkt von Zeit zu Zeit unterschiedlich zu beantworten. Hier geht es aber auch um die Frage, ob wir ein Gesetz brauchen, das die Zuwanderung steuert. Wir Freie Demokraten meinen, dass ein solches Gesetz nach wie vor notwendig ist.
Wir schlagen Ihnen einen Mechanismus vor, der alle Bedenken aufgreift, indem wir Ihnen anbieten, die Zuwanderung auf den Arbeitsmarkt und aus humanitären Gründen nach einer Jahreshöchstquote zu gestalten. Damit hätten wir als Politiker es in der Hand, die jeweilige aktuelle Situation zu beurteilen und die Quote gegebenenfalls auf Null festzusetzen. Insofern sind die zum Ausdruck gebrachten Sorgen unbegründet und es ist und bleibt vernünftig, in diesem Bereich gesetzgeberisch tätig zu werden.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)
Lassen Sie mich nun auf einen weiteren Punkt zu sprechen kommen. Nachdem wir in früheren Debatten darauf hingewiesen haben, dass bei der CDU/CSU Anspruch und Wirklichkeit auseinander klaffen, indem sie sich zum Beispiel hier gegen das Zuwanderungsgesetz ausspricht, aber in Bayern Pflegekräfte aus der Slowakei und Kroatien anwirbt,
(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das ist doch kein Widerspruch!)
hat die Union ihre Argumentation jetzt geändert und vorgebracht, es sei zwar richtig, dass in manchen Bereichen ausländische Arbeitskräfte benötigt würden; dies könne jedoch über Ausnahmeverordnungen geregelt werden.
(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das ist bei Saisonarbeitskräften auch der Fall!)
Nun komme ich zu dem entscheidenden Punkt. Notwendig ist nicht der alte Flickenteppich von Ausnahmeverordnungen;
(Dr. Cornelie SonntagWolgast [SPD]: Sehr richtig!)
notwendig ist vielmehr ein Gesamtkonzept, weil alle drei Bereiche eng miteinander verzahnt sind: Zuwanderung auf den Arbeitsmarkt, Zuwanderung aus humanitären Gründen und Integration. Alle drei Bereiche gehören zusammen.
(Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich möchte Ihnen das an den Vorschlägen deutlich machen, die die FDP dazu gemacht hat. Wir meinen – das kann niemand bestreiten –, dass es eine Fehlsteuerung im Asylrecht gegeben hat. Viele versuchen nämlich, sich über das Asylrecht Zugang zu Deutschland zu verschaffen, obwohl sie keine Chance haben, jemals anerkannt zu werden. Wenn man diesen Menschen eine legale Zuwanderungsmöglichkeit – ich gebe zu: in begrenztem Umfang; denn die Zahlen würden etwas anderes nicht zulassen – bietet und wenn man zugleich festlegt, dass diejenigen, die sich zu Unrecht auf ein nicht mehr bestehendes Asylrecht berufen, von der legalen Möglichkeit der Zuwanderung in den Arbeitsmarkt ausgeschlossen werden, dann wird dieser Steuerungsmechanismus dazu führen, dass das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge und die Verwaltungsgerichte nicht mehr mit einer solchen Vielzahl von Asylverfahren, die im Endeffekt aussichtslos sind, belastet werden wie jetzt.
(Beifall bei der FDP)
Ich möchte Ihnen die Verzahnung noch an einem zweiten Beispiel deutlich machen. Wenn man ein Gesamtkonzept für die Integration entwickelt, dann hat man die Möglichkeit, mehr Angebote als bisher zu machen, aber auch mehr Anforderungen an diejenigen zu stellen, die nach Deutschland kommen, und zwar unter anderem dadurch, dass man die Teilnahme an Deutschkursen und an Integrationskursen zum entscheidenden Kriterium für die Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung macht. Das ist nicht unzumutbar, sondern eine sinnvolle Steuerung und zeigt erneut, dass wir eine Verknüpfung aller Elemente brauchen.
Der gescheiterte Gesetzentwurf war nur formal ein rot-grüner. Die FDP hat in den Verhandlungen mit Minister Schily etliche ihrer Vorstellungen in den Gesetzentwurf einbringen können. Deswegen hat ja Rheinland-Pfalz im Bundesrat zugestimmt. Aber wir werden heute nicht zustimmen, sondern uns enthalten;
(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Mut zur Enthaltung!)
denn Sie haben den gescheiterten Gesetzentwurf erneut unverändert eingebracht, obwohl er nicht mehr dem aktuellen Stand der Diskussion entspricht.
(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Dann müsst ihr Nein sagen!)
Die weitere Diskussion hat nämlich ergeben, dass ein Zuwanderungsgesetz mehr Maßnahmen für die Integration derjenigen vorsehen muss, die schon hier sind. Hier treffen sich unsere Vorstellungen mit denen der Union.
(Zurufe von der CDU/CSU: Aha!)
Wir brauchen die so genannte nachholende Integration
(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]: Sehr richtig!)
und müssen besonders im Blick behalten, dass die jetzige Generation der Spätaussiedler im Gegensatz zu denjenigen, die Anfang der 90erJahre gekommen sind, aufgrund fehlender Sprachkenntnisse große Probleme hat, in den Arbeitsmarkt und in das Sozialgefüge integriert zu werden.
(Beifall bei der FDP)
Daher gehen die Integrationsangebote der FDP – ich betone: mit entsprechenden Verpflichtungen betreffend die Migrantinnen und Migranten – weiter als das, was Ihr Gesetzentwurf vorsieht. Aber alles muss seriös finanzierbar sein. Die Angebote, die die Union in ihren Änderungsanträgen macht, sind zeitlich unbegrenzt. Das geht nicht; denn das können die Kommunen auf keinen Fall mehr finanzieren. Auch wenn wir einen eigenen Beitrag von den Migrantinnen und Migranten verlangen, meinen wir, dass sich die nachholende Integration auf diejenigen beziehen sollte, die in den letzten fünf Jahren nach Deutschland gekommen sind.
Sie sehen also, dass wir Kompromissangebote in unsere Vorschläge eingearbeitet haben, die dem neuesten Stand der Diskussion entsprechen und die vor allem auch ein Angebot an die Union sind. Die Tatsache, dass Sie 128 Änderungsanträge gestellt haben, kann als ein hohes Pokern verstanden werden, um im Vermittlungsausschuss möglichst viel von den eigenen Vorstellungen durchzusetzen. Das wäre noch verständlich. Aber wir haben nach der vorangegangenen Rede des Kollegen Bosbach den Eindruck, dass es Ihnen gar nicht um einen Kompromiss geht, sondern dass Sie ein Zuwanderungsgesetz generell ablehnen, obwohl es dringend notwendig wäre.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Deswegen hoffen wir, dass diejenigen aus Kirche und Wirtschaft, die Einfluss auf Sie haben und auf deren Wort Sie hören, Sie doch noch eines Besseren belehren.
Zum Schluss möchte ich noch folgendes Grundsätzliche anmerken: Ein solches Gesetzesvorhaben löst bei der Bevölkerung zunächst Ängste und Besorgnisse aus, beispielsweise Besorgnis darüber, dass es mehr Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt geben wird – und das, obwohl Inländer bei der Besetzung eines Arbeitsplatzes Vorrang haben –, und Besorgnis darüber, dass die sozialen Systeme überlastet werden. Man kann den Weg gehen, diese Besorgnisse aufzugreifen – das ist ehrenhaft – und ihnen nachzugeben, das ist die Politik der Union. Politische Führung heißt für mich aber, solche Besorgnisse ernst zu nehmen und daraus vernünftige Lösungen zu entwickeln. Das ist die Politik der FDP.
Wir bieten Ihnen noch einmal an, die Brücke zu betreten, die wir Ihnen mit unserem Gesetzeskompromiss vorschlagen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)
Rede vom 05.06.2003
Rede von Dr. Max Stadler im Plenum des Deutschen Bundestages am 05.06.2003
zum Antrag der CDU/CSU Entschädigung deutscher Zwangsarbeiter
(Es gilt das gesprochene Wort)
Anrede
In der öffentlichen Diskussion über die Errichtung der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ ist an uns Parlamentarier oft die Frage gerichtet worden, wie denn mit deutschen Zwangsarbeitern zu verfahren sei.
Für die FPD-Fraktion habe ich in der damaligen Plenumsdebatte zum Ausdruck gebracht, dass es völlig richtig gewesen ist, beide Vorgänge strikt voneinander zu trennen. Der Deutsche Bundestag hat das schwere Schicksal der unter den Nationalsozialisten leidenden Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter gewürdigt und zusammen mit der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft eine symbolische finanzielle Entschädigungsleistung bereitgestellt. Nach wie vor bin ich der Meinung, dass es ein Fehler gewesen wäre, historisch falsche Parallelen herzustellen. Zu Recht sind daher seinerzeit die Beratungen über das Stiftungsgesetz nicht mit der heute zu prüfenden Frage einer Entschädigung deutscher Zwangsarbeiter befrachtet worden.
Dennoch bleibt festzuhalten, dass Zwangsarbeit für jeden einzelnen Betroffenen ein schweres individuelles Schicksal darstellt. Daher wird die FDP-Fraktion den heutigen Antrag der Union bei den weiteren parlamentarischen Beratungen wohlwollend begleiten und im Grundsatz unterstützen.
Die CDU/CSU geht in der Begründung ihres Antrages selbst nicht davon aus, dass es opportun wäre, an andere Staaten wegen derartiger Entschädigungsleistungen heranzutreten. Daher läuft der Antrag der Union darauf hinaus, dass es Sache der Bundesrepublik Deutschland selbst sein wird, eine finanzielle Leistung als Geste für den betroffnen Personenkreis zur Verfügung zu stellen.
Neben der Frage der Finanzierbarkeit wird in den Ausschussberatungen zu klären sein, ob sich daraus unerwünschte Präjudizwirkungen ergeben könnten, da ja an Sicht die Kriegsfolgengesetzgebung schon abgeschlossen ist. Die Bundesregierung wird darstellen müssen, welche Leistungen deutsche Zwangsarbeiter bereits erhalten haben und ob diese etwa als Eingliederungshilfen dem Charakter der jetzt von der Union geforderten humanitären Geste entsprochen haben. Schließlich wird zu überlegen sein, ob eine etwaige Geldleistung ähnlich wie im Stiftungsgesetz an bestimmte zusätzliche Voraussetzungen gebunden werden soll. Denn auch durch die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ wird ja nicht etwa Zwangsarbeit schlechthin entschädigt, sondern es müssen weitere Kriterien wie Verschleppung oder Inhaftierung hinzukommen, so dass nur besonders schwere Zwangsarbeiterschicksale überhaupt in diese Stiftungsregelung fallen.
Wenn all diese Fragen zufriedenstellend geklärt sind, wird die FDP-Fraktion sich positiv zu dem Antrag der Union stellen.
Rede vom 05.06.2003
Rede von Dr. Max Stadler im Plenum des Deutschen Bundestages am 05.06.2003
zum Antrag der CDU/CSU zur europäischen Ausländerpolitik
(Es gilt das gesprochene Wort)
Anrede
Die FDP-Bundestagsfraktion tritt seit langem für eine bessere Mitwirkung des Bundestages an der europäischen Rechtssetzung ein. Dies ist unserer Meinung nach ein wirksamer Beitrag zum Abbau des viel beklagten Demokratiedefizits in der Europäischen Union.
Der CDU/CSU-Fraktion geht es mit ihrem Antrag ersichtlich darum, nach der Zuwanderungsdebatte vom 09. Mai ein weiteres Mal ihre abweichende Grundposition in der Migrationspolitik im Plenum darzustellen.
Dies erscheint mir nicht sonderlich sinnvoll, da sich in den wenigen Wochen die Grundlinien der Migrationspolitik der vier Bundestagsfraktionen kaum geändert haben dürften.
Dennoch kann man bei einigem Wohlwollen dem Antrag der Union einen positiven Aspekt abgewinnen. Es geht - losgelöst vom aktuellen Anlass - um die prinzipielle Frage, welchen Einfluss wir als nationale Parlamentarier auf Verhandlungen und Entscheidungen im EU-Ministerrat nehmen wollen und nehmen können.
In dieser Grundsatzfrage ergreift die FDP-Fraktion ganz eindeutig Partei für die Rechte des Parlaments.
Dabei können wir uns auf das Grundgesetz berufen. Zu Recht gibt Artikel 23 Absatz 2 dem Bundestag die Befugnis, in Angelegenheit der Europäischen Union mitzuwirken. Dies geschieht in erster Linie über den gemäss Artikel 45 des Grundgesetzes vom Bundestag gestellten Ausschuss für Angelegenheiten der Europäischen Union.
Jedoch reicht die Tätigkeit dieses speziellen Ausschusses alleine nicht aus. Denn bei den Tagungen der EU-Fachminister werden so viele Einzelfragen von großer Auswirkung auf das deutsche Recht beraten und beschlossen, dass eine begleitende Mitwirkung der Fachausschüsse des Deutschen Bundestages - wie z.B. des Innenausschusses - dringend notwendig ist.
Dies gilt um so mehr, als die Position des Europäischen Parlaments immer noch nicht zufriedenstellend ausgestaltet ist. Den selben umfassenden öffentlichen Diskurs, den wir in Deutschland über national bedeutsame politische Fragen führen, muss es auch auf der EU-Ebene geben. Dies ist eine Kernvoraussetzung eines wirklich demokratischen Entscheidungsprozesses innerhalb der EU.
Die FDP-Fraktion hat daher im Innenausschuss des Bundestages schon vor Jahren die Initiative ergriffen und hat im Einvernehmen mit den anderen Fraktionen dafür gesorgt, dass laufend über die Verhandlungen im EU-Rat der Justiz- und Innenminister berichtet und debattiert wird. Dies alles ist längst Praxis des Innenausschusses. In der laufenden Legislaturperiode haben wir uns alle gemeinsam bemüht diese Praxis noch zu verbessern.
Aus diesem Grund ist der Antrag der Union jedenfalls teilweise als überflüssig abzulehnen.
Er geht überdies in einem entscheidenden Punkt einen Schritt zu weit. Wir haben es bisher gemeinsam immer als die richtige Methode angesehen, der Bundesregierung unsere politischen Positionen als Parlament mitzugeben auf den Verhandlungsweg.
Von einer förmlichen Bindung, etwa gar - wie die Union will - durch einen Gesetzesbeschluss - haben wir in der Vergangenheit bewusst abgesehen. Eine solche förmliche Bindung entspräche nicht den praktischen Bedürfnissen eines Verhandlungsprozesses mit einer Vielzahl von europäischen Partnerstaaten. Hier muss man einer Bundesregierung ein gewisses Maß an Flexibilität einräumen. Würde jeder einzelne EU-Mitgliedsstaat das machen, was die CDU/CSU in ihrem Antrag fordert, nämlich die eigene Regierung förmlich auf eine bestimmte Verhandlungsposition festlegen, dann wäre die unschwer vorherzusagende Folge diejenige, dass Entscheidungen auf der EU-Ministerratsebene ganz unmöglich gemacht würden.
Dies wollen wir als FDP gerade nicht.
Allerdings steckt genau diese Absicht hinter dem Antrag der Union. Denn die Vorzeichen in der Migrationspolitik haben sich völlig geändert. Oft genug hat die Union gerade uns Liberalen vorgehalten, das Grundrecht auf Asyl werde sich auf der europäischen Ebene keinesfalls auf Dauer halten lassen.
Heute ist die Union damit konfrontiert, dass der Diskussionstand in Europa eine völlig neue Qualität erreicht hat. In der EU wird jetzt eine moderne, im besten Sinne liberale Migrationspolitik favorisiert. Somit findet sich die Union heute mit ihrer Position isoliert in der Europäischen Union. Dies ist der eigentliche Grund für den Antrag.
Somit wird die FDP diesen Antrag ablehnen, weil er erstens bei den berechtigten Anliegen einer optimalen Mitwirkung des Bundestages an EU-Angelegenheiten keine Neuerungen bringt. Zweitens mit einer förmlichen Festlegung der Bundesregierung den Einigungsprozess über eine europäische Migrationspolitik unmöglich machen will und drittens den untauglichen Versuch darstellt, die isolierte Minderheitenposition der CDU/CSU in der Ausländer-, Asyl- und Zuwanderungspolitik auf Umwegen festzuschreiben.
ENDE
Rede vom 16.10.2003
Dr. Max Stadler (FDP):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Das Gesetz, über dessen Befristungsverlängerung heute diskutiert wird, ist 1998 auf Initiative des damaligen Innenministers Kanther gegen Ende der Legislaturperiode verabschiedet worden. Die FDP – damals zusammen mit der CDU/CSU in der Regierung – hat ihm im Wege eines Kompromisses zugestimmt, obwohl es in unserer Fraktion gewisse Bedenken gegen die Einführung verdachtsunabhängiger Kontrollen gegeben hat.
(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die gab es auch beim Abgeordneten Schily!)
Wir haben damals aber durchgesetzt, dass diese neue Befugnis zunächst auf fünf Jahre beschränkt wird, weil wir der Meinung waren, das sei der ausreichende Zeitrahmen, um zu klären, ob sich eine solche Neuregelung in der Praxis bewährt. Die fünf Jahre sind übrigens bewusst gewählt worden, weil wir die Diskussion über eine Verlängerung oder Beibehaltung der Regelung aus dem Bundestagwahlkampf 2002 herausnehmen wollten.(Dr. Ole Schröder [CDU/CSU]: Sehr gut!)
Daher können wir heute sine ira et studio über die Fortführung sprechen. Wir alle stellen fest, dass diese verdachtsunabhängigen Kontrollen ohne Zweifel zu Fahndungserfolgen geführt haben. Insofern wundere ich mich sowohl über den Antrag der CDU/CSU als auch über die Ausführungen der SPD, in denen Sie beide für eine weitere Befristung eintreten, nachdem Sie in Ihren Redebeiträgen zum Ausdruck gebracht haben, dass dies eine unverzichtbare Maßnahme sei. Ich kann nicht verstehen, warum Sie nicht für eine Verlängerung schlechthin eintreten. Wir von der FDP können es uns allerdings nicht so leicht machen, und zwar aus folgendem Grund.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des KollegenKoschyk?
Dr. Max Stadler (FDP):
Nein, ich möchte meinen Gedanken im Zusammenhang vortragen. – Nach wie vor gilt, dass verdachtsunabhängige Kontrollen ein Fremdkörper in unserem Rechtssystem sind.
(Beifall bei der FDP – Silke Stokar von
Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das
ist mein Satz!)
Für einen polizeilichen Eingriff musste vor der Befugniserweiterung ein konkreter Verdacht als Voraussetzung vorliegen. Der Wegfall dieser Voraussetzung war neu. Daher muss man schon genau fragen: Ist dies wirklich notwendig? Wir hatten gestern ein Gespräch mit Praktikern des Bundesgrenzschutzes, die sehr wohl der Meinung waren, die Fahndungserfolge, die der Kollege Schröder gerade genannt hat, wären auch auf der Basis des früheren Rechtes möglich gewesen.
(Zuruf von der CDU/CSU: Das kann ich mir nicht vorstellen!)
Darüber wollen wir uns im Ausschuss noch einmal präzise informieren.
Ich nenne noch ein Argument, das wir in den Ausschussberatungen bedenken sollten. Wir haben der Befugniserweiterung damals zugestimmt, weil wir nicht wollten, dass es beim Wegfall der Grenzkontrollen eine Sicherheitslücke gibt. Infolge dessen hat es eine Logik, wenn im Grenzraum verdachtsunabhängig kontrolliert wird. Wir haben dem Gesetz damals im Wege des Kompromisses zugestimmt. Der jetzige Gesetzentwurf geht aber viel weiter und lässt diese verdachtsunabhängigen Kontrollen praktisch im gesamten Bundesgebiet zu. Je weiter die Kontrolle räumlich von einer Grenze entfernt ist, umso mehr fehlen die Logik und die Rechtfertigung, eine solche verdachtsunabhängige Kontrolle als Ersatz für eine Grenzkontrolle einzuführen. Aus diesem Grunde bitte ich um Verständnis dafür, dass wir von der FDP uns heute noch nicht auf unser Votum festlegen, sondern dass wir zunächst im Innenausschuss in einem Fachgespräch – vor allem mit Praktikern – das Für und Wider erörtern möchten.
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP)
Rede vom 16.10.2003
Dr. Max Stadler (FDP):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Bei diesem Gesetzentwurf geht es um nicht mehr und nicht weniger als die Beseitigung einer Ungerechtigkeit.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Es wäre nicht zu spät, wenn man diese Ungerechtigkeit hier und heute beseitigen würde.
(Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Symbole!)
Herr Staatssekretär Körper, aus diesem Grund finde ich Ihren Hinweis auf die Rede des damaligen Bundeskanzlers Kiesinger aus dem Jahre 1966 wirklich deplatziert.
Er habe damals, 1966, gesagt, dass die Kriegsfolgenentschädigung allmählich ein Ende haben müsse, dass man nach vorne blicken müsse. Wenn das in unserer heutigen Debatte ein wirkliches Argument wäre – ich will keine falschen Parallelen zu anderen Sachverhalten herstellen –, dann wäre es aber auch nicht richtig, dass noch im Jahre 2000 Lücken bei der Entschädigung von NS-Unrecht geschlossen wurden; aber
alle vier Fraktionen waren der Meinung, dass das richtig ist.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie mit dem Zitat aus der Rede von Kiesinger Ihrem Koalitionspartner Bündnis 90/Die Grünen aus der Seele gesprochen haben, setzt er sich doch dafür ein, die vergessenen Opfer aus der NS-Zeit auch jetzt noch zu entschädigen. Das Zeitargument ist das schwächste Argument.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Es ist eine Ungerechtigkeit; denn die Frage der finanziellen Zuwendung hing von dem Zufall ab, ob ein Kriegsheimkehrer in die damals sowjetisch besetzte Zone, in die spätere DDR, oder in den Westen zurückgekehrt ist. Die Betroffenen können es nicht nachvollziehen, dass die eine Gruppe eine Entschädigung bekommen hat und die andere Gruppe nicht. Wenn von der Bundesregierung ausgeführt wird, bei denjenigen, die in den Westen gekommen sind, sei es keine Entschädigung, sondern eine Eingliederungshilfe gewesen, dann können das vielleicht Juristen verstehen, die betroffenen Menschen
jedoch verstehen dies nicht.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Aus diesem Grund wird die FDP dem Gesetzentwurf zustimmen. Denn es ist darüber hinaus auch nicht der Fall, dass wir als Bundesrepublik Deutschland damit finanziell
überfordert wären. Ich möchte allerdings einen Vorbehalt nennen. Es hat mich in dem gesamten Gesetzgebungsverfahren ein einziges ungutes Gefühl beschlichen. Wir kennen die Haltung der Bundesregierung zu dieser Frage; sie wurde vom Herrn Staatssekretär soeben wieder dargestellt. Wir wissen auch, dass die früheren Bundesregierungen
dieselbe Haltung hatten. Deswegen ist natürlich absehbar, dass es für das berechtigte Anliegen keine Mehrheit geben wird. Es tut mir daher Leid, dass in den Menschen Hoffnungen geweckt worden sind, die mit dem Ergebnis der Abstimmung, die gleich ansteht, enttäuscht werden.
(Sebastian Edathy [SPD]: Wer hat denn die
Hoffnungen geweckt?)
Das ändert aber nichts daran, dass das Anliegen gerechtfertigt ist. Deswegen werden wir dem Gesetzentwurf zustimmen.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Diese Hoffnung haben aber nicht
wir geweckt!)
Rede vom 23.10.2003
Dr. Max Stadler (FDP):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren!
Der Bundesgrenzschutz arbeitet gut und erfolgreich.
(Martin Hohmann [CDU/CSU]: Das ist wahr!)
Damit dies auch in Zukunft so bleibt – auch nach der EU-Osterweiterung –, gilt das, was die FDP ansonsten im Bereich der inneren Sicherheit als Maxime vertritt.
Wir brauchen die drei Säulen: eine optimale technische, finanzielle und personelle Ausstattung des Bundesgrenzschutzes.
(Beifall bei der FDP)
Dann kommt lange nichts. Erst danach kommt die Frage, ob denn neue gesetzliche Bestimmungen notwendig sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, leider zeigen Sie immer die Tendenz, diese letzte, in Wahrheit nachrangige Frage überzubetonen. Wenn man Ihre Anträge liest, dann erkennt man, dass Sie dauernd Gesetzesänderungen fordern, die man nur zum Teil
braucht und die daher manchmal entbehrlich sind.
(Beifall bei der FDP)
Ich komme zurück zur Ausstattung. Erstens die technische Ausstattung.
Herr Staatssekretär,
heute vertreten Sie die Bundesregierung. Sie sind von einem etwas duldsameren Naturell als der Minister,
(Heiterkeit bei der FDP und der CDU/CSU –
Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Was soll denn
das heißen, Herr Stadler?)
sodass ich wage, folgenden Punkt anzusprechen: Wir brauchen so schnell wie möglich eine optimale Ausstattung des Bundesgrenzschutzes im Bereich des Digitalfunks.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Das ist kein Vorwurf an die Bundesregierung, sondern eine Willenserklärung von uns allen, dass Sie im Bund und wir in den Ländern, in denen wir Mitverantwortung tragen, dafür sorgen, dass diese Technik endlich eingeführt und der versprochene Zeitpunkt – nämlich zur Fußballweltmeisterschaft 2006 – auch eingehalten wird.
Zweitens die finanzielle und personelle Ausstattung. Das ist schon ein kritischer Punkt in Zeiten, in denen die öffentliche Hand sparen muss. Die FDP ist der Meinung, dass die Motivation, auch beim Bundesgrenzschutz, durch einseitige Sparmaßnahmen wie etwa die Abschaffung oder Einschränkung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld nicht gefördert wird. Das heißt nicht, dass man bei den Personalausgaben nicht sparsam sein sollte. Aber der Kollege Burgbacher hat vor wenigen Wochen an dieser Stelle ein neues Konzept für eine moderne Beamtenbesoldung vorgestellt, das mehr auf Flexibilität und Leistungsanreize setzt. Auch im Zusammenhang mit der Zukunft des Bundesgrenzschutzes ist es notwendig, dass wir endlich darüber diskutieren und
dass endlich die Anhörung dazu durchgeführt wird, die wir schon lange verlangen.
(Beifall bei der FDP – Dr. Dieter Wiefelspütz
[SPD]: Wir bereiten sie doch vor!)
Meine Damen und Herren, in diesen Zusammenhang gehört übrigens auch die Modernisierung der Beförderungsrichtlinien, die vom Bundesgrenzschutz-Verband
zu Recht angemahnt wird.
Dagegen haben wir wenig Bedarf an neuen Gesetzen. Es ist richtig: Wenn die Kontrollen an der Grenze zwischen Tschechien und Polen wegfallen, wird eine Schleierfahndung
im 30-Kilometer-Grenzraum erforderlich werden. Das sehen auch wir so. Aber die Fortführung der verdachtsunabhängigen Kontrollen, die die CDU/ CSU in ihrem Antrag von letzter Woche befristet, in dem heute vorliegenden Antrag unbefristet fordert – da ist die
Koordinierung nicht ganz geglückt –,
(Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Ein bisschen
widersprüchlich!)
muss mit einer kritischen Diskussion darüber verbunden werden, dass die verdachtsunabhängigen Kontrollen Grenzkontrollen ersetzen sollen und es deshalb einen
Bezug dazu geben muss.
(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Er spricht mir aus der Seele!)
Da scheint uns das momentan geltende Recht verbesserungsbedürftig. Dazu werden wir im Ausschuss Ausführungen machen.
(Beifall bei der FDP)
Mein letzter Punkt.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Nein, Herr Kollege Stadler, Ihre Redezeit ist schon
überschritten.
Dr. Max Stadler (FDP):
Ich komme zum Schluss. – In Richtung CDU/CSU sage ich: Ihren pauschalen Vorschlägen, dass zum Beispiel die Kompetenzen des Bundesgrenzschutzes an Bahnhöfen und Flughäfen ausgeweitet werden sollten, werden wir sicher nicht zustimmen. Da müssen Sie schon sagen, wie, was und warum.
(Beifall bei der FDP)
Rede vom 24.10.2003
Dr. Max Stadler (FDP):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Wir haben es heute mit dem seltenen Fall zu tun, dass gleich ein Antrag abgelehnt werden wird, nämlich der Antrag der CDU/CSU, (Dr. Ole Schröder [CDU/CSU]: Warum das
denn?) dieser Antrag aber dennoch einen politischen Erfolg bewirkt hat, den die Antragsteller beabsichtigt haben.
Wir von der FDP werden diesen Antrag ablehnen, denn er hat zum Inhalt, dass das geltende deutsche Asyl- und Ausländerrecht als verbindliche Verhandlungsposition für Verhandlungen der Bundesregierung auf EU-Ebene festgeschrieben werden soll.
(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Auf Max Stadler ist Verlass!)
Ohne auf den Inhalt einzugehen, muss ich doch daran erinnern, dass es immer die gemeinsame Haltung aller Fraktionen des Hohen Hauses gewesen ist, vernünftigerweise
einer Bundesregierung bei Verhandlungen mit etlichen anderen Mitgliedstaaten auf EU-Ebene einen gewissen Verhandlungsspielraum zu gewähren. (Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Es versteht sich doch von selbst, dass wir für ein europäisches Asylrecht sind. Dieses kann aber nur dann zustande kommen, wenn Kompromisse geschlossen werden. Von daher haben wir die Idee, die früher bei den Grünen eine Rolle gespielt hat, nämlich die Bundesregierung mit einem imperativen Mandat nach niederländischem Beispiel völlig zu binden, immer abgelehnt. (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: So schlecht ist das doch nicht!)
Daher werden wir auch Ihren Antrag ablehnen.
(Beifall bei der FDP)
Gleichwohl, meine Kollegen von der CDU/CSU, haben Sie bei der Bundesregierung offenbar Wirkung erzielt. Denn wir stellen fest, dass die Bundesregierung bzw. Minister Schily in den Verhandlungen über die beiden entscheidenden Richtlinien, um die es jetzt geht – dabei handelt es sich um die Richtlinie zur Definition des Flüchtlingsstatus, die so genannte Qualifizierungsrichtlinie, und um die Asylverfahrensrichtlinie –, in Brüssel sehr, sehr vorsichtig agiert. (Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er ist sehr vorsichtig! – Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Kraftvoll!)
Ich stelle aus Sicht der FDP fest, dass zum Beispiel die Qualifizierungsrichtlinie verabschiedungsfähig wäre. Alle Mitgliedstaaten sind sich einig, aber der Vorbehalt der Bundesregierung verhindert die Verabschiedung dieser wichtigen Richtlinie.
(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Ich stimme Ihnen darin ausdrücklich zu!)
Es war immer die Position von Edzard Schmidt- Jortzig, dem ehemaligen Justizminister, und der FDP-Fraktion, dass nichtstaatliche und geschlechtsspezifische Verfolgung für den Flüchtlingsbegriff mit maßgebend sein muss.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Nichts anderes steht in dieser Richtlinie. Deswegen würden wir die Bundesregierung ermutigen, an dieser Stelle einen Schritt voranzugehen. Dies geschieht aber nicht – in diesem Zusammenhang bin ich anderer Meinung als Frau Akgün –, weil die Bundesregierung die Verhandlungen über das Zuwanderungsgesetz, die morgen beginnen, im Hinterkopf hat. Minister Schily will dieses Gesetz durchsetzen
(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Wir auch!)
und braucht dafür die CDU/CSU.
(Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Stimmt das,
Herr Koschyk? Brauchen Sie uns? – Gegenruf
des Abg. Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Darüber
reden wir morgen!)
Aus diesem Grund – das war Ihr politisches Anliegen – scheuen Sie sich, die auf EU-Ebene bereits vollendeten Tatsachen auch auf Bundesebene umzusetzen. Dadurch haben Sie eine Wirkung erzielt, die ich allerdings nicht für besonders glücklich halte.
(Beifall bei der FDP)
Denn es geht auch um die Asylverfahrensrichtlinie. In diesem Zusammenhang erwecken Sie immer wieder den Eindruck, Herr Grindel, diese Richtlinie würde dazu führen, dass der Asylkompromiss der Bundesrepublik Deutschland von 1993 ausgehebelt würde.
(Dr. Ole Schröder [CDU/CSU]: Selbstverständlich!
Das hat doch der Gutachter
gesagt! – Reinhard Grindel [CDU/CSU]: In
der Anhörung ist das klar gesagt worden!)
– Hören Sie einmal zu, Herr Grindel! – Die Anhörung hat bereits vor mehreren Wochen stattgefunden. Mittlerweile hat sich der Verhandlungsstand verändert. Es geht um das Konzept der sicheren Drittstaaten. Dies bedeutet, dass ein Asylsuchender, der aus einem sicheren Drittland kommt, in dem die Standards der Menschenrechtskonvention, der Europäischen Flüchtlingskonvention und eines rechtsstaatlichen Asylverfahrens eingehalten werden, keinen Anspruch auf Asyl in Deutschland oder Frankreich hat, sondern darauf verwiesen werden kann, sein Asylbegehren in dem Land vorzubringen, aus dem er kommt. (Zuruf von der FDP: So ist es!)
Meine Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, es ist sozusagen die dialektische Umkehrung Ihres Anliegens eingetreten. Auf EU-Ebene wird jetzt in einer Weise diskutiert, durch die dieses rechtsstaatliche Merkmal nicht mehr gesichert ist. Denn nach der neuesten
Entwicklung der Diskussion soll auch die Zurückweisung von Asylsuchenden in solche Länder möglich werden, die nicht die Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnet haben.
(Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Sehr richtig! –
Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Genau!)
Man muss beinahe Ihrem Antrag zustimmen, wenn Sie verlangen, Schily möge auf EU-Ebene das deutsche Recht durchsetzen; denn dieses ist rechtsstaatlicher als das, was in der EU neuerdings diskutiert wird.
(Beifall bei der FDP – Dr. Dieter
Wiefelspütz [SPD]: Was haben Sie denn beantragt,
Herr Grindel? – Josef Philip Winkler
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das verstehe
ich aber von der CDU/CSU nicht!)
Ich würde es begrüßen, wenn Sie von der CDU/CSU sich ebenfalls so vehement dafür einsetzen würden, unsere rechtsstaatlichen Grundsätze auf EU-Ebene umzusetzen.
Ich möchte zum Schluss noch eines feststellen: Die gesamte Debatte ist nur der Prolog zu den Verhandlungen über das Zuwanderungsgesetz. Dazu will ich nur eine Bemerkung machen, Herr Grindel. Zum wiederholten Male versuchen Sie, im Deutschen Bundestag den Eindruck zu erwecken, als wäre mit einem Zuwanderungsgesetz eine automatische Zunahme der Zuwanderung nach Deutschland verbunden.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN – Reinhard Grindel [CDU/CSU]:
Das ist doch richtig!)
Das lassen wir Ihnen nicht mehr durchgehen. Sie wissen ganz genau, dass mit dem Gesetzentwurf, den auch die FDP unterstützt – das kommt in unserem Kompromissvorschlag deutlich zum Ausdruck –, ein Instrumentarium geschaffen werden soll, das eine gesteuerte Zuwanderung auf den deutschen Arbeitsmarkt ermöglicht, wenn es erforderlich ist, das es aber auch so beschaffen ist, dass die Zuwanderung auf null zurückgefahren werden kann. Darüber entscheiden der Bundestag und der Bundesrat. Das, was Sie vorgaukeln, entspricht also in keiner Weise der Wirklichkeit.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich möchte wie Frau Akgün die Gelegenheit nutzen, an Rot-Grün und die CDU/CSU zu appellieren: Lassen Sie uns in der morgigen Sitzung der Arbeitsgruppe des Vermittlungsausschusses den ernsthaften Versuch machen, für die Zuwanderung auf den Arbeitsmarkt ein vernünftiges Instrumentarium zur Verfügung zu stellen, die humanitären Regelungen der Genfer Flüchtlingskonvention in Deutschland beizubehalten und – das ist unser gemeinsames Ziel – für mehr Integration in Deutschland zu sorgen.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Rede vom 05.11.2003
Dr. Max Stadler (FDP):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Wir erleben wieder einmal den Unterschied zwischen einer Parlamentsdebatte und einem Gerichtsverfahren: Im Gerichtsverfahren kann der Angeklagte seinen Verteidiger wenigstens selbst wählen. Herr Kollege Wend, ich bin sicher, dass Burkhard Hirsch Sie nicht als Verteidiger gewählt hätte.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Sie haben in dieser Aktuellen Stunde damit begonnen – das war zu befürchten –, gegenseitige Schuldzuweisungen in Bezug auf Vorgänge, die wir in der letzten Legislaturperiode behandelt haben, vorzunehmen. (Ute Kumpf [SPD]: Wir wollten diese Aktuelle Stunde nicht!)
Worum geht es eigentlich? Die CDU/CSU hat diese Aktuelle Stunde beantragt, weil die Staatsanwaltschaft Bonn die Ermittlungen wegen Aktenvernichtungen und Datenschwund im Kanzleramt eingestellt hat. Welche Konsequenzen ergeben sich daraus? Dazu muss ich Ihnen, meine Kolleginnen und Kollegen von der CDU/ CSU, allerdings sagen: Sie – weder Sie, Herr von Klaeden, noch der CSU-Landesgruppenvorsitzende, Michael Glos – haben mit Verbalinjurien im Vorfeld dieser Aktuellen Stunde nicht gespart.
(Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: Zu Recht!)
Ich zitiere aus einer AP-Meldung von gestern eine Aussage von Michael Glos:
Diejenigen, die die Behauptungen aufgestellt hätten, seien jetzt als Lügner entlarvt worden. Sowohl Bundeskanzler Gerhard Schröder als auch sein – man beachte die Wortwahl – Helfershelfer Hirsch stünden als Verleumder da.
(Christine Lambrecht [SPD]: Das ist unerhört! –
Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Eine Tatsache ist das!)
Das sind starke Worte. Ich sage Ihnen eines: Starke Worte deuten oftmals auf schwache Fakten und Argumente hin.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Genau so ist es. Tatsache ist: Der Untersuchungsausschuss der letzten Legislaturperiode hat ergeben, dass der Vorwurf, die Regierung Kohl/Genscher sei politisch korrupt gewesen, nicht erwiesen ist und nicht zutrifft. Deswegen war es gerade für mich, der ich dieses Ergebnis hier immer verteidigt habe, besonders ärgerlich, dass die Aktenführung im Kanzleramt in Bezug auf diejenigen Punkte, die in diesem Untersuchungsausschuss zu klären waren, Auffälligkeiten aufwies. Es geht um das Thema „Panzerlieferungen nach Saudi-Arabien“, es geht um die Leuna- Akten und es geht allgemein um den Datenbestand im Kanzleramt.
Eine weitere Tatsache ist – das lässt sich nicht leugnen –, dass die Originale von sechs Aktenbänden zu Leuna im Kanzleramt fehlen. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Wo sind die denn? – Reinhard
Grindel [CDU/CSU]: Nein! Die lagen dem
Untersuchungsausschuss vor!)
Es fehlen die Kopien. Es existieren Zweitkopien, die man aus dem Bundesfinanzministerium hat. Heute kann man daher nicht mehr rekonstruieren, ob die Zweitkopien mit dem Original übereinstimmen. Ich möchte auf den Vorgang „Lieferung von Spürpanzern nach Saudi-Arabien“ zu sprechen kommen. Da weist die Akte im Bundeskanzleramt eine auffällige zeitliche Lücke von zweieinhalb Jahren auf. Diese Lücke
betrifft genau den Zeitraum, in dem die damalige Bundesregierung – übrigens aus nachvollziehbaren außenpolitischen Gründen – entschieden hat, dass entgegen der
früheren Praxis diese Panzerlieferung genehmigt wird. Die Akte lebt, wie man so sagt, vorher und sie lebt nachher. Also ist es auffällig, dass es diese Lücke gibt. Zu dem Datenschwund sage ich Ihnen: Es ist nach wie vor so, dass es beim Regierungswechsel 1998 einen Datenschwund von mindestens 1 Gigabyte im Kanzleramt
gegeben hat.
(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: 3 Gigabyte!)
Das entspricht, um es anschaulicher darzustellen, etwa 250 000 beschriebenen Schreibmaschinenseiten. Wenn all dies sich so verhält – das ist nach wie vor so –, dann bestand aller Anlass, da genauer hinzuschauen und Vorermittlungen zu führen. Mit diesen Vorermittlungen ist Burkhard Hirsch beauftragt worden. Er hat sie nach Recht und Gesetz durchgeführt. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
Jetzt argumentieren Sie, daran, dass die Staatsanwaltschaft das Verfahren eingestellt habe, sehe man, dass es sich um eine große Inszenierung handele (Zuruf von der CDU/CSU: Das war es doch auch!) und an all dem nichts dran sei. Damit verkennen Sie völlig, dass es ein totaler Unterschied ist, ob man, wenn es gewisse Verdachtsmomente gibt, die ich Ihnen dargestellt habe, in Vorermittlungen eintritt – übrigens Vorermittlungen
zu Disziplinarverfahren; die eigentlichen Disziplinarverfahren sind von Burkhard Hirsch gar nicht durchgeführt worden, weil er das als Nichtbeamter ja gar nicht hätte machen können – oder ob eine Staatsanwaltschaft am Ende langwieriger Ermittlungen zu dem Ergebnis
kommt, keine Anklage erheben zu wollen.
Das kann viele Gründe haben. Das kann den Grund haben, dass zwar Akten vernichtet oder aus dem Kanzleramt mitgenommen worden sind, die dort hätten bleiben müssen, aber der Vorsatz bei demjenigen, der das gemacht hat, nicht nachweisbar war, weil der gar nicht wusste, dass er sie dort hätte belassen müssen. Das kann den Grund haben, dass Daten gelöscht worden sind, aber man nicht mehr feststellen kann, ob möglicherweise die Berechtigten mit der Löschung einverstanden waren. (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Sagen Sie doch, was die Staatsanwaltschaft festgestellt hat!)
Das kann etwa zum Grund haben – ich beziehe mich auf die Panzerlieferungen –, dass man nach zehn oder zwölf Jahren nicht mehr feststellen kann, ob es dazu einmal Originalakten gegeben hat, und man jetzt nicht mehr klären kann, ob solche Originalakten vernichtet worden sind. Natürlich gilt in all diesen Fällen der Satz: in dubio pro reo.
Meine Damen und Herren, wenn eine Staatsanwaltschaft, Ermittlungen einstellt, dann freut mich das für die betroffenen Beschuldigten. Es wäre ungut gewesen, wenn es notwendig gewesen wäre, hohe Beamte wegen Aktenvernichtung und Urkundenunterdrückung vor Gericht zu stellen. Das heißt aber nicht, dass alles in Ordnung gewesen ist. In Wahrheit heißt das: Es gab Anlass, genauer hinzuschauen. Genau das hat Burkhard Hirsch gemacht. Deswegen sollten Sie ihm gegenüber zu einem
zivilisierten Umgangston zurückkehren.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Rede vom 14.11.2003
Dr. Max Stadler (FDP):
Der Bundestag versäumt heute eine große Chance, einen prinzipiellen Fehler des § 22 BGS zu beheben. Auch die FDP wollte nach Öffnung der Grenzen keine Sicherheitslücken und hat daher 1998 der Einführung verdachtsunabhängiger Kontrollen als Ersatz für Grenzkontrollen zugestimmt. Wir verkennen auch nicht, dass durch die neuen Befugnisse des BGS-Gesetzes viele Aufgriffe vorgenommen worden sind. Dennoch werden wir der bloßen Verlängerung dieser Vorschrift heute nicht zustimmen, sondern uns der Stimme enthalten. Zum einen hat es keine echte Evaluierung gegeben,sondern lediglich einen Erfahrungsbericht der Bundesregierung. Bei der Neueinführung 1998 hatte die FDP eine Befristung auf fünf Jahre durchgesetzt, damit die Erfahrungen gründlich ausgewertet werden können. Dies ist nicht geschehen. Rot-Grün ist offenbar derselben Meinung, denn sonst wäre der Evaluierungsantrag der Koalitionsfraktionen für das Jahr 2008 nicht verständlich. Entscheidend dafür, dass die FDP heute nicht mit Ja stimmt, ist aber ein anderer Gesichtspunkt. Verdachtsunabhängige Kontrollen im Inland sollten – so die Grundidee– an die Stelle der früheren, ebenfalls verdachtsunabhängigen
Grenzkontrollen treten. Die vorliegende Regelung geht aber weit darüber hinaus, weil sie verdachtsunabhängige Kontrollen in Bahnanlagen und Zügen im gesamten Inland erlaubt. Unserer Meinung nach müssten diese Kontrollen auf einen kilometermäßig begrenzten Bereich entlang der Grenzen sowie auf die Flughäfen beschränkt werden, denn verdachtsunabhängige Kontrollen sind im deutschen Polizeirecht ein
Fremdkörper, sodass sie nur bei engem, auch räumlichen Grenzbezug vertretbar erscheinen.
Im Verfassungsstaat ist nicht der Bürger polizeipflichtig, sondern es muss immer ein konkreter Anlass für polizeiliches Einschreiten bestehen; sonst würden wir auf den Stand des preußischen Polizeirechts von 1850 zurückfallen.
Herr Kollege Wiefelspütz hat bei der Beratung im Innenausschuss die These formuliert, heute müsste angesichts erhöhter Bedrohungen eine abstrakte Gefahr ausreichen, um polizeiliche Eingriffe zu rechtfertigen. Eine solche These bedeutet eine gefährliche Abkehr vom klassischen Polizeirecht unter Geltung des Grundgesetzes.
Es ist ein elementarer Grundsatz, dass niemals von einer Aufgabe auf eine polizeiliche Befugnis geschlossen werden darf, wie dies Herr Wiefelspütz tut.
Die Aufgabe ist klar: Unterbindung grenzüberschreitender Kriminalität. Die Befugnis muss exakt darauf abgestellt und begrenzt sein. Deshalb hätte § 22 BGS dahin gehend geändert werden müssen, dass verdachtsunabhängige Kontrollen ausschließlich bei eindeutigem Grenzbezug erlaubt sind. Andernfalls wäre es ehrlicher, wenn der Gesetzgeber verdachtsunabhänige Kontrollen schlechthin zulassen
würde. Dies wollen wir nicht und die Koalition will dies angeblich auch nicht. Die Regelung, die heute mit den Stimmen der Koalition und der Union verlängert wird, ist aber nichts anderes als eine verdeckte Erlaubnis für schrankenlose verdachtsunabhängige Kontrollen.
Rede vom 14.01.2004
Dr. Max Stadler (FDP):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
An meinem Tonfall werden Sie bemerken, dass ich aus Bayern komme und nicht aus Nordrhein-Westfalen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Trotzdem sage ich: Das Bundeskriminalamt hat bisher hervorragende Arbeit geleistet. Das kann und soll so bleiben an den Standorten Meckenheim, Wiesbaden und
Berlin.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Auch als Oppositionspartei hat die FDP die Politik des Ministers Schily immer konstruktiv begleitet. Erst diese Woche haben wir Ihnen zugestimmt, Herr Schily und Ihnen Unterstützung für Ihre Pläne zur Modernisierung des öffentlichen Dienstes zugesagt. Die Unterstützung kann sich aber nur auf vernünftige Entscheidungen beziehen. Was den Umzug und die Zentralisierung des Bundeskriminalamts anbelangt, melden wir entschiedenen Widerspruch an.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Unser Widerspruch bezieht sich sowohl auf das Verfahren, wie die Entscheidung getroffen worden ist, als auch auf den Inhalt der Entscheidung. Das Verfahren war ein Dekret von oben herab. Dieser Stil, ohne mit den Betreffenden zu sprechen und ohne sich mit dem Parlament ins Benehmen zu setzen, ist nicht akzeptabel, auch wenn es sich um eine Exekutiventscheidung des Ministers handelt.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Wer die besseren Argumente hat, kann von Anfang an offen informieren und diskutieren. Das ist aber in diesem Fall nicht geschehen.
Herr Minister Schily, gestatten Sie mir eine kleine Polemik. Ihnen haftet seit vielen Jahren das Etikett der Toskanafraktion an; (Hans-Peter Kemper [SPD]: Keine Diffamierungen!)
ob zu Recht oder zu Unrecht, weiß ich nicht. Ich glaube, mit diesem Verfahren sind Sie leider, wenn auch zu Unrecht, auf dem besten Weg, noch einer anderen Assoziation
Vorschub zu leisten, nämlich der Erinnerung an Niccolò Machiavelli, den Theoretiker der Machtpolitik aus der Renaissance. Ich glaube, eine solche Assoziation ist nicht das, was Sie erstreben. Ich habe Sie bisher eher so verstanden, dass Sie sich gerne als ein Förderer der Künste und Wissenschaften wie Cosimo de. Medici sehen, der als Pater Patriae, Vater des Vaterlands, bezeichnet wurde. Aber patriarchalische Entscheidungen
passen eben nicht mehr in die Moderne. (Beifall bei der FDP . Dr. Guido Westerwelle
[FDP]: Das war jetzt Bildung, wegen der Eliten und so! . Heiterkeit bei der FDP und der
CDU/CSU . Gegenruf von der SPD: Die FDP hat nur ein Schmalspurprogramm!)
Ich komme zum Inhaltlichen: Wenn Sie die besseren Argumente gehabt hätten, dann hätten Sie, wie gesagt, offen über Ihr Vorhaben informieren können. Aber was die Arbeit des Bundeskriminalamts angeht, hat die Praxis auch nach dem 11. September gezeigt, dass die sich durch die schwieriger gewordene Sicherheitslage ergebenden Herausforderungen gemeistert worden sind. Infolgedessen trägt derjenige, der für eine Verlegung des Bundeskriminalamts nach Berlin plädiert, die Beweislast dafür, dass dieser Umzug und die damit verbundene Zentralisierung notwendig sind.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Ulrich Kelber
[SPD])
Wir sind schließlich nicht in der Situation, dass diese Behörde neu zu schaffen und zunächst über ihren künftigen Standort zu entscheiden wäre. In diesem Fall hätte
die Behörde ihren Sitz durchaus in Berlin bekommen können. Aber die Behörde existiert bereits und sie arbeitet erfolgreich. Wer ihren Sitz verlegen will, muss begründen, warum das zwingend erforderlich ist. Eine solche zwingende Notwendigkeit sehen wir nicht.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Darin liegt auch ein Unterschied zum Umzug des Bundesnachrichtendienstes. Bei diesem konnte man durchaus anderer Meinung sein. Aber, das wissen
wahrscheinlich viele nicht, ein Großteil der Arbeit des Bundeskriminalamts besteht nicht in der Beratung der Bundesregierung, die vor Ort erfolgen muss. Vielmehr besteht ein Großteil der Arbeit aus reiner Ermittlungstätigkeit und der Zusammenarbeit mit den Landespolizeien und mit Europol, die von jedem Standort in der Bundesrepublik, das heißt, auch in Meckenheim oder in Wiesbaden, mit demselben Erfolg geleistet werden
kann.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Der Begriff der Staatssicherheit, die nach Berlin kommen soll, verleitet viele dazu, zu glauben, es gehe dabei um die Bewachung von Gebäuden, Regierungsbehörden
und Ähnlichem. Dabei handelt es sich aber um nichts anderes als die Aufklärung von terroristischen Aktivitäten und den Schutz vor terroristisch Anschlägen, die zur polizeilichen
Ermittlungsarbeit gehören und auch in der Zuständigkeit der Polizeien bleiben sollen.
Ich möchte einen letzten Gesichtspunkt erwähnen. Zurzeit gibt es eine Föderalismuskommission, in der wir gemeinsam darüber diskutieren, welche zusätzlichen Kompetenzen den Ländern eingeräumt werden sollen.
Es bildet einen Widerspruch dazu, wenn eine dezentral arbeitende, bewährte Behörde . wenn auch eine Bundesbehörde, nach Berlin geholt werden soll. Dafür gibt es
keine Notwendigkeit.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Rede vom 15.01.2004
Rede im Plenum des Deutschen Bundestages
Das Anliegen, möglichst viel an Sprachfördermaßnahmen für jugendliche Aussiedler und Spätaussiedler vorzusehen, ist nicht allein ein berechtigter Wunsch der antragstellenden CDU/CSU-Bundestagsfraktion, sondern wird in vollem Umfang von der FDP-Bundestagsfraktion geteilt. Es besteht allgemeine Einigkeit, dass die Kenntnis der deutschen Sprache sowie das Erreichen qualifizierter Schulabschlüsse wesentliche Voraussetzungen für eine erfolgreiche Integration sind. Gerade auch die heutige Generation von Spätaussiedlerfamilien bereitet mehr Probleme, als dies Anfang der 90er Jahre der Fall war, da im Gegensatz zu damals die überwiegende Zahl der mitreisenden Familienangehörigen derzeit keine Deutschkenntnisse mitbringt.
Ausgrenzung aufgrund fehlender Kommunikation als Folge der mangelnden Sprachkenntnisse führt aber beinahe zwangsläufig zu sozialen Problemen.
Wir sind es daher den jungen Ausländern und den Spätaussiedlern schuldig und haben als deutsche Gesellschaft auch ein eigenes Interesse daran, dass umfängliche Integrationsmaßnahmen fortgeführt werden.
Hierüber wird morgen erneut in der Arbeitsgruppe des Vermittlungsausschusses zum Zuwanderungsgesetz zu sprechen sein. Dort geht es auch um die Kostenverteilung zwischen Bund und Ländern. Die FDP wird in diesen Beratungen versuchen, einen Beitrag zur Kompromissfindung zu leisten. Mit einem Gesamtkonzept zur Zuwanderung könnte auch die Frage der Integration von Ausländern und Spätaussiedlern besser gelöst werden. Wir stimmen daher dem heute zu beratenden Antrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu, appellieren aber gleichzeitig an die Union, den Kompromiss für ein Zuwanderungsgesetz nicht länger zu blockieren.
Rede vom 12.02.2004
Der heute zu beratende Antrag der CDU/CSU befasst sich mit dem Bombenfund im Dresdner Hauptbahnhof an Pfingsten 2002. Es wird gefordert, die Sicherheit auf Bahnhöfen zu verbessern und insgesamt die Videoüberwachung gefährdeter öffentlicher Plätze auszuweiten.
Glücklicherweise wurde der Koffer mit Sprengstoff in Dresden noch rechtzeitig gefunden, bevor eine Katastrophe eingetreten ist.
Es stellt sich allerdings die Frage, ob mit einer besseren Videoüberwachung dieser Vorfall tatsächlich hätte verhindert werden können. Dies müsste erst einmal näher untersucht werden.
Unabhängig davon hat die FDP-Bundestagsfraktion zur Videoüberwachung öffentlicher Plätze stets nicht etwa eine grundsätzlich ablehnende Position vertreten, sondern schon immer eine differenzierte Meinung gehabt.
Bahnhöfe wie der Dresdener Hauptbahnhof gehören ohne Zweifel zu den besonders gefährdeten Objekten. Dies gilt sowohl in Bezug auf Anschläge als auch hinsichtlich sonstiger Kriminalität wie z.B. Taschendiebstähle.
Deshalb ist die Videoüberwachung solcher Bahnhöfe längst Alltagspraxis. Das Bundesdatenschutzgesetz regelt in ausreichender Weise Zulässigkeit und Modalitäten. Eine Gesetzesänderung ist nicht erforderlich.
Ebenso ist beispielsweise die Überwachung von U-Bahnhöfen längst eine Routinemaßnahme und trägt zur Erhöhung des subjektiven Sicherheitsgefühls der Bürgerinnen und Bürger und der objektiven Sicherheit bei.
Umgekehrt muss aber wesentlich sensibler, als dies im Antrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zum Ausdruck kommt, auch über die Grenzen von Videoüberwachungen in einem Rechtsstaat nachgedacht werden. Dies FDP hat daher stets eine flächendeckende Videoüberwachung abgelehnt. Ein übertriebener Einsatz dieser Technik ist für uns in einem freiheitlichen Rechtsstaat nicht vorstellbar.
Zudem stellen sich auch praktische Probleme. In einer Anhörung des Innenausschusses aus der letzten Legislaturperiode hat sich eindeutig gezeigt, dass als Ergebnis von Videoüberwachungen häufig nur die Verlagerung von Kriminalität auf andere Tatorte stattfindet. Gerade ein Modellversuch in Bayern, dessen CSU geführte Staatsregierung sehr auf die Ausdehnung der Videoüberwachung setzt, hat in Regensburg keine besonders guten praktischen Erfahrungen gebracht.
Deshalb ist es der richtige Weg, diejenigen öffentlichen Plätze, bei denen wegen einer besonderen Gefährdungslage oder wegen besonderen Häufung von Straftaten eine Videoüberwachung in Betracht kommt, sehr sorgfältig auszuwählen. Selbstverständlich sind hinsichtlich der Datenspeicherung und Datenverwertung die hohen Schutzstandards des deutschen Datenschutzrechtes zu beachten.
Insgesamt gilt aber: Die Videoüberwachung ist in manchen Fällen eine nützliche ergänzende polizeiliche Maßnahme. Noch besser als der Einsatz von Technik ist aber die persönliche Präsenz von Polizeibeamten an Gefährdungs- und Kriminalitätsschwerpunkten.
Rede vom 03.03.2004
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode
93. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 3. März 2004
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Das Wort hat der Kollege Dr. Max Stadler, FDP-Fraktion.
Dr. Max Stadler (FDP):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Diese von der CDU/CSU-Fraktion beantragte Aktuelle Stunde hat einen sachlichen Aspekt, den wir als FDP ausdrücklich teilen, aber auch einen leicht durchschaubaren politischen Zweck. Der politische Zweck besteht darin – auch das ist durchaus die Aufgabe einer Oppositionspartei –, zu versuchen, in letzter Zeit verstärkt, Bundesinnenminister Otto Schily als Unsicherheitsminister hinzustellen. Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, auch wenn die FDP ebenfalls in Opposition zu Schily steht – diesen Vorwurf kann man ihm nicht machen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
Unsere Sorge ist eher, dass die schwierige Balance zwischen innerer Sicherheit und innerer Liberalität bei diesem Innenminister und dieser Koalition nicht in besten Händen ist.
(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch, ist sie!)
Ich finde, die heutige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum großen Lauschangriff sollte uns allen eine Mahnung sein, die Aspekte des Grundrechtsschutzes in diesem schwierigen Spannungsfeld wieder stärker zu betonen.
(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Sie haben das
nicht mitgetragen? - Reinhard Grindel [CDU/
CSU]: Sie waren nicht dabei, Herr Stadler?)
Die FDP hat es mitgetragen. Ich habe ausdrücklich gesagt: Wir alle sollten in diesem schwierigen Spannungsfeld, in dem es darum geht, die innere Sicherheit zu gewährleisten, ohne dabei die innere Liberalität zu verlieren, versuchen, die Gewichte richtig zu setzen. Sie werden doch wohl nicht bestreiten, Herr Grindel, dass das unsere Aufgabe ist.
(Beifall bei der SPD)
In der Sache selbst, dass es am Münchner Flughafen offenkundig Kontrolllücken gegeben hat, die in keiner Weise akzeptiert werden können, hat die Union Recht.
Wir haben vor kurzem hier in diesem Hohen Hause über das Luftsicherheitsgesetz diskutiert und über die Frage - da sind wir mit unserer Diskussion noch nicht am Ende -, ob im Extremfall ein Flugzeug sogar abgeschossen werden darf, wenn es als Waffe gegen Menschen oder Gebäude eingesetzt wird. In der damaligen Diskussion hat Schily zu Recht gesagt: Es kommt im Luftverkehr darauf an, dass die Kontrollen am Boden optimal sind. Das schafft Sicherheit und gilt sowohl für die Kontrollen beim Einsteigen in ein Flugzeug als auch für die Einreisekontrollen. Deswegen fordern wir als FDP: Da dürfen Lücken nicht geduldet werden. Die Lücken, die hier aufgetreten sind und offenbar auf Organisations- und Personalmängel zurückzuführen sind, werfen natürlich weitere Fragen auf. Derselbe Bundesinnenminister Otto Schily hat auf der letzten EU Innenministerkonferenz gegen die Haltung der EU Kommission biometrische Merkmale in Reisepässen durchsetzen wollen, darunter auch Fingerabdrücke. Ich frage mich, wer denn dann diese Fingerabdrücke kontrollieren soll,
(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Da haben Sie jetzt mal Recht, Herr Stadler!)
wenn jetzt schon die normale Passkontrolle nicht funktioniert.
Das führt mich des Weiteren zu einer Schlussfolgerung - Sie werden mir verzeihen, wenn ich auf einen Grundsatz Bezug nehme, den ich hier für die FDP häufig formuliert habe -: Es kommt für die innere Sicherheit offenbar nicht darauf an, dass man ständig neue Gesetze fordert oder neue Gesetze macht, sondern es kommt darauf an, dass man bestehende Vollzugsdefizite angeht.
(Beifall bei der FDP - Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)
Wir brauchen nicht ständig neue Gesetze, sondern wir brauchen eine optimale finanzielle, technische und personelle Ausstattung der Sicherheitsbehörden und der Polizei. Daran fehlt es offenbar. In der kurzen Zeit seit Montag - am Montag lief die entsprechende Fernsehsendung - haben natürlich auch wir versucht, zu recherchieren. In München sind offenbar 20 Stellen am Flughafen unbesetzt, rein praktisch sogar 50, am Stuttgarter Flughafen 75;
(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Aha!)
es gibt nach unseren Informationen in Frankfurt 200 bis 250 unbesetzte Dienstposten und es gibt Probleme an den Regionalflughäfen, etwa in Paderborn und Dortmund. Ich fordere die Bundesregierung auf, bei der heutigen Gelegenheit Stellung zu nehmen, ob dies zutrifft. Wenn das nämlich nur durch Abordnung gelöst werden kann, dann fehlen die abgeordneten Beamten woanders. Auch das kann nicht richtig sein.
(Beifall bei der FDP)
Wir sollten um optimale Arbeitsbedingungen für unsere Polizei bemüht sein. Die Aschermittwochsdemonstration am letzten Mittwoch in Passau, bei der alle drei Polizeigewerkschaften erstmals gemeinsam beim CSU Aschermittwoch
darauf hingewiesen haben, dass sich auch die Arbeitsbedingungen in Bayern drastisch verschlechtern, sollte auch eine Mahnung für uns sein, an dieser Stelle nicht nachzulassen. Insbesondere brauchen wir keine Wasserköpfe. Wir haben offenbar in vielen Bereichen zu viele Häuptlinge und zu wenig Indianer. Es ist unsere Aufgabe und Aufgabe der Bundesregierung, dafür zu sorgen, dass sich dies ändert, damit der Bundesgrenzschutz seine Aufgaben optimal erfüllen kann.
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP)
Rede vom 25.03.2004
Die FDP-Bundestagsfraktion hat am Dienstag einstimmig ihr Konzept zum Thema innere Sicherheit und Terrorismusabwehr im liberalen Rechtsstaat verabschiedet. Wir sind der festen Überzeugung, dass die innere Sicherheit im wesentlichen mit den schon bestehenden gesetzlichen Instrumentarien gewährleistet werden kann, wenn die Sicherheitsbehörden optimal personell, technisch und finanziell ausgestattet werden. Nur aufgrund einer Bestandsaufnahme der nach dem 11. September 2001 beschlossenen Anti-Terrorismus-Gesetze sollten wir über Gesetzesänderungen sprechen, wenn die Auswertung der Tatsachen ergibt, dass tatsächlich gesetzgeberischer Handlungsbedarf zur Schließung von Sicherheitslücken bestehen sollte. Es ist legitim, dass gerade nach den Anschlägen von Madrid am 11. März 2004 auch alte Vorschläge noch einmal zur Diskussion gestellt werden. Häufig zeigt aber eine nähere Betrachtung, dass falsche Argumente durch ständige Wiederholung nicht besser werden.
Dies gilt für die Zentralisierungspläne des Bundesinnenministers und insbesondere für seinen Vorschlag, die Landeskriminalämter in das Bundeskriminalamt einzugliedern.
Die FDP lehnt dies genauso ab, wie den heute zum wiederholten Male von der CDU/CSU eingebrachten Vorschlag, die Bundeswehr verstärkt im Inneren einzusetzen.
Für uns als Liberale gilt, dass wir bei allen Maßnahmen zur inneren Sicherheit darauf Wert legen, bewährte rechtsstaatliche Grundstrukturen nicht außer Kraft zu setzen.
Zu diesen Grundsätzen gehört für uns die klare Trennung der Aufgaben von Polizei und Bundeswehr. Die Bundeswehr gewährleistet unsere äußere Sicherheit; dies schließt auch die Überwachung des Luftraums ein.
Sie ist für polizeiliche Aufgaben nicht ausgebildet und nicht ausgerüstet.
Moderne Polizeiarbeit erfordert eine hochspezialisierte Ausbildung. Man kann nicht die Arbeit von Fachhochschulabsolventen ohne weiteres durch den Einsatz von anderen Berufsgruppen oder etwa von Wehrpflichtigen ersetzen.
Aus diesem Grund befinden wir uns in Übereinstimmung mit der ganz überwiegenden Zahl der Praktiker aus Bundeswehr und Polizei, die ebenfalls an der von uns vertretenen klaren Trennung dieser beiden Institutionen festhalten wollen.
Dagegen spricht auch nicht das oft zu hörende Argument, wenn die Bundeswehr im Ausland polizeiliche Aufgaben übernehmen könne, müsse sie dies auch im Inland tun dürfen.
Soweit die Bundeswehr im Ausland polizeilich tätig wird, geschieht dies unter Kriegsrecht in Staaten, in denen keine funktionierende Polizei existiert. Diese Situation ist selbstverständlich überhaupt nicht auf die Lage in der Bundesrepublik Deutschland übertragbar, so dass dieses Argument nicht zutrifft.
Richtig ist allerdings, dass der Polizei möglich sein muss, die Bundeswehr im Einzelfall um Hilfe und Mitarbeit zu bitten. Dies ist sinnvoll und daher längst in der Verfassung geregelt. Nach Artikel 35 GG darf die Polizei im Wege der Amtshilfe auf die Mitwirkung der Bundeswehr zurückgreifen. Diese Regelung reicht unserer Meinung nach aus.
Im übrigen wird sich der Innenausschuss des Bundestages mit einem speziellen Aspekt des Themas am 26. April 2004 in einer Sachverständigenanhörung befassen. Sollte - wogegen allerdings gewichtige Argumente sprechen - die Zulässigkeit des Abschusses von Passagierflugzeugen in einem Luftsicherheitsgesetz geregelt werden, dann muss zugleich entschieden werden, ob für diesen speziellen Fall eine Klarstellung in Artikel 35 GG einzufügen ist. Dies wird nach der Einholung des Rates von Sachverständigen zu entscheiden sein.
Ein praktisches Problem muss ebenfalls noch angesprochen werden: Von der Polizei wird immer wieder vorgetragen, dass die Personalkapazitäten insofern nicht richtig eingesetzt werden, als hochausgebildete Polizeibeamte die Bewachung von Liegenschaften übernehmen müssen. Man sollte daher darüber nachdenken, ob nach dem Modell von Berlin und Hamburg hierfür speziell ausgebildetes Wachpersonal eingesetzt wird. Auch dieser Gesichtspunkt zwingt uns somit nicht dazu, einem vermehrten Einsatz der Bundeswehr im Inneren das Wort zu reden.
Vielmehr ergäbe sich, wenn man dem Antrag der Union zustimmen würde, schon eine Veränderung der Qualität unseres Staatswesens, wie sie mit einer ständigen Präsenz der Bundeswehr im Inneren an Stelle der Polizei optisch sichtbar würde.
Wir sind der Meinung, dass der terroristischen Bedrohung mit einer gut organisierten und optimal ausgestatteten Polizei und mit der Hilfe der Arbeit unserer Geheimdienste wirksam begegnet werden kann.
Daher wird die FDP den Antrag der CDU/CSU nicht unterstützen.
Rede vom 05.06.2004
Rede von Dr. Guido Westerwelle auf dem 55. Ordentlichen FDP-Bundesparteitag
Anrede,
am 1. Mai haben wir die Wiedervereinigung Europas gefeiert. Mit dem Beitritt der mittel- und osteuropäischen Staaten wird die Spaltung Europas überwunden. Vor 15 Jahren waren hier in Dresden die Panzer und Raketen der Roten Armee stationiert. Heute ist Dresden Teil unseres wiedervereinigten Deutschlands. Es gibt hier keine sowjetische Armee mehr. Sie sind in Frieden abgezogen. Seit dem 1. Mai liegt Dresden in der Mitte eines vereinigten, freien und friedlichen Europas.
Frieden ist keine Selbstverständlichkeit. Wenn das gemeinsame Europa nicht mehr gebracht hätte als Frieden über Jahrzehnte, es hätte sich schon gelohnt. Die Aussöhnung Deutschlands mit dem Westen. Die Freundschaft zu unseren westeuropäischen Nachbarn, wir verdanken sie Politikern wie Theodor Heuss und Konrad Adenauer. Dass dem Freiheitswillen der Bürger in Ostdeutschland auch die staatliche Einheit folgte, verdanken wir Walter Scheel und Willy Brandt mit unserer neuen Ostpolitik. Wir verdanken sie Helmut Kohl, Hans-Dietrich Genscher, Otto Graf Lambsdorff und Klaus Kinkel und ihrem Wirken während der Wiedervereinigung Deutschlands. Sie haben die Einheit unseres Vaterlandes ebenso wenig aus den Augen verloren wie die Einheit Europas. Auch nicht zur Zeit des Kalten Krieges. Das ist die historische Leistung, derer, die vor uns Verantwortung getragen haben. Unsere Verantwortung heute ist es, den europäischen Integrationsprozess zu vertiefen. Unsere Aufgabe ist es, aus der politischen Wiedervereinigung Europas eine Freundschaft der Völker zwischen uns und unseren östlichen Nachbarn folgen zu lassen. Wir wollen und werden bald auch wieder aus der Regierungsverantwortung diesen europäischen Prozess aktiv gestalten. Denn die Idee des gemeinsamen Europas braucht auch in Deutschland die Kraft der Freiheit.
Wir wollen keine Außenpolitik, die unseren Kontinent in ein neues und in ein altes Europa aufspaltet. Wer glaubt, Europa zu einigen, in dem er das transatlantische Band durchschneidet, der wird Europa nicht einigen, sondern trennen. Wir wollen keine Politik der Achsenbildung Paris-Berlin-Moskau. Im deutschen Interesse liegt die europäische Einigung, die auch die kleineren Länder einbezieht und die Brücken baut.
Europas Weg ist nicht Gegnerschaft, sondern Partnerschaft, ausdrücklich auch mit unseren Verbündeten jenseits des Atlantiks.
Aber Partnerschaft ist nicht unkritischer Umgang miteinander. Freundschaft ist nicht gleichbedeutend mit Kritiklosigkeit und Sprachlosigkeit. Deswegen hat die FDP den militärischen Alleingang der Vereinigten Staaten im Irak stets abgelehnt. Wir wollen, dass das Gewaltmonopol in der Staatengemeinschaft von den Vereinten Nationen wahrgenommen wird. Als Partei des Völkerrechts wollen wir die Vereinten Nationen stärken und nicht durch Alleingänge schwächen.
Aber wir bleiben auch dabei: wer mit Anti-Amerikanismus im Wahlkampf Punkte sammeln will, muss mit dem entschiedenen Widerstand der Freien Demokratischen Partei rechnen. Wie erklärt es eigentlich der Außenminister Joschka Fischer in Washington, dass seine grüne Partei den Präsidenten der USA auf Wahlplakaten zeigt, um mit anti-amerikanischer Stimmung Wahlkampf zu machen? Das liegt nicht im deutschen Interesse. Regierungen kommen und gehen, aber die Freundschaft zwischen den Völkern muss bleiben.
Die terroristischen Anschläge am 11. September in New York, die Bombenattentate am 11. März in Madrid, sie richten sich nicht nur gegen die USA oder gegen Spanien. Sie greifen die gesamte westliche Wertegemeinschaft an. Wir müssen gemeinsam mit den Vereinten Nationen und unseren Verbündeten diesen Kampf gegen den weltweiten Terrorismus führen. Das Ziel unseres gemeinsamen Kampfes gegen den weltweiten Terrorismus ist mehr Menschlichkeit. Die unmenschliche Behandlung von Gefangenen steht diesem Ziel entgegen.
Wer foltert, kann im Kampf gegen den Terrorismus nicht seine Rechtfertigung suchen. Wer foltert und auch wer Folter veranlasst oder billigt und duldet, ist kriminell. Wir wollen aber auch festhalten: die Folterer sind nicht Amerika.
Wir bleiben Amerika freundschaftlich verbunden, weil Freundschaft zwischen Völkern mehr ist als die Beziehungen zwischen Regierungen. Das Fundament der Freundschaft zwischen Deutschen und Amerikanern ist und bleibt stabil, weil es auf festen Grundsätzen, Werten und Überzeugungen basiert. Die amerikanische Regierung muss erkennen, dass der Erfolg des Anti-Terrorkampfes auch von seiner rechtsstaatlichen Nachvollziehbarkeit abhängt.
Die Folterung von Gefangenen im Irak, aber auch die Behandlung von Gefangenen in Guantanamo verstoßen gegen unsere gemeinsamen Werte und gemeinsame internationale Rechtsordnung. Die Behandlungen von Gefangenen aus Afghanistan in Guantanamo sind keine inneramerikanische Angelegenheit. Ich habe in unserem Namen, im Namen der FDP, schon im Januar 2002 gegen diese Behandlung in Guantanamo in einem Brief an den amerikanischen Botschafter protestiert. Das war zu einem Zeitpunkt, als die Scheinwerfer der Kameras sich noch nicht auf Guantanamo richteten. Wir Liberale kämpfen eben für Menschenwürde und Menschenrechte nicht erst dann und nicht nur dort, wenn sich die Scheinwerfer der Kameras hingewendet haben. Fernsehaußenpolitik ist zu kurzsichtig. Deutsche Außenpolitik muss stets werteorientiert und interessensgeleitet sein. Menschenrechte brauchen gerade da einen Anwalt, wo kaum jemand hinschaut, und wo Mächtige regieren und es vielen nicht mehr opportun erscheint.
Im Jahresbericht 2003 von Amnesty International über die Volksrepublik China heißt es wörtlich: „Es waren erneut schwere Menschenrechtsverletzungen zu verzeichnen. In gewissen Bereichen verschlechterte sich die Menschenrechtslage im Vergleich zu den Vorjahren.“
Wenn der deutsche Bundeskanzler, unterstützt von seinem Außenminister, vor diesem Hintergrund, die Aufhebung des europäischen Waffenembargos gegen China fordert, opfern sie die Menschenrechte auf dem Altar ihrer ausgeweiteten Waffenexportpolitik. Wir wollen zivile Zusammenarbeit. Handel durch Wandel bleibt unser Weg. Aber Waffenexporte in Länder, die eklatant die Menschenrechte verletzen, werden wir Liberale in der Regierungsverantwortung nicht zulassen.
Es ist gut, wenn der chinesische Ministerpräsident vor wenigen Wochen Deutschland besucht. Es ist gut, wenn möglichst viele wirtschaftliche Beziehungen und Verbindungen geknüpft werden, aber dass die Bundesregierung mit keinem Ton die Behandlung Tibets und des Dalai Lama durch die chinesische Regierung anspricht, wollen wir nicht akzeptieren. Es ist nicht einfach, beispielsweise die Tibet-Frage gegenüber dem chinesischen Ministerpräsidenten anzusprechen. Aber trotzdem habe ich es in meinem Gespräch in Berlin mit dem chinesischen Ministerpräsidenten getan. Ich danke der Friedrich-Naumann-Stiftung und unserem Ehrenvorsitzenden Graf Lambsdorff für sein jahrelanges beharrliches, internationales Engagement in der Sache der Menschenrechte. Diese Beharrlichkeit über Jahrzehnte ist das Markenzeichen liberaler Menschenrechtspolitik.
Einsatz für Menschenrechte ist eben nicht Einmischung in die innere Angelegenheit anderer Länder. Es gibt eine Pflicht zur Einmischung in die innere Angelegenheit der Menschenrechte.
Deutsche Außenpolitik bleibt europäisch eingebettet. Europa gibt sich eine Verfassung. Das ist ein historischer Schritt. Weil Europa und die Europapolitik immer wichtiger wird, rufen wir die Bürgerinnen und Bürger auf, am 13. Juni auch zur Europawahl zu gehen. Mehr Interesse an Europa und an den Europawahlen hängt aber auch davon ab, wie die Parteien mit dieser Europawahl umgehen. Die CDU plakatiert Angela Merkel. Die Grünen Joseph Fischer. Beide kandidieren nicht für das Europaparlament. Wir Liberale müssen unsere Spitzenkandidatin bei der Europawahl nicht verstecken. Wir werben mit unserer Spitzenkandidatin Silvana Koch-Mehrin, weil sie eine kluge, frische und sympathische Europäerin ist und weil bei der Europawahl die Europapolitik zur Abstimmung stehen muss. Niemand darf sich über geringe Wahlbeteiligungen wundern, wenn die Parteien den Eindruck erwecken, die Europawahl sei nur ein momentanes innerdeutsches Stimmungsbarometer. Europa ist wichtig, wird immer wichtiger und deshalb ist es auch wichtig, sich bei der Europawahl zu beteiligen.
Ich danke Silvana Koch-Mehrin und den anderen Europakandidaten der FDP für ihren engagierten Wahlkampf. Dass Silvana Koch-Mehrin ehrenamtlich als junge Unternehmerin und Mutter ihre Spitzenkandidatur mit mehr als 200 persönlichen Auftritten schultert, verdient den Dank der ganzen Freien Demokratischen Partei und wird- da bin ich mir sicher- mit der Rückkehr der deutschen Liberalen in das Europaparlament am 13. Juni belohnt werden.
Wir wollen ein Europa der Bürger, nicht ein Europa der Staatsgipfel. Die Europäische Verfassung findet im Parlament eine Mehrheit von mindestens 90 %. Warum trauen sich die anderen Parteien nicht, diese Verfassung den Bürgern zur Abstimmung vorzulegen? Weil sie Angst vor den Bürgerinnen und Bürgern haben. Wenn die Verfassung aber in die Köpfe und in die Herzen der Menschen kommen soll, dann brauchen wir eine Debatte und auch eine Entscheidung der Bürgerinnen und Bürger. Die FDP will einen Volksentscheid über die EU-Verfassung. Unsere Verfassung kennt Volksentscheide bei der Zusammenlegung von Bundesländern. Die Eingliederung von Deutschland in eine europäische Staatlichkeit ist im Vergleich dazu mit Sicherheit weit wichtiger. Deshalb sollte zuerst das Volk befragt werden. Die FDP-Bundestagsfraktion hat dazu einen Antrag im Deutschen Bundestag eingebracht. Ich kann verstehen, wenn Konservative dagegen stimmen, weil sie grundsätzlich skeptisch sind gegenüber Mitteln der direkten Demokratie. Aber dass die Grünen gegen eine Volksabstimmung über die EU-Verfassung sind, zeigt wie schnell man seine Meinung ändert, wenn man erstmal im Ministersessel Platz genommen hat. Die Grünen sind sonst für Volksabstimmungen über jeden Krötentunnel, aber bei Europa dürfen die Bürger nicht gefragt werden.
Manche sagen, eine Volksabstimmung wäre Populismus, andere halten sie für gefährlich. Der Präsident des Europäischen Verfassungskonventes, Valerie Giscard d’Estaing, hat in einem Interview erklärt: „Die Franzosen zur Verfassung zu befragen, ist ein vernünftiges und positives Risiko, dass man zu Recht eingehen darf.“
Ich möchte Ihnen einmal darlegen, wie die Lage in Europa aussieht: Dänemark, Großbritannien, Irland, Luxemburg, Niederlande, Polen, Lettland, Frankreich, Österreich, Portugal, Spanien, Ungarn, Tschechien, Slowenien und die Slowakei werden entweder einen Volksentscheid durchführen, oder beraten, ob es ein Referendum geben soll oder haben die Möglichkeit geschaffen, dass es ein Referendum geben kann. Ich halte unser deutsches Volk für demokratisch genauso reif wie all die Staaten in Europa, in denen die Bürger darüber abstimmen dürfen. Eine neue Verfassung muss vom Volk getragen werden, sonst bleibt sie Papier.
Als überzeugte Europäer wollen wir aber auch vor den Fehlentwicklungen in Europa nicht die Augen verschließen.
Was Europa nicht regeln muss, das soll Europa auch nicht regeln dürfen. Wir setzen auf Bürgernähe und deswegen soll vor Ort und in den Nationalstaaten entschieden werden, was dort entschieden werden kann. Es ist nicht Aufgabe europäischer Beamter, Werbeverbote für erlaubte Produkte in Deutschland einzuführen. Aufgabe Europas ist es aber, dafür zu sorgen, dass das Verhältnis von Subventionen zu Bildungsinvestitionen, von zum Beispiel fast 50 Milliarden Euro für die Landwirtschaft gegenüber knapp 4 Milliarden für Forschung und Bildung verändert wird.
Dagegen muss sich Brüssel um die Einhaltung der europäischen Verträge nicht nur bemühen, sondern sie auch durchsetzen.
Rot-Grün hat die Axt an die Wurzel der europäischen Einigung gelegt. Wer nämlich die Idee der Stabilität der europäischen Währung infrage stellt, der stellt in Wahrheit die Idee der Europäischen Union infrage; denn er riskiert, das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger zu verlieren.
Das ist unverantwortlich und unhistorisch. Wenn schon die Regierung des Landes, das die Stabilitätskriterien erfunden und durchgesetzt hat, den Stabilitätspakt bricht, dann ist das eine Einladung an die Regierungen aller anderen Länder Europas, es ihr gleich zu tun. Wie will man den osteuropäischen Beitrittsländern erklären, dass sie die Beitrittsbedingungen einhalten müssen, wenn Deutschland selbst zu den Vertragsbrechern zählt?
Der Stabilitätspakt schafft Vertrauen in die europäische Währung und in das gemeinsame Europa. Wir Liberale wollen, dass die Stabilitätskriterien Teil der Europäischen Verfassung und auch Teil des Deutschen Grundgesetz werden.
Die europäische Verfassung sieht einen EU-Präsidenten und einen Eu-Außenminister vor. Die Vielstimmigkeit der nationalen Außenpolitiken Europas ist eine Schwäche. Die beste Lösung für ein starkes Europa ist ein gemeinsames Auftreten durch einen gemeinsamen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat.
Natürlich scheint das für viele unerreichbar, aber vor 15 Jahren schien auch die Überwindung der Spaltung Europas unerreichbar. Wir sollten unsere Ziele ausdauernd vertreten, wenn wir sie für die Richtigen halten, auch wenn die politische Realisierung heute noch nicht vor der Tür steht
Die europäische Wiedervereinigung ist eine Chance für Deutschland, wenn sich Deutschland richtig aufstellt. Aber sind wir vorbereitet auf die neuen Herausforderungen?
Es ist beunruhigend, dass die Antwort - leider nicht nur von rot-grün -, sondern auch von Teilen der Konservativen lautet: Ihr EU-Beitritts-Neulinge müsst Eure Steuern erhöhen, damit wir in Deutschland wettbewerbsfähig sind. Herr Schröder und Herr Stoiber haben bereits beide angebliches Steuerdumping bei unseren östlichen Nachbarn angeprangert. Die politische Konsequenz soll sein, dass wir in Europa eine Mindeststeuer einführen. Darüber muss man einen Augenblick nachdenken. Die Beitrittsländer haben schmerzhafte Reformen durchgeführt, damit sie international und europäisch wettbewerbsfähig werden. Jetzt werden sie es langsam, da kommt eine deutsche Regierung daher und sagt: So wettbewerbsfähig sollt ihr nicht sein, dass ihr Konkurrenten werdet. Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands erreicht man nicht, in dem man andere Länder zu Steuererhöhungen bringt. Die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands erreichen wir nur, in dem wir bei uns ein international wettbewerbsfähiges Steuerrecht einführen. Die Vorstellung, Europa müsse am deutschen Steuerwesen genesen, stößt mit Recht nur auf Verbitterung und auf Hohn, in den Ländern, die genau das getan haben, was wir jahrelang von ihnen verlangt haben. Und nebenbei bemerkt: Was jedes Jahresgutachten der Wirtschaftsweisen auch von der Bundesregierung verlangt. Sie haben sich auf die Globalisierung und den verschärften Wettbewerb eingestellt. Die Wiedervereinigung Europas bringt nicht Deutschland in Schwierigkeiten, sondern sie offenbart lediglich bereits lange bestehende strukturelle Schwierigkeiten in unserem Land. Wir müssen in Deutschland unsere eigenen Hausaufgaben machen, dann hat Deutschland auch die allerbesten Chancen im Wettbewerb um Investitionen und Wachstum wieder auf Platz 1 zu rücken.
Anrede,
wir erleben seit Jahren, dass Investitionen und Arbeitsplätze auswandern oder ausländische Investitionen einen Bogen um den Standort Deutschland machen. Auf diese Entwicklung lautet die Antwort der SPD: Patriotismus! Wer im Ausland investiere, so der Vorwurf an die deutsche Wirtschaft, sei unpatriotisch. Der SPD-Generalsekretär Benneter hatte dem noch einen drauf gesetzt, und das Wort von den „Vaterlandslosen“ gebraucht.
Vaterlandslos und unpatriotisch sind nicht Unternehmer, die sich mit neuen Märkten vor der Pleite schützen wollen. Vaterlandslos und unpatriotisch ist eine Politik, die Unternehmen ins Ausland oder in die Pleite treibt. Das ist die eigentliche Lage in Deutschland.
Ein Parteifreund hat mir auf einer Veranstaltung in Leipzig einen Brief überreicht. Der Brief stammt aus dem Ort Gersau in der Schweiz. Ich lese Ihnen daraus hier vor:
„Hohe Steuerbelastung führen in Deutschland dazu, dass der Erblasser nur sehr beschränkt über seinen Nachlass verfügen kann. Teilweise wird dadurch die geordnete Übergabe des Lebenswerks an die Nachkommenschaft erschwert oder gar vereitelt. Das Kanton Schwyz kennt keine Erbschaftssteuern. Wir sind deshalb in der Lage, Ihnen Lösungen anzubieten, bei denen der Nachlass ungeschmälert den Nachkommen übergeben werden kann. Wir sind gern bereit, Ihren Mandanten die Möglichkeiten und Vorteile eines allfälligen Umzuges nach Gersau aufzuzeigen.“ (Zitat Ende)
Im letzten Jahr hat die Regierung über Steuersenkungen und Flexibilisierung geredet. Heute sind die Themen Ausbildungsplatzabgabe, Vermögenssteuer, Erbschaftsteuer und Mehrwertsteuer. Die SPD betreibt den Agendawechsel. Der mag gut sein für die Seele der SPD, aber er ist ein Programm zur Arbeitsplatzvernichtung in Deutschland.
Der Versuch einer Modernisierung der SPD hat den SPD-Bundesvorsitzenden Schröder das Amt gekostet. Es wird keinen zweiten Versuch zur Modernisierung der SPD durch Franz Müntefering geben. Franz Müntefering ist ein Vorsitzender, der der alten Tante SPD die Rheumadecken auflegt.
Die Ausbildungsplatzabgabe wird nur dazu führen, dass noch mehr mittelständische Unternehmen in die Pleite geraten. Genau das müssen wir in Deutschland verhindern. Im letzten Jahr gab es über 40.000 Pleiten, insbesondere im Mittelstand. Wer Pleite geht, kann auch nicht ausbilden. Der Mittelstand muss gestärkt werden, dann wird auch mehr ausgebildet. Unsere Wirtschaftspolitik ist eine bessere Sozialpolitik, weil sie die Grundlage für den Wohlstand schafft. Unsere Mittelstandspolitik ist eine bessere Arbeitnehmerpolitik.
Das ist nicht nur ökonomischer Unfug. Durch die Ausbildungsplatzabgabe wird nicht ein einziger Ausbildungsplatz in Deutschland geschaffen. Die Stadt Dresden müsste rund 750.000 Euro Ausbildungsplatzabgabe zahlen. Ausgerechnet die Gewerkschaft, die sich besonders für die Zwangsabgabe stark gemacht hat, verdi, hat bei ihren über viertausend Beschäftigten gerade mal 12 Auszubildende (Quote: 0,29%). Der DGB hat bei 820 Beschäftigten nur 20 Auszubildende, das entspricht einer Ausbildungsquote von gerade mal 2,44%.
Wir brauchen selbstverständlich Gewerkschaften, aber wir brauchen keine Gewerkschaftsfunktionäre, die ihre eigenen Interessen statt die Interessen der Arbeitnehmer vertreten. Die Arbeitnehmer und Betriebsräte in einem Unternehmen wissen in der Regel besser was für sie, ihr Leben und den Erfolg und Bestand ihres Betriebes gut ist, als Funktionäre in weit entfernten Gewerkschafts- oder Arbeitgeberzentralen. Der Druck im Kessel auf eine Flexibilisierung des starren Flächentarifvertragsrechts muss erhalten bleiben.
Die Vermögensteuer war zu zwei Dritteln eine betriebliche Vermögensteuer. Wer die Realität des Wirtschaftslebens kennt, weiß, dass der Mittelstand zwischen betrieblichem und privatem Vermögen kaum praxistauglich trennen kann. Und wer die Erbschaftssteuer erhöhen will, vergisst, dass man alles, was man am Ende seines Lebens an seine Kinder und Enkelkinder vererben möchte, im Laufe dieses Lebens bereits x-mal versteuert wurde.
Jetzt streitet die Union über die Erhöhung der Mehrwertsteuer. Es ist halt so: Auch die Union hat noch marktwirtschaftlichen Klärungsbedarf. Im Bundestag und im Bundesrat regiert noch immer eine Mehrheit der Verteilungsfürsten. Mehr als 800 Milliarden Euro hat der Staat insgesamt im letzten Jahr eingenommen. Wir brauchen keine neuen Steuererhöhungen in Deutschland, auch keine Mehrwertsteuererhöhung, wir brauchen Ausgabendisziplin.
Noch gefährlicher als der ökonomische Irrsinn, der in dieser Steuerpolitik liegt, ist das dahinter stehende Denken. Es ist das Denken in den Kategorien der Neidgesellschaft. Es ist Zeit, der Neidgesellschaft eine neue Anerkennungskultur entgegen zu setzen. Es ist zutiefst unfair, wenn jemand mit viel Risiko und Fleiß eine Firma aufbaut, dafür aber nur Neid erntet. Fair ist, wenn derjenige, der Besonderes leistet, auch besondere Anerkennung erhält.
In der Neidgesellschaft gibt es immer mehr Umverteilung. Das macht den Staat unfinanzierbar und die Menschen gewiss nicht glücklicher. Wer besonderes leistet, wer sich mit Haus und Hof, Haut und Haaren und endlosen schlaflosen Nächten seiner Arbeit verschreibt, den sollen weder Politik noch Gesellschaft mit Neid bestrafen, sondern mit Hochachtung auszeichnen.
Wir stehen vor der Neugründung unserer sozialen Sicherungssysteme. Der Reparaturbetrieb bei der Rente funktioniert nicht mehr. Diese Bundesregierung hat die Renten zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik real gekürzt und auch noch die so genannte Schwankungsreserve, also den Notgroschen der Rente aufgebraucht. Wenn jetzt nicht ein Systemwechsel erfolgt, werden regelmäßige Beitragssteigerungen und Rentenkürzungen folgen. Diese politischen Notoperationen ohne einen Systemwechsel sind unfair gegenüber der jetzigen Rentnergeneration, weil sie in Ansprüche eingreifen, die die Rentner im Vertrauen auf eine verlässliche Rente durch ihre Arbeit erworben haben. Für Liberale ist Rente kein Almosen, sondern die Gegenleistung für lebenslanges Arbeiten. Diese Politik ist unfair gegenüber der arbeitenden Generation, weil sie bei den Beiträgen weder Stabilität noch Entlastung bringt. Und diese Politik ist unfair gegenüber der jungen Generation, weil die soziale Sicherheit in Anbetracht der veränderten Altersstruktur unserer Gesellschaft nicht zukunftstauglich wird. Die Reformen der Bundesregierung sind keine solchen. Sie sind eher eine Belastung des Reformbegriffes. Wir müssen jetzt unser Rentensystem so umbauen, dass die Altersversorgung zur Hälfte auf einer beitragsfinanzierten gesetzlichen Grundsicherung und zur anderen Hälfte auf einer privaten oder betrieblichen kapitalgedeckten Altersvorsorge beruht. Nur so lassen sich Rentensicherheit, Beitragsstabilität und Generationenfairness erreichen.
Die gesetzliche Pflegeversicherung trägt auf Grund der demografischen Entwicklung ebenfalls den Sprengsatz immer weiterer Beitragserhöhungen in sich. Bei ihrer Einführung Anfang der 90er Jahre konnten wir uns nicht durchsetzen. Nun ist genau eingetreten, was wir vorausgesagt haben. Wir sollten jetzt wenigstens die Konsequenz ziehen und die gesetzliche Pflegeversicherung durch eine private, kapitalgedeckte Pflegeversicherung ersetzen.
Was im Gesundheitswesen als Jahrhundertreform bezeichnet wird, hat doch bestenfalls noch die Halbwertzeit von zwei, drei Jahren. Wir brauchen auch hier eine Neugründung unserer sozialen Sicherungssysteme. Nicht mehr Zwangskassen sind nötig, sondern mehr Versicherungsfreiheit. Nicht nur Rot-Grün, sondern auch maßgebliche Teile der Union sind für die Einführung einer Zwangskasse unter dem Decknamen „Bürgerversicherung“. Als ob ein Fass ohne Boden gefüllt werden könnte, in dem immer mehr Menschen gezwungen werden ihr Geld dort hinein zu schütten. Das Gefäß muss neu gezimmert werden. Die gesetzlichen Krankenkassen wollen wir in private Gesundheitsversicherungen überführen. Wir wollen also aus den gesetzlichen öffentlich rechtlichen Körperschaften private Unternehmungen machen, die in einem echten Wettbewerb zueinander stehen. An die Stelle der Pflichtversicherung setzen wir eine Pflicht zur Versicherung, bei der die Bürger selbst zwischen Anbietern und Tarifen für sich maßgeschneidert auswählen können. Wer in Deutschland schon mal von großen Koalitionen geträumt hat, ist seit dem großkoalitionären Gesundheitskompromiss ganz sicher bedient.
Wir Liberale wissen, dass die Neugründung unserer sozialen Sicherungssysteme eine Herkulesaufgabe ist. Deshalb ist sie auch nicht zu trennen von einer echten Steuerstrukturreform. Wer den Bürgern mehr Eigenverantwortung abverlangt, muss ihnen gleichzeitig durch Steuerentlastung und –vereinfachung den nötigen Spielraum dazu schaffen.
Und Politik muss das Vorleben, was sie selbst von den Bürgern verlangt. Eigenverantwortung kann vor Politikern nicht Halt machen. Politiker sind gewählte Mandatsträger auf Zeit. Sie sollten keine Pensionsansprüche durch Sonderrechte erwerben, sondern wie Freiberufler ihre Altersversorgung selbst regeln.
Und wenn der Staat von Bürgern und Unternehmen verlangt, sich dem Prinzip des Wettbewerbs zu stellen, darf er sich selbst nicht dem Wettbewerb entziehen. Deshalb treten wir Liberale für einen Wettbewerbsföderalismus ein, mit erkennbaren Verantwortlichkeiten. Dazu zählt die Abschaffung der Mischfinanzierungen zwischen Bund und Ländern. Klare Verantwortlichkeiten stärken die Bürgermacht. Mit anderen Worten: Wer die Musik bestellt, soll sie auch bezahlen. Und wer sie bezahlt, bestimmt auch das Lied, das gespielt wird.
Ob beim Privatisierungsgebot, der Steuerpolitik, dem Subventionsabbau, der Reform der sozialen Sicherungssysteme, oder dem Bürokratieabbau, dahinter steht ein liberales Staatsverständnis, das sich von denen der anderen Parteien unterscheidet. Der Staat muss dienen, nicht herrschen. Er soll nützen, nicht belasten. Was der Staat nicht regeln muss, das soll er auch nicht regeln dürfen.
Wir brauchen eine neue Anerkennungskultur. Für die Fleißigen, für die Leistungsbereiten und für die Engagierten im Beruf, in der Familie oder im Ehrenamt, aber wir brauchen auch ein klares Bekenntnis zu Eliten. Ich meine nicht irgendwelche Standes- oder Geldeliten. Ich meine Leistungseliten.
In der Wissensgesellschaft spielt die Leistungsspitze eine viel größere Rolle als in der alten Industriegesellschaft. Es geht darum, die Abwanderung von Forschern aus Deutschland zu stoppen und die international besten Köpfe für Deutschland zu gewinnen.
Inzwischen bekennt sich sogar ein sozialdemokratischer Bundeskanzler zur Eliteuniversität. Er hat deswegen die Gründung von fünf Elite-Universitäten in Deutschland ab 2006 verkündet. 50 Millionen Euro pro Hochschule sollen werbewirksam vor der Bundestagswahl 2006 verteilt werden. So stellen sich Sozialdemokraten Elite-Universitäten vor. Eine Staatsgründung mit mehr Geld. Spitzenleistungen in Bildung und Forschung kann der Staat nicht mit Geld kaufen. Spitzenleistungen wachsen durch Wettbewerb und Freiheit. Das planwirtschaftliche Denken wird nicht zum Erfolg führen. Entlasst die Universitäten in die Freiheit, setzt auf die Kraft der Freiheit, dann entstehen auch Spitzenleistungen.
Es beginnt damit, dass wir die zentrale Vergabestelle für Studienplätze abschaffen. Die Universitäten sollen sich ihre Studenten aussuchen können, und die Studenten sollen sich ihre Universitäten aussuchen können. Das Hochschulrahmengesetz muss so auch nicht bleiben. Bildung als Bürgerrecht heißt für Liberale: Jeder soll Zugang zur besten auf ihn zugeschnittenen Bildung, Ausbildung und Fortbildung erhalten. In Deutschland entscheidet längst wieder der Geldbeutel der Eltern über die Chancen des Kindes. Wer es sich leisten kann, kauft Computer für zu Hause, organisiert Nachhilfe gegen Unterrichtsausfall oder ermöglicht den Auslandsaufenthalt. Wir wollen unabhängige Schulen und freie Hochschulen.
Zu einer innovativen Gesellschaft gehört auch Forschungsfreiheit. In Deutschland überwiegt die Bedenkenträgermentalität. Wir brauchen aber zuerst ein klares Bekenntnis zu den Zukunftstechnologien. Bio- und Gentechnologie werden Gesellschaft und Wirtschaft mindestens ebenso verändern wie die Entwicklung der elektronischen Datenverarbeitung. Wie für vieles gibt es dafür bei der Bundesregierung eine Kommission, die sogenannte Risiko-Kommission. Der Name ist Programm. Immer zuerst die Bedenken, dann erst die Chancen. Ich wünschte mir, dass die Bundesregierung von einer Chancen-Kommission beraten würde. Diese rot-grüne Regierung blockiert Gentechnologie, wo es geht. Ganz vorne sind die Grünen eine ideologisch verbohrte Truppe gegen den Fortschritt. Früher bremsten die Grünen durch Sitzblockaden, heute blockieren sie durch Gesetze
Hier in Dresden wendet eine junge Forscherin ihr in Amerika erworbenes Wissen zur Bekämpfung von Schädlingen im Obstbau an. Künftig kann bei Apfelbäumen Feuerbrand, Mehltau und Schorf ohne Chemikalien oder Antibiotika bekämpft werden, weil die Bäume durch Gentechnik resistent gemacht werden. Frau Künast verbietet nun gegen den Rat ihrer Experten den Feldversuch mit diesen Apfelbäumen.
Im Mai hat die EU gentechnisch veränderten Mais genehmigt. Das war die erste Genehmigung der EU seit 1989. Dieser gegen eine bestimmte Erkrankung resistente Mais wird seit Jahren in vielen Staaten außerhalb der EU bereits angebaut, auch zu uns importiert und verarbeitet. Deutschland hat sich bei der Mehrheitsentscheidung in der EU mutig der Stimme enthalten.
Die Grünen rufen jetzt „Gentechnikfreie Zonen“ aus, eine wie ich finde unerträglich ideologische Gleichsetzung von Gentechnik und Atomwaffen. Die zuständige Ministerin Renate Künast erklärt das in der Diskussion befindliche Gentechnik-Gesetz zu einem Gesetz „zum Schutz des Gentechnikfreien Anbaus in Deutschland“. Wir brauchen aber ein Gesetz zur Förderung der Gentechnologie in Deutschland. Auch wir wollen keine geklonten Menschen. Aber Gentechnik heißt auch Heilen und Helfen.
AIDS war im Jahr 2002 mit großem Abstand weltweit die Haupttodesursache der Menschen im Alter von 15 bis 59 Jahren. AIDS ist eine der großen humanitären Herausforderungen unserer Zeit. Wenn wir AIDS künftig durch gentechnischen Fortschritt bekämpfen können, dann müssen wir alles daran setzen, diesen Fortschritt zu erreichen.
Im letzten Monat verkündete die Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen verstärkt darauf zu setzen, den Welthunger durch gentechnischen Fortschritt erfolgreicher bekämpfen zu können.
Natürlich muss man die Risiken abwägen. Aber wenn wir nicht die Chancen ergreifen, wenn wir der Gen- und Biotechnologie nicht Priorität geben
Aber wer nur die Risiken sieht, der verpasst auch alle Chancen.
Die Globalisierung entscheidet sich am Wettbewerb der Bildungssysteme. Globalisierung heißt nichts anderes als der weltweite Wettbewerb um die interessantesten Ideen und die intelligentesten Köpfe.
Deshalb muss aus der ungesteuerten und ungeregelten Zuwanderung endlich eine gesteuerte Zuwanderung werden. Wir brauchen im wohlverstandenen nationalen Interesse eine Steuerung der Zuwanderung. Deshalb haben wir Freien Demokraten in den Verhandlungen der letzten Woche eine Brücke der Vernunft gebaut. Der Durchbruch in den Zuwanderungsverhandlungen ist auch ein ganz entscheidender Verdienst der Freien Demokraten, der jahrelangen Arbeit von Max Stadler, unseren liberalen Justizministern in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, Corinna Werwigk-Hertneck und Herbert Mertin. Wir wollen ein verbindliches Angebot für die Integration der Menschen, die dauerhaft nach Deutschland kommen können. Das setzt aber auch voraus, dass diejenigen, die in Deutschland bleiben wollen, das Integrationsangebot annehmen müssen. Wer zuwandern will, muss unsere Sprache lernen.
Und natürlich ist Zuwanderung von Sicherheitsfragen nicht zu trennen. Deswegen haben wir einer schnellen und zügigen Abschiebung von so genannten Hasspredigern oder Schleppern zugestimmt.
Eine Sicherungshaft, also bis zu zwei Jahre Gefängnis auf Verdacht, möglicherweise eines Geheimdienstes, konnten wir Liberale nicht akzeptieren. Die Union muss wissen, dass sie im Deutschen Bundestag nicht auf die Stimmen der Freien Demokraten zählen kann, wenn Sie die Axt an die Wurzel unserer Verfassung legen will, weil sie glaubt, so die Lufthoheit über den Stammtischen erobern zu können.
Es ist irreführend und unzulässig, den Fall Kaplan als Beleg für eine Sicherungshaft anzuführen. Was nutzen tausend neue Gesetze, wenn der zuständige Innenminister in Nordrhein-Westfalen sich nicht ausreichend um eine lückenlose Überwachung dieses Schwerkriminellen kümmert.
Der Fall Kaplan beweist doch gerade, dass es in Deutschland weniger ein Gesetzesdefizit, sondern ein Vollzugsdefizit gibt.
Man wundert sich inzwischen, welche Debatten in Deutschland geführt werden können. Da müssen wir Liberale wachsam sein. Es ist grotesk, wenn sich Menschen Intellektuelle nennen, in Zeitungen und Interviews wieder die Folter rechtfertigen. Wenn ein Professor der Bundeswehr öffentlich im Fernsehen Folter legitimiert, dann nimmt ihm niemand sein Recht auf freie Meinungsäußerung, aber unsere jungen Soldaten soll er nicht länger ausbilden dürfen.
Hier sind zentrale Maßstäbe unseres Rechtstaates auf die schiefe Bahn geraten. Der Liberalismus ist das Immunsystem des Rechtsstaates.
Es ist gut, wenn mit DNA- Dateien Straftäter überführt werden. Aber Vorschläge, staatliche DNA-Dateien auf immer breitere Bevölkerungskreise auszudehnen, finden nicht unsere Unterstützung.
Und wenn die absolute Mehrheit der CDU in Hessen jetzt auf eine lückenlose, vollständige Überwachung aller Autofahrer durch den Staat setzt, dann zeigt sich doch, wie ein liberales Gegengewicht dieser Regierung fehlt. Und wenn der CSU-Generalsekretär im Frühjahr ein Ausgehverbot für Jugendliche nach 20.00 Uhr fordert, spricht daraus ein Staatsverständnis, mit dem sich Konservative wohlfühlen mögen, aber niemals Liberale.
Videoüberwachungen, nicht nur an gefahrvollen Plätzen, sondern flächendeckend, gewissermaßen von Haustür zu Haustür, zusammengenommen mit lückenlosen Bewegungsprofilen durch Kreditkartenbenutzung und Handytelefonaten, dass sind im Zeitalter von computergestützter Datenverarbeitung ganz neue Herausforderungen in der Innen- und Rechtspolitik. Die Verdreifachung der Telefonüberwachung seit 1997. Die Erfassung aller Autokennzeichen in Hessen und vielleicht auch bald die satellitengestützte Überwachung aller PKW, kann im liberalen Rechtsstaat nicht gerechtfertigt werden. Gerade als eine Partei, die sich zum technologischen Fortschritt bekennt, stehen wir Liberale an der Spitze der Bekämpfung des Missbrauchs oder der Schaffung von unkontrollierten Missbrauchmöglichkeiten. Wir sagen ja zu einer konsequenten Strafverfolgung, aber nein zu einem Generalverdacht gegen die gesamte Bevölkerung.
Zum Rechtsstaat gehört die Gewaltenteilung. Medien sollen die Politik und auch die Parteien kontrollieren, sie sollen Missstände aufdecken. Wenn aber Parteien sich einen eigenen Medienkonzern schaffen können und eine Tageszeitung nach der anderen kaufen, wird Meinungsvielfalt eingeschränkt und demokratische Kontrolle durch die vierte Gewalt verletzt. Das ist eine eklatante Verletzung der Gewaltenteilung in unserem Land und die Grünen schweigen dazu, weil sie ihrem Koalitionspartner nicht auf die Füße treten wollen. Die FDP ist und bleibt die einzige liberale Rechtsstaatspartei in Deutschland.
Ob beim Transrapid, der zivilen Verarbeitung von Plutonium oder bei der therapeutischen Gentechnik, die Grünen sind die Neinsager der deutschen Politik. Die Grünen sind die geistige Blockade gegen den technologischen Fortschritt. Die Grünen sind eben nicht liberal, sondern sie wollen die Gesellschaft als ideologische Besserungsanstalt organisieren. Sie stellen Autofahren unter steuerliche Strafe, wollen preiswerte Flugreisen verbieten und sind für ein entlarvendes Chaos beim Dosenpfand verantwortlich. Grüne verregeln und verriegeln. Deshalb sind die Grünen der natürliche Gegner einer Freiheitspartei.
Es ist schon erstaunlich, was bei manchem heute als liberal durchgeht. Auch das beweist die Notwendigkeit einer Wertedebatte. Werte wie Leistungsbereitschaft, Toleranz, Disziplin, Höflichkeit und Respekt gelten als altmodische Sekundärtugenden. Ich glaube, es sind Primärtugenden, die in der modernen Gesellschaft die Menschen zusammen bringen und zusammen halten. In Berlin gibt es ganze Straßenzüge, da ist keine einzige Häuserwand mehr ohne Graffiti. Ich halte das nicht, wie manche Grüne, für jugendliche Kreativität und künstlerische Selbstverwirklichung. Ich halte das für einen schlichten Werteverlust. Für ein Alarmzeichen, dass nämlich der Respekt vor dem Eigentum anderer verloren gegangen ist. Respekt vor dem Anderen, auch vor dem Anderssein und Andersleben ist eine der wichtigsten Tugenden in der freien und fairen Gesellschaft. Respekt vor der Leistung des Starken, Respekt vor der Menschenwürde des Schwächeren, das ist die liberale Form der Solidarität, die jeder Umverteilungsmechanik überlegen ist. Für uns sind Herzensbildung und Nächstenliebe nicht zuerst staatliche Dienstleistungen, sondern die respektvolle, ja liebevolle Zuwendung des Menschen zum Menschen.
Und diese Tugenden kann kein Staat, kein Politiker alleine organisieren. Hier kommt es auf die Bürger an. Auf die Familien. Der Staat muss Rahmenbedingungen für eine familienfreundliche Gesellschaft setzen. Von der Bildungspolitik bis zur Steuerpolitik, etwa in unserem Modell mit einem gleichen Freibetrag für alle Familienmitglieder, also ausdrücklich auch für die Kinder. Die Regierung feiert sich als Mäzen der Familien, wenn das Kindergeld erhöht wird. Die Regierung teilt einfach nur zu, was sie vorher mehrfach schon denselben Familien weggenommen hat, teuer durch einen Beamtenapparat einzieht, verwaltet und neu zuteilt.
Familien sind die wichtigsten Verantwortungsgemeinschaften in unserer Gesellschaft. Für Liberale kommt es da nicht auf den Trauschein an. Überall, wo Menschen auf Dauer füreinander Verantwortung übernehmen wollen, ist für uns Liberale der Schutz der Familie durch die Politik gefordert. Ob Ehen mit Kindern, Alleinerziehende, nicht-eheliche oder gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften, für Liberale ist jede Verantwortungsgemeinschaft wertvoll, in der Menschen füreinander einstehen wollen.
Der Zusammenhang zwischen der inneren Liberalität einer Gesellschaft und ihrem ökonomischen Fortschritt, zwischen der stimulierenden Toleranz und der Leistungsbereitschaft, die aus Kreativität entsteht, er muss von den Liberalen immer wieder unterstrichen werden.
Die wirtschaftliche Freiheit und die gesellschaftliche Freiheit, sie sind keine Gegensätze. Wer nur einen Teil der Freiheit verteidigen will und jeweils den anderen Teil als nicht so schützenswert erachtet, der hat die Freiheit schon verspielt.
Leistungsbereitschaft, Weltoffenheit und Toleranz, sie bleiben unveränderliche Kennzeichen des Liberalismus.
Wir haben im letzten Jahr schwere Zeiten mit tragischen Augenblicken durchlebt. Wir haben heute unserem früheren Kollegen Jürgen W. Möllemann mit Würde und Respekt gegenüber dem Toten gedacht. Auch wenn wir am Schluss gegeneinander standen. Sein Engagement für die liberale Sache in den Jahren zuvor wird niemand verleugnen.
Wir haben schwere Zeiten durchlebt und ich will nicht verschweigen, dass ich auch selbst, ganz persönlich tief getroffen war und Zeit brauchte, um das alles zu verarbeiten.
Für die Solidarität aus unserer Partei bedanke ich mich aufrichtig. Ich danke für viele Ratschläge auch für manche kritische Bemerkung vor allem, wenn sie mir gesagt und nicht über die Medien gegeben wurden.
Jetzt stehen wir wieder gut aufgestellt und entschlossen da. Und wir sind geschlossener als manche Schlagzeile im Vorfeld dieses Parteitages vermuten lässt. Die 83 Mitglieder der FDP-Fraktion in der Bundesversammlung haben Professor Horst Köhler einstimmig unterstützt. Soviel Geschlossenheit war in der Vergangenheit nicht immer selbstverständlich für die freien Demokraten. Dafür möchte ich mich bei den Mitgliedern der Bundesversammlung herzlich bedanken. Professor Horst Köhler hat es uns Liberalen aber auch leicht gemacht, ihn zu wählen. Er steht für eine liberale Agenda, er setzt auf die Kraft der Freiheit, er kennt die Globalisierung, aber er weiß auch um ihre ethischen und moralischen Herausforderungen.
Wir stehen vor wichtigen Wahlen in diesem Jahr. In 8 Tagen wird das Europa-Parlament gewählt, der Landtag von Thüringen und in sechs Bundesländern stehen Kommunalwahlen an. Weitere Wahlen auch hier bei unseren Gastgebern in Sachsen folgen. Wir wollen und wir können sie erfolgreich meistern. Nach 10 Jahren Abwesenheit deutscher Liberaler im Europa-Parlament haben wir endlich wieder alle Chancen, dem nächsten Europa-Parlament anzugehören.
Die Thüringer FDP mit Uwe Barth an der Spitze wurde bei der letzten großen Umfrage des ZDF gestern Abend mit 5% eingeschätzt. Und die CDU ist weiter von einer absoluten Mehrheit entfernt denn je. Wir wollen mit einer Regierung aus CDU und FDP Thüringen Rot-Rot und dann womöglich noch gemeinsam mit den Grünen ersparen. Was Rot-Grün anrichtet, sieht jeder im Bund. Was Rot-Rot an Chancen kostet wissen unsere Freunde aus Berlin und Mecklenburg-Vorpommern. Unsere Wahlkämpfer, unsere Kommunalpolitiker, die sich ehrenamtlich für die Sache der Liberalen engagieren, sie wollen Rückendeckung durch gute Konzepte und richtungsweisende Beschlüsse dieses Parteitages.
Wir geben auch nach der Bundespräsidentenwahl unsere Unabhängigkeit nicht auf. Wir bleiben eine Alternative zu allen anderen Parteien in Deutschland. Aber wenn sich andere Parteien von der FDP entfernen, wie die SPD mit ihrer bürokratischen Ausbildungsplatzabgabe und erst recht die Grünen mit ihrer Dosenpfand-Ideologie, laufen wir ihnen nicht hinterher. Und wenn sich andere Parteien auf uns zu bewegen, wenn auch noch zu zaghaft, zu unverbindlich, laufen wir doch nicht weg. Wir wollen in diesem Jahr zeigen, dass es in Deutschland eine Mehrheit der Vernunft jenseits von Rot-Grün gibt. Und dann werden wir Rot-Grün in Kiel und in Düsseldorf im nächsten Jahr ablösen. Fällt Rot-Grün in Kiel und in Düsseldorf, dann fällt auch Rot-Grün in Berlin.
Wir verlassen uns nicht auf Neuwahlen vor 2006. Aber wir arbeiten mit all unseren Kräften daran, dass die rot-grüne Regierung durch Neuwahlen schon früher abgelöst werden kann. Jedes Jahr länger Rot-Grün ist ein verlorenes Jahr für Deutschland. Wer regieren will muss zeigen, dass er konkret besser regieren kann. Deshalb legen wir Liberale anders als die andere Oppositionspartei auch konkrete Alternativen zur rot-grünen Bundesregierung vor. Von der Steuerpolitik über die Rente, die Gesundheit, die Bildungspolitik, vom Arbeitsmarkt bis zur Außenpolitik, wir zeigen den Menschen die liberale Alternative.
Wir Liberale blicken nach vorne. Wir wollen regieren, weil Deutschland einen Neuanfang braucht. Wir können regieren, weil wir die Entschlossenheit und die Geschlossenheit dazu haben. Und wir werden besser regieren, weil wir auf die Kraft der Freiheit setzen. Wir sind die Kraft der Freiheit. Mehr davon braucht unser Land.
Rede vom 06.06.2004
Rede Dr. Wolfgang Gerhardt MdB
Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion,
auf dem 55. FDP-Bundesparteitag in Dresden am 6. Juni 2004
Wir haben eben einen Antrag zu einer durchgängigen Reform des Gesundheitswesens beschlossen. Ich will Ihnen sagen, wir müssen alle wissen, was das jetzt bedeutet. Wenn wir hier hinten geschrieben haben „Die Kraft der Freiheit“, dann bedeutet das für jeden von uns, sobald er heute dieses Tagungszentrum verläßt, daß wir uns auch beweisen müssen. Wir lieben unser Land, aber es ist nicht in jedem Fall geradezu in der überwiegenden Mentalität begünstigend für den politischen Liberalismus, obwohl die Verfassung aus den Quellen des politischen Liberalismus gespeist ist und aus ihnen nur die Kraft zur Erneuerung kommt. Deshalb sage ich Ihnen, Parteitage müssen klare Kurzindikatoren beschließen. Aber das ist nur die eine Seite der Medaille. Die Menschen lesen nicht täglich unsere Prospekte, so gut sie auch gedruckt worden sind. Am Ende wird nur eine politische überzeugende Botschaft mit eigenem Credo von uns allen uns zu besseren Wahlergebnissen verhelfen. Das ist der Sachverhalt, mit dem wir es zu tun haben.
Und deshalb möchte ich zu Beginn doch noch einmal auf einige Credopunkte zurückkommen. In Deutschland fürchten für mich zu viele, daß Freiheit anderen mehr nutzen könnte als ihnen selbst. Es bevorzugen immer noch zu viele große kollektive Systeme. Es wird schwierig sein, einen Mentalitätswandel zu erreichen, aus großen Kollektiven zu individueller Verantwortung herauszukommen. Noch immer haben wir uns mit zu vielen Kräften auseinanderzusetzen, die solche Spielarten des staatlichen Paternalismus vertreten, sei es in Gestalt der CDU/CSU oder der staatlichen Fürsorge, die eigentlich am Ende doch nur die Menschen an der Erledigung ihrer Möglichkeiten hindern, anstatt sie zu begünstigen. Deshalb müssen wir die Partei sein, die sich gegen die Geringschätzung der Individualität wendet, und wir sind die Partei, die die Kraft hat, das auch öffentlich zu sagen.
Dem Liberalismus - das müssen wir vielen Gästen sagen und das sage ich auch vielen in der Medienlandschaft- ist der kategorische Imperativ von Immanuel Kant nicht fremd. Wir sind die Partei, die über persönliche Verantwortung die Menschen bittet, sich für Werte zu entscheiden. Deshalb reden wir auch in der Bildungspolitik
nicht nur über Schulorganisation. Werte, Verhalten, Fähigkeiten, Schlüsselqualifikationen, die eine Demokratie festigen, werden früher gelegt, als daß man einem Kind die Schultüte in die Hand drückt und es zur Schule schickt. Wenn in Deutschland im Grundgesetz steht, daß die Eltern das Recht auf Erziehung ihrer Kinder haben, dann haben sie auch die Pflicht dazu, ihnen ein Mindestmaß an Zivilisiertheit zu vermitteln, und zwar möglichst früh.
Der Staat, das sind eben nicht nur die anderen, und für die Erziehung der eigenen Kinder sind nicht nur Lehrerinnen und Lehrer zuständig. Man hat selbst überall einen Beitrag zu leisten, daß dieses Staatswesen freiheitlich erhalten wird. Wir nehmen sogar schwierige Lagen in Kauf, die uns auch schon oft schwere innerparteiliche Diskussionen beschert haben. Wir sagen, der Rechtsstaat ist in seinen Mitteln beschränkt. Er darf niemals seine ethische Überlegenheit gegenüber Kriminalität und Verbrechen aufgeben, die darin besteht, daß nicht jedes Mittel angewandt werden kann, um Kriminalität zu bekämpfen. Wir sind dadurch verletzlich. Aber wenn wir offen bleiben wollen, wenn wir freiheitlich bleiben wollen, müssen wir das in Kauf nehmen. Das ist ein Unterschied in der Botschaft zu anderen. Wir werden damit nicht jedes Publikum zufrieden stellen können. Wir haben sogar viele, die manchmal in den Diskussionen der inneren Sicherheit solchen öffentlichen, emotional auch verständlichen Vorwürfen weniger gewachsen sind, als andere. Aber wir sollten unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern sagen, daß wir diesen Preis zu zahlen bereit sind. Und da ich im Vorfeld des Parteitages vieles gehört habe, was man besser machen könne, was ich gern aufgreife, sage ich Ihnen aber auch, daß sie sicher sein können, daß die Bundestagsfraktion der FDP mit Max Stadler und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger an der Spitze Schily-Paketen nicht zugestimmt hat, die Schutzhaft ablehnt und Grenzen gesetzt hat. Am Wettbewerb um den schwarzen oder roten Sheriffstern nehmen wir nicht teil, wohl aber an einem Wettbewerb zu einer Neugründung freiheitlichen Bewußtseins in der Bundesrepublik Deutschland.
Damit will ich Ihnen sagen, daß wir bei allen Kämpfen, die wir manchmal miteinander, aber manchmal auch mit überwiegenden Mentalitäten in der Bundesrepublik Deutschland haben, darauf stolz sein können, daß wir wohl die anspruchvollste politische Botschaft in der Bundesrepublik Deutschland vertreten. Ich sage das sehr bewußt. Wir sind die Partei, die bereit ist, den Bürgerinnen und
Bürgern den größten Vertrauensvorschuß zu geben. Wir trauen ihnen mehr zu, in tausenden ihrer einzelnen persönlichen Tagesablaufentscheidungen, als einer zusammengefaßten demokratischen Staatsreglementiertenentscheidung. Das ist unsere andere Botschaft, das ist übrigens auch das Geheimnis der Nachkriegsgeschichte der alten Bundesrepublik Deutschland gewesen. Man wundert sich ja manchmal, daß so viele unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger über das Wirtschaftswunder verbunden mit Ludwig Erhard reden, daß die CDU/CSU seine Geburtstage, seine Todestage feiert. Ihr ist völlig aus dem Gedächtnis geraten, daß der Mann eines Tages zu seinem Freund Thomas Dehler gesagt hat: „Lieber Thomas Dehler, ich gehe besser zur CDU/CSU, denn die braucht Marktwirtschaftler stärker als die FDP.“ Das hat Thomas Dehler nicht gefallen, aber Ludwig Erhard hatte Recht. Was mit seinem Namen im Kern verbunden ist, ist diese Kraft der Freiheit, die der Mann aufgebracht hat. Der hat Preisbindungen über Nacht aufgehoben, der hat dem amerikanischen Kommissar Lucius D. Clay auf die Frage: „Warum haben Sie meinen Erlaß geändert?“ geantwortet: „Ich habe Ihren Erlaß nicht geändert, ich habe ihn aufgehoben.“ Und die Deutschen haben ihm nicht geglaubt, daß aus tausenden von einzelnen Entscheidungen etwas wird. Sie haben sich nicht vorstellen können, daß in den Geschäften wieder Waren ausgelegt werden, wenn man Menschen ermuntert, sie auszulegen. Das ist noch heute manchmal spürbar. Wir mißtrauen eher dem Markt. Über Marktversagen wird in Deutschland viel geredet, über Staatsversagen spricht überhaupt niemand.
Der Markt, das ist keine seelenlose Botschaft. Der Markt der Waren, der Dienstleistung, der Meinungen, das ist die Quelle eines freiheitlichen Staatswesens. Auf ihm wird gestritten, auf ihm wird sich offen auseinandergesetzt. Auf ihm muß Transparenz erscheinen. Bei ihm ist das entscheidende Instrument die Kundennachfrage. Aber der Markt braucht Regeln. Heute wird in der öffentlichen Diskussion über jeden Vorschlag der FDP, vor allem von dem politischen linken Spektrum, das Argument der bösen Neoliberalen ausgebreitet. Die haben alle am Geschichtsunterricht nicht teilgenommen, beginnend mit dem IG-Metall-Vorsitzenden bis zu Franz Müntefering. Die Neoliberalen waren gerade die, die dem Markt Regeln gegeben haben, die gegen Monopole waren, die Kartellgesetzgebung wünschten, die faire Regeln im Wettbewerb haben wollten, die auch so etwas gefordert haben, wie ich das auch heute gegenüber vielen deutschen Unternehmern sagen möchte, die früher sich immer leicht über die Politik hergemacht haben nach dem Motto: Wir können das alle besser, wie eine eigene Unternehmensführungshaltung. Das was im Nachgang zu Mannesmann da ist, mag legitim gewesen sein - politische Kultur war es nicht.
Wir sind nicht die kühlen Marktwirtschaftler. Wir verbinden mit dem Markt Engagement, Emotionen, Verbesserung von Dienstleistungen, kulturelle Veredlung von Produkten. Wenn wir wirklich Märkte hätten überall auf der Welt, könnten wir die Entwicklungshilfe einstellen. Die Länder würden vom freien Handel dreimal so viel profitieren, wie aus der Zahl der Entwicklungshilfe und es würde ihr Selbstbewußtsein stärken, nicht abhängig zu sein von anderen.
Die größten Menschenrechtsverletzer weltweit sind im Übrigen genau die, die ihre Märkte abschotten. Die niemanden hereinlassen, die den Menschen vormachen, daß so etwas wie eine Tobinsteuer das Geld im Land behielte und die unendlich mit dem Portemonnaie ihrer Bürger eingehen. Meistens verstehen die unter Sozialpolitik nur den Griff in die Tasche des anderen, aber nie einen Moment der eigenen Anstrengung und Leistungsbereitschaft. Liebe Freunde, lassen Sie uns das allen sagen: Leistungsbereitschaft ist keine Körperverletzung, sie gehört zu einem erfolgreichen Leben in freiheitlichen Gesellschaften.
Das Gedränge der Bevormünder in Deutschland ist riesengroß. Wir sollen uns nicht hineinbegeben. Dort befinden sich schon die CDU/CSU, die SPD sowieso, die PDS, und immer mehr Grüne laufen da hinein. Wir sollten die Partei sein, die sagt: Liebe deutsche Mitbürgerinnen und Mitbürger, der Staat sind nicht nur die anderen. Der Staat, das sind wir selbst. Wir werden nicht erfolgreich sein und nicht wieder wettbewerbsfähig werden, wenn die Zahl der Staatskunden in Deutschland immer wächst. Worauf die Freie Demokratische Partei in ihrer Existenz und bei Wahlen angewiesen ist, ist die Vergrößerung der Zahl der Staatsbürger, die nicht ausschließlich dem Staat als Empfänger gegenüber treten wollen, sondern die mit ihrer eigenen, persönlichen Verantwortung mit uns allen zusammen Staat machen. Das ist die Vorstellung der Bürgergesellschaft. Auf die wollen wir hinaus in allen Bereichen.
Warum denken wir so und warum machen wir das? Warum übernehmen wir eigentlich diese unendliche Anstrengung mit vielen ehrenhaften Wahlkampfführern jedes Jahr? Warum macht das Sivana Koch-Mehrin so brillant in der Europawahl, warum machen das bei den Wahlen, die ja auf uns zukommen, Uwe Barth in Thüringen, Christoph Hartmann im Saarland und Holger Zastrow in Sachsen. Ja, was speist uns eigentlich?
Ich glaube, daß im Kern unsere Politik eine Leistung liegt, die höher ist, als sie nur in unserer Programmatik ausgedrückt werden könnte. Die FDP hat aus meiner Sicht, und das sage ich zu Walter Scheel gerichtet, weil er als der älteste Ehrenvorsitzende hier heute Morgen auch anwesend ist, in ihrer Politik eine staatspolitische Leistung vollbracht, manchmal mit sieben Prozent, manchmal mit acht, manchmal , zum Beispiel 1969, fast um ihre Existenz kommend, die die größte war, wenn man deutsche Geschichte betrachtet. Sie hat immer andere Parteien dazu gezwungen, sich zur Mitte hin zu orientieren und damit den Ausbruch von Politik auf Flügeln verhindert. Das war die große staatspolitische Leistung der Freien Demokraten. Denn wir wissen alle, was in Deutschland passiert, wenn es keine Parteien mehr gibt, die die Mitte mit aller Kraft behaupten wollen. Das ist das, was wir auch für die Zukunft sehen müssen.
Wir werden deshalb gewaltige Widerstände überwinden müssen. Das mußten wir im Übrigen auch früher schon. Das ist nichts Neues. Wenn wir das tun wollen, müssen wir unsere Botschaft klar konkretisieren. Ich habe, wie Sie auch, an vielen Parteitagen schon teilgenommen. Zwischendurch beschlich mich immer das Gefühl eines Dranges, hier hinzugehen und manchen zu sagen, wie es unsere freisinnigen Nachbarn in der kleinen Schweiz machen auf ihrem Parteitag. Graf Lambsdorff und ich haben die Schweizer Freunde einmal besucht und in einem langen Gespräch in Bern über die Abläufe und Parteitage gesprochen. Wir haben ihnen dargelegt, daß wir absolut eine Vielzahl von Anträgen haben, dann auch noch immer Abstimmungen stattfinden, in welcher Reihenfolge die stattfinden und eine recht gute basisdemokratische Einstellung der Delegierten hätten und auch auf Spannungsmomente hingewiesen, daß an irgendeinem Punkt sich die Delegierten immer die Möglichkeit suchen, auch der Führungsgruppe mal einen kleinen Hinweis zu geben in Form einer Abstimmung. Die Schweizer Freisinnigen haben erklärt, daß sei in der Schweiz nicht anders. Aber sie würden auf einem Parteitag höchstens sechs Themen beraten mit ganz wenigen Anträgen, weil auch eigene Parteitage begreifen müßten, daß sie nur dann am Ende zum Erfolg führen, wenn sie mit menschlichem Maß kalkulieren und die Aufnahmefähigkeit der Öffentlichkeit beachten und nicht nur die Aktivität ihrer eigenen Gliederung widerspiegeln.
Das wollte ich doch nicht als eigene Empfehlung, aber als Nachricht aus einem Nachbarland an Sie weiterleiten. Und damit bin ich schon bei der Außenpolitik, meine Damen und Herren. Warum machen wir das alles? Warum machen wir das? Wir haben als tiefe Konsequenz aus der deutschen Geschichte uns europäisch eingebettet, transatlantisch orientiert und sind international engagiert. Das ist aber allein, ohne daß man seine außenpolitischen Ziele bestimmt, nicht ausreichend. Wir sind nicht formal in den Vereinten Nationen. Wir sind nicht formal in einem transatlantischen Bündnis und der NATO, und wir sind nicht formal Mitglied der Europäischen Union. Wir wollen mit dieser Orientierung etwas erreichen.
Im März des Jahres 2000 hat ein Gipfel in Lissabon beschlossen, Europa sollte im Jahre 2010 der innovativste Bereich der Welt sein, wissensbasiert, unheimlich wettbewerbsfähig. Wenn man sich das jetzt alles ansieht, mit unseren Wachstumsraten, mit der Bremse bei Reformen, mit schwerwiegenden Problemen beim Arbeitsmarkt, dann kann man nur sagen: Wir sind weit hinter den Vorstellungen zurück geblieben. Wir haben nur zwei Drittel des Pro-Kopf-Bruttoinlandsproduktes der USA und in der Produktivität bleiben wir auch hinter der USA zurück. In Lissabon wurde von stabilem Wachstum beschlossen. Wir sind weit davon entfernt. Wir können in noch so vielen internationalen Gremien Mitglied sein - wenn wir unsere Hausaufgaben nicht erledigen, wird das nichts werden. Deshalb muß hier der Arbeitsmarkt reformiert werden, deshalb muß hier die Wirtschaft wieder zu Beschäftigungsdynamik kommen.
Der einzige, der dazu tröstliche Worte findet, ist Franz Müntefering. Man glaubt es ja kaum. Wissen Sie, was der gute Mann zu unserem schwächelnden Wachstum sagt? Er sagt, die Deutschen seien ja schon da, wo andere erst hinwollten. Das ist an Schlichtheit nicht zu überbieten, meine Damen und Herren. Außenpolitik beginnt zuhause, hier bei uns. Und deutsche Außenpolitik wird nur Kraft haben und international gehört werden, wenn zu allererst eine der größten Volkswirtschaften der Welt auch mit Stärke und Wachstumsraten und Beschäftigungsdynamik dahintersteht, sonst wird das nicht gelingen können. Und genau in dem Bereich sind die beiden größten Kontinentalstaaten der Europäischen Union die schwächsten. Das dynamische Tandem Frankreich und Deutschland ist kein Vorbild mehr für andere. Und deshalb sage ich das auch gleich zu der Außenpolitik, die ich dann manchmal höre, sowohl vom bundesdeutschen Außenminister, gegenüber kleineren Ländern, wie vom französischen Präsidenten, der den osteuropäischen und mitteleuropäischen Ländern fast über den Mund fährt. Es kann nicht sein, daß dieses Tandem mit mittleren und kleineren Staaten in Europa so überheblich umgeht, und selbst nichts auf die Waage bringt, meine Damen und Herren.
Das war bei Walter Scheel, Hans Dietrich Genscher und Klaus Kinkel anders. Ich kenne keine größere Auslandsreise von unseren früheren FDP-Außenministern, auch zu internationalen Organisationen, ohne daß hinterher mindestens ein Besuch, und zwar ganz demonstrativ, bei einem kleineren europäischen Nachbarn stattgefunden hat, um zu zeigen, daß Deutschland gerade der Anwalt der mittleren und kleineren Staaten in Europa ist. Das ist verschwunden. Das muß aber wieder nach vorne kommen. Auf uns ruhen zu viele Hoffnungen, vor allem aus Mittel- und Osteuropa, von vielen kleinen Staaten, daß wir ihr Anwalt sein sollten und sie möchten nicht unter die Räder nur großer Direktorien kommen. Der Anspruch sollte von uns wieder erfüllt werden, wenn nicht heute, dann spätestens in 2006.
Meine Damen und Herren, wir sind der Anwalt der Kleinen. Früher bestand eine Fähigkeit der deutschen Außenpolitik immer darin, sich nie vor die Frage bringen zu lassen, zwischen Frankreich und den Vereinigten Staaten von Nordamerika wählen zu müssen. Immer war ein Stück deutsche diplomatische Führungskunst dabei, diese Frage gar nicht erst entstehen zu lassen. Wir haben es immer unausgesprochen als unsere außenpolitische Hausaufgabe empfunden, eigentlich Frankreich mit drin zu halten bei allen europäischen Angelegenheiten und zum transatlantischen Bündnis mitzunehmen auf dem Wege eines Dialogs mit den Vereinigten Staaten von Nordamerika.
Niemand von uns hat den amerikanischen Vorgang im Irak begrüßt. Guido Westerwelle, die gesamte Bundestagsfraktion und ich haben von Anfang an gesagt,
wir können unilaterales Vorgehen nicht akzeptieren. Aber das kann nicht die einzige deutsche Antwort sein. Deutsche Diplomatie und deutsche Außenpolitik hätte im Vorfeld des Irak-Krieges zu allererst eine europäische Abstimmung, und zwar mit allen EU-Mitgliedsstaaten und den neu hinzukommenden, vornehmen müssen, bevor man sich auf den Markt von Goslar stellt und den Amerikanern mit Megafon vermittelt, was jetzt zu tun ist. Dieser Vorlauf wäre unter unserer Verantwortung geschehen.
Ich sage das deshalb, weil nach all den Vorgängen wir uns auf diesem Parteitag über eines im Klaren sein müssen: Es gibt zur transatlantischen Zusammenarbeit bei den geostrategischen Potentialen, die die beiden Kontinente haben, keine wirkliche weltpolitische Alternative, außer purem Leichtsinn. Das muß eine Partei wissen, die drei Außenminister gestellt hat, die die deutsche Geschichte kennt, die die neuen Unebenheiten und Unsicherheiten in der Welt kennt. Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen diesen beiden Kontinenten ist unerläßlich, ihre beiden Potentiale sind überragend. Wir haben gemeinsame Werte, unsere wirtschaftlichen Möglichkeiten sind ausbaufähig. Deutschland kann nicht zwischen allen Stühlen sitzen. Es muß auch wissen, mit wem es befreundet ist. Und wir sind befreundet mit den Staaten von Nordamerika und nicht mit dem Präsidenten der Volksrepublik China, um das deutlich zu sagen, meine Damen und Herren.
Diese Sirenenklänge antiamerikanischer Ausrichtung in manchen europäischen Gesellschaften machen keinen Sinn. Schadenfreude ist nach meiner Überzeugung kein guter Ratgeber. Wir diskutieren über die EU-Mitgliedschaft der Türkei. Wissen Sie, was das bedeutet? Daß der Irak unser Nachbar sein wird, wenn es so entschieden wird. Wir können kein Interesse am Scheitern des Aufbaus des Irak haben, weil das unsere Sicherheit berührt in der Zukunft. Und deshalb müssen wir international Verantwortung zeigen und eigene Beiträge leisten. Niemand hat uns gefragt, Soldaten in den Irak zu entsenden. Oft beantwortet der Außenminister Fragen, die gar nicht gestellt sind. Das erwartet auch niemand von uns. Wir könnten es auch gar nicht. Mit einer Wehrpflichtarmee Bundeswehr sind wir an der Grenze unserer Leistungsfähigkeit angekommen. Deshalb ist die Antwort der Bundesrepublik Deutschland: Wir leisten das, was wir können und wenn wir im zivilen Aufbau vieles leisten könnten, dann sollten wir signalisieren, daß wir dazu bereit sind. Denn wir wollen, daß dort ein Irak entsteht, der in Zukunft ein friedlicher Nachbar Europas ist und ein Zeichen in die arabische Welt.
Das bedeutet, auch unseren amerikanischen Freunden doch einiges zu sagen. Ein Supermachtstatus allein reduziert nicht den Druck, Verbindungen einzugehen, und bedeutet nicht, auf Partner verzichten zu können oder sich aus internationalen Organisationen zurückzuziehen. Wer wie viele amerikanischen Politiker glaubt, das ginge, weil man so groß sei, weil man vielleicht in dem Land mit einem Flugzeug sechs Stunden umherfliegen kann und aussteigt und immer noch die gleiche Sprache spricht und die gleiche Staatsbürger trifft, macht einen Fehler. Wer glaubt, weil er größer ist als andere auf Verbindungen verzichten zu können, um unilateral handeln zu können, macht nicht nur einen strategischen Fehler, er macht auch einen kulturellen Fehler. Kein Land kann groß genug sein, um auf Verbündete und Freunde verzichten zu können. Das ist unsere Botschaft an die amerikanischen Freunde.
Angehörige der amerikanischen Streitkräfte haben nicht nur ihrem Land, auch der gesamten freiheitlichen Welt unermeßlichen Schaden zugefügt durch die Foltervorgänge, auch wenn jetzt die inneramerikanische Vorbereitung beginnt und die Vorgänge aufarbeitet. Das ist kaum mehr wieder gutzumachen im Imageschaden. Da werden wir lange dran zu arbeiten haben. Das wird nicht nur Amerika betreffen. Das ist ein Ankratzen der ethischen Überlegenheit der Freiheit, das wir weltweit mit diesem Vorgang erlebt haben, meine Damen und Herren.
Deshalb gilt für deutsche Außenpolitik ganz klar: Immer die Prinzipien zu beachten, die unser verfassungsgebundenes Handeln, auch nach innen bestimmen. Wenn wir weltpolitisch Laufen lernen, und wir müssen es, und unsere Visitenkarte bei Anderen abgeben, dann sollte das eine Visitenkarte sein, die ganz klar die Bindung an das Recht, die Bindung an das Völkerrecht, ein Zivilmachtkonzept mit militärischen Möglichkeiten bedeutet und deutsche Interessen nicht verleugnet, aber allen sagt, proaktiver Multilateralismus ist unsere Haltung und nicht abgeschottetes, unabgesprochenes Vorgehen, ohne mit anderen Kontakt aufzunehmen. Wir wollen Freunde anderer sein und nicht falsch verstandene Gegner. Auch an einem solchen Tag wie dem heutigen, am D-Day vor 60 Jahren, muß der amerikanischen Politik, bei allen Streitigkeiten, die wir haben, eines attestiert werden: Sie waren der Überzeugung, daß der Kriegseintritt notwendig ist, um Deutschland vom Hitlerregime zu befreien. Und diese Nation hat darüber nicht lange überlegt. Sie hatte immer in ihrer Geschichte, in ganz wichtigen Situationen, die auch heute unsere Freiheit ermöglicht haben, dieses Bewußtsein des Vorkämpfers für die Freiheit. Das möchte ich auch dem deutschen Bundeskanzler sagen, der jetzt im Europawahlkampf wieder plakatiert: Friedensmacht oder Zivilmacht. Niemand von uns will Krieg, wir alle lieben den Frieden. Aber es gibt Regimes, die allein mit auswärtiger Kulturpolitik nicht aus den Angeln gehoben werden können.
Zivilmacht allein kann kein Konzept sein. Die diplomatischen Mittel werden irgendwann wirkungslos, wenn sie im Notfall und im Ernstfall nicht militärisch unterlegt werden. Und dieses militärische Unterlegen hat nichts mit Leichtsinn zu tun oder mit der Suche nach Tätigkeitsfeldern für die Bundeswehr. Nein, meine Damen und Herren, ich bekenne mich dazu als Freier Demokrat, daß ich nicht emotional und persönlich tatenlos zusehen kann, wie in anderen Regionen der Welt Menschen unterdrückt, gefoltert, abgeschlachtet werden, niedergestochen und erschossen werden und dann der öffentliche Hinweis erfolgt: Keine Einmischung in die innere Souveränität dieser Staaten. Nein, meine Damen und Herren, Menschenrecht gilt für Alle. Es gibt keine Autonomie, die jemanden davon abhalten könnte.
Das begann im Übrigen, wir haben das ja gelernt, auf dem Balkan, vor unserer Haustür. Da stand Europa, dessen Teil der Balkan ist, lange ohne Entscheidung. Ohne den amerikanischen Einsatz dort wäre es heute noch nicht gelungen, Herrn Milosovic vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag zu haben. Deshalb ist dieser Hinweis auf Zivilmacht schön, aber er ist nicht ausreichend. Wir haben nicht mehr die alte bipolare Welt, wo Deutschland so eine Art Enfant Chérie des Kalten Krieges war und sich um die weltpolitischen Angelegenheiten die anderen gekümmert haben. Wir haben international neue Unsicherheiten, bei denen die großen leistungsfähigen freiheitlichen Staaten gefragt werden, wie sie dem entgegentreten. Und dazu muß die Antwort der Freien Demokraten heißen: Die Geografie ist in der Welt sowieso sehr eng. Wir sind nahezu alle Nachbarn. Wir müssen uns mit anderen freiheitlichen Demokratien schon zu Engagement entschließen, gebunden an das Völkerrecht mit Mandat der Vereinten Nationen, aber wenn, dann notfalls auch militärisch, wenn es anders nicht gelingt, Menschen am Leben zu erhalten in den Ländern dieser Welt. Das ist unser Credo.
Wenn wir jetzt in den Kosovo blicken und wir sehen, wie mühelos wieder Tausende zu gewalttätigen Ausschreitungen gebracht werden, nur mit einem öffentlichen Hinweis, dann zeigt das, daß wir dort noch lange nicht von militärischer Präsenz abgehen können. Wir werden die deutsche Bundeswehr noch lange dort stationiert haben. Die entscheidende Frage ist für die Bundestagsfraktion: Wir möchten jetzt politischen Konzepte dahinter sehen. Wir verlängern nahezu jährlich die Mandate der Bundeswehr überall auf der Welt. Aber das kann doch nicht die deutsche Antwort sein. Die Bundeswehrsoldaten haben hohes Ansehen in der Welt, aber wir stationieren doch nicht nur Militär, wir wollen die politischen Lösungen dahinter sehen, wo immer sie stationiert sind. Deshalb muß im Kosovo jetzt eine Lösung kommen. Wir wollen vom Bundesaußenminister hören, wie denn nun der Balkanstabilitätspakt weitergehen soll. Was er denn an politischen Entwicklungen überhaupt einleitet. Wann die nächsten Initiativen erfolgen. Wir hören aber ausschließlich Erklärungen zu militärischen Stationierungen.
Der Nahost- Friedensprozeß ist zum Stoppen gekommen. Das Quartett müßte ihn wieder neu anschieben. Der amerikanische Präsident übernimmt überhaupt keine Abstimmung mit den übrigen Verbündeten. Der Parteitag in Mannheim hat für uns ganz klar beschlossen, daß wir von einer Existenz freier Staaten ausgehen, die friedlich nebeneinander leben sollten: Israel und Palästina. Und wir haben ganz normal gesagt, daß es auch dazugehört, daß Israel seine Siedlungspolitik beendet und die Siedlungen abbaut. Und wir haben die Selbstmordattentate der Palästinenser klar verurteilt. Dabei bleibt es. Es wird dort nur Frieden geben, wenn beide zur Vertrauensbildung kommen und wenn die israelische Regierung die Existenz eines palästinensischen Staates, der nicht durchlöchert ist wie ein Schweizer Käse durch eigene Siedlungen, akzeptiert und die Palästinenser und die anderen arabischen Staaten das Existenzrecht Israels akzeptieren.
Wir sind in Afghanistan engagiert, in Kundus, im Norden des Landes. Sicher machen die Soldaten dort einen guten Einsatz. Die Berichte, die wir erhalten, zeigen, daß die Bevölkerung es als wohltuend empfindet, daß sie da sind. Aber andere Nationen sind
nicht hinzugekommen. Kundus ist faktisch wie eine Stecknadel im Heuhaufen. Um Afghanistan zu beschreiben, könnten wir heute sagen, wir sichern mit hoher militärischer Präsenz, so etwas wie einen Oberbürgermeister von Kabul. Wenn dieses Land durchgängig von Herrn Karsai, dem mein voller Respekt gehört, regiert werden soll, müssen andere Staaten der Europäischen Union jetzt mit uns Verantwortung übernehmen. Allein Kundus kann nicht der europäische Beitrag für den Wiederaufbau Afghanistans sein. Das ist zu wenig. Das ist nicht hinreichend.
Der Dialog mit Rußland findet in großen Foren statt. Ich weiß heute noch nicht, wenn man die Diskussion in den russischen Eliten sieht, ob dieses Land eher geneigt ist, wieder zu alter imperialer Größe zurückzugehen oder ob es sich wirklich öffnen will. Die Kräfte streiten noch. Wir sollten die Kräfte unterstützen, die sich öffnen wollen. Aber dann müssen wir auch offen sprechen. Dann müssen wir auch Worte finden bei allen Begegnungen mit dem russischen Präsidenten, was denn die Stationierung russischer Truppen in Moldavien und Georgien soll. Dann müssen wir auch ein Wort finden zu den permanenten Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien. Zur Unterstützung der weißrussischen Diktatur durch Rußland.
Es ist gut, daß Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Rapporteur des Europarates ist, um die Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze im Yukos-Verfahren zu überprüfen. Meine Damen und Herren, die mangelnde Pressefreiheit in Rußland ist doch unerträglich. Vorgestern ist die letzte kritische Fernsehsendung unterbunden worden. Auch ein Land wie Rußland muß Kritik ertragen können, wenn es mit westlichen Demokratien befreundet sein möchte. Diese Kritik ist notwendig. Diese notwendige Kritik wird aber nach meiner Auffassung den persönlich guten Kontakten Schröders und des bundesdeutschen Außenministers zu ihren jeweiligen russischen Kollegen untergeordnet. Ich will mal den Satz prägen: Neben die ausgestreckte Hand gegenüber Rußland, die wir in der FDP-Politik immer vertreten haben, gehört aber eben auch das offene Wort. Sonst nutzt das nichts.
Es gibt keine europäische Afrikastrategie. Der Bundesaußenminister hat den Kontinent mehrmals besucht. Er ist so in einer Art hineingestolpert mit hoher Kamerabegleitung. Das ist unser benachbarter Kontinent, das ist der Nachbar der Europäischen Union. Unser Nachbar Frankreich spürt hohe Wanderungsbewegungen aus seiner alten Kolonialgeschichte, ganze Gesellschaften stehen dort vor dem Absturz durch eine schlimme Krankheit. Und die europäischen Antworten sind Botschaftsschließungen an der einen oder anderen Stelle in afrikanischen Ländern. Es ist unbegreiflich. Wir nennen uns Europäische Union, wir wollen eine gemeinsame europäische Sicherheits- und Außenpolitik entwickeln. Die nationalen Staaten sollten nicht dort Botschaften schließen, sondern die Europäische Union sollte Botschaften der Europäischen Union mit koordinierter Entwicklungspolitik aufbauen in Afrika. Dann wird ein Schuh draus.
Wir sind mit Südamerika durch eine Vielzahl von Bindungen verbunden. Manche der Staatschefs aus ganz kleinen Ländern kommen in ihren unmittelbaren Vorfahren aus Deutschland. Wenn sie Deutschland besuchen, wie der Präsident Nicaraguas, dessen Stellvertreter im Übrigen mein Kollege in der Liberalen Internationale ist, dann haben sie Mühe, hochkarätige Termine in Deutschland zu bekommen. Es ist meist überhaupt nicht bekannt, welche Chancen wir dort haben. Die suchen aber nach uns. Die wollen nicht ausschließlich eine Orientierung an Nordamerika, die brauchen eine Art Twin-Partnership mit der Europäischen Union. Deutsche Außenpolitik nimmt die überhaupt nicht in den Blick, die existieren kaum für uns. Das sind aber Länder, die sich auf dem Weg befinden zu wirtschaftlichem Wachstum, die internationale Orientierung suchen, die in ihren Regionen sich so organisieren wollen, wie das die Europäische Union tut, die in manchem noch in den Kinderschuhen stecken, die aber insbesondere Deutschland und die Europäische Union suchen.
Meine Damen und Herren, es ist auch eine emotionale Frage deutscher Außenpolitik und nicht nur ökonomisches Interesse, den Ländern Chancen zu geben und sie mit uns enger zusammenzuführen, die mit uns emotionale Bindungen haben. Das ist ein Stück gemeinsamer Geschichte, gemeinsamer Familiengeschichte und gemeinsamer Zukunftschancen. Mittel- und Lateinamerika kann nicht weiter so stiefmütterlich von deutscher Außenpolitik behandelt werden, wie das gegenwärtig geschieht.
Deutsche Asienpolitik wird der wirtschaftlichen Bedeutung des Kontinents überhaupt nicht gerecht. Man hat ja manchmal den Eindruck, der Bundeskanzler identifiziert Asien mit China. Natürlich nimmt das Land eine gewaltige Entwicklung, natürlich sind wir glücklich, daß es in die WTO gekommen ist, natürlich glauben wir, daß es sich weiter demokratisiert, weil es sich freiem Handel aufschließen muß. Aber dort entwickeln sich gewaltige andere Kräftekonstellationen. Die Problematik auf der koreanischen Halbinsel, Auflösungserscheinungen im indonesischen Inselreich, Kernenergiefragen doch nicht nur in Nordkorea, sondern in den Kräftekonstellationen Pakistan – Indien. Nein, meine Damen und Herren, es muß eine kohärente und konsistente Asienpolitik entworfen werden, die der Bundesregierung fehlt. Dort leben über 50 % der Weltbevölkerung, das ist ein Kontinent, auf den sich unser Interesse richten muß. Der Bundeskanzler empfiehlt dem chinesischen Ministerpräsidenten, den Zugang zum Internet für die Chinesen zu ermöglichen. Vor wenigen Tagen werden dort tausende von Internetcafés geschlossen. Meine Damen und Herren, Deutschland darf in der Außenpolitik, wenn es hier bei der SPD Zivilmacht plakatiert, dann schon mal bei Besuchen in bestimmten Ländern auch diese Fragen klarer ansprechen. Das ist auch ein Stück notwendige Reaktion.
Es gibt auf der Welt leider noch immer Gesellschaften, die sich geradezu im freien Fall befinden. Es gibt Fundamentalismus, es gibt Repression, es gibt unendliche Unterdrückung. Wie wir auf dem Balkan erlebt haben, werden in manchen Bereichen ganz alte Landkarten aufgeschlagen, deren Trümmer nie ordnungsgemäß geschichtlich bei Seite geräumt worden sind. Es gibt Gewalt gegen Frauen und Kinder, die unerträglich ist. Es gibt frauenverachtende Praktiken und es gibt Repressionen, die wir nicht ertragen wollen. Oft werden die mit dem Hinweis auf die jeweilige regionale und kulturelle Autonomie beschönigt, und deshalb möchte ich das hier mal sagen. Für einen Freien Demokraten darf es weltweit keine kulturelle Autonomie geben, die Menschenwürde mißachtet. Wir sollten das nicht akzeptieren.
Die Globalisierung ist kein Schicksal, das wir ertragen müssten. Sie ist eine Chance. Sie ist eine Chance, wenn wir sie gestalten wollen, im Übrigen nicht in der alten Art Entwicklungshilfepolitik der Armutsbekämpfung, sondern in der Fähigkeit einer Politik, die Anderen Selbstbewußtsein gibt. Schwellenländer einzubinden, ihnen unsere Märkte zu öffnen, sie selbst zu ermutigen, ihnen damit zu zeigen, daß sie Selbstbewußtsein gewinnen können, ist marktwirtschaftlich durch freien Handel zehnmal mehr emotional wert, als die Überweisung von Frau Wieczorek-Zeul zur Bohrung eines Brunnens.
Die Stärkung dieser Potentiale ist das ganz Entscheidende. Daß Cancun, die Welthandelskonferenz, gescheitert ist, ist für jeden Liberalen ein Drama. Cancun wäre der Ort gewesen, eine wirklich neue Phase internationaler wirtschaftlicher Zusammenarbeit möglich zu machen, von alten Ethiken herunter zu kommen, neue Perspektiven für Schwellenländer und Entwicklungsländer zu ermöglichen. Cancun ist aber nicht nur daran gescheitert, weil man das von Reichen zu Armen immer noch nicht begriffen hat, freien Handel immer noch zurückhaltend bewertet, der Marktwirtschaft nicht so richtig traut. Cancun ist leider auch gescheitert, weil die hoch entwickelten Nationen, die im Wandel von der Industrienation zur Dienstleistungsgesellschaft sind, immer noch ihre Märkte abschotten, in Amerika genauso wie in der Europäischen Union, und immer noch nicht genügend Kraft haben, wirklich freiem Handel zu vertrauen. Ich sage Ihnen ganz einfach, damit die Menschen uns draußen verstehen: Wenn jedes Land die Güter produzieren würde, die es am besten kann und dann alle miteinander in Austausch kämen, hätten wir friedlichere Zustände und mehr wirtschaftlichen Erfolg auf der Welt, als wir jetzt haben, wo einer gegen den anderen seine Märkte abschottet.
Meine Damen und Herren, worauf ich hinaus will, ist ganz einfach. Wir brauchen eine gewaltige Anstrengung. Wir sitzen hier in einem Parteitag in Dresden, haben eben mit großer Freude Gesundheitspolitik besprochen und werden jetzt Außenpolitik beraten, handeln danach Anträge ab über Bildungspolitik und alles was uns hier beschwert und belangt. Ich möchte heute Morgen Ihnen sagen: Das ist ein Teil der Aufgabe, unser Frieden, unser Wohlstand, unsere Sicherheit hängt davon ab, ob wir mit anderen zusammen diese neuen Unübersichtlichkeiten und neuen Krisenprobleme der Welt bewältigen können.
Wir haben geschichtlich immer solange zugesehen, bis sich ein Problem bis zur Neige entwickelt hat, das dann nicht mehr gelöst werden konnte. Wir erleben innenpolitisch bei jedem Vorgang, daß wir politisch Jahre brauchen, um ein Strukturproblem zu lösen. Wir verschieben, wir verdrängen, wir vertagen, wir äußern uns nicht klar genug und dann schlagen Probleme über uns zusammen, die wir nicht entwirren können. Deshalb ist ein Stück vorgreifliche Politik, wie wir sie eben beim Gesundheitswesen beschlossen haben, wie wir sie in der Bundestagsfraktion und in der Partei auch zum Arbeitsmarkt beschlossen haben, wie wir sie überhaupt zur Reform der sozialen Sicherungssysteme beschlossen haben, notwendig. Sie ist unverzichtbar. Auch wenn wir jetzt noch Widerstände haben: Ich sage Ihnen, in zwei bis drei Jahren werden ganze Bischofskonferenzen in Deutschland Lösungen empfehlen müssen, wie wir sie auch auf diesem Parteitag zur Gesundheitspolitik beschließen.
Wir brauchen so eine Einstellung zum großen Wurf, weil ihn andere auch gar nicht haben. Wo ist er denn bei der CDU/CSU? Bei der SPD erwarte ich ihn nicht. Das war die Agenda 2010, das war es dann. Bei den Grünen wird er nicht mehr kommen. Die haben sich erschöpft. Wir haben, das will ich Ihnen vermitteln, als FDP eine großartige Chance. Die erfordert aber ein unglaubliches Rückrat, eine Haltung und große Courage und Überzeugung. Sie müssen mit Versammlungen rechnen, bei denen Wahlkämpfer von uns gegen eine Mehrheit in Versammlungen stehen. Sie müssen aber stehen, weil zu mir niemand mehr nach einer Wahl kommen sollte und mir sagen könnte, er habe das aber nicht gewußt und sei über den Tisch gezogen worden. Zum über den Tisch Ziehen gehören immer zwei. Einer, der es macht und der andere, der sich über den Tisch ziehen läßt.
Nach meiner Überzeugung wird in einer solchen öffentlichen Auseinandersetzung ein wesentlich höherer Prozentsatz, als wir ihn jetzt haben, zu gewinnen sein. Ich ziehe das wirklich nicht in Zweifel. Ich glaube, daß eine deutlich zweistellige prozentuale Zahl von Mitbürgerinnen und Mitbürgern mit uns einen Weg gehen würde, wenn er klar, präzise beschrieben, couragiert vertreten und am Ende des Tunnels auch aufgezeigt würde, warum wir den mühseligen Weg gehen und wo wir ankommen wollen. Das muß unsere Botschaft und unsere Haltung sein.
Die gibt es, die sind auch da. Wir erreichen sie oft nicht, manchmal sind wir zu kleinmütig, sie erreichen zu wollen. Manchmal beschleicht uns auch die Angst vor Themen zu ungünstigen Zeiten. Nein, meine Damen und Herren, es gibt überhaupt keine ungünstige Zeit für ein Thema. Wahlkämpfen können wir sowieso nicht entweichen. Parteitage finden immer statt und werden am nächsten Tag schon bewertet und Bürger bilden sich auch nicht nur ihre Meinung vier Wochen vor der Wahl. Also wenn schon viele Wahlkämpfe, dann müssen wir mit einer klaren Meinung hineingehen. Dann sollten sich die Geister scheiden. Wer Staatsorientierung sucht, kann CDU/CSU wählen, SPD, die Grünen und die PDS. Wer das aber nicht glaubt, wer glaubt, daß der Staat nicht über sich selbst wieder Beschäftigungsdynamik entfaltet, der hat nur eine Wahl in Deutschland: Die Freie Demokratische Partei. Darauf müssen wir hinaus.
Dazu gehört eine große Fähigkeit zur politischen Führung. Da sage ich auch: Wer politische Führung fordert, muß auch der politischen Führung einen ausreichenden, hinreichenden Raum eines eigenen Disponierens geben. Ich glaube, daß die Freie Demokratische Partei ohne eigene politische Führung nie ausgekommen ist. Sie war immer wichtig, auch für das öffentliche Bild. Politische Führung riskiert, daß sie auch kritisiert wird. Dem stellen wir uns auf Parteitagen. Das ist völlig klar. Aber solange wir ein Mandat von Ihnen haben, wollen wir sie auch ausüben, mit eigenem Credo, mit klarer marktwirtschaftlicher Orientierung, mit einem Bild der FDP, die nicht mit jedem und allem hantiert, deshalb war diese Volksparteidiskussion nach meiner Überzeugung auch so falsch. Wir sind für jeden wählbar, aber auf Grund eines klaren Programms und nicht indem wir hinter allen herlaufen, wie CDU/CSU und SPD und Grüne.
Wir haben eine gewaltige Aufgabe, die will ich gemeinsam mit Guido Westerwelle, ihm als Bundesvorsitzendem und mir an der Spitze der Bundestagsfraktion bewältigen. Wir sind im Übrigen nicht in allen Fragen einer Meinung, aber wir besprechen, wenn wir unterschiedliche Meinungen haben, wie wir sie verträglich miteinander händeln. Sie lesen von uns in den Zeitungen keine von uns ausgelöste Kontroverse, sondern höchstens ab und zu einmal Gestecktes, ob wir denn nicht da doch unterschiedlicher Meinung seien.
So kann ich einmal sagen, Guido Westerwelle bevorzugt einen europäischen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Ich auch. Ich glaube nur nicht, daß Frankreich und England ihn freiwillig räumen werden im nächsten Jahr zu Gunsten eines europäischen Sitzes. Deshalb sage ich, dann machen wir die zweitbeste Lösung, streben einen deutschen Sitz an, sagen aber, was dann auch dazu gehört. Verstehen Sie, Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen und schöner deutscher Sitz, ein Kaffeekränzchen ist das nicht. Wenn man dort einen ständigen Sitz hat, kommt man vor sehr unangenehme weltpolitische Fragen.
Deshalb sage ich am Schluß dieses Beitrags: Deutschland muß aus den Kinderschuhen weltpolitisch heraus. Es muß weltpolitisch Laufen lernen. Dazu muß es nicht immer den Vereinigten Staaten folgen, aber es braucht diese transatlantische Beziehung, um diese Schritte zu bewältigen. Und die Vereinigten Staaten von Amerika, die weltpolitisch laufen können, müssen wieder zurückgeholt werden in die internationale Situation. Es gibt keine Legitimation zu Krieg oder Frieden außerhalb des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen und nicht durch den amerikanischen Präsidenten.
Also, liebe Freunde, wir brauchen politische Führung, wir brauchen die Courage zur internationalen Verantwortung, wir brauchen den Mut im Innern zur Modernisierung Deutschlands, wir brauchen außenpolitische Strategien vor neuen Unsicherheiten. Das alles will Rot-Grün nicht. Vieles kann auch Rot-Grün nicht. Die Zukunft Deutschlands hängt aber davon ab, daß das geschieht. Wir, die FDP werden das tun. Spätestens ab 2006. Wir leben weltweit zu nahe aneinander, als daß wir uns zueinander neutral verhalten können. Die anderen müssen unsere Stimme hören, unsere Visitenkarte kennen. Sie ist friedlich, sie ist fair, sie ist auf internationale Zusammenarbeit ausgerichtet. Aber nirgendwo auf der Welt wird deutsche Politik, Außenpolitik, Sicherheitspolitik, Wirtschaftspolitik, alles, was wir an Segmenten nennen, zulassen und akzeptieren, daß die Würde des Menschen verletzt wird.
Herzlichen Dank!
Rede vom 30.06.2004
Deutscher Bundestag – Mittwoch, den 30. Juni 2004
Gesetz zur Regelung der Versorgung bei besonderen
Auslandsverwendungen (Einsatzversorgungsgesetz)
Dr. Max Stadler (FDP):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Für die FDP-Fraktion kann ich mich bei diesem Thema relativ kurz fassen, nicht etwa, weil es ein unbedeutendes Thema ist – ganz im Gegenteil, ein sehr wichtiger Gesetzentwurf ist zu beraten –, sondern deswegen, weil kein politischer Streit über die Notwendigkeit der Verbesserung der Versorgung bei besonderen Auslandsverwendungen besteht. Zwar hat bereits die damalige Koalition von FDP und CDU/CSU im Jahr 1995 eine Verbesserung der Versorgung bei besonderen Auslandsverwendungen herbeigeführt; aber angesichts der höheren Risiken, die mit den Auslandseinsätzen von Soldaten, Beamten und sonstigen Angehörigen des öffentlichen Dienstes verbunden sind, besteht eine allgemeine Einigkeit darüber, dass die damaligen Regelungen heute nicht mehr ausreichen. Aus diesem Grund ist, wie schon erwähnt, im Verteidigungsausschuss einstimmig beschlossen worden, dass man eine Neuregelung auf den Weg bringen muss. Wir finden, dass die jetzt gemeinsam gefundene Lösung eine angemessene Verbesserung der Versorgungssituation darstellt.
Die einzige kritische Frage, die man stellen muss, lautet:
Aus welchem Grund hat es eigentlich so lange gedauert, warum beraten wir diesen Gesetzentwurf erst heute? Diese Frage ist selbstkritisch an uns alle gerichtet. Eine vermehrte Anzahl an Auslandseinsätzen mit hohen Risiken gibt es schließlich nicht erst seit gestern, sondern schon längere Zeit. Wir von der FDP finden gemeinsam mit allen anderen, dass es die selbstverständliche Fürsorgepflicht des Gesetzgebers ist, für diejenigen, die im Auftrag des Bundestages solche Risiken für Leib und Leben auf sich nehmen, eine angemessene Absicherung in finanzieller Hinsicht sicherzustellen. Das geschieht jetzt. Man kann eigentlich nur noch darüber sprechen, ob dieses Gesetz, wie es die Bundesregierung wünscht, rückwirkend zum 1. Juni 2003 oder wegen des Hubschrauberabsturzes im Dezember 2002 in Afghanistan schon zum 1. Dezember 2002 in Kraft zu setzen ist. Ich muss schon sagen: Es wäre etwas schäbig, wenn die finanziellen Folgen dieses Absturzes nicht vernünftig aufgefangen würden. Was da passiert ist, ist ohnehin schlimm genug. Ich werte die Aussage von Staatssekretär Körper von heute so, dass die Bundesregierung bereit ist, dies noch einmal zu prüfen, und dass eine einstimmige Verabschiedung dieses Gesetzes an diesem einen Punkt am Ende nicht scheitern sollte. Vielen Dank.
Rede vom 01.07.2004
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf an das anschließen, was Ministerpräsident Müller am Schluss gesagt hat: Die Arbeit hat sich gelohnt.
Das neue Zuwanderungsgesetz ist vielleicht kein historischer Kompromiss, es ist aber eine durch und durch vernünftige Neuregelung der deutschen Migrationspolitik. Dieses Gesetz eröffnet große Chancen: Erstens. Es bietet eine vorsichtige Öffnung des Arbeitsmarktes für ausländische Arbeitnehmer, die uns helfen werden, Arbeitsplätze in Deutschland zu sichern und neue zu schaffen.
Zweitens. Dieses Gesetz bewahrt die humanitäre Tradition des Grundgesetzes und baut sie sogar aus, etwa mit neuen Regelungen zur geschlechtsspezifischen Verfolgung und zur nichtstaatlichen Verfolgung.
Drittens. Dieses Gesetz ist der Einstieg in eine bessere Integrationspolitik. Es war von Anfang an ein zentraler Aspekt bei diesem Gesetzgebungsvorhaben, dass wir denjenigen, die schon in Deutschland leben, und denjenigen, die neu kommen, mehr Integrationsmöglichkeiten bieten müssen, aber auch von ihnen Integrationsbemühungen
verlangen dürfen.
Natürlich lässt der Kompromiss manche Wünsche offen. Als FDP kritisieren wir vor allem, dass jetzt ein ungeheuer bürokratisches Verfahren erforderlich ist, um Zugang zum Arbeitsmarkt zu erlangen. An manchen Stellen spiegelt sich eine große Ängstlichkeit mancher an den Verhandlungen Beteiligter wider.
Trotz aller Kritik meine ich aber, dass das, was vereinbart worden ist, insgesamt ein Zeichen für Liberalität, Weltoffenheit und Integrationsbereitschaft in Deutschland ist, ohne falsche Romantisierung und ohne Verdrängung der Probleme, die es natürlich auch zu lösen gilt. Das Gesetz ist auch ein Dokument der Entscheidungsfähigkeit der deutschen Politik, auch wenn es lange gedauert hat.
Der entscheidende Gesichtspunkt aus meiner Sicht ist folgender: Das Thema „Zuwanderung“ – das haben all diejenigen gespürt, die Versammlungen abgehalten und mit den Bürgerinnen und Bürgern diskutiert haben – ist bis zum heutigen Tag bei vielen Bürgerinnen und Bürgern angstbesetzt. Viele meinen, ein Zuwanderungsgesetz bedeute ein unverträgliches Maß an mehr Zuwanderung, und haben Sorge, dass dies nicht bewältigt werden könnte. Dadurch, dass die deutsche Politik es geschafft hat, sich jetzt auf ein solches Gesetz zu verständigen, besteht die Chance, dass wir das Thema „Zuwanderung“ aus der Angstecke herausholen und wir hiermit ein Grundgesetz für eine rationale Zuwanderungspolitik schaffen. Das ist das Entscheidende.
Die FDP hatte von Haus aus bei diesem Thema einen einfachen Grundgedanken: Zuwanderung ist existent, also liegt es in unserem Interesse, wenn wir sie steuern. Deswegen haben wir die Debatte hier im Deutschen Bundestag mit unserem Gesetzentwurf vom 18. November 1998 angestoßen; lange bevor andere überhaupt bereit waren, sich mit diesem Thema auseinander zu setzen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, gemeinsam mit der von Ihnen geführten Landesregierung hat die FDP über Rheinland-Pfalz und insbesondere Justizminister Peter Caesar, den ich erwähnen möchte – leider ist er früh verstorben –, weil er große Verdienste erworben hat, 1999 einen neuen Versuch unternommen. Schließlich haben wir als FDP im Jahre 2003 mit dem von Frau Werwigk-Hertneck initiierten Gesetzentwurf noch einmal unsere inhaltliche Position hier im Bundestag dargestellt. Weil wir immer eine klare Position hatten, war es möglich, im Spannungsfeld zwischen den Maximalforderungen der Grünen auf der einen Seite und den zu zögerlichen Vorstellungen der CDU/CSU auf der anderen Seite zu vermitteln. Wir freuen uns, dass dies durch die klare Haltung der FDP-Fraktion möglich war und dass Guido Westerwelle mit seinem Gespräch beim Bundeskanzler dazu einen wichtigen Beitrag geleistet hat.
Die Arbeit für Rita Süssmuth, Cornelia Schmalz-Jacobsen und andere aus der Süssmuth-Kommission hat sich gelohnt, die den Boden dafür bereitet haben, dass es dieses Gesetz überhaupt gibt. Die Arbeit – lieber Kollege Bürsch, das Lob wird von mir auf alle Seiten gleichmäßig verteilt – hat sich insbesondere für den Bundesinnenminister Otto Schily gelohnt. Der FDP-Fraktion steht nicht an zu sagen: Wir sind der Meinung, kein anderer als er hätte es geschafft, ein solch schwieriges Gesetz in dieser Verhandlungskonstellation überhaupt durchzusetzen, dies natürlich mit der Unterstützung von Peter Müller, der in der entscheidenden kritischen Verhandlungsphase und in der schwierigen Situation, als die Verhandlungsrunde am 1. Mai 2004 auseinander zu brechen drohte – entschuldigen Sie, wenn ich das so sage –, dieselben Vermittlungsvorschläge wie die FDP gemacht hat, sodass am Ende eine Brücke gebaut werden konnte.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, uns kam es darauf an – das will ich in der Sache doch noch erwähnen –, dass der Zuzug Selbstständiger etwas großzügiger geregelt worden ist als im ersten Entwurf. Nunmehr wird es auch für Menschen mit mittlerer beruflicher Qualifikation möglich sein, nach Deutschland zu kommen, wenn ein Arbeitsplatz mit Inländern nicht besetzt werden kann. Wir haben einen Vorschlag für eine Härtefallregelung gemacht, die nicht zu neuen Rechtswegen führt, sodass auch dieser Punkt allseits akzeptabel geworden ist und eingeführt werden konnte. Bei den Sicherheitsfragen kam es für die FDP darauf an, dass die Regelungen rechtsstaatlich einwandfrei sind. Deswegen war mit uns eine Sicherungshaft auf Verdacht nie zu machen, auch nicht eine Ausweisung auf Verdacht, sondern nur aufgrund gerichtsverwertbarer Tatsachen. Ich komme damit zum Schluss und darf noch einen Punkt anführen. Dieses Gesetz legt den Behörden, die es jetzt in die Praxis umzusetzen haben, eine sehr große Verantwortung auf. Es enthält viele Ermessensspielräume und unbestimmte Rechtsbegriffe. Die FDP erwartet und vertraut darauf, dass die praktische Anwendung von Liberalität, Weltoffenheit und zugleich Wahrung unserer eigenen Interessen geprägt sein wird.
Vielen Dank.
Rede vom 01.07.2004
Rede von Bundesinnenminister Otto Schily in der abschließenden Beratung des Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz) am 1. Juli 2004 im Deutschen Bundestag
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen!
Ich habe allen Reden aufmerksam zugehört, da ich die Erwartung habe,dass alle - mit Ausnahme von Frau Kollegin Pau - dem Gesetzentwurf zustimmen werden. Es liegt in der Natur der Sache, dass diejenigen, die sich am schwersten getan haben, dem Gesetz ihre Zustimmung zu verleihen, am weitläufigsten argumentieren, was ihnen alles an Veränderungen an der ursprünglichen Fassung gelungen sei. Ich will das jetzt nicht im Einzelnen diskutieren. Ich meine, wenn sich alle als Gewinner sehen, muss das Ergebnis gut sein.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Das Gesetz ist vor allem ein Gewinn für unser Land, für Deutschland.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Es stärkt unsere Position im internationalen Wettbewerb um die besten Köpfe und dient den wirtschaftlichen Interessen unseres Landes. Es
mildert die Folgen der demographischen Entwicklung - der neu gewählte Bundespräsident hat uns gerade heute gemahnt, diese Entwicklung ernst zu nehmen -, es bremst den Zuzug in die sozialen Sicherungssysteme und es gibt uns die Möglichkeit, mit menschlichen Schicksalen auch menschlich umzugehen. Es verbessert die Integration all derer, die zu uns kommen, um hier zu leben und zu arbeiten. Nicht zuletzt erhöht es die Sicherheit unseres Landes, indem es jene, die hier Unfrieden stiften und Hass säen wollen, in die Schranken weist.
Meine Damen und Herren, ich zögere nicht mit folgender Aussage: Wie schon die Reform des Staatsangehörigkeitsrechtes ist auch das
Zuwanderungsrecht eine historische Zäsur.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr. Max Stadler [FDP])
Es ist ein weiterer Schritt Deutschlands zu einem modernen, freiheitlichen Staat mit einer weltoffenen Gesellschaft in einem vereinten Europa. Europäische Geschichte war und ist auch Migrationsgeschichte; das haben manche nicht mehr erkennen können. Sie reicht von der Völkerwanderung bis hin zum Massenexodus in die neue Welt im 19. Jahrhundert und endet nicht mit den Millionen Flüchtlingen und Vertriebenen des vergangenen Jahrhunderts.
Heute ist Europa für Menschen aus aller Welt Anziehungspunkt, aber auch Zufluchtsort geworden. Wie viele andere europäische Länder ist Deutschland vom Auswanderungsland zum Einwanderungsland geworden. Wenn wir uns die konkrete Situation von Einwanderern, die in unser Land kommen, vor Augen führen und uns damit beschäftigen, dann ist es vielleicht hilfreich, sich an die Situation deutscher Auswanderer bzw. Einwanderer in andere Länder zu erinnern.
Das neue Zuwanderungsgesetz, meine Damen und Herren Kollegen, ist Ausdruck der Erkenntnis, dass es in Deutschland seit vielen Jahren Zuwanderung gibt und auch in Zukunft geben wird. Es markiert damit
eine Grenze. Hinter diese Erkenntnis werden wir nie wieder zurückfallen.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Es ist Ausdruck der Erkenntnis, dass die Politik diese Tatsache nicht ignorieren kann, sondern die Realität aktiv gestalten muss.
Der parteiübergreifende Konsens bzw. die parteiübergreifende Einigung auf den Gesetzestext ist auch ein positives Zeichen politischer Vernunft. Ich bin sehr froh darüber, dass wir für das Reformvorhaben einen so breiten Konsens gefunden haben, weil damit das Thema Zuwanderung der polemischen, bisweilen sogar demagogischen
Überspitzung entzogen wird. Wie Herr Kollege Stadler richtig gesagt hat: Es kehrt ein Stück Rationalität in die Debatte ein. Auch das werden wir hoffentlich so weiterführen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, selbstverständlich - das gehört zum Wesen eines Kompromisses - hat jede Seite Zugeständnisse machen müssen. Das mag der eine triumphal und der andere nüchtern feststellen; es verringert den Wert des Kompromisses und des Reformprojektes jedoch nicht,
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
weil in den Verhandlungen - das gestehe ich durchaus zu - auch Verbesserungen des ursprünglichen Entwurfs erreicht worden sind.
(Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Sehr richtig!)
Allen, die konstruktiv an dem Gesetzesvorhaben mitgewirkt haben, sage ich ausdrücklich Dank. Allen voran danke ich dem Bundeskanzler Gerhard Schröder,
(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Was hat der damit zu tun?)
dass er in der Schlussphase, als die Verhandlungen über den Gesetzentwurf zu scheitern drohten, in den von ihm geführten Spitzengesprächen die letzten Stolpersteine beiseite geräumt hat. -Herr Kollege Koschyk, ohne die Mitwirkung des Bundeskanzlers wäre der Kompromiss nicht zustande gekommen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN - Hartmut Koschyk
[CDU/ CSU]: Das hätten Sie auch alleine hingekriegt! Dafür hätten wir den Schröder nicht gebraucht!)
Meiner eigenen Fraktion, insbesondere Dieter Wiefelspütz, möchte ich ebenfalls Dank aussprechen. Ihnen danke ich für Ihre übergroße Geduld sowie für die stets vorhandene Kompetenz in allen Sachfragen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP - Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Das heißt viel!)
Ich nehme für die sozialdemokratische Fraktion in Anspruch, die vernünftigste unter allen beteiligten gewesen zu sein.
(Beifall bei der SPD - Lachen bei der CDU/ CSU - Dr. Dieter
Wiefelspütz [SPD]: Wo der Mann Recht hat, hat er Recht!)
Das Gleiche gilt selbstverständlich auch für die sozialdemokratischen Innenminister, die sich in der Arbeitsgruppe für das nun vorliegende Ergebnis eingesetzt haben, also die Kollegen Buß, Behrens, Zuber, Thimm und Körting. Ebenso danke ich unserem Koalitionspartner, der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen
(Peter Müller, Ministerpräsident [Saarland]: Aber verhalten!)
- nein! -, dass er sich dem Kompromiss nicht verweigert hat, obwohl ihm - das muss man anerkennen - das an der einen oder anderen Stelle nicht leicht gefallen ist. - Herr Kollege Müller, ich möchte Ihnen hier deutlich widersprechen. Es stimmt zwar, dass zum Schluss nur noch wir, Sie, Herr Beckstein und ich, verhandelt haben; das war auch ganz gut so. Aber Sie können sicher sein, dass auch in dieser Phase die Kolleginnen und Kollegen der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen eng einbezogen waren. Sie sollten also keine Legenden in die Welt setzen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN - Hartmut Koschyk [CDU/ CSU]: Virtuell waren sie dabei!)
- Nein, nicht nur virtuell! Ich habe sehr gute und hilfreiche Gespräche führen dürfen, für die ich mich ausdrücklich bedanke.
(Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: Jetzt nicht anfangen zu lachen!)
Auch der FDP, insbesondere dem Kollegen Stadler, danke ich für die stetige, zuverlässige und konstruktive Mitarbeit.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Ich glaube, Herr Stadler hat in diesem Zusammenhang ein besonderes, persönliches Lob verdient. Ich bedanke mich auch für die freundlichen
Worte an meine Adresse.
Da ich mit dem Ergebnis zufrieden bin, kann ich auch Ihnen von der CDU/CSU ein Lob nicht ersparen;
(Lachen bei der CDU/CSU)
denn dass Sie sich zu dem Kompromiss durchgerungen haben, ist für Sie sicherlich keine einfache Übung gewesen. Vielen Dank auch an Herrn Ministerpräsidenten Peter Müller und den Kollegen Beckstein.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)
Vielleicht verdienen diejenigen am allermeisten Dank, die sich in den gesellschaftlichen Gruppen in den verschiedenen Bereichen aktiv für dieses Projekt eingesetzt haben. Ich möchte an dieser Stelle noch
einmal an die großartige Arbeit der Kommission unter dem Vorsitz von Frau Kollegin Professor Süssmuth
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP - Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Keine Hand rührt sich bei der CDU/CSU!)
sowie an den Einsatz der Kirchen erinnern. Es hat mich sehr gefreut, dass ich jetzt gerade aus dem kirchlichen Bereich viel Post und viele mündliche Erklärungen erhalte, in denen uns allen zu diesem Erfolg gratuliert wird. Ich bedanke mich außerdem für die Unterstützung der Wirtschaft, der Gewerkschaften und der Kommunen. Ich glaube, dass gar nicht genug hervorgehoben werden kann, was an Unterstützung von den Gruppierungen einschließlich der humanitären geleistet worden ist.
Erlauben Sie mir ebenfalls, einen besonders herzlichen Dank an diejenigen zu richten, die wirklich herausragende Arbeit geleistet haben. Das ist das Dream-Team unter Leitung von Dr. Lehnguth in meinem Ministerium, dessen Ausdauer und fachlich ausgezeichnete Arbeit ich hier in besonderer Weise loben möchte.
(Beifall im ganzen Hause)
In Anbetracht der beschränkten Redezeit kann ich nur auf wenige, ausgewählte Punkte des Gesetzgebungsvorhabens noch einmal eingehen.
(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)
- Ich sehe, wie Sie das quittieren. Vielleicht könnte man in der Geschäftsordnung künftig vorsehen, die Redezeit proportional zur Beratungsdauer eines Gesetzes festzulegen.
(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/ CSU und der FDP - Wolfgang Bosbach [CDU/ CSU]: Dann könnte die Sommerpause ausfallen!)
Ich will versuchen, die vier Kernbereiche dieses Gesetzes - Arbeitsmigration, humanitäre Regelungen, Integration und Sicherheit - anhand einiger Beispiele zu illustrieren. Die entscheidende Frage ist doch nicht, ob man irgendwo im Gesetzblatt etwas nachlesen kann, sondern: Was wird besser für die Menschen, was wird besser für unser Land?
Erstens: Arbeitsmigration. Zunächst einmal ist die Möglichkeit für hoch qualifizierte Menschen, nach Deutschland zu kommen, zu erwähnen.
Entgegen manchen Gerüchten, die immer wieder verbreitet werden, zählt Deutschland zu den attraktivsten Ländern. Der hohe Lebensstandard, Wohlstand und Sicherheit, eine dichte, reiche Forschungslandschaft, weltweit führende Industrieunternehmen und nicht zuletzt die Offenheit gegenüber fremden Kulturen, das sind wirklich hervorragende Argumente im Wettbewerb um die weltweit besten Köpfe. Das darf durch bürokratische Hürden nicht konterkariert werden.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
Aber was macht beispielsweise der international angesehene Neurowissenschaftler aus Russland, der nach Berlin kommen möchte, um an der Freien Universität eine Forschungsgruppe zu leiten? Seine Frau ist als Sprachwissenschaftlerin tätig, seine beiden Töchter sind 16 und 17 Jahre alt. Nach geltendem Recht konnte ihm nur eine befristete Aufenthaltserlaubnis gewährt werden. Der Arbeitsmarktzugang der Ehefrau war nur nach einer Wartezeit von einem Jahr möglich und die
Töchter durften gar nicht erst mit nach Deutschland kommen, da sie das bisherige Höchstalter für den Familiennachzug überschritten hatten.
(Jörg Tauss [SPD]: Das war CDU-Recht!)
Das waren nicht gerade attraktive Aussichten für einen hoch qualifizierten Wissenschaftler und deshalb würden wir im Wettbewerb unterliegen. In Zukunft aber kann er sofort einen Daueraufenthaltstitel in Form einer Niederlassungserlaubnis erhalten. Seiner Frau wird die Erwerbstätigkeit sofort gestattet und die Töchter dürfen natürlich mit nach Deutschland kommen, weil wir für Hochqualifizierte auch den Kindernachzug verbessert haben.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)
Da ist jetzt also der rote Teppich ausgerollt. Ich hoffe, dass viele ihn beschreiten werden.
Ebenso erhält die brasilianische Studentin, die ihr Architekturstudium an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule in Aachen mit Bravour beendet hat, nun eine Perspektive, da sie bei einem
Architekturbüro eine Festanstellung erhalten könnte. Bisher hätte sie nach Abschluss ihres Studiums das Land verlassen und nach Brasilien zurückkehren müssen. In Zukunft darf sie die Beschäftigung in
Deutschland annehmen. Sie erhält sogar ein Jahr lang Zeit, sich einen entsprechenden Job zu suchen. Es wird unserem Land gut tun, dass wir hoch qualifizierte Studentinnen und Studenten nicht nach Hause, zum Beispiel nach Übersee, schicken müssen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)
Das wird sich positiv auswirken.
Mit dem Zuwanderungsgesetz wird Deutschland für hoch qualifizierte Ausländerinnen und Ausländer, die hier leben und arbeiten wollen, deutlich attraktiver. Das gilt auch für Selbstständige, deren Zuzug
und Aufenthalt erstmals gesetzlich geregelt wird.
Wir haben bei der Arbeitsmigration im Übrigen auch dafür gesorgt, dass niemand, der in Deutschland Arbeit sucht, zurückgesetzt wird. Niemand braucht in Deutschland Angst vor neuer Konkurrenz zu haben. Wir haben das Vorrangprinzip für alle in Deutschland Lebenden im Gesetz, übrigens in der Ursprungsfassung, sichergestellt. Deshalb ist jegliche
Propaganda, es werde etwas zulasten des deutschen Arbeitsmarktes bewirkt, falsch. Wir tun etwas für den Arbeitsmarkt, weil Weltoffenheit - nicht das Gegenteil - die Wirtschaft fördert.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
An dieser Stelle folgt im Original-Dokument eine Tabelle. Um den Inahlt zu betrachten, begeben sie sich bitte zur Webseite
"http://www.bmi.bund.de/dokumente/Presse/ix_m82935.htm".]
Zweitens. Auch bei den humanitären Regelungen konnten wir nach Überwindung mancher Kontroversen schließlich für eine Vielzahl erheblicher Verbesserungen sorgen. Ein Beispiel ist der Fall einer
17-jährigen Frau, die mit viel Glück in letzter Sekunde dem Gemetzelrivalisierender Clans in Somalia entkommen konnte. Eine Anerkennung als Flüchtling mit einem entsprechenden Status war in Deutschland bisher nicht möglich. Nach dem Zerfall der staatlichen Institutionen und der funktionierenden Zentralgewalt fehlte das Merkmal der staatlichen Verfolgung. Es konnte nur eine Duldung erteilt werden. Diese junge Frau lebte in einem Zustand der beständigen Unsicherheit über ihre Zukunft. Was das gerade für die Seele eines jungen Menschen bedeutet, kann man nur nachvollziehen, wenn man versucht, sich da einmal mit der notwendigen Empathie hineinzufühlen.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Ich bin wirklich froh darüber, dass es uns gelungen ist, gerade für solche Menschen die Möglichkeit eines verlässlichen Aufenthaltsstatus zu schaffen. Das ist ein großer Schritt nach vorne.
Das gilt nicht nur für die nicht staatliche Verfolgung, sondern auch, wie der Kollege Beck richtig hervorgehoben hat, für die geschlechtsspezifische Verfolgung. Wenn man an solche Verfolgungsschicksale denkt, dann, glaube ich, ist ein Moment des Innehaltens notwendig. Man muss sich klar machen, was durch das Gesetz für solche Menschen in der konkreten Situation an neuen
Zukunftsperspektiven bewirkt wird.
Dass wir die Kettenduldungen, die mit Recht immer als besonders
schlimmer Zustand angeprangert wurden, abschaffen, ist, finde ich, ein
großer Fortschritt.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)
Ich will auch die wichtige Verbesserung ansprechen, die im Gesetz in Form der Härtefallregelung vorgesehen ist. Ich teile die Auffassung, dass wir keine neue Gerichtsinstanz schaffen sollten. Aber die Härtefallregelung wurde gerade von Kirchen und von humanitären Organisationen immer wieder eingefordert. Wir alle kennen die Fälle, in denen der Wortlaut des geltenden Gesetzes nicht zu einem tragbaren Ergebnis führt. Ich schließe mich dem Appell an, dass die Länder von dieser Möglichkeit auch Gebrauch machen. Ich weiß, Herr Kollege
Müller, dass ich an Sie nicht appellieren muss; denn in Ihrem Landtag gibt es schon einen einstimmigen Beschluss, nach dem eine solche Härtefallregelung geschaffen werden soll.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Thomas Rachel [CDU/CSU])
Den dritten Punkt, die Integration, will ich nur kurz ansprechen. Hierbei muss ich schon besonders hervorheben, dass wir als Bund sehr viel an Kosten auf uns genommen haben. Der Bund, der nicht der in
erster Linie für die Integration Verantwortliche ist, nimmt hier eine große Kostenlast auf sich. Das ist ein großzügiges Angebot, ohne das der Weg zu einem Kompromiss nicht geebnet worden wäre. Herr Kollege Eichel ist zwar nicht mehr im Hause, aber ich möchte mich bei ihm doch sehr dafür bedanken, dass er daran mitgewirkt hat, dass das Ganze ermöglicht wird.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Ich bin in diesem Punkt ganz bescheiden und sage: Was wir in dem Bereich jetzt an Kursangeboten zur Verfügung stellen werden, in erster Linie für die Neuankömmlinge, aber in einem bestimmten Ausmaß auch für die so genannten Bestandsausländer - das sind solche Ausländer, die schon hier sind -, ist nicht mehr, aber auch nicht weniger als der Einstieg in eine systematische Integrationspolitik, die jahrelang
versäumt worden ist. Wir dürfen einigermaßen stolz darauf sein, dass wir damit beginnen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
Wir sind damit auch nicht am Ende. Wir haben in dem Gesetz vorgesehen, dass diese konzeptionelle Arbeit unter Führung des künftigen Bundesamtes für Migration, dem ich für seine neue Aufgabe viel Glück wünsche, fortgesetzt wird.
Viertens: Ein Wort zur Sicherheit. Ich glaube nicht, dass man die Sicherheit vernachlässigen darf. Die Sicherheitsaspekte gehören selbstverständlich dazu.
(Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Selbstverständlich!)
Ich habe eine Umfrage gelesen, nach der die Bevölkerung zu 80 Prozent der Meinung ist, dass auch die Sicherheitsgesichtspunkte im Ausländerrecht angemessen berücksichtigt werden müssen. Sie haben Recht, meine Damen und Herren.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Deshalb ist es sinnvoll, dass wir uns in mühsamen Debatten auf vernünftige Regelungen haben einigen können.
Zum Teil haben sie rein deklaratorischen Charakter; das muss ich hervorheben: Die Regelung bezüglich der Hassprediger, die wir gebilligt haben und heute mitbeschließen werden, ist nur eine Konkretisierung des schon jetzt geltenden Rechtszustandes,
(Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Sehr richtig!)
dass Personen, die eine Gefahr für die innere Sicherheit unseres Landes darstellen, selbstverständlich unser Land verlassen müssen.
Hierbei handelt es sich also um die Konkretisierung eines schon allgemein geltenden Grundsatzes. Ich möchte dabei schon einmal die Länder erinnern: Wenn es ein Gesetz gibt, müssen sie davon auch
Gebrauch machen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Vielleicht ist in der Vergangenheit an der einen oder anderen Stelle versäumt worden, den Vollzug des Gesetzes durchzusetzen.
Meine Damen und Herren, dieses Gesetz hat - wenn man so will - einen langen Leidensweg bzw. einen langen Arbeitsweg hinter sich. Es wurden sehr mühevolle, sehr anstrengende, zum Teil vielleicht auch zu Melancholie Anlass gebende Gespräche geführt. Gleichwohl sage ich: Nach diesen ungewöhnlich langen und äußerst schwierigen Verhandlungenverwirklichen wir heute ein bedeutendes Reformprojekt, das sich dann in der Praxis - das haben viele gesagt; das haben Herr Bosbach, Herr Beck und Herr Müller gesagt - bewähren muss. Es kann sogar sein - das schließe ich nicht aus -, dass sich erweisen wird, dass wir an der einen oder anderen Stelle noch einmal nachjustieren müssen. Es besteht aber seit Jahren ein breiter gesellschaftlicher Konsens darüber, dass wir Zuwanderung aktiv gestalten müssen und Deutschland zu einem weltoffenen, modernen Land herausputzen müssen. Das Gesetz bietet dafür eine gute Basis. Deshalb bitte ich um Ihre Zustimmung.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)
Rede vom 07.09.2004
Dr. Max Stadler (FDP):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Nach der aus unserer Sicht erfreulichen Zusammenarbeit beim Zuwanderungsgesetz hat die FDP-Fraktion heute erneut Anlass, dem Bundesinnenminister Anerkennung zu zollen, und zwar aus folgendem Grund:
(Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Keine Anbiederung! – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Aber nicht auf der Schleimspur ausrutschen!)
In der nächsten Woche, am 17. September 2004, wird Otto Schily im Hotel Adlon in Berlin mit einem Preis ausgezeichnet, der seine besonderen Verdienste bei der Pflege der transatlantischen Beziehungen würdigt. Wir finden es wichtig und richtig, dass es in dieser Bundesregierung wenigstens einen Minister gibt, der die guten Beziehungen zu den USA pflegt.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Herr Minister, das müssen Sie zurückweisen!)
Ich erwähne dies aber auch noch aus einem anderen Grund: Die Laudatio wird der amerikanische Minister für Heimatschutz, Tom Ridge, halten. Herr Minister, das gibt mir den Anlass dafür, zu erwähnen, dass wir als Bundesrepublik Deutschland natürlich unsere eigenen rechtsstaatlichen Traditionen zu bewahren haben. Das ist für uns das Kernthema der Innenpolitik im Jahre 2004.
(Beifall bei der FDP)
Wie gelingt es uns, angesichts der von Ihnen beschriebenen Bedrohung unserer Sicherheit alles zu tun, um die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger zu wahren, zugleich aber trotzdem auch den freiheitlichen Gehalt des Grundgesetzes und die klassische Rechtsstaatlichkeit zu bewahren? Das ist das Kernthema.
(Beifall bei der FDP)
Über die Differenzen, die wir an manchen Stellen mit den amerikanischen Freunden haben, will ich nicht zu lange reden. An dem einen Thema, dem sich mein Kollege Ernst Burgbacher sehr stark angenommen hat, nämlich der Übermittlung von Fluggastdaten,
(Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Immer noch?)
lässt sich dieser Grundkonflikt aber sehr deutlich aufzeigen, Frau Kollegin Philipp. Es geht darum, einerseits zu akzeptieren, dass die Amerikaner bestimmte Sicherheitsbedürfnisse haben, andererseits aber auch deutlich zu machen, dass für uns bei der Übermittlung an persönlichen Daten vieles zu weit geht.
(Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Was geht denn zu weit? Beispiele!)
Ich erwähne dies auch noch aus einem anderen Grund. Frau Kollegin Stokar von den Grünen hat uns schon in Verwirrung gestürzt.
(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dazu sind wir da!)
Daniel Cohn-Bendit hat dies im Europawahlkampf zu einem seiner Hauptthemen gemacht.
(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, ich habe ihn unterstützt!)
Als wir aber im Bundestag vorgeschlagen haben, dass sich die Bundesrepublik Deutschland in der Europäischen Union gegen die überzogene Übermittlung von Passagierdaten wenden solle, haben die Grünen gegen unseren Antrag gestimmt. Das müssen Sie einmal erklären, Frau Stokar.
(Beifall bei der FDP)
Selbstverständlich haben auch wir unsere Sicherheitsinteressen. Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Konrad Freiberg, hat in letzter Zeit zu Recht auf einige Punkte hingewiesen. Es ist nicht verständlich, dass zu einer Zeit, in der alle von einer wachsenden Bedrohung sprechen, die Polizeidichte, also das Verhältnis der Polizeibeamten zur Anzahl der Bürgerinnen und Bürger, sinkt statt steigt, und zwar auch in Bundesländern wie Bayern und Nordrhein-Westfalen.
(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Aber nicht in Niedersachsen!)
Damit sehen wir uns vonseiten eines erfahrenen Praktikers und Gewerkschafters in unserer Grundposition bestätigt: Die Hauptsache bei der Gewährleistung der inneren Sicherheit ist ausreichend Personal, modernste Technik – Stichwort Digitalfunk – und natürlich genügende Finanzen für die Polizei und die sonstigen Sicherheitsbehörden. Dies allein ist aber nicht das Thema. Herr Minister, es ist keine Frage des Feuilletons, darüber nachzudenken, ob nicht doch manche Vorschläge der letzten Zeit mit erschreckender Leichtigkeit von Grundrechtstraditionen abweichen, die wir in Deutschland 50 Jahre lang gepflegt haben.
(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Wo? Welche denn?)
Ich nenne einige Beispiele: Das Bundesverfassungsgericht hat eine Entscheidung zum großen Lauschangriff getroffen. Demnach steht die Neuregelung dieses Instruments an. Übrigens wird es interessant sein, wie die Grünen im Bundestag abstimmen werden, aber das sei nur am Rande bemerkt.
(Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Natürlich zustimmen!)
Von Ihrer Kollegin Brigitte Zypries von der Bundesregierung kommt als Erstes ein Entwurf, der einen Kernpunkt dieses Themas, nämlich die Sicherung der Berufsgeheimnisse von Anwälten, Ärzten und auch von Journalisten im Verhältnis zu ihren Informanten, in völlig unzureichender Weise regelt. Es gibt zu denken, wenn das die Reaktion der Bundesregierung auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes ist. Wir erleben auch in den Ländern, dass im polizeilichen Bereich die klassische Vorgehensweise, an eine konkret begangene Straftat Verfolgungsmaßnahmen anzuknüpfen oder bei konkret bestehenden Verdachtsmomenten einzugreifen, immer mehr in Vergessenheit gerät und man stattdessen in die so genannten Vorfeldermittlungen mit der Folge hineinrutscht, dass polizeiliches Eingreifen gar nicht mehr richtig abgrenzbar ist. Dazu gehört für mich zum Beispiel die präventive Telefonkontrolle, wie wir sie jetzt aus einigen Bundesländern kennen lernen. Es handelt sich dabei um eine Telefonkontrolle, wenn jemand noch gar keine Straftat begangen hat, sondern sie möglicherweise begehen wird. Mein Kollege Jörg van Essen bemüht sich immer, das Ausufern der Telefonüberwachung in Deutschland mit seinen Anträgen zu beschneiden. Stattdessen erfahren wir aus den Bundesländern, dass es eine gegenteilige Tendenz gibt. Ich nenne ein nächstes Beispiel, das zeigt, dass Politik – das wissen wir alle – natürlich ein Kampf um die Begriffe ist. Der Bundesinnenminister hat im Laufe der Zuwanderungsdebatte die so genannte Sicherungshaft vorgeschlagen, sie aber zu Recht gegen unseren, aber auch gegen den Widerstand anderer, nicht durchsetzen können.
(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Aber er sagt, es bleibt auf der Tagesordnung!)
– Ich will Sie gerade zitieren, lieber Herr Kollege Koschyk. Nun hat der Kollege Koschyk dafür eine neue Begrifflichkeit gefunden. Herr Koschyk spricht jetzt vom „polizeilichen Abwehrgewahrsam für Topgefährder“.
(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Guter Begriff!)
Das ist sehr geschickt formuliert, Herr Kollege Koschyk; denn jeder möchte sich gegen Topgefährder schützen. Dass die Polizei hier Abwehrmaßnahmen ergreifen soll, ist vermutlich ebenso unstreitig. Gewahrsam hört sich auch ein wenig schonender an als Sicherungshaft. Aber in beiden Fällen wird vorgeschlagen, Personen für längere Zeit, für ein, zwei Jahre, zu inhaftieren.
(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Wer sagt das: ein, zwei Jahre?)
– Das ist in Ihren eigenen Vorschlägen enthalten. Es geht darum, Personen, denen man nichts nachweisen konnte, was zu einer strafrechtlichen Verurteilung geführt hätte, für längere Zeit zu inhaftieren. Auch in Zeiten der von uns ernst genommenen Bedrohung muss man doch darüber nachdenken, ob das der richtige Weg ist. Wir glauben, dass er das nicht ist.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Meine Damen und Herren, es kommt noch schlimmer. Mit den Beispielen, die ich Ihnen nenne, will ich versuchen, Nachdenklichkeit zu erzeugen. Es ist eigentlich egal, ob sie von der einen oder der anderen Seite kommen. Das nächste Beispiel stammt aus einem Antrag der CDU/CSU, der hier im Bundestag gestellt worden ist. Darin insinuieren Sie, dass die Bundesrepublik Deutschland sich notfalls aus der Europäischen Menschenrechtskonvention verabschieden soll. Es geht um Ihren Antrag auf der Drucksache 15/1239 mit dem Ziel, Abschiebungen zu erleichtern. Wir wissen alle, dass es manchmal durchaus schwer fällt, Abschiebungsschutz zu gewähren, weil Todesstrafe oder Folter drohen. Aber es gehört zu einem Rechtsstaat, sich zur Europäischen Menschenrechtskonvention zu bekennen.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Stadler, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Koschyk?
Bitte.
Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Herr Kollege Stadler, sind Sie denn bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass unser Antrag, aus dem Sie gerade zitiert haben, das Ziel verfolgt, dass die Bundesrepublik Deutschland sich mit anderen Unterzeichnerstaaten der Europäischen Menschenrechtskonvention zusammensetzt und darüber diskutiert, wie man mit dem Phänomen umgehen muss, dass Topgefährder, die eine Gefährdung der Sicherheit nicht nur für unser Land, sondern auch für andere Unterzeichnerstaaten der Europäischen Menschenrechtskonvention bedeuten, zwar rechtskräftig ausgewiesen, aber nicht abgeschoben werden können? Und sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass auch eine Persönlichkeit wie Professor Heilbronner in mehreren Zeitungsinterviews und Fachaufsätzen dies als Problem geschildert hat und dass wir es begrüßen, Herr Kollege Stadler, dass mehrere Kollegen mit Herrn Minister Schily auf einer informellen Tagung in Bayern, zu der Herr Minister Schily mehrere Innenministerkollegen aus der Europäischen Union eingeladen hat, eine Arbeitsgruppe eingerichtet haben, in der darüber beraten wird, wie man mit diesem Problem umgeht? Und sind Sie denn nicht bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass dies eine Herausforderung ist und dass wir nicht die Europäische Menschenrechtskonvention in ihrem Kerninhalt infrage gestellt wissen wollen, dass aber das Problem, wie wir mit dieser Frage umgehen, gelöst werden muss?
Dr. Max Stadler (FDP): Lieber Herr Kollege Koschyk, würde ich jetzt mit Ja antworten, wäre es problematisch, denn Sie haben einmal gefragt, ob ich bereit wäre, und einmal, ob ich nicht bereit wäre,
(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Dann antworten Sie doch!)
sodass ich etwas länger ausholen muss. Dass dieses Problem, das Sie sehr treffend beschrieben haben, besteht, steht außer Zweifel. Gerade deswegen haben wir in den interfraktionellen Verhandlungen zum Zuwanderungsgesetz nach einer Lösung für das Problem gesucht – Sie sagten es –, dass jemand rechtskräftig ausgewiesen ist, wir ihn aber nach unseren rechtsstaatlichen und humanitären Maßstäben nicht abschieben können, weil ihm dann Folter oder Todesstrafe drohen. Zunächst muss man klar sagen, ob es bei diesem Grundprinzip bleiben soll.
(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Ja!)
Wir als FDP sagen ja und ich begrüße es sehr, wenn Sie hier klarstellen, dass dies auch Ihre Meinung ist. Ihren Antrag lese ich allerdings anders.
(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Zitieren Sie doch aus dem Antrag!)
– Ich zitiere ihn. Ich bin jetzt dabei, Ihnen zu antworten und Sie müssen die Antwort bitte mir überlassen. Ich komme Ihrem Wunsch sowieso nach und zitiere aus Ihrem Antrag. Sie schreiben in Ihrem Antrag, die Abschiebungsvoraussetzungen müssten den aktuellen Herausforderungen angepasst werden. Abschiebungsvoraussetzung ist bisher, dass im Heimatland weder Todesstrafe noch Folter drohen. Was soll denn da wie angepasst werden? Da gibt es jetzt wirklich nur ein Ja oder Nein. Entweder bleibt es bei dieser Voraussetzung oder nicht.
(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Abschiebung in Drittländer, Herr Stadler!)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege Koschyk, Sie haben eine sehr ausführliche Frage gestellt, die in viele Unterfragen unterteilt war. Jetzt müssen Sie dem Kollegen Stadler die Möglichkeit geben, in Ruhe zu antworten, und dürfen ihn nicht unterbrechen.
(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Ist in Ordnung, Herr Präsident!)
Dr. Max Stadler (FDP): Es ist eine komplizierte Frage. In den Kompromissverhandlungen zum Zuwanderungsgesetz haben wir versucht, eine Lösung zu finden, nämlich dass solche Personen Meldeauflagen bekommen, Residenzpflichten überwacht werden und – das hat es meines Wissens im deutschen Polizeirecht noch nie gegeben – dass ihnen die Benutzung von Kommunikationsmitteln verboten werden darf. Mit anderen Worten: Es gibt ein ganz dichtes Kontrollnetz. Jetzt sollten wir erst einmal das, was in diesem Kompromiss vereinbart worden ist, in der Praxis probieren. Ich habe nur meine Sorge zum Ausdruck gebracht, die sich aus folgendem Satz Ihres Antrags speist: Die Bundesregierung muss darum prüfen, wie … die Schutzpflichten, die sich aus … der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ergeben, in Übereinstimmung mit den Sicherheitserfordernissen Deutschlands gebracht werden können. Diese Prüfung ist richtig, aber ich habe die große Sorge – das ergibt sich aus dem Gesamtduktus Ihres Antrags –, dass Sie der Meinung sind, wir könnten uns von Grundsätzen verabschieden, die wir bisher gemeinsam getragen haben.
(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Das ist unverschämt!) Wenn Sie das heute damit korrigiert haben, ist es mir umso rechter.
(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Das ist überhaupt nicht wahr! Ihre verwirrte Interpretation! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Er hat nicht korrigiert! Er hat klargestellt!)
Ich komme zum Schluss. Ich möchte für die FDP-Fraktion feststellen, dass die FDP die Frage, die ich eingangs gestellt habe, nämlich ob es möglich ist, in Zeiten einer terroristischen Bedrohung den Freiheitsgehalt des Grundgesetzes aufrechtzuerhalten, die Rechtsstaatlichkeit zu bewahren und trotzdem zugleich die Sicherheit optimal zu gewährleisten, eindeutig mit Ja beantwortet.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Reinhard Grindel
[CDU/CSU]: Sie müssen sagen, wie Sie es machen wollen!)
Es ist nicht nur möglich, sondern es ist sogar unsere Pflicht, die wir als Gesetzgeber erfüllen müssen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Viel Freude der Koalition mit der FDP bei der inneren Sicherheit!)
DIE GRÜNEN)
Rede vom 23.09.2004
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Die FDP-Fraktion hat in den vergangenen Monaten wiederholt eine Evaluierung – so sagt man heute; besser wäre es vielleicht, von einer Auswertung zu sprechen – der Anti-Terror-Gesetze von Anfang 2002 verlangt. Aber es ist nichts passiert, Herr Staatssekretär. Deswegen haben wir heute einen Antrag gestellt. Ich nehme mit Befriedigung zur Kenntnis, dass Sie aufgrund unseres Antrages unserem Anliegen Rechnung tragen werden.
(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Helmut Heiderich [CDU/CSU] – Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!)
Es müsste eigentlich ein selbstverständliches Anliegen sein, dass eine Politik der inneren Sicherheit betrieben wird, die sich auf die Auswertung von Fakten und Tatsachen stützt und nicht nur auf Meinungen.
(Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Ist es ja auch! Das haben wir festgestellt!)
Wir haben den Antrag auch deswegen gestellt, weil wir mit der Art und Weise der Gesetzgebung in der letzten Zeit nicht zufrieden sein können. Es gibt ganz eindeutig eine anlassbezogene Gesetzgebung. Wenn – bedauerlicherweise – etwas Schlimmes passiert, dann kommt die Gesetzgebungsmaschinerie in Gang und die Parteien überbieten sich mit Vorschlägen für neue Gesetze. Das ist die Situation. Wir wollen aber eine rationale und an den Rechtstatsachen orientierte Innenpolitik. Dies zu erreichen ist der tiefere Grund unseres Antrags.
(Beifall bei der FDP – Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Das kann man doch nicht im Voraus planen, Herr Kollege!)
Ich darf daran erinnern, wie das Verfahren nach den furchtbaren Anschlägen vom 11. September 2001 gewesen ist. Die bis dato umfangreichste Änderung der Gesetze zur inneren Sicherheit ist von Rot-Grün im Bundestag mit einem raschen Tempo – weitgehend mit Zustimmung der CDU/CSU – verabschiedet worden. Dabei hat es sich nicht nur um eine umfangreiche uantitative Änderung der Gesetze, sondern auch um eine qualitative Änderung unseres Rechtsstaates gehandelt. Ich sage das nicht bewertend; es ist vielmehr ein Faktum. Denn wir sind im polizeirecht von der klassischen Aufgabe der Verfolgung begangener Straftaten oder der Verhütung von konkret bevorstehenden Straftaten weggekommen hin zu einem auf Prävention ausgerichteten Staat,
(Otto Fricke [FDP]: Leider wahr!)
in dem die Polizei immer mehr eingreift, ohne dass es dafür konkrete Anlässe gibt.
(Beifall bei der FDP)
Vielleicht ist dies notwendig. Aber es muss im Zuge einer Evaluierung einmal geklärt werden, was diese Maßnahmen gebracht haben
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr richtig!)
und wo vielleicht Lücken sind. Diese Evaluierung muss natürlich ergebnisoffen sein und sie muss jetzt stattfinden. Denn die Debatten, die damals geführt worden sind, entwickeln sich fortlaufend weiter. Ich nenne einige Beispiele. Erstes Beispiel ist die zukünftige Rolle des Bundeskriminalamtes. Herr Schily will, dass es mehr Kompetenzen bekommt.
(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kriegt er nicht!)
Die Länder sagen, dass es die von Schily behaupteten Sicherheitslücken nicht gibt.
(Gerold Reichenbach [SPD]: Falsche Behauptung!)
Das ist ein typisches Beispiel für einen Fall, in dem man eine Evaluierung braucht.
(Beifall bei der FDP)
Ich nenne als weiteres Beispiel den Grundsatz der Trennung von Geheimdiensten und Polizei. Dies ist seit 50 Jahren ein eherner Grundsatz des Rechtstaates. Er wird heute leichterhand zur Disposition gestellt. Ich nenne weiterhin die Debatte um die Sicherheitsarchitektur. Wir von der FDP sagen, dass wir im Zuge der Maßnahmen für die Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit dem Staate das geben, was des Staates ist – nicht weniger, aber auch nicht mehr.
(Beifall bei der FDP)
Um dies rational zu klären, brauchen wir – um mit den Worten von Erhard Denninger, dem bekannten Frankfurter Staatsrechtler, zu sprechen – nicht nur eine Überprüfung der schon geltenden Gesetze auf ihre Effizienz und auf ihre Lücken hin, sondern auch eine Überprüfung unter dem Gesichtspunkt, ob die Balance von innerer Sicherheit und Freiheit noch gewährleistet ist. Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Das wird doch alles gemacht! Sie können den Antrag zurückziehen!)
Rede vom 01.10.2004
Gesetzes zur wirkungsgleichen Übertragung von Regelungen der sozialen Pflegeversicherung sowie der gesetzlichen Krankenversicherung auf dienstrechtliche Vorschriften
Anrede,
lassen Sie mich mit dem Unstreitigen beginnen. Die Aufhebung der Befristung der Regelungen zur Teildienstfähigkeit ist zu begrüßen. Sie dient der Vermeidung von Frühpensionierungen. Beamtinnen und Beamte können so trotz einer Beeinträchtigung ihrer Arbeitskraft weiter berufstätig bleiben. Das liegt nicht nur im Interesse des Finanzministers. Das ist auch im Interesse der Menschen. Viele Beamtinnen und Beamte wünschen sich, den Kontakt zur Arbeitswelt nicht zu verlieren. Diesen Wunsch greift der Gesetzgeber mit der vorgeschlagenen Regelung auf. Es ist nunmehr an der Bundesregierung, bei den Behördenleiterinnen und -leitern für eine größere Akzeptanz für dieses Instrument zu werben.
Im Grundsatz unstreitig ist auch die Übertragung des Wegfalls der Beteiligung der Rentenversicherung am Pflegeversicherungsbeitrag auf Versorgungsempfängerinnen und Versorgungsempfänger des Bundes. Dies ist eine Frage der materiellen Gerechtigkeit. Der öffentliche Dienst lebt nicht auf einer Insel der Glückseligen. Er kann, auch wenn es schwer fällt, von allgemeinen sozialpolitischen Entwicklungen nicht ausgenommen werden. Allerdings fehlt es an der Wirkungsgleichheit der Übertragung. Bei den Rentnerinnen und Rentnern dient die Maßnahme der Stabilisierung der Rentenversicherung. Hingegen werden die Versorgungsempfängerinnen und Versorgungsempfänger nur belastet, ohne dass dem eine entsprechende Entlastung gegenüberstünde. Entlastet wird nur der Bundeshaushalt, nicht aber das Alterssicherungssystem der Beamtinnen und Beamten. Die FDP spricht sich daher dafür aus, die Einsparsumme aus der Reduzierung der Versorgungsbezüge in die Versorgungsrücklage einzustellen. Auf diese Weise lassen sich die Leistungen der Beamtenversorgung für die zukünftig in die Versorgung übergehenden Beamtinnen und Beamten stärker als bisher absichern. Die FDP greift hiermit einen Vorschlag des DGB auf, geht aber zugleich über ihn hinaus. Denn es ist nicht einzusehen, warum nur 50 Prozent der Einsparsumme in die Versorgungsrücklage des Bundes überführt werden sollen. Nach Ansicht der FDP hat der Einsparbetrag in voller Höhe im System zu verbleiben, um ihn vor einer Zweckentfremdung durch den notorisch klammen Finanzminister zu schützen.
Lassen Sie mich zum dritten Punkt kommen:
Die Gewährung eines Zuschusses an freiwillig krankenversicherte Beamtinnen und Beamte stieß bei der FDP von Anfang an auf großes Misstrauen. Wir haben Sie, meine Damen und Herren von Rot-Grün, bei dem Versuch gestellt, einen weiteren Schritt in Richtung Bürgerversicherung zu gehen. Zudem hat die Anhörung gezeigt, dass die Idee eines Beitragszuschusses auch erhebliche handwerkliche Fehler aufwies, z. B. zu einer Beitragspflicht betroffener Beamter geführt hätte. Ein wahrlich absurdes Ergebnis. Meine Fraktion ist froh, dass dieses Ansinnen nun vom Tisch ist und Sie unserem Antrag, Artikel 3 des Gesetzentwurfs zu streichen, gefolgt sind. Für Sie ist die Sache allerdings nur aufgeschoben, nicht aufgehoben. Wir sehen das anders: Der Verband der privaten Kranken-versicherungen hat schriftlich angeboten, alle Beamtinnen und Beamten im Standardtarif ohne Zuschlag oder im Beamtentarif mit einem maximalen Zuschlag von 30 Prozent zu versichern. Wer jetzt noch in der gesetzlichen Krankenversicherung bleibt, tut dies aus freier Entscheidung. Es ist nicht Aufgabe des Gesetzgebers, eine derartige Entscheidung durch Beitragszuschüsse zu subventionieren. Ebenso wenig bedarf es dann noch der vom Beamtenbund vorgeschlagenen Teilkostenlösung im System der gesetzlichen Krankenversicherung. Jedwede Zwischenlösung wäre ein weiterer Schritt in Richtung einer grundlegenden Systementscheidung im Gesundheitswesen. Sie stellte den Konsens in Frage, hierüber erst in der nächsten Legislaturperiode zu entscheiden.
Vielen Dank!
Rede vom 22.10.2004
Deutscher Bundestag – 133. Sitzung
Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile das Wort Kollegen Max Stadler, FDP-Fraktion.
Dr. Max Stadler: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Grundlinie der FDP ist selbstverständlich diejenige, dass der Staat alles Notwendige tun und alle notwendigen Vorkehrungen treffen muss, um den Terrorismus so effektiv wie möglich zu bekämpfen, dass er sich dabei aber selbstverständlich im rechtsstaatlichen und grundgesetzlichen Rahmen bewegen muss. Ich glaube, da sind wir alle in diesem Haus einig.
(Beifall bei der FDP – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Selbstverständlich!)
Deshalb gehen wir an das Problem, das mit dem Antrag der CDU/CSU aufgeworfen wird, mit folgenden Überlegungen heran: Erstens. Wir brauchen natürlich einen besseren Informationsfluss zwischen den Sicherheitsbehörden.
(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Sehr richtig!)
Zweitens. Wir brauchen eine bessere Auswertung von Informationen und drittens eine bessere Koordinierung im Handeln.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
So gesehen nähern wir uns Ihrem Vorschlag eines gemeinsamen Lagezentrums durchaus mit Sympathie. Aber es sind auch zwei kritische Fragen zu stellen.
(Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Jetzt gibt es das große „aber“!)
Die erste Frage – das werden wir in den Ausschussberatungen mit Praktikern gemeinsam zu erörtern haben – lautet: Ist es wirklich notwendig, eine neue Behörde oder eine neue Struktur zu schaffen? Wie steht es mit dem Informationsfluss innerhalb der bestehenden Behörden? Wir alle haben beim NPD-Verbotsverfahren die traurige Erfahrung gemacht, dass innerhalb der Verfassungsschutzbehörden und zwischen dem Verfassungsschutz und beispielsweise dem Bundesinnenministerium der Informationsfluss nicht gewährleistet war.
(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Leider wahr!)
Die rechte Hand wusste nicht, was die linke tat. Das war eine der Hauptursachen für das Scheitern dieses Verfahrens. Bevor neue Behördenstrukturen geschaffen werden, muss also zunächst einmal der Informationsaustausch zwischen den bestehenden Behörden verbessert werden.
(Beifall bei der FDP – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Stimmt!)
Nächste Frage: Ist das, was in dem CDU/CSU-Antrag gefordert wird, nicht ohnehin längst Aufgabe des Bundeskriminalamtes?
(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Theoretisch ja!)
Jedenfalls ist dies gesetzlich bereits so geregelt. Gegebenenfalls muss die gesetzliche Regelung nun zur Anwendung kommen. Eine weitere Frage: Gibt es nicht längst die Lagebesprechung im Kanzleramt mit den Geheimdienstchefs unter dem Geheimdienstkoordinator Ernst Uhrlau, der in der Fachwelt und darüber hinaus hohes Ansehen genießt, weil er dieser Aufgabe ausgezeichnet gerecht wird? Bei alledem stellt sich in der Tat die Frage, ob man wirklich eine neue Behörde braucht. Wir werden der Schaffung einer neuen Behörde nur dann zustimmen, wenn sie uns von den Praktikern als zwingend dargelegt wird.
(Beifall bei der FDP – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Sehr gut!)
Im Übrigen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU und der Regierungskoalition, greift die Idee eines gemeinsamen Lagezentrums von Bund und Ländern auch in Überlegungen ein, die eigentlich Gegenstand der Beratungen der Föderalismuskommission hätten sein sollen.
(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: So ist es!) Dort ist aber nichts zu diesem Thema eingebracht worden, auch nicht von der Bundesregierung im Zusammenhang mit polizeilichen Aufgaben.
(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Gar nichts! Eine Nullnummer! – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Frau Künast hat doch keine Ideen! – Gegenruf der Abg. Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer lehnt denn ab? Das ist doch Herr Beckstein!) Das ist in der Tat ein Manko.
Ich komme jetzt zu einer Frage, die mir wichtiger ist als die organisatorischen Probleme; denn diese können wir in den Griff bekommen. Seit dem 14. April 1949, also seit 55 Jahren, gilt in der Bundesrepublik Deutschland der bewährte Grundsatz: Die Polizei darf keine Geheimdienstkompetenzen bekommen; die Geheimdienste dürfen keine polizeilichen Kompetenzen bekommen. Dabei handelt es sich um den allseits bekannten und bewährten Grundsatz der Trennung von Polizei und Geheimdienst, an dem wir festhalten wollen. Dieser Grundsatz ist in der Verfassung verankert. Herr Kollege Koschyk, Sie haben nach der Fundstelle gefragt. Der Grundsatz ist in Art. 87 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes formuliert. Genaueres können Sie in dem vorzüglichen Aufsatz von Christoph Gusy in Heft 2/1987 der „Zeitschrift für Rechtspolitik“ nachlesen. Ich erwähne das deswegen ausdrücklich, weil das Trennungsprinzip neuerdings in Verruf geraten ist. In der allgemeinen Debatte wird immer wieder angeführt, dass das Trennungsprinzip nicht länger notwendig ist. Wir als FDP meinen: Es muss möglich sein, der terroristischen Bedrohung auch unter Wahrung der rechtsstaatlichen Grundsätze – dazu gehört das Trennungsprinzip – Widerstand zu leisten.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
Es geht schließlich nicht um Organisationsfragen, sondern um die Wahrung von Grundrechten. Wir müssten im Plenum keine langen Debatten mehr darüber führen, wann der große Lauschangriff zulässig ist und unter welchen Voraussetzungen Telefonüberwachungen stattfinden können, wenn sowieso jede Behörde ohne Beachtung dieser Voraussetzungen jede Information erhalten könnte. Deswegen ist es der richtige Weg, das Trennungsgebot aufrechtzuerhalten. Aber es ist durch die Pflicht zur Zusammenarbeit zu ergänzen.
(D) (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht schon im Gesetz!)
Die entsprechenden Regelungen existieren längst. Die gesetzlichen Bestimmungen sind längst von diesem Hohen Hause geschaffen worden. Sie müssen nur noch in die Tat umgesetzt werden. Die Behörden sollen die Informationen bekommen, durch die sie in die Lage versetzt werden, den Terrorismus zu bekämpfen. Aber wir legen Wert darauf, dass dabei die traditionellen und bewährten Bestimmungen des Grundgesetzes beibehalten werden.
Vielen Dank.
Rede vom 11.11.2004
Anrede
Es kommt sicher nicht alle Tage vor, dass ein Gesetz, das noch gar nicht in Kraft getreten ist, bereits wieder korrigiert werden muss. So gesehen ist es kein Ruhmesblatt für den Gesetzgeber, wenn wenige Monate nach Verabschiedung des Zuwanderungskompromisses schon wieder ein erstes Reparaturgesetz im Bundestag beraten und beschlossen werden muss. Allerdings muss zur Entschuldigung aller Beteiligten gesagt werden, dass die meisten Änderungen dadurch veranlasst worden sind, dass zwischenzeitlich zu anderen Materien Gesetzesbeschlüsse gefasst worden sind, an die das am 1. Januar 2005 in Kraft tretende Aufenthaltsgesetz mit Nebenmaterien nunmehr angepasst werden muss.
Demgemäß handelt es sich um eine ziemlich unübersichtliche Vielzahl von redaktionellen Änderungen und Angleichungen an andere Gesetze, die im wesentlichen zwischen den Fraktionen des Bundestages unstrittig sind. Gerade wegen der Kompliziertheit der Materie wäre es aber angebracht gewesen, die Ausschussberatungen erst nach einem erichterstattergespräch zwischen den Regierungs- und Oppositionsfraktionen abzuschließen. Statt dessen hat die rot-grüne Koalition wieder einmal gezeigt, dass sie intern oft große Probleme hat, auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. Noch bis Dienstag dieser Woche, also in letzter Minute, sind von der rot-grünen Koalition Änderungsanträge vorgelegt worden. Da der Zuwanderungskompromiss am Ende einvernehmlich vereinbart worden war, wäre es auch anzustreben gewesen, über das erste Änderungsgesetz Konsens zwischen den Fraktionen zu erzielen. Aufgrund des Zeitdrucks, den die Koalition selbst zu verantworten hat, hat sie dann aber den Oppositionsfraktionen eine Berichterstatterrunde zur intensiven Beratung verweigert.
Dennoch stimmt die FDP-Bundestagsfraktion dem Änderungsgesetz zu, weil die vorgelegten Regelungen durchaus sachgerecht sind. Dies gilt sowohl für die Errichtung einer Fundpapierdatenbank beim Bundesverwaltungsamt, mit der der Missbrauch, dass Ausländer sich bewusst ihrer Ausweispapiere entledigen, um einer Rückführung zu entgehen, bekämpft werden soll, als auch für die Neuregelung, traumatisierten Personen medizinische Hilfe zukommen zu lassen. Es ist für die FDP nicht recht verständlich, warum die CDU/CSU-Fraktion im Innenausschuss diese letztere Maßnahme kritisiert hat. Denn für die Hilfeleistungen gegenüber Traumatisierten existiert eine EU-Richtlinie, zu deren Umsetzung in nationales Recht die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet ist. Es spricht daher nichts dagegen, diese ohnehin notwendige Umsetzung der Richtlinie gleich im Änderungsgesetz zum Aufenthaltsgesetz vorzunehmen.
Die FDP kann sich auch der Kritik der CDU/CSU-Fraktion an einer Klarstellung im Bereich der Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention nicht anschließen. Diese Flüchtlinge erhalten nach drei Jahren eine Niederlassungserlaubnis, wenn ihnen vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mitgeteilt wurde, dass die Voraussetzungen für Widerruf oder Rücknahme der Anerkennung nicht vorliegen. Die Neuregelung fingiert jetzt diese Mitteilung für diejenigen Ausländer, die vor dem 1. Januar 2005 seit mehr als drei Jahren eine Aufenthaltsbefugnis besitzen. Damit wird unnötiger Verwaltungsaufwand vermieden. Denn ohne diese Klarstellung wäre das Bundesamt unter den zeitlichen Druck geraten, in den verbleibenden Wochen des Jahres 2004 zahlreiche Einzelfälle zu prüfen und über die Mitteilung, dass keine Widerrufs- oder Rücknahmegründe vorliegen, zu entscheiden. Eine ungerechtfertigte Bevorzugung ist mit der nun vorgesehen gesetzlichen Fiktion nicht verbunden. Sobald nämlich im Einzelfall Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Flüchtlingsstatus zu widerrufen oder zurückzunehmen sei, hat das Bundesamt nach wie vor das Recht, gemäß § 73 des Asylverfahrensgesetzes die Anerkennung nach Ermessen wieder zu beseitigen.
Also eignet sich dieser Punkt nach Meinung der FDP ebenso wenig für einen neue politischen Streit in der Migrationsdebatte wie die vorgesehene Neuregelung, dass der Anspruch auf Teilnahme an Integrationskursen auch für die im Jahr 2004 anerkannten Asylbewerber gelten soll.
Somit bleibt von denjenigen Punkten, die im Innenausschuss zu einer langen Debatte geführt haben, aus Sicht der FDP nur die Frage nach einer Altfallregelung übrig. Dass gerade darüber am längsten gesprochen wurde, ist etwas eigenartig, weil das heute zu beschließende Gesetz eine solche Bleiberechtsregelung für lange in der Bundesrepublik Deutschland rechtmäßig lebende Ausländer gar nicht vorsieht. Vielmehr handelt es sich um eine Frage, die im Rahmen des Zuwanderungskompromisses nicht gelöst werden konnte, weil die CDU/CSU zu einer Altfallregelung nicht bereit war. Ohne Zustimmung der Union kann sie auch jetzt nicht eingeführt werden. Aus Sicht der FDP wäre sie aber dennoch zweckmäßig, so wie sie auch vom Ausschuss für Menschenrechte gefordert worden ist. Die praktische Erfahrung lehrt, dass die Gründe für einen schon längeren Aufenthalt ohne gesicherten rechtlichen Status vielfältig sind. Keineswegs liegt immer ein Verschulden der Asylbewerber oder eine bewusste Ausnutzung von Möglichkeiten zur Verfahrensgestaltung vor.
Immer dann, wenn die Betroffenen nicht selbst zu vertreten haben, dass nach langen Jahren über ihren weiteren Verbleib keine endgültige Entscheidung getroffen worden ist, wäre es aber richtig, auf den erreichten Stand der Integration in Deutschland abzustellen. Jeder von uns hat immer wieder mit Petitionen zu tun, mit denen ganze Dorfgemeinschaften, die Kirchen, Arbeitgeber, Sportvereine uns mitteilen, dass gerade der seit zehn oder zwölf Jahren in Deutschland aufhältliche Ausländer, der jetzt doch noch abgeschoben werden soll, bestens sozial und gesellschaftlich integriert sei. Mit einer sinnvollen Altfallregelung, die nicht etwa Gesetzesverstöße belohnt, aber erreichte Integration anerkennt, könnte hier durch den Gesetzgeber geholfen werden.
Solange diese Position, die von der FDP auch in den Verhandlungen zum Zuwanderungsgesetz klar vertreten worden ist, mit der CDU/CSU nicht gemeinsam zu vereinbaren ist, muss man sich mit der Regelung für Härtefälle aus dem Zuwanderungskompromiss behelfen. Wie die Länder, in deren Ermessen es übrigens liegt, ob sie überhaupt Härtefallkommissionen einrichten, diese Möglichkeit praktizieren werden, muss man erst noch abwarten. Manche Vorstellungen bei den Zuwanderungsverhandlungen gingen ja dahin, Härtefälle lediglich bei schwerer Krankheit oder ähnlichen persönlichen Schicksalen anzunehmen. Die FDP meint, dass eine praxisgerechte Anwendung auch zumindest einen Teil der sogenannten Altfälle einbeziehen müsste.
Da, aber wie schon gesagt, dieser Streitpunkt gar nicht Inhalt des heute zu beschließenden Gesetzes ist, besteht kein Anlass zu einer aufgeregten Diskussion. Die Migrationspolitik in Deutschland hat mit dem Zuwanderungsgesetz eine neue Qualität erreicht. Nach dem heute zu beschließenden redaktionellen Änderungen, Anpassungen und geringfügigen Ergänzungen sollte jetzt die Praxis eine faire Chance erhalten, die Bestimmungen des Zuwanderungsgesetzes sinnvoll anzuwenden.
Rede vom 02.12.2004
Die FDP-Fraktion will mit ihrem Antrag „Kulturelle Vielfalt - universelle Werte. Neue Wege zu einer rationalen Integrationspolitik“ einen Beitrag leisten zur Versachlichung der Debatte. Aufgeregter Streit über ideologisch besetzte Begriffe wie „Multi-Kulti“ oder „Leitkultur“ hilft nicht weiter. Wir brauchen jetzt pragmatische Lösungen. Dazu machen wir in unserem heutigen Antrag und in einem umfassenden, vom Kollegen Klaus Haupt vorgelegten Integrationskonzept konkrete Vorschläge wie z.B. die verpflichtenden Sprachstandserhebungen im Vorschulalter, damit alle Kinder in der ersten Grundschulklasse gute Deutschkenntnisse und damit bessere Bildungschancen haben.
Die Leitlinien für unsere Integrationspolitik folgen aus dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Dessen Grundwerte sind für alle verpflichtend, an erster Stelle der Schutz der Menschenwürde.
Darüber hinaus enthält unsere Verfassung drei zentrale Aussagen:
1. Das Grundgesetz sichert jedem Einzelnen die persönliche Freiheit zu, auch die Freiheit, gemäß den eigenen kulturellen Wurzeln zu leben. Kulturelle Vielfalt wird somit ausdrücklich im Grundgesetz anerkannt.
2. Das Grundgesetz kennt aber nicht nur Grundrechte, sondern auch Grenzen der Freiheit und Grundpflichten. Beispielsweise spricht Artikel 6 nicht nur von den Elternrechten, sondern auch von der elterlichen Pflicht zur Erziehung. Artikel 2 verbürgt jedem das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt. Kulturelle Eigenheiten und Freiheitsrechte finden also ihre Grenzen in Grundpflichten und der Wahrung der Rechte anderer. Deswegen ist es z.B. ein liberales Kernanliegen, die Würde der Frau auch gegen Angriffe aus dem eigenen Umfeld zu schützen. Wir hoffen, dass die Initiative von Justizminister Ulrich Goll gegen Zwangsheirat breite Unterstützung findet.
3. Das Grundgesetz bietet auch das Recht auf aktive Teilhabe an politischen Entscheidungen. Das Wahlrecht ist auch für Integration wichtig. Warum sollen Menschen, die länger als fünf Jahre rechtmäßig in Deutschland leben, über kommunale Angelegenheiten, als über ihren eigenen unmittelbaren Lebensbereich, nicht mitbestimmen dürfen?
Insgesamt bietet das Grundgesetz ein großartiges Fundament für ein freies und friedliches Zusammenleben. Wer dieses Angebot voll annimmt und die deutsche Staatsangehörigkeit erwirbt, sollte durch eine feierliche Zeremonie erfahren, dass er „dazugehört“. Ich denke vor allem auch an die jungen Erwachsenen, die nach dem neuen Staatsangehörigkeitsrecht mit 18 Jahren entscheiden, ob sie die deutsche Staatsangehörigkeit behalten.
Eine auf das Grundgesetz bezogene Integrationspolitik darf freilich die Augen vor den Problemen nicht verschließen. Andererseits gibt es nicht erst jetzt, sondern seit Jahren auch erfolgreiche Integrationsbemühungen. Doch die Integrationspolitik hätte mit dem Zuwanderungsgesetz schon lange eine neue Qualität erhalten könne, wäre nicht durch fast uferlosen Streit zu viel Zeit verloren worden! Das von manchen ausgerufene „Jahrzehnt der Integration“ muss jetzt erst - endlich - beginnen.
Leider waren wir im Integrationsteil des Zuwanderungsgesetzes nicht mutig genug. Die nachholende Integration blieb nahezu ganz ausgespart - ein schwerer Fehler! Warum es für Menschen, die seit vielen Jahren hier leben und bereits bestens integriert sind, keine Bleiberechtsregelung gibt, ist unverständlich.
Wahrscheinlich war es falsch, dass bei den Verhandlungen am Ende wir Juristen unter uns waren. Integration ist aber eine Aufgabe für alle. Daher greift die FDP-Fraktion den Vorschlag von Guido Westerwelle auf, der einen „runden Tisch der Religionen“ verlangt hat. Wir brauchen ohne falsche Berührungsängste den Dialog mit allen Vertretern islamischer Vereinigungen, die bereit sind, die Grundwerte des Grundgesetzes weiter zu transportieren, damit diese zum selbstverständlichen Allgemeingut aller in Deutschland lebenden Menschen werden.
Rede vom 16.12.2004
148. Sitzung des Deutschen Bundestages
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Max Stadler.
Dr. Max Stadler (FDP):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es gibt auch eine kommentierte Textausgabe von dem Mitarbeiter in Baden-Württemberg, Herrn Storr, der am Zuwanderungsgesetz mitgearbeitet hat. Auch diese erweitert die Rechtskenntnisse.
Lieber Herr Kollege Grindel, angesichts des etwas aufgeregten Tons, den Sie aufgrund Ihres Temperaments in solche Debatten bringen,
(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: So schlimm war es nicht!)
fällt es mir ein wenig schwer, zu sagen – aber ich sage es doch –: Ihr Antrag hat in der Tat einen richtigen Grundgedanken, eine Grundposition, die auch die FDP-Bundestagsfraktion immer vertreten hat. Wir haben einerseits immer gesagt, wir halten am Asylgrundrecht und an den humanitären Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland gegenüber Flüchtlingen, zum Beispiel aufgrund der Genfer Flüchtlingskonvention, fest. Andererseits sind wir aber auch dafür, dass bei denjenigen Personen, die in Deutschland kein Bleiberecht haben und keine Duldung erfahren, konsequent die Abschiebungsregeln angewandt werden. Ich glaube, das ist völlig selbstverständlich.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Sie listen nun in Ihrem Antrag etliche praktische Probleme auf. In der Kürze der Zeit, die mir nur zur Verfügung steht, kann ich darauf beim besten Willen nicht eingehen. Die Bundesregierung wird im Ausschuss Gelegenheit haben, darzulegen, inwieweit diese Probleme noch existieren. Ich glaube aber, dass manche Probleme schon gelöst sind.
Wo es Lücken gibt, müssen diese geschlossen werden. Wir sind beispielsweise der Meinung, dass es nicht geduldet werden kann, dass Ausweispapiere bewusst vernichtet werden, um eine Rückführung zu verhindern. Wir sind durchaus bereit, für diese Papiere eine Funddatei, die schon einmal beschlossen wurde, einzurichten. Mit anderen Vorschlägen schießen Sie allerdings über das Ziel hinaus. Aber dazu kann ich, wie gesagt, erst im Ausschuss im Detail Stellung nehmen.
Ich möchte einen Grundgedanken Ihres Antrages aufgreifen. Sie sagen sinngemäß, dass durch das Zuwanderungsgesetz die Aufenthaltssituation von Menschen, die verfolgt bzw. deren Menschenrechte verletzt wurden, verbessert worden sei. Daher müsse man auf der anderen Seite konsequent abschieben. Wir sind ebenfalls dieser Meinung. Aber wir betonen besonders den ersten Aspekt Ihres Gedankens. Die FDP möchte, dass das bewährte System des Flüchtlingsschutzes in Deutschland aufrechterhalten wird.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Josef Philip Winkler [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht nur die FDP!)
Der Vorschlag des Bundesinnenministers vom Sommer, Aufnahmestellen in Afrika einzurichten, hat zu Irritationen in der Öffentlichkeit geführt. Es lag nahe, aus dieser Idee zu schließen, dass die Europäische Union den Flüchtlingsschutz sozusagen in Drittstaaten auslagert. Ein wenig kommt dieser Gedanke auch in Ihrem Antrag zum Vorschein. Dazu sage ich Ihnen: Das ist nicht die Position der FDP.
(Beifall bei der FDP)
Herr Schily hat am 1. Dezember im Innenausschuss klargestellt, er wolle mit diesen Aufnahmelagern nur ein zusätzliches Angebot schaffen und nicht die bestehenden Rechte beschneiden.
(Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Die Sache ist doch geklärt!)
Wir werden sehr sorgfältig darauf achten, dass es bei dieser Aussage bleibt.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP sowie des Abg. Rüdiger Veit [SPD] und des Abg. Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Ein letzter Punkt. Für jeden Grundsatz, also auch für den Grundsatz, die Abschiebungsregeln konsequent anzuwenden, existieren natürlich Ausnahmen. Ausnahmen in Härtefällen muss es aus humanitären Gründen geben. In der Praxis würde es kaum jemand verstehen, wenn Menschen, die schon jahrelang hier leben, die sehr gut integriert sind und deren Kinder hier geboren sind, abgeschoben würden.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Die heutige Debatte nehmen wir zum Anlass, an diejenigen, die in den durch das Zuwanderungsgesetz neu geschaffenen Härtefallkommissionen tätig sein werden, zu appellieren, für diese Fälle pragmatische Lösungen zu finden, wozu wir als Gesetzgeber leider nicht in der Lage gewesen sind.
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Rede vom 28.01.2005
Dr. Max Stadler (FDP): Der Neueinteilung der Bundeswahlkreise waren lange und schwierige Verhandlungen der Berichterstatter aller vier Fraktionen vorausgegangen, die aber zu einem einvernehmlichen Ergebnis geführt haben. Dafür darf ich namens der FDP-Bundestagsfraktion vor allem der Kollegin Barbara Wittig von der SPD sehr herzlich danken, denn sie hat nicht nur schwierige Koordinierungsarbeit geleistet, sondern sie war auch offen für Anregungen und Wünsche aus der Opposition, die schließlich zu dem heutigen Kompromiss geführt haben.
Ebenso gilt mein Dank für die konstruktive Zusammenarbeit den Kollegen Dr. Wiefelspütz, Silke Stokar und Hartmut Koschyk.
In der Sache ging es um zwei widerstreitende Interessen. Der Innenausschuss musste bei seinem Beschlussvorschlag die Vorgabe beachten, dass kein Wahlkreis mehr als 25 Prozent größer oder kleiner als der Durchschnitt der Wahlkreise sein darf. Daher waren diverse Änderungen unumgänglich. Auf der anderen Seite gilt der Grundsatz der Kontinuität der Wahlkreise. Bei den Vorschlägen der Bundeswahlkreiskommission gab es Einzelfälle, in denen eine Umgruppierung von Gemeinden zu anderen Wahlkreisen vorgeschlagen wurde, die den dortigen politischen Realitäten nicht entspricht. Daher ist die FDP dafür eingetreten, dass die gewachsene Zuordnung von Gemeinden zu ihrem bisherigen Wahlkreis möglichst aufrechterhalten bleibt.
Aus dieser Spannungssituation heraus ergaben sich einige Entscheidungen, die erst nach längerer Diskussion einvernehmlich getroffen werden konnten. So war im Gesetzentwurf noch die Umgruppierung von vier Gemeinden aus dem Wahlkreis Passau in den Wahlkreis Deggendorf vorgesehen, obwohl diese Gemeinden eindeutig nach Passau hin orientiert sind. Alle politischen Kräfte der Region, also beider betroffener Wahlkreise, sowie die Bevölkerung wandten sich daher gegen den Vorschlag der Bundeswahlkreiskommission. Da im Wahlkreis Deggendorf die Bevölkerungsentwicklung stagniert, ist anzunehmen, dass die kritische 25-Prozent-Marke am Wahltag nicht überschritten sein wird. Es konnte daher am Ende Einvernehmen erzielt werden, dass die besagten vier Gemeinden Hofkirchen, Fürstenstein, Eging und Aicha v. W. im Wahlkreis Passau bleiben.
Auch für die Wahlkreise Starnberg und Weilheim waren Änderungen vorgeschlagen worden, die in das dortige gewachsene Gefüge nicht hineingepasst hätten. Am Ende war es zwar unvermeidlich, dass die Gemeinde Krailling von Starnberg weggenommen und dem Wahlkreis München-Land zugeordnet wurde. Damit sind aber die zahlenmäßigen Vorgaben erfüllbar, sodass weitere Änderungen in den Wahlkreisen Starnberg und Weilheim nicht notwendig waren. Es ist erfreulich, dass sich auch diese Anregung der FDP im Innenausschuss durchsetzen ließ.
Dagegen war die rot-grüne Ausschussmehrheit leider nicht bereit, dem verständlichen Wunsch der Bürger der Stadt Krefeld zu entsprechen, dort wieder einen einheitlichen Bundestagswahlkreis einzurichten. Der entsprechende Änderungsantrag der FDP wurde im Ausschuss bedauerlicherweise – wie auch schon vor vier Jahren – abgelehnt. Mein Kollege Otto Fricke hat sich besonders für den einheitlichen Wahlkreis Krefeld engagiert.
Von diesem Einzelpunkt abgesehen ist jedoch eine Lösung gefunden worden, die unsere Erwartungen erfüllt, sodass die FDP dem Gesetz in der jetzigen Fassung zustimmt.
Rede vom 28.01.2005
Dr. Max Stadler (FDP):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die heutige Debatte gibt der FDP-Fraktion die Gelegenheit, die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen das Luftsicherheitsgesetz noch einmal zu präzisieren. Uns geht es dabei nicht wie der CDU/CSU in erster Linie um Kompetenzfragen und Fragen der Ausgestaltung der Amtshilfe, sondern um den gewichtigeren Kritikpunkt der Einschränkung der Menschenwürde und des Grundrechts auf Leben. Darüber muss hier noch einmal in aller Sorgfalt beraten werden.
(Beifall bei der FDP)
Die Fragen, die die CDU/CSU aufwirft, ob der Bundestag überhaupt die Gesetzgebungskompetenz hat und ob die Zustimmung des Bundesrats erforderlich ist, sind ebenfalls wichtig. Ich möchte Ihnen zum Inhalt Ihres Antrags aber sagen: Wir als FDP sind der Meinung, dass es immer besser ist, wenn man versucht, neuen Bedrohungen, wie etwa terroristischen Bedrohungen, mit den Regeln des bestehenden Systems zu begegnen.
(Beifall bei der FDP)
Das heißt, es muss bei einer klaren Trennung der Aufgaben von Polizei und Militär bleiben.
(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Richtig!)
Das Argument von Bundesinnenminister Schily – er trägt es oft vor –, dass die Grenzen zwischen polizeilichem und militärischem Handeln verschwimmen würden, überzeugt jedenfalls uns nicht.
(Beifall bei der FDP – Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was heißt das?)
Aber der Bundespräsident hat uns aufgegeben, noch einmal die Frage aufzuwerfen, ob es wirklich richtig war, dass in § 14 des Luftsicherheitsgesetzes in einem extremen Notfall künftig zugelassen wird, ein Passagierflugzeug abzuschießen und damit das Leben der Besatzung und unschuldiger Passagiere nicht nur aufs Spiel zu setzen, sondern als sichere Folge zu vernichten.
Dies ist in der Tat eine außerordentlich schwierige Frage; denn diejenigen, die das Gesetz mit Mehrheit im Bundestag beschlossen haben, nehmen für sich als moralische Legitimation in Anspruch, weitere Schäden in einem solchen Extremfall – dem 11. September 2001 ähnlich – zu verhüten. Dennoch sind wir der Meinung, dass es besser gewesen wäre, wenn der Gesetzgeber hier Zurückhaltung geübt hätte; denn derjenige, der in einer solchen Extremsituation den Abschussbefehl zu verantworten hat, befindet sich immer in einem unauflöslichen moralischen Dilemma. Wenn er eine solche Entscheidung wirklich trifft, dann tut er es in guter Absicht, um Leben zu retten, aber in vollem Bewusstsein, unschuldiges Leben preiszugeben. Diese Abwägung von Leben gegen Leben ist nach dem bisherigen Verständnis unserer Verfassung mit dem Grundgesetz unvereinbar.
(Beifall bei der FDP)
Nun könnten Sie für sich in Anspruch nehmen, dass Sie als Parlament dem Bundesverteidigungsminister, der die Entscheidung zu treffen hat, eine Vorgabe machen wollen. Ich sage noch einmal: Das ist ehrenwert. Aber dabei wird eines verkannt: Es gibt Extremsituationen, in denen es besser ist, dass sich das Parlament einer gesetzgeberischen Regelung von vornherein entzieht. Auch das ist keine befriedigende Position. Aber wir meinen: Das ist die angemessene. Wenn in einer Extremlage nach sorgfältiger und gewissenhafter Prüfung ein solcher Abschussbefehl gegeben wird, dann handelt der, der dies tut, zweifellos ohne persönliche Schuld. Dies ist ihm dann nicht vorzuwerfen. Deswegen ist es die richtige rechtliche Kategorie, dass wir jemandem, der sich in einem unauflösbaren moralischen Dilemma so oder so entscheidet, dies anschließend nicht strafrechtlich zum Vorwurf machen.
Das Luftsicherheitsgesetz, das Sie mit rot-grüner Mehrheit und in diesem Punkt mit Billigung der CDU/ CSU beschlossen haben, geht aber über diese Position deutlich hinaus;
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist die Frage!)
denn es hebt einen etwaigen Abschussbefehl auf die Ebene der Rechtmäßigkeit.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo steht das?)
Wenn der Abschussbefehl durch ein Gesetz zugelassen wird und er geradezu verlangt wird, dann gibt damit der Gesetzgeber zu erkennen, er sei rechtmäßig. Dies ist keine Unterscheidung, die nur für Juristen interessant ist, sondern das ist die richtige Kategorisierung des Themas.
(Beifall bei der FDP)
Ein solcher Abschussbefehl wäre ohne Schuld, aber er kann nicht von vornherein für legitim und rechtmäßig erklärt werden. Dies ist zwar eine schwierige Gratwanderung, aber unserer Meinung nach die richtige Lösung im Geiste des Grundgesetzes.
(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sind wir einer Meinung!)
Präsident Wolfgang Thierse:
Kollege Stadler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wiefelspütz?
Dr. Max Stadler (FDP):
Ja.
Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD):
Verstehe ich Sie richtig, Herr Kollege Stadler, dass wir uns als Gesetzgeber in schwierigsten Grenzsituationen aus der Verantwortung stehlen sollen und den staatlichen Entscheidungsträgern nichts anderes anzubieten haben als bestenfalls ein Schulterzucken? Wie sehen Sie das?
Dr. Max Stadler (FDP):
Ich glaube, Herr Kollege Wiefelspütz, Sie haben das nicht so gemeint. Ich habe unsere Position ohne Polemik dargestellt und auch die respektablen Absichten der anderen Meinung anerkannt. Wir gehen also über das Problem nicht mit leichter Hand hinweg. Aber noch einmal – das ist der entscheidende Gesichtspunkt –: Wenn Sie sich als Gesetzgeber dafür entscheiden, in der Extremsituation, dass ein Flugzeug entführt, als Waffe benutzt und dadurch das Leben Dritter bedroht wird, zu sagen, dass dann der Abschuss gerechtfertigt ist,
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo steht denn das?)
dann nehmen Sie die Abwägung von Leben gegen Leben vor.
(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!)
Sie wägen das Leben, das bedroht ist, gegen das Leben ab, das sicher vernichtet wird, nämlich der Insassen des Flugzeuges, also der Flugzeugbesatzung und der unschuldigen Passagiere.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch nicht wahr!)
Eine solche Abwägung von Leben gegen Leben ist unserem Recht völlig fremd.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)
Vielmehr ist die richtige Kategorie: Wenn jemand in die Situation kommt, dass er diese fürchterliche Abwägung treffen muss, dann können wir ihm nicht vorwerfen, wenn er sich für den Abschuss entscheidet. Das scheint nur für Juristen von Interesse zu sein, aber es gibt aus gutem Grund verschiedene Kategorien, nämlich die Kategorie der Handlung, als Nächstes die Kategorie der Rechtmäßigkeit der Handlung und als letzte die Kategorie der persönlichen Vorwerfbarkeit und der persönlichen Schuld. Wir meinen, hier geht es um die Frage der Schuld. Wir verneinen die Schuld dessen, der so entscheiden müsste. Aber dafür braucht man keine Regelung, die den ganzen Vorgang auf die Ebene der Rechtmäßigkeit zurückführt. Genau dies sind die Bedenken, die der Bundespräsident kraft der Autorität seines Amtes
(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Genau so ist es!)
und kraft der Autorität seiner Argumente formuliert hat. Das war mutig, erforderlich und das verdient Dank und Respekt.
(Beifall bei der FDP)
Deswegen sollten wir die Initiative der CDU/CSU zum Anlass nehmen, diese Bestimmung über den Abschussbefehl aus dem Luftsicherheitsgesetz zu streichen.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo steht denn was vom Abschussbefehl?)
– § 14 Abs. 3, Herr Kollege Ströbele, Sie wissen es genau.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da steht nichts von Abschuss!)
Tun wir das nicht in diesem Gesetzgebungsverfahren, dann wird das Bundesverfassungsgericht hierüber entscheiden. Der frühere Bundestagsvizepräsident Burkhard Hirsch hat bereits als Anwalt von etwaig betroffenen Piloten eine Verfassungsbeschwerde in dieser Woche erhoben, auch im eigenen Namen,
(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Sehr erfolgversprechend!)
eine Verfassungsbeschwerde, die der Herr Bundespräsident übrigens zur Klärung ausdrücklich angeregt hat.
Ich schließe mich dem Kollegen Koschyk an: Es ist besser, wenn das Parlament in dieser schwierigen Lage selber die Entscheidung trifft. Sie kann unserer Meinung nach nur lauten, die Bestimmung über den Abschussbefehl zu streichen. Das ist allemal besser, als wenn wir auf Nachhilfe aus Karlsruhe warten.
Vielen Dank.
Rede vom 17.02.2005
Dr. Max Stadler (CDU/CSU): Der Antrag der CDU/ CSU-Fraktion verfolgt das Ziel, die Stiftung für politische Häftlinge bis zur Erledigung ihrer Aufgaben bestehen zu lassen und den zu ihrer Aufgabenerfüllung benötigten Finanzmitteln auszustatten.
Dieser Antrag ist berechtigt. Der Deutsche Bundestag hat den Betroffenen einvernehmlich, um soziale Härten zu vermeiden, gestattet, Anträge auf Unterstützungsleistungen noch bis zum 31. Dezember 2007 zu stellen. Daher ist es folgerichtig, durch Beschluss klarzustellen, dass die Stiftung für politische Häftlinge bis zur Erledigung ihrer Aufgaben bestehen bleibt.
Während die Grünen in den Ausschussberatungen betont haben, es gebe ja ein Stiftungsgesetz und an eine Aufhebung dieses Gesetzes sei nicht gedacht, hat die SPD im Innenausschuss zu erkennen gegeben, dass sehr wohl über neue Organisationsstrukturen nachgedacht werde. Auch die SPD will die berechtigten Ansprüche der Opfer weiter befriedigen, hat aber auf den Bericht des Bundesrechnungshofs verwiesen, möglicherweise die Verwaltung der Stiftungsgelder anders auszugestalten.
Auf konkrete Vorschläge hierfür warten wir jedoch seit Monaten vergebens. Der Antrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion datiert vom September 2004. Seitdem wäre für die Regierung und die Koalitionsfraktionen Gelegenheit gewesen, etwaige konkrete Vorschläge zu einer Organisationsreform dem Bundestag vorzustellen. Dies ist nicht geschehen. Die FDP hält daher an der bewährten Form der Häftlingshilfestiftung fest.
Die Möglichkeit, neue Anträge zu stellen, würde ins Leere laufen, wenn nicht zugleich auch entsprechende Mittel für die Antragsteller bereitgestellt würden, In der Vergangenheit lebten die Opferstiftungen – man kann es nicht anders ausdrücken – von der Hand in den Mund. Der Wunsch der Betroffenen, dass eine solide finanzielle Grundlage gesichert wird, ist daher verständlich. Die Koalition wendet zwar ein, dass noch immer im Vollzug des Haushalts dafür gesorgt worden sei, dass die Stiftung ihre gesetzlichen Verpflichtungen erfüllen konnte. Dennoch ist es zweckmäßig, wenn das Hohe Haus angesichts der unsicheren Finanzierungssituation in den letzten Jahren sich eindeutig dazu bekennt, die zur Aufgabenerfüllung der Stiftung benötigten Mittel bereitzustellen. Der Antrag auf Bundestagsdruck-sache 15/3763 gibt allen Fraktionen hierzu Gelegenheit.
Auch der weitere heute zu beratende Antrag auf der Bundestagsdrucksache 15/1524 will eine ähnliche Grundtendenz zum Ausdruck bringen; auch wenn er nicht mehr ganz aktuell ist, geht er doch in die richtige Zielrichtung.
Insgesamt stimmt daher die FDP dem Anliegen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu.
Rede vom 17.02.2005
Dr. Max Stadler (FDP):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach dem Anschlag von Madrid am 11. März 2004 hat auch in unserem Lande eine öffentliche Debatte über die Sicherheitsarchitektur eingesetzt. Der Föderalismus in Deutschland hat sich natürlich bewährt – als Bayer bin ich sozusagen ein geborener Föderalist –; aber er ist manchmal umständlich und unpraktisch, was die Zusammenarbeit der vielen Sicherheitsbehörden angeht, die es aufgrund unserer föderalen Struktur gibt. Deswegen ist auch von Bundesinnenminister Schily eine Debatte darüber angefacht worden, ob man eine Weisungsbefugnis des Bundeskriminalamts gegenüber den Landeskriminalämtern brauche. Dies schien uns nicht notwendig zu sein. Aber es ist völlig klar, dass wir einen verbesserten Informationsaustausch zwischen den Sicherheitsbehörden brauchen. Dabei sollten wir allerdings nicht so tun, als gäbe es derzeit gar keine rechtlichen Regelungen für den Informationsaustausch. Sie existieren längst.
(Beifall bei der FDP)
Es kann nicht richtig sein, dass Polizeibehörden des einen Bundeslandes in der Praxis Schwierigkeiten haben, Erkenntnisse aus einem anderen Bundesland in ihre Arbeit einzubeziehen. Es kann auch nicht richtig sein, dass Verfassungsschutzbehörden der Länder mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz in manchen Fragen nicht hinreichend kooperieren.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)
Wir haben ja beim gescheiterten NPD-Verbotsverfahren gesehen, wohin die Abschottung solcher Behörden voneinander führt.
(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt! Aber das darf ich nicht mehr sagen!)
Eine Hauptursache des Scheiterns dieses Verfahrens war, dass der Informationsfluss nicht so lief, wie es rechtlich möglich gewesen wäre.
(Beifall bei der FDP)
Meine Damen und Herren, die FDP-Fraktion begrüßt daher ausdrücklich die Zielsetzung dieses Gesetzesantrags des Bundesrates, der meines Wissens auf einen Beschluss des von der FDP mitregierten Landes Niedersachsen zurückgeht.
(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darf ich eine Frage stellen?)
– Ich möchte im Zusammenhang vortragen, Frau Kollegin.
(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie alles mit, was Niedersachsen macht?)
Wie man dann den verbesserten Informationsaustausch in der Praxis organisiert, scheint mir eher eine technische bzw. praktische Frage als eine ideologische Frage zu sein. Auch wenn ich im Sinne des Beitrags von Frau Stokar hier zur älteren Generation gehöre,
(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich auch!)
habe ich doch so viel Fantasie, mir vorstellen zu können, dass es sich im Zeitalter des Computers und der Onlinezugriffe organisieren lässt, die Informationen der Polizeien von Bund und Ländern sowie der Nachrichtendienste so zu bündeln, dass es – mit welcher der vorgeschlagenen Methoden auch immer: Index- und Projektdatei oder Volltextdatei – zu einem schnellen Zugriff kommt. Gegen eine Volltextdatei spricht bekanntlich, dass die Nachrichtendienste wegen des Quellenschutzes, den sie auch beachten müssen, erhebliche Bedenken haben. Wir sollten uns im Ausschuss von Praktikern sine ira et studio beraten lassen und insbesondere die Ergebnisse der Arbeitsgruppe der Innenministerkonferenz in unsere Beschlussfassung einbeziehen.
(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner)
Für die FDP ist ein Punkt jenseits der praktischen Fragen auf jeden Fall von entscheidender Bedeutung: Wir sind der Meinung, dass bei allen Maßnahmen zur Verbrechens- und Terrorismusbekämpfung die bewährten rechtsstaatlichen Grundsätze strikt eingehalten werden müssen.
(Beifall bei der FDP – Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Das ist nicht strittig!)
Zu diesen Grundsätzen gehört seit dem so genannten Polizeibrief vom 14. April 1949, den die drei westlichen Militärgouverneure damals Konrad Adenauer übermittelt haben, die Trennung von Polizei und Geheimdiensten.
(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Das hat die FDP gerade in Niedersachsen aufgehoben!)
Es ist völlig müßig, darüber zu streiten, ob sich dieser Grundsatz aus der Verfassung ergibt – ich meine, ja, nämlich aus dem Rechtsstaatsprinzip – oder ob er seit 50 Jahren nur praktisch angewandt wird. Auf alle Fälle ist dies kein überholtes historisches Relikt, sondern weiterhin ein wichtiger Bestandteil der rechtsstaatlichen Gefahrenabwehr.
(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genauso ist es!)
Das sieht übrigens auch Generalbundesanwalt Kay Nehm so.
(Beifall bei der FDP – Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sieht auch der Innenminister so!)
Meine Damen und Herren, der Trennungsgrundsatz bedeutet allerdings nicht, dass es keinen Informationsaustausch zwischen der Polizei und den Nachrichtendiensten geben dürfe.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)
Ganz im Gegenteil: Die Regelungen dafür existieren längst, etwa in § 17 des Bundesverfassungsschutzgesetzes.
(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch im BKA-Gesetz!)
Deswegen ist die Leitlinie der FDP für die Ausschussberatungen völlig klar: Wir wollen erstens eine wirksame Terrorismusabwehr, treten daher zweitens für einen verbesserten Datenaustausch ein und wollen drittens die strikte Wahrung rechtsstaatlicher Grundsätze. Wir sind der Meinung, dass alle drei Ziele vernünftig erreichbar sind.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Da sind wir uns ja einig!)
Rede vom 18.02.2005
Dr. Max Stadler (FDP):
Herr Kollege Koschyk, wenn ich einen Kommentar abgeben dürfte und nicht nur eine Frage zu stellen hätte, würde ich dem, was Sie zuletzt zu der Art und Weise gesagt haben, wie die Koalition dieses Gesetzgebungsverfahren betreibt, voll und ganz zustimmen.
Ich habe mich aber deswegen gemeldet, weil Sie vorhin die FDP angesprochen haben und in der Debatte Ernsthaftigkeit angemahnt haben. Ich möchte Sie daher fragen, ob Sie uns diese Ernsthaftigkeit ebenfalls zugestehen, wenn wir mit vielen Fachleuten der Meinung sind, dass ein Aufmarsch der NPD am Brandenburger Tor und am Holocaust-Mahnmal am 8. Mai in der Tat eine unerträgliche Provokation wäre, die aber schon nach dem geltenden Recht verhindert werden kann.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)
Es kann doch Ihrer Aufmerksamkeit nicht entgangen sein, dass diese Auffassung nicht darauf beruht, dass die FDP in Bundesländern angeblich nicht in der Regierungsverantwortung sei. Sie ist übrigens in mehreren Bundesländern in der Verantwortung.
(Jörg van Essen [FDP]: In mehr als die Grünen! – Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Und mehr als die CSU!)
Vielmehr wird diese Auffassung von Experten wie dem Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts und von ausgewiesenen Verfassungsrechtlern wie Professor Battis vertreten – ich komme gleich zum Schluss und zum Kern der Frage, Herr Präsident –,
(Heiterkeit – Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: Erst einmal zur Frage kommen! – Beifall des Abg. Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD])
und zwar aus folgendem Grund.
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
Es wäre schön, wenn Sie den Kern der Frage mit dem Schluss verbinden könnten.
(Heiterkeit)
Dr. Max Stadler (FDP):
Ich werde mich bemühen. – Der Kern des Problems liegt nämlich im geltenden Recht in § 15 des Versammlungsgesetzes, wonach Versammlungen zu verbieten sind, die gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung verstoßen. Selbstverständlich ist diese Vorschrift grundgesetzkonform auszulegen. Es verstößt gegen die Menschenwürde, wenn Neonazis vor dem Holocaust-Mahnmal aufmarschieren. Es ist auch ein Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung, wenn in dem speziellen Zusammentreffen des Jahrestags der Beendigung des Zweiten Weltkriegs und damit der Beendigung der Naziherrschaft Neonazis durch einen symbolträchtigen Ort wie das Brandenburger Tor marschieren.
Stimmen Sie mir zu, dass das geltende Recht wegen dieser Argumente ausreicht und dass deswegen Ihr Vorhalt, die FDP sei untätig, unangebracht ist?
Hartmut Koschyk (CDU/CSU):
Herr Kollege Stadler, wir sind der Meinung, dass unser Gesetzentwurf zur Ausweitung des befriedeten Bezirkes eine schnelle und auch verfassungsfeste Lösung bieten würde, um wirklich eine bessere Handhabe zu haben und gerade im Hinblick auf den 8. Mai handlungsfähig zu sein.
Weil Sie Änderungen am Versammlungsrecht generell ablehnen – also auch abgesehen von der besonderen Berliner Problematik um den 8. Mai herum – und meinen, die gegenwärtige Rechtslage sei ausreichend, will ich Ihnen gerne noch einmal erklären, wogegen ich mich gewandt habe: Ich frage mich, warum das Land Rheinland-Pfalz, in dem Sie bekanntlich mit in der Regierungskoalition sind, heute im Bundesrat einen Gesetzentwurf aus dem Jahr 2000 auf die Tagesordnung gesetzt hat, der eine erstaunliche Ähnlichkeit mit dem seinerzeit auch von der FDP im Bundestag abgelehnten Gesetzentwurf der Union hat. Es scheint hier eine unterschiedliche Auffassung zwischen der SPD im Bundestag und der SPD in der Landesregierung von Rheinland-Pfalz zu geben.
(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich sage nur: Niedersachsen!)
Ich sage Ihnen: Ihre Kollegen in Rheinland-Pfalz sind näher an der Praxis. Sie hingegen sehen das vielleicht etwas zu grundsätzlich. Sie sollten sich eher die Auffassung Ihrer Parteifreunde in Rheinland-Pfalz in der dortigen Regierungsverantwortung zu Eigen machen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Das kann ja die FDP noch intern klären!)
Rede vom 24.02.2005
Dr. Max Stadler (FDP):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es wäre sehr reizvoll gewesen, wenn wir vor der heutigen Debatte eine kurze Pause hätten machen können, um ein kleines Experiment durchzuführen. Man hätte die Zuhörer, auch wenn es zu dieser Abendstunde nicht mehr allzu viele sind, fragen können, ob sie der Meinung sind, dass jeder Bürger in Deutschland frei entscheiden darf, in welcher Stadt bzw. in welcher Kommune er wohnen möchte. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Antwort in allen Fällen Ja gewesen wäre. Auch wenn man nicht das Grundrecht auf Freizügigkeit, verbrieft in Art. 11 des Grundgesetzes, kennt, entspricht dies doch dem allgemeinen Rechtsbewusstsein. Es erscheint eher ein Merkmal eines anderen Staatswesens als das einer freiheitlichen Demokratie, wenn der Staat befiehlt, wo man seine Wohnung zu nehmen hat.
Die Regelung, dass für eine bestimmte Bevölkerungsgruppe, nämlich für die Spätaussiedler, dieser selbstverständliche Grundsatz der freien Wohnsitzwahl nicht gilt, war schon immer ein Fremdkörper in unserem Rechtssystem. Pro forma haben zwar auch diese das Recht, ihren Wohnsitz selbst zu wählen. Faktisch aber besteht für sie der Zwang, den Wohnsitz zu wählen, der ihnen zugewiesen worden ist, weil ansonsten staatliche Leistungen, auf die sie in der Anfangszeit angewiesen sind, nicht gezahlt werden würden.
Die FDP hatte immer Bedenken, einem solchen grundrechtseinschränkenden Gesetz zuzustimmen. Wir haben dies in der alten Koalition mit der CDU/CSU nur auf ausdrücklichen Wunsch vieler Kommunen getan – die SPD hat ebenfalls zugestimmt –, die der Meinung waren, für eine Übergangszeit müsse man aus bestimmten Gründen eine solche Notlösung akzeptieren.
Nachdem Rot-Grün an die Regierung gekommen war, ist die Übergangszeit abgelaufen. Trotzdem hat der Bundestag dieses fragwürdige Gesetz noch einmal verlängert. Die FDP konnte da nicht mehr mitmachen, weil es keine Gründe für eine Verlängerung gab.
(Dr. Werner Hoyer [FDP]: Aber die Grünen!)
Wir sind deswegen froh, dass uns das Bundesverfassungsgericht jetzt aufgegeben hat, einige Korrekturen vorzunehmen, damit wenigstens Härtefälle beseitigt werden können. In der Vergangenheit war es so, dass aufgrund dieses Eingriffsgesetzes Familien und Ehepartner auseinander gerissen werden konnten. Kinder konnten nicht an dem Wohnort ihrer Eltern leben. Ich frage mich daher, ob es wirklich ein Ruhmesblatt für den Deutschen Bundestag ist, dass Karlsruhe uns aufgeben muss, diesen Zustand zu beseitigen. Hätten wir nicht selber darauf kommen können?
(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Da nun aber aufgrund der Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts diese Härten mit dem heutigen Gesetz beseitigt werden, stimmt die FDP dem selbstverständlich zu. Denn es bewirkt eine Verbesserung der Situation der Betroffenen. Ich mache aber noch einmal deutlich: In einem freiheitlichen Land sollte wirklich jeder die Möglichkeit haben, seinen Wohnsitz selber zu wählen.
(Beifall bei der FDP)
Rede vom 11.03.2005
Präsident Wolfgang Thierse:
Ich erteile Kollegen Max Stadler, FDP-Fraktion, das Wort.
(Beifall bei der FDP)
Dr. Max Stadler (FDP):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor vier Wochen jährte sich zum 250. Male der Todestag des großen Aufklärers und Vordenkers des Rechtstaats Baron de Montesquieu. Eines seiner berühmtesten Zitate hat auch heute noch Gültigkeit: „Wenn es nicht notwendig ist, ein Gesetz zu erlassen, ist es notwendig, kein Gesetz zu erlassen.“
(Beifall bei der FDP)
Meine Damen und Herren, selten hat der Ratschlag Montesquieus an den klugen Gesetzgeber so gut gepasst wie auf die von Rot-Grün und CDU/CSU vorgelegten Verschärfungen des Versammlungs- und Strafrechts.
(Sebastian Edathy [SPD]: Das ist aber ganz schön arrogant, Herr Kollege!)
Denn diese Änderungen sind erstens zum großen Teil nicht notwendig, zweitens zum Teil nicht geeignet und drittens mit verfassungsrechtlichen Risiken und politischen Nebenwirkungen verbunden.
(Beifall bei der FDP)
In der aktuellen Debatte geht es vor allem um drei Fragen: den Aufmarsch von Neonazis vor dem Holocaust-Mahnmal, den Marsch der NPD durch das Brandenburger Tor am 8. Mai und die jährliche Rudolf-Heß-Kundgebung in Wunsiedel. In dem vorliegenden Gesetzentwurf lösen Sie zwei dieser drei Probleme gar nicht und das einzige Problem, das Sie zu lösen vorgeben, hätte keiner gesetzlichen Neuregelung bedurft.
(Beifall bei der FDP)
Mit diesem letzten Punkt meine ich den Aufmarsch von Neonazis vor dem Holocaust-Mahnmal. Es wäre nicht akzeptabel, wenn dort Neonazis demonstrieren würden. Darin läge ein Angriff auf die Menschenwürde der Opfer und ihrer Angehörigen und auf die Würde des Ortes. Daher kann eine derartige Demonstration vor dem Holocaust-Mahnmal schon nach geltendem Recht verboten werden.
(Beifall bei der FDP)
Auch die Sachverständigenanhörung des Bundestages am letzten Montag hat klar ergeben: Dafür brauchen wir keine Gesetzesänderung.
(Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [FDP]: Genau so ist es!)
Damit komme ich zu den zwei der drei angesprochenen Probleme, die Sie nicht lösen. Ich gebe zu: Schwieriger liegt der Fall zwar beim geplanten NPD-Marsch durch das Brandenburger Tor; aber dieses Problem wird durch den Gesetzentwurf von Rot-Grün nicht gelöst.
(Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [FDP]: So ist es!)
Von der Union wird eine unpassende Lösung vorgeschlagen: die Ausdehnung des befriedeten Bezirks, die verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen würde.
Daher muss ohnehin auf das geltende Recht zurückgegriffen werden.
(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Das muss doch sowieso geschehen!)
Ebenso wie der Berliner Senator Körting, wie Verfassungsexperte Professor Battis und wie Herr Wiefelspütz von der SPD ist auch die FDP der Überzeugung: Das geltende Versammlungsrecht reicht aus, um einen Aufmarsch der NPD durch das Brandenburger Tor am 8. Mai zu verbieten. Von den Berliner Behörden erwarten wir, dass sie dieses Verbot aussprechen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Diese unerträgliche Provokation hat mit dem Jahrestag der Beendigung der Naziherrschaft zu tun. Daher dürfen Neonazis an genau diesem Tag nicht durch das Brandenburger Tor marschieren. Aber wir können nicht schlechthin einen Ort, an dem so viele – auch kommerzielle – Veranstaltungen stattfinden, ausgerechnet von politischen Versammlungen freihalten; denn das wäre eine unangebrachte Abwertung politischer Versammlungen und Demonstrationen.
(Beifall bei der FDP)
Meine Damen und Herren, richtig ist, dass die Versammlungen von Neonazis zum Gedenken an Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß in Wunsiedel in den letzten Jahren – im Gegensatz zu früher – von Gerichten gestattet worden sind. Sie, Rot-Grün und CDU/CSU, versuchen nun, dem mit einer Änderung des Strafrechts entgegenzuwirken. Da in meiner Heimatstadt jahrelang Bundesparteitage der DVU und der NPD stattfanden und auch ich dagegen demonstriert habe, sage ich ausdrücklich: Ich wünsche den geplagten Bürgern von Wunsiedel, dass sie nicht mehr alljährlich von Tausenden Rechtsextremisten aus ganz Europa heimgesucht werden. Aber die FDP hat erhebliche Zweifel, dass dies durch die Regelungen des vorliegenden Gesetzentwurfes zu gewährleisten ist; denn sein Wortlaut gibt dafür nichts her.
Erst in der Begründung Ihres Gesetzentwurfes wird erwähnt, dass die Verherrlichung von Personen aus der NS-Zeit strafwürdig ist. Wir werden sehen müssen, ob sich Gerichte damit zufrieden geben, dass Sie das, was Sie eigentlich regeln wollen, in die Begründung des Gesetzestextes schreiben. Warum haben Sie das, was Sie wollen, nicht in den Gesetzestext selbst geschrieben? Deswegen sage ich: Dieser Versuch ist untauglich.
(Beifall bei der FDP)
Da Ihre Vorschläge teils unnötig, teils untauglich sind, stellt sich die Frage: Lohnt sich im Sinne von Montesquieu dieser Aufwand, wenn auf der anderen Seite Risiken und Nebenwirkungen zu befürchten sind? Sie wissen genau: Kein Sachverständiger in der Anhörung wollte die Hand dafür ins Feuer legen, dass alles das in Karlsruhe Bestand haben wird. Hierin liegt ein Risiko.
(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr Sachverständiger hat gesagt: Wir können noch mehr machen!)
Und es ist nicht die erste verfassungsrechtlich problematische Gesetzgebung der rot-grünen Koalition in dieser Legislaturperiode. Ich erinnere zum Beispiel an das Luftsicherheitsgesetz; ich erinnere an die automatisierte Kontenabfrage oder auch an einzelne Elemente der so genannten Antiterrorgesetzgebung. Das ist die politische Nebenwirkung, auf die wir als Liberale aufmerksam machen: Dieser Bundestag gewöhnt sich daran, immer mehr in Grundrechte einzugreifen. Das ist in jedem Einzelfall vielleicht sogar noch plausibel begründbar, aber in der Summe ist es unserer Meinung nach eindeutig zu viel.
(Beifall bei der FDP)
Die Grundrechte der Meinungsfreiheit und der Versammlungsfreiheit sind von fundamentaler Bedeutung für jede Demokratie. Wenn also ein Eingriff in Art. 5 und Art. 8 des Grundgesetzes nicht zwingend erforderlich ist, dann sollte man es lieber bei der geltenden Rechtslage belassen. Aber Sie gehen mit Ihrem heutigen Gesetzesbeschluss einen Schritt weiter, in Richtung Gesinnungsstrafrecht und Gesinnungs-TÜV im Versammlungsrecht.
(Beifall bei der FDP – Widerspruch bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
– Jawohl, genau so ist es.
(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Wenn einem selber nichts einfällt, sollte man sachlich bleiben!)
Es ist doch gerade die freiheitssichernde Funktion der Grundrechte, andere Meinungen und ihre öffentliche Demonstration zuzulassen und zu ertragen, soweit nicht die Menschenwürde Dritter verletzt wird.
Ich erwähne das aus folgendem Grund: Jeder neue Grundrechtseingriff ist eine gefährliche Gratwanderung. Dem ersten Schritt folgt dann leicht ein zweiter. Ich muss schon daran erinnern: Wir hatten hier im Hohen Hause auch schon Vorschläge zu diskutieren, wonach Versammlungen zu verbieten seien, die dem außenpolitischen Ansehen der Bundesrepublik Deutschland schaden. Jeder erkennt: Wenn aus diesem Grund schon Versammlungen verboten werden dürften, wäre das offenkundig mit dem Grundsatz der Meinungsfreiheit unvereinbar. So etwas steht heute nicht zur Abstimmung, aber dies zeigt: Es gibt auch solche weiter gehenden Ideen hier im Bundestag. Deswegen ist es richtig, heute hier den Anfängen zu wehren.
(Beifall bei der FDP – Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn das für ein Vergleich? „Wehret den Anfängen!“ steht in einem anderen Zusammenhang!)
Sie werden sehen, dass die Ausweisung versammlungsfreier Orte in sehr großer Zahl vorgenommen werden wird. Ein Bundesland hat schon jetzt, ehe das Gesetz erlassen worden ist, angekündigt, dem Landesgesetzgeber 17 Orte vorzuschlagen, die versammlungsfrei sein sollen. Das zeigt: Es wird nicht dabei bleiben, dass nur ausnahmsweise einzelne Orte von herausragender historischer Bedeutung versammlungsfrei gestellt werden. Wenn das geschieht, was wir befürchten, dann ist dies nicht mehr mit der Brokdorf-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vereinbar, wonach man den Ort einer Demonstration frei wählen darf.
Damit kein Missverständnis entsteht: Es gibt eine große Gemeinsamkeit hier im Parlament, den Rechtsextremismus politisch zu bekämpfen.
(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)
Aber es muss erlaubt sein, darauf hinzuweisen, dass juristische Maßnahmen in diesem politischen Kampf gegen Rechtsextreme wenig bringen. Das haben wir doch beim gescheiterten NPD-Verbotsverfahren gesehen.
(Beifall bei der FDP)
Wir als FDP sind der Überzeugung, dass man Rechtsextremismus nicht dadurch wirksam bekämpft, dass man das für alle Bürgerinnen und Bürger geltende Versammlungsrecht einschränkt. Daher ist die von Ihnen vorgeschlagene Verschärfung des Versammlungsrechts der falsche Weg in der Auseinandersetzung mit den Rechtsextremisten.
Vielen Dank.
(Anhaltender Beifall bei der FDP – Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: So viel Beifall von der FDP!)
Rede vom 03.06.2005
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Max Stadler.
(Jörg Tauss [SPD]: Jetzt setzt euch mal von den Schwarzen ab!)
Dr. Max Stadler (FDP):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Bundesrepublik Deutschland erfüllt – und wird das auch in Zukunft tun – humanitäre Verpflichtungen, etwa durch Gewährung des Asylgrundrechts. Wir haben den Zugang in unser Land mit dem Zuwanderungsgesetz vorsichtig und in vernünftiger Weise geregelt. Deswegen ist es auf der anderen Seite völlig konsequent, wenn diejenigen, die kein Recht und keine Duldung mehr haben, in Deutschland zu bleiben, entschlossen abgeschoben werden.
(Beifall des Abg. Dr. Ole Schröder [CDU/ CSU])
Insofern teilen wir das Anliegen der Union. Wenn Abschiebungen, die vom Gesetz her geboten sind, durch Rechtsmissbrauch oder Tricksereien verhindert werden, so muss dem entgegengetreten werden. Auch dieses Anliegen aus Ihrem Antrag teilen wir als FDP selbstverständlich.
Aber es gibt auch einige Aspekte, die in den Anträgen der CDU/CSU nicht enthalten sind. Das größte Abschiebungshindernis ist in Wahrheit doch meistens die unsichere Lage im Herkunftsland von Flüchtlingen. Wir haben das kürzlich in der Unterrichtung einiger Mitglieder des Innenausschusses durch den renommierten Experten Victor Pfaff aus Frankfurt erfahren, der die schwierige Lage in Afghanistan geschildert hat.
(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Da wäre ich vorsichtig: „renommiert“!)
– Herr Grindel, ich weiß, dass Sie behaupten, andere Informationen zu haben.
(Jörg Tauss [SPD]: Grindel weiß alles!)
Ich kann nur aufgrund der Delegation von renommierten Experten, die mit Herrn Pfaff gerade dort gewesen ist, sagen: Vorsicht bei Abschiebungen in Gebiete, in denen Leib und Leben der Flüchtlinge gefährdet sind.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Es gibt ein weiteres Abschiebungshindernis, und zwar nicht rechtlicher, sondern praktischer Art. Viele Menschen, die lange in Deutschland sind und hier ihre Kinder geboren haben, die schon zur Schule gehen, sind hier verwurzelt und integriert. Jeder von uns wird doch in seinem Wahlkreis von Kirche und Schule, von Handwerkern und Vereinen angesprochen,
(Jörg Tauss [SPD]: Ja!)
weil niemand versteht, dass sich viele in Deutschland aufhalten, bei denen die Integration Probleme macht, aber auf der anderen Seite solche, die bestens integriert sind,
(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)
plötzlich abgeschoben werden sollen.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Da muss es doch vernünftige Altfallregelungen geben.
Ich sage Ihnen am Ende noch eines ganz klar: Mit der FDP gibt es kein Rütteln an der Europäischen Menschenrechtskonvention und an der Antifolterkonvention.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Nicht wie damals bei Schmidt-Jortzig!)
Ich sage: Hände weg von diesen internationalen Verpflichtungen, die wir zu Recht eingegangen sind! In einer Formulierung einer der Anträge der Union sah es so aus, als ob Sie das nicht mehr gelten lassen wollten.
(Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Zwei Stellen!)
Ich habe das schon von dieser Stelle aus gerügt und Sie haben klargestellt, dass es nicht so gemeint gewesen sei. Das ist eine Basis. Aber wir können natürlich nicht einem Antrag zustimmen, in dem eine Formulierung steht, die den Eindruck erweckt, als wollten Sie die Europäische Menschenrechtskonvention zur Disposition stellen.
(Beifall bei der FDP)
Ganz zum Schluss, Herr Kollege Schröder: Sie kommen aus dem schönen Norden unseres Landes.
(Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [FDP])
Daher ist Ihnen der Landkreis Passau verständlicherweise nicht bekannt. Ich will Ihnen berichten: In Hauzenberg im Landkreis Passau gibt es den ersten Fall, den Sie angesprochen haben. Bei jemandem, der aufgrund bestimmter Umstände des Terrorismus verdächtigt wird und den man im Moment noch nicht abschieben kann – das wird noch kommen –, werden die neuen Möglichkeiten des Zuwanderungsgesetzes, nämlich ihn völlig zu isolieren und total zu überwachen, in einer solchen Weise angewandt, dass alle Ihre Bedenken berücksichtigt sind. Hier haben wir also beim Zuwanderungskom-promiss gemeinsam Regelungen geschaffen.
(Vorsitz: Präsident Wolfgang Thierse)
Die FDP greift berechtigte Anliegen auf; aber wir halten uns an die humanitäre Tradition des Grundgesetzes und an internationale Verpflichtungen, die aus der Antifolterkonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention resultieren. Das ist in diesem Bundestag so und das wird im nächsten Bundestag so bleiben.
(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür werden wir sorgen!)
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Rede vom 03.06.2005
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Max Stadler, FDP-Fraktion.
Dr. Max Stadler (FDP):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach diesem Plädoyer der Kollegin Stokar für ein Informationsfreiheitsgesetz
(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Können Sie sich dem nicht entziehen?)
möchte ich Sie fragen, ob wir denn die internen Protokolle der von Ihnen geduldig geführten Verhandlungen über das Zustandekommen einmal nachlesen dürfen; denn dann bekämen wir vielleicht Aufschluss darüber, warum Sie bis heute gebraucht haben, Ihr Versprechen aus der Zeit der Regierungsbildung 1998 endlich zu erfüllen.
(Beifall bei der FDP – Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Stadler, ich lade Sie in mein Büro ein! Meine Akten sind für Sie offen!)
Wir haben ja gesehen, wo die Diskussionsfronten verlaufen sind: auf der einen Seite die Parlamentarier, auf der anderen Seite die natürlichen Feinde jeder Transparenz von Behördenhandeln, die Ministerien.
(Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Nein! Das sind doch keine Feinde! – Jörg Tauss [SPD]: Die haben wir überzeugt!)
Die Bundesgesundheitsministerin, Ulla Schmidt, hat die Verabschiedung dieses Gesetzes noch vor wenigen Wochen persönlich blockiert, wie wir lesen konnten,
(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Das war ein Missverständnis! – Gegenruf der Abg. Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Nein, kein Missverständnis!)
weil sie Bedenken von Krankenkassen aufgegriffen hat. Diese sind vom Bundesdatenschutzbeauftragten, von Herrn Bürsch und von Frau Stokar als unberechtigt zurückgewiesen worden.
(Jörg Tauss [SPD]: Zu Recht!)
Aber das war die Problematik in Ihren Reihen.
(Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Und sie ist immer noch nicht sauber gelöst!)
In der Sache sagen wir als FDP: Wir unterstützen ein Informationsfreiheitsgesetz. Dies ist eine alte bürgerrechtliche Forderung, die zu einem Zugewinn an Demokratie führt.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jörg Tauss [SPD]: Jetzt hat er Recht!)
Frau Kollegin Philipp von der CDU/CSU-Fraktion, die Einwände, die Sie heute vorgetragen haben, könnten sich hören lassen, wenn dies das erste Gesetz dieser Art auf der ganzen Welt wäre.
(Jörg Tauss [SPD]: Richtig!)
Aber es gibt längst eine praktische Erprobung. Die Bundesrepublik Deutschland ist hier Schlusslicht in der internationalen Entwicklung.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Es gibt eine Tradition im angelsächsischen Raum. Die amerikanische Bürgerrechtsbewegung hat ein solches Gesetz erkämpft.
(Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Schweden 1766!)
Auch die Regelungen in Kanada hätten wir uns zum Vorbild nehmen können usw.
(Beifall bei der FDP)
Die praktische Erfahrung zeigt, dass das funktioniert.
Sie haben einen bedenkenswerten prinzipiellen Einwand erhoben. Sie haben gesagt: Wer vor einem Verwaltungsgericht klagen will, muss nach unserem System von dem Verwaltungshandeln, gegen das er vorgeht, selber betroffen sein. Das ist aber etwas anderes als die Information über Verwaltungshandeln allgemein.
(Zuruf von der SPD: Exakt!)
Diese steht in einer Demokratie jedermann zu. Das ist der Unterschied. Deswegen teilen wir als Liberale Ihren Einwand nicht.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Allerdings hätten wir uns ein großzügigeres und bürgerfreundlicheres Gesetz gewünscht. Die Debatte in Deutschland ist nach jahrelangem Stillstand doch überhaupt nur vom Fleck gekommen, weil
(Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Wir Druck gemacht haben!)
die Humanistische Union und andere Bürgerrechtsorganisationen einen eigenen Entwurf vorgelegt haben,
(Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Das ist wahr! – Widerspruch bei der SPD)
nachdem Sie nicht zu einer Einigung gekommen sind. Dieser Entwurf, den Sie natürlich kennen, war großzügiger und hätte mehr an wirklicher Information geboten als der Minimalkompromiss, auf den Sie sich bei SPD und Grünen geeinigt haben.
(Beifall bei der FDP)
Der Ausnahmetatbestand in § 3 ist viel zu weit gefasst. Ungünstig ist auch, dass es bereichsspezifische Regelungen in anderen Gesetzen und daneben jetzt ein Informationsfreiheitsgesetz gibt. Das führt nur zu Unklarheit und Verwirrung. Die Regelung eines einheitlichen Anspruches auf Information wäre richtig gewesen.
(Beifall bei der FDP)
Aus diesen Gründen, meine Damen und Herren, sagen wir: Sie gehen einen Schritt in die richtige Richtung. Was Sie machen, ist aber nicht liberal und bürgerfreundlich genug. Wir wollen den Gesetzentwurf nicht ablehnen, weil das Grundanliegen von uns geteilt wird; aber wir können auch nicht zustimmen, weil es wirklich nur eine Minimalregelung ist.
(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Das ist mehr als minimal, Herr Kollege!)
Daher enthalten wir als FDP uns hier im Bundestag heute der Stimme.
(Beifall bei der FDP – Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo bleibt die Informationsfreiheit in Baden-Württemberg, in Rheinland-Pfalz? Da gibt es das nicht!)
Rede vom 15.06.2005
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat der Kollege Dr. Max Stadler von der FDP-Fraktion.
Dr. Max Stadler (FDP):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die FDP-Fraktion wird sich bei dem Antrag der CDU/CSU, über den wir gerade debattieren, der Stimme enthalten.
(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Schade! – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr mutig!)
Wir wollen damit zum Ausdruck bringen, dass in diesem Antrag durchaus berechtigte Fragen thematisiert werden, etwa die wirklich nicht akzeptable Praxis der Türkei,
(Beifall der Abg. Dorothee Mantel [CDU/ CSU])
eigene Staatsbürger auszubürgern, wenn sie im Ausland straffällig geworden sind. Das sehen wir genauso wie die CDU/CSU.
(Zuruf von der CDU/CSU: Bravo!)
Wir können diesem Antrag aber nicht zur Gänze zustimmen, weil er zum Teil überholt ist: Er bezieht sich auf die Aufnahmeentscheidung der Europäischen Union vom 17. Dezember 2004; insoweit ist er einfach durch den Zeitablauf überholt. Wir wollen diesem Antrag aber auch deswegen nicht zustimmen, weil wir glauben, dass einige innenpolitische Fragen, die von der CDU/CSU hier zur Debatte gestellt werden, die gesamte Dimension des Problems des Beitritts der Türkei zur Europäischen Union nicht erfassen. Dieser Antrag ist nicht geeignet, eine neue Debatte über den EU-Beitritt der Türkei zu initiieren.
(Beifall des Abg. Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Ich verweise auf die klare Haltung der FDP zu diesem Thema: Wir sind für wirklich ergebnisoffene Verhandlungen über den EU Beitritt der Türkei. Diese werden sich voraussichtlich über einen längeren Zeitraum hinziehen, und wenn sie abgeschlossen sind, wird entschieden. Das Ergebnis lässt sich heute nicht vorwegnehmen.
(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Natürlich ist es legitim – die CDU/CSU macht dies –, in der Zwischenzeit einzelne Probleme zu diskutieren. Durch die von SPD, Grünen und FDP gemeinsam getragene Reform des Staatsangehörigkeitsrechts im Jahr 2000 ist eine wirklich schwierige Situation entstanden. Damals ist vor allem auf Wunsch der CDU/CSU an dem Grundsatz festgehalten worden, dass jeder nur eine einzige Staatsangehörigkeit haben soll
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Leider!)
und dass die doppelte Staatsangehörigkeit prinzipiell verboten ist.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schade!)
Daraus erwachsen nun praktische Probleme; denn damals ist folgende Regelung geschaffen worden: Deutsche Staatsangehörige, die ihren Wohnsitz im Inland haben und zusätzlich eine ausländische Staatsangehörigkeit erwerben, verlieren mit diesem Erwerb automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit. Der Grund für diese Regelung war natürlich folgender – daran muss man sich einmal erinnern –: Es sollte verhindert werden, dass es entgegen der mit diesem Gesetz verbundenen Intention zu doppelten Staatsangehörigkeiten kommt.
Die normale Sanktion bei diesem Regelverstoß – der Entzug der deutschen Staatsangehörigkeit – konnte nicht im Gesetz verankert werden, da ein solches Vorgehen durch Art. 16 des Grundgesetzes verboten ist. Diese Regelung im Grundgesetz soll deutsche Staatsangehörige vor Rechtsverlusten schützen. Aus genau diesem Grund haben wir eine viel weiter gehende Regelung geschaffen, nämlich die „Fallbeilregelung“, die vorsieht, dass die deutsche Staatsangehörigkeit mit dem Erwerb einer anderen Staatsangehörigkeit automatisch verloren geht. Es ist etwas paradox, dass eine Schutzvorschrift – Art. 16 des Grundgesetzes – zu einer eigentlich weiter gehenden Regelung geführt hat.
Ich wage zu bezweifeln, dass dies der Weisheit letzter Schluss war;
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sicher nicht!)
wir sehen nämlich, dass diese Regelung den unterschiedlichen Fällen, um die es geht, nicht gerecht wird. Beispielsweise haben Personen vor In-Kraft-Treten der Neuregelung die türkische Staatsangehörigkeit aus privaten Gründen beantragt, ohne dass eine Stichtagsregelung vorgegeben war. Es ist nicht so, dass diese Menschen ausgebürgert werden – dieser Gedanke kommt in vielen Briefen an uns zum Ausdruck –; vielmehr haben sie die deutsche Staatsangehörigkeit schon per Gesetz verloren.
Aus diesem Grund wäre es klüger, eine Regelung zu finden, die den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit bei Erwerb einer ausländischen zwar weiterhin grundsätzlich vorsieht, diesen Verlust aber erst mit einer feststellenden Verwaltungsentscheidung in Kraft setzt. Die Rechtsnachteile treffen ja nicht nur einzelne Personen; vielmehr wirkt sich die dadurch entstehende Rechtsunklarheit auf unser gesamtes Gemeinwesen nachteilig aus. Schließlich weiß man nicht genau, wer wahlberechtigt ist und wer nicht, woran viele andere Rechtsfolgen anknüpfen. Angesichts dessen müsste die notwendige Klarheit durch die Entscheidung einer Verwaltung hergestellt werden.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Damit wird in keiner Weise akzeptiert, dass manche der Betroffenen die geltende Rechtslage bewusst umgehen wollten. Das verkennen wir nicht. Eine solche Haltung wird von uns nicht akzeptiert.
Ich sage zum Schluss aus rein praktischen Erwägungen: Die Menschen, über die wir hier reden, wohnen schon jahrelang in Deutschland. Wäre es anders, hätten sie die deutsche Staatsangehörigkeit nicht erwerben können. Diese Menschen werden weiterhin – vielleicht ihr Leben lang – in Deutschland wohnen. Unsere Politik macht doch nur dann einen Sinn, wenn wir ihnen unabhängig von der Schuldfrage die Möglichkeit geben, die deutsche Staatsangehörigkeit wieder zu erwerben. Dies ist aber – ich sage dies in aller Deutlichkeit – nur im Rahmen der geltenden Vorschriften möglich.
Ich möchte deshalb in dieser Debatte die Gelegenheit nutzen, an alle Betroffenen zu appellieren, ihre türkische Staatsangehörigkeit wieder aufzugeben; denn anders geht es nicht. Unsere Behörden sollten dann die neue Einbürgerung wirklich schnell durchführen.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und vor allem billig!)
Dies ist die einzig sinnvolle und praxisgerechte Lösung des Problems.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr korrekt!)
Rede vom 15.06.2005
Dr. Max Stadler (FDP): Dass die Einsparungen in der Rentenversicherung auf die Beamtenversorgung zu übertragen sind, wird von niemandem ernsthaft in Abrede gestellt. Hierbei handelt es sich um ein Gebot sozialer Symmetrie. Alles andere entfachte eine neue Neid-Debatte, an der die Beamtinnen und Beamten, die Versorgungsempfängerinnen und Versorgungsempfänger am allerwenigsten Interesse haben dürften; wäre sie doch Wasser auf die Mühlen jener, denen das Berufsbeamtentum seit langem ein Dorn im Auge ist und die es am liebsten abgeschafft sähen. Erfreulicherweise hat die rot-grüne Landesregierung in Düsseldorf für derartige Überlegungen der von ihr eingesetzten Bull-Kommission nunmehr die Quittung erhalten.
Der rot-grünen Bundesregierung ist zumindest zuzugestehen, dass sie sich die Sache nicht einfach macht. Dreh- und Angelpunkt aller Überlegungen wird die Frage der Wirkungsgleichheit der Übertragungsmaßnahmen sein. Diese Frage ist zum einen nominal und zum anderen unter Rückgriff auf die Besonderheiten der Beamtenversorgung zu beantworten. Wir alle kennen die Empfehlung des federführenden Ausschusses für Innere Angelegenheiten des Bundesrates. Der Ausschuss kommt zu dem Ergebnis, dass es schon nominal in der Beamtenversorgung im Vergleich zu der gesetzlichen Rentenversicherung aktuell keinen Nachholbedarf gibt.
Das Niveau der Beamtenversorgung sei seit 1999 um 4,31 Prozent gesunken. Mittelfristig betrage die Niveauabsenkung gut sieben Prozent. Hingegen belaufe sich die Niveauabsenkung in der Rentenversicherung auf maximal sechs Prozent. Die weiteren Beratungen werden zeigen müssen, ob diese Zahlen belastbar sind oder ob es sich hierbei um politische Zahlen handelt, um im Wahlkampf zu punkten.
Neben der rein nominalen Betrachtung darf die Besonderheit der Beamtenversorgung nicht aus dem Blick geraten. Die Beamtenversorgung ist Grundsicherung und Zusatzsicherung zugleich. Sie ist bifunktional. Der Anteil der Pensionen, der der Zusatzversicherung dient und hierin der betrieblichen Altersversorgung vergleichbar ist, muss daher grundsätzlich von Übertragungsmaßnahmen ausgenommen bleiben.
Auch kann ich Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, an dieser Stelle einen grundsätzlichen Vorwurf nicht ersparen: Ihre Politik im Bereich der Beamtenversorgung war eine Politik der tausend Nadelstiche: Hier eine Maßnahme, dort eine Maßnahme; eine Gesamtschau unterblieb. Die FDP hat daher stets gefordert, Umfang und Wirkung aller Maßnahmen aus versorgungsrelevanten Reformen differenziert und im Zusammenhang darzustellen sowie in ihren Auswirkungen vorauszuberechnen. Dies wäre Aufgabe des Dritten Versorgungsberichts gewesen. Leider ist der Dritte Versorgungsbericht trotz mannigfacher Erinnerungen und entgegen anders lautenden Zusagen dem Deutschen Bundestag bis heute nicht zur Beratung zugeleitet worden.
Aus liberaler Sicht ebenfalls zu kritisieren ist das Fehlen des nachhaltigen Aufbaus der Versorgungsrücklage. Die FDP hat sich stets dafür ausgesprochen, zur langfristigen Sicherung der Beamtenversorgung die Kapitaldeckung der Versorgungskosten auszubauen und für neu berufene Beamtinnen und Beamte Versorgungsrücklagen nach versicherungsmathematischen Grundsätzen zu bilden, die generationengerecht und haushaltsfest sind. Außerdem hat sich die FDP stets für eine Erweiterung des Anlagespektrums ausgesprochen. Eine weitere Forderung ist die Ausschreibung der Verwaltung und die Schaffung der Möglichkeit, die Verwaltung privaten Dritten zu übertragen.
Weitere Fragwürdigkeiten des Gesetzentwurfes werden in der parlamentarischen Beratung zu erörtern sein. Dies gilt für die Auswirkungen einer nur eingeschränkten Berücksichtigung von Studienzeiten als ruhegehaltfähigen Dienstzeiten auf den gesellschaftlich erwünschten und wirtschaftlich notwendigen Erwerb von Qualifikationen in einer Wissensgesellschaft. Dies gilt für die vorgesehene Gewährung von Einmalzahlungen an Bundesbeamte und eine sich hieraus möglicherweise ergebende Präjudizwirkung für die Tarifverhandlungen der Länder. Das gilt schließlich für die Einbeziehung des Altersgeldes nach dem Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte in die Ruhensregelung des Beamtenversorgungsgesetzes.
Die FDP wird sich konstruktiven Beratungen nicht entziehen. Wir sind daher auf die Gegenäußerung zur zu erwartenden Stellungnahme des Bundesrates sehr gespannt.
Rede vom 30.06.2005
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat der Kollege Dr. Max Stadler von der FDP-Fraktion.
Dr. Max Stadler (FDP):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Fast auf den Tag genau vor einem Jahr, nämlich am 1. Juli 2004, fand in diesem Hohen Haus die große abschließende Debatte über das neue Zuwanderungsgesetz statt. Ich erwähne dies, weil man daran sieht, wie schnelllebig unsere Zeit ist. Mittlerweile stehen längst andere Themen im Vordergrund der politischen Auseinandersetzung. Es wird im bevorstehenden Wahlkampf entscheidend darum gehen, wer die besseren Konzepte hat, mit denen der Abbau von Arbeitsplätzen in Deutschland verhindert werden kann und mit denen neue Arbeitsplätze in Deutschland entstehen können.
Anscheinend ist bei manchen im letzten Jahr der genaue Inhalt des gemeinsam beschlossenen Zuwanderungsgesetzes in Vergessenheit geraten. Ich darf daran erinnern, dass gerade wegen der hohen Arbeitslosigkeit in Deutschland die Regelungen zur Zuwanderung sehr eng gefasst worden sind. Es gilt beispielsweise der Vorrang für Inländer bei der Bewerbung auf freie Arbeitsplätze und es gilt im Zuwanderungsgesetz das Verbot von Dumpinglöhnen. Dennoch hat Bayerns Innenminister Günther Beckstein in der letzten Woche vor massenhafter Zuwanderung, wie er sich ausgedrückt hat, gewarnt. Er kann damit jedenfalls nicht das von der FDP mitgetragene Zuwanderungsgesetz gemeint haben; denn dieses Gesetz verhindert ja gerade eine umfängliche Zuwanderung in unser Land.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)
Ich meine, wir sollten trotz des Wahlkampfes um eine sorgfältige Wortwahl bemüht sein.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Diese Debatte gibt aber auch Anlass, auf Folgendes hinzuweisen – es wäre eigentlich besser, sich mit diesem Herrn ansonsten nicht zu befassen –: Völlig unerträglich ist die Art und Weise, wie Oskar Lafontaine bei diesen Themen im Trüben zu fischen versucht.
(Beifall bei der FDP, der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Anstatt Ängste in der Bevölkerung zu instrumentalisieren, sollten wir uns gemeinsam darauf konzentrieren, endlich die ungelösten Probleme der Integration von Zuwanderern zu lösen. Aus Zeitgründen kann ich aus dem Bündel von Anträgen nur zu diesem Thema noch sprechen.
Die FDP hat auf Initiative unseres Kollegen Klaus Haupt im November 2004 ein umfangreiches Gesamtkonzept zur Integration vorgelegt. Ich fand es sehr fair, dass uns die Migrationsbeauftragte der Bundesregierung, Marieluise Beck, in ihrem Jahresbericht 2005 ausdrücklich differenzierte Lösungsvorschläge attestiert hat.
(Beifall bei der FDP)
Wir haben unser Konzept immer als einen Beitrag zur Versachlichung der Debatte empfunden, legen aber auch Wert darauf, dass es jetzt Schritt für Schritt umgesetzt wird.
Unser Integrationskonzept enthält drei zentrale Aussagen, die wir aus der Verfassung ableiten:
Erstens. Das Grundgesetz sichert jedem Einzelnen die persönliche Freiheit zu, gemäß den eigenen kulturellen Wurzeln sein Leben zu gestalten.
Zweitens. Das Grundgesetz kennt aber auch Pflichten. Kulturelle Eigenheiten finden ihre Grenze in der Wahrung der Rechte anderer. Deswegen finde ich zum Beispiel die Initiative von Justizminister Ulrich Goll von der FDP in Baden-Württemberg, Zwangsverheiratungen als eigenen Tatbestand in das Strafgesetzbuch aufzunehmen und unter Strafe zu stellen, sehr richtig.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Wir halten es auch für richtig, wenn die Rechtsprechung ein klares Signal gegen so genannte Ehrenmorde setzt, die in Wahrheit natürlich unehrenhafte Morde sind.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Drittens. Ein weiteres Anliegen des Grundgesetzes ist das Recht auf aktive Teilhabe an politischen Entscheidungen. Als Liberale verstehen wir daher nicht, warum Menschen, die schon länger als fünf Jahre rechtmäßig in Deutschland leben, in kommunalen Angelegenheiten, also im eigenen unmittelbaren Lebensbereich, nicht mitbestimmen dürfen. Das muss dringend geändert werden.
(Beifall bei der FDP)
Auch wir halten übrigens die Argumente der Innenministerkonferenz gegen ein Bleiberecht für Kinder und Jugendliche, die schon lange in Deutschland leben, für nicht stichhaltig. Wir meinen, die Innenministerkonferenz hat den alten Fehler gemacht, gerade denjenigen, die schon integriert sind, eine Zukunftsperspektive zu verweigern.
(Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Dabei hätten wir ohnehin noch viel zu tun bei der Integration vieler anderer Ausländer.
In diesem Zusammenhang begrüße ich ausdrücklich den Vorstoß der CDU/FDP-Landesregierung Niedersachsens, Sprachkurse verpflichtend auch für solche Ausländer anzubieten, die schon längere Zeit in Deutschland leben. Früher nannte man das etwas hochgestochen „nachholende Integration“. Dabei gilt das Prinzip des Forderns und Förderns. Integration setzt Angebote durch unsere Gesellschaft voraus, verlangt aber auch Anstrengungen von denjenigen, die in Deutschland leben und hier bleiben wollen. Ich glaube, das ist selbstverständlich.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Die parlamentarische Arbeit bringt es mit sich, dass über bestimmte Themen einmal im Jahr diskutiert wird und dann wieder der Alltag einzieht. Ich glaube, bei der zentral wichtigen Aufgabe der Integration können wir so nicht verfahren. Deswegen schlägt die FDP die Einrichtung einer ständigen Berichterstattergruppe des Innenausschusses vor, um die Migrationsbeauftragte und alle, die sich um dieses Thema bemühen, bei der Umsetzung der Integrationskonzepte zu unterstützen.
Wir bitten Sie, dem realistischen und konkreten 15-Punkte-Programm der FDP „Kulturelle Vielfalt – Universelle Werte – Neue Wege zu einer rationalen Integrationspolitik“ zuzustimmen und bei der Umsetzung tatkräftig mitzuwirken.
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Hartmut Koschyk [CDU/CSU])
Rede vom 30.11.2005
4. Sitzung des Deutschen Bundestages
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Max Stadler von der FDP-Fraktion.
Dr. Max Stadler (FDP):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Minister Schäuble, Ihrem letzten Satz ist nichts hinzuzufügen; da wird Ihnen jeder zustimmen.
Zu Beginn Ihrer Amtszeit wünscht Ihnen die FDP-Fraktion eine glückliche Hand bei Ihrer Arbeit, mit der Sie jetzt für unser Land beginnen, und bei der schwierigen Aufgabe, die Sie zu erfüllen haben.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Es würde zwar der parlamentarischen Tradition entsprechen, die so genannte 100-Tage-Frist als Schonfrist einzuhalten. Aber ich glaube, dann würden wir Sie unterfordern. Denn Sie sind einer der erfahrensten Politiker dieser Regierung und Sie haben sich auch nicht gescheut, bereits in Ihrem ersten Redebeitrag als Innenminister klare Positionen zu beziehen.
Deswegen sagen wir als FDP Ihnen ebenso klar: Die Koalitionsvereinbarung ist für uns im Bereich der Innen- und Rechtspolitik eine große Enttäuschung. Denn sie enthält eine bemerkenswert große Anzahl von völlig unverbindlichen Absichtserklärungen und von lediglich vagen Prüfaufträgen. Aber diese Koalitionsvereinbarung lässt an keiner Stelle erkennen, dass Sie bereit sind, die zahlreichen und unnötigen Grundrechtseingriffe der letzten Jahre zurückzunehmen. Das ist unsere Hauptkritik an der Koalitionsvereinbarung.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Wir befürchten, Ihre Eingangsworte haben uns darin bestätigt, dass die Politik des in dubio pro securitate (im Zweifel für die Sicherheit) fortgesetzt wird. Wir glauben allerdings, dass die für die Politik notwendige Abwägung zwischen den Sicherheitsinteressen und dem freiheitlichen Gehalt des Grundgesetzes bereits unter Rot-Grün nicht mehr stattgefunden hat.
(Beifall bei der FDP)
Dennoch wollen wir zu Beginn Ihrer Amtszeit auch feststellen, dass wir einige Ihrer Äußerungen, Herr Minister Schäuble, sehr positiv registriert haben: Sie haben zu Recht die Integration als eine Hauptaufgabe der Zukunft herausgestellt. Die FDP wird Sie dabei unterstützen, wie wir Ihnen auch unser umfangreiches Programm zur Integrationspolitik vom Dezember 2004 als Material anempfehlen dürfen.
Zweitens haben Sie sich zu Recht für den Dialog mit der islamischen Gemeinschaft ausgesprochen. Auch da teilen wir Ihre Meinung und auch die klare Aussage, die Sie getroffen haben: dass dabei die Regeln des Grundgesetzes unverzichtbar sind. Das ist auch unsere Position.
Drittens, damit komme ich, glaube ich, zum Kernthema dessen, worüber wir die nächsten Jahre vermutlich des Öfteren zu diskutieren haben, haben Sie in dem "Spiegel"-Interview, das am Montag dieser Woche veröffentlicht worden ist, sinngemäß erklärt, dass der Rechtsstaat sogar beim Kampf gegen Terrorismus nicht jedes Mittel einsetzen darf. Sie haben auf die konkrete Frage, wo denn für Sie die rote Linie verlaufe, was ein Rechtsstaat darf und was nicht, erklärt:
Das Folterverbot muss gelten.
Das ist zwar eine Selbstverständlichkeit, aber trotzdem wichtig und bemerkenswert. Denn damit haben Sie doch selber zum Ausdruck gebracht: Der Rechtsstaat darf vieles � und er muss vieles tun, um die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger bestmöglich zu schützen, aber er darf nicht alles. Es sind ihm auch Grenzen gesetzt, von der Verfassung, und diese Grenzen sind in den Grundrechten definiert, die die Freiheit in unserem Staatswesen verbürgen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Daher, Herr Minister, ist es nicht nur eine nebensächliche Debatte, ob man ein gespeichertes Datum einer Mautstelle zum Zwecke der Strafverfolgung verwenden darf, sondern so, wie Sie das vorhin erklärt haben, geht es hier schon um eine sehr grundsätzliche Auseinandersetzung: Kann es sein, dass der Staat, weil er ja sinnvolle Zwecke verfolgt wie etwa die Strafverfolgung oder Prävention, auf alle Daten zurückgreift? Oder gilt das, was bisher allgemeine Meinung war zum Datenschutz: nämlich dass es auch eine Zweckbindung von Daten gibt, auf die man sich als Bürger verlassen können muss;
(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Davon hat er nie etwas gehört!)
dass man die Sicherheit haben muss, dass bestimmte Daten eben nicht für andere, und seien es noch so hehre Zwecke verwendet werden dürfen? Das ist jedenfalls unsere Meinung.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich verstehe jetzt besser, warum in der Koalitionsvereinbarung � das war mir beim ersten Durchlesen sofort aufgefallen � der Datenschutz schon wieder mit so einem negativen Touch erwähnt wird: Er kommt dort nur als Hindernis vor, das dem Staat im Wege steht, Sinnvolles zu tun. Das ist unserer Meinung nach eine völlig falsche Betrachtungsweise und das hat der Verfassungsgerichtspräsident Benda, einer Ihrer Vorgänger als Innenminister und CDU-Politiker, nicht verdient: dass das Grundrecht auf Datenschutz, das er mit dem Bundesverfassungsgericht aus Art. 2 des Grundgesetzes herausinterpretiert hat, so eingeordnet würde!
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich habe auch sehr aufmerksam zugehört, als Sie gesagt haben: Der Staat muss � fast; das sage ich jetzt dazu alles dafür tun, vor allem wenn es um die Prävention geht. Das klingt natürlich auch plausibel und wer wollte dem widersprechen? , aber man muss die Frage stellen nein, Herr Benneter, die entscheidende Frage kommt: Wo ziehe ich dann noch Grenzen für staatliche Eingriffe? Wo ziehe ich noch Grenzen, wenn ich der Meinung bin, alles, was an Daten gesammelt wird, müsste verwendet werden?
(Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Wer will denn das?)
Herr Wiefelspütz, gerade Sie zum Beispiel haben sich gegen die von Ihnen selbst beschlossene, übrigens auf besonderen Wunsch der CDU/CSU so formulierte, Klausel im Mautgesetz gewandt, nach der es eine strikte Zweckbindung der Daten geben soll.
(Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Das können Sie doch selber nicht für richtig halten!) Doch, das war so: im federführenden Verkehrsausschuss. Wenn man die Aufgabe des Staates so schrankenlos definiert, dann fällt es schwer, überhaupt noch Grenzen anzugeben, zum Beispiel wie lange unsere Telekommunikationsdaten, die doch deutlich dem privaten Bereich angehören und die niemand anderen etwas angehen, gespeichert werden � um nur ein aktuelles Beispiel aus der EU anzuführen. Mir wird jetzt auch klar, warum Sie Präventivbefugnisse für das Bundeskriminalamt vereinbart haben. Es geht nicht um eine formale Zuständigkeitsregelung. Wir sehen die Gefahr in der Abkehr vom klassischen Polizeirecht. Das klassische Polizeirecht hat immer an konkrete Verdachtssachverhalte angeknüpft, die den Staat zum Einschreiten veranlassen.
(Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Das ist doch nicht der Stand der Diskussion! Wo haben Sie aufgehört zu lesen und nachzudenken, Herr Stadler?)
Doch, das ist die entscheidende Frage, Herr Wiefelspütz. Ich habe Ihre Koalitionsvereinbarung sehr aufmerksam gelesen. Ich bin auf einen Satz gestoßen, der beim ersten Lesen plausibel klingt, bei nochmaligem Lesen aber nicht. Zuerst habe ich gedacht, ich bin vielleicht zu skeptisch, ich denke aber, ich bin es nicht. Diesen Satz möchte ich ganz vortragen. Sie schreiben in ihrer Koalitionsvereinbarung etwas zum Verhältnis von Freiheit und Sicherheit darin haben wir Ihnen eben zugestimmt und schreiben dann auf Seite 116:
Beide Werte müssen immer wieder neu je nach den sich ändernden äußeren Bedingungen ins Gleichgewicht zueinander gebracht werden.
Das klingt plausibel. Aber was bedeutet die Passage je nach den sich ändernden äußeren Bedingungen denn? Gibt es nicht Grundrechte, die unveräußerlich sind, egal wie sich die Bedingungen ändern?
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Herr Minister Schäuble, ist das nicht Ihre Aussage im "Spiegel"-Interview, in dem Sie gesagt haben, es gebe Grenzen für das staatliche Handeln? In dem Zusammenhang, wo Sie sich klar für das Folterverbot ausgesprochen haben, sagen Sie auch, dass es eben nicht Grundrechte gibt, die je nach den äußeren Bedingungen zur Disposition stehen. Darauf müssen wir bestehen.
Herr Minister Schäuble, wir vertrauen darauf, dass auch das zutrifft, was Sie ebenfalls in dem "Spiegel"-Interview gesagt haben, nämlich dass Ihnen niemand zu erklären brauche, wie wichtig Bürgerrechte in einer freien Gesellschaft sind. So etwas hat man aus dem Bundesinnenministerium schon lange nicht mehr gehört. Deswegen erwähne ich diesen Satz ausdrücklich.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP)
Der Philosoph Wittgenstein sagt: Das Wort ist die Tat.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Liberale Interviews und strikte Gesetze: Das passt zusammen!)
Es ist eine Tat, wenn Sie sich so klar zu den Bürgerrechten bekennen. Aber Sie werden Verständnis haben, dass wir Sie dennoch an den weiteren Taten messen werden. Wenn es zutrifft, was Sie im "Spiegel"-Interview sagen, dass sich derjenige, der Sie im Verständnis einer freiheitlichen Verfassung übertreffen wolle, ziemlich anstrengen müsse, wenn das die Sicht der neuen Bundesregierung ist, dann werden Sie die FDP an Ihrer Seite haben. Aber auch nur dann.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Rede vom 14.12.2005
7. Sitzung des Deutschen Bundestages
Berichte über angebliche Gefangenentransporte sowie Verbringung deutscher bzw. anderer Staatsangehöriger durch US-Stellen und das Verhalten von Bundesdienststellen in diesem Zusammenhang
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Das Wort hat der Kollege Dr. Max Stadler, FDP-Fraktion.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP)
Dr. Max Stadler (FDP):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn man die Darstellung von Minister Steinmeier zu den vielfältigen Aktivitäten – sie wurden im Detail geschildert – gehört hat, die ergriffen wurden, nachdem sich der Anwalt von Herrn el-Masri an die Bundesregierung gewandt hatte, stellt man sich umso mehr die Frage, warum die Bundesregierung uns so lange Zeit darauf vertrösten wollte, dass derlei ausschließlich in einem geheim tagenden Gremium des Deutschen Bundestags zu erörtern sei. Das ist schlichtweg unverständlich.
(Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Diese Debatte ist aber in Wahrheit keine Auseinandersetzung zwischen Opposition und Regierung im herkömmlichen Sinne; diese Debatte ist ein gemeinsames Bemühen des gesamten Parlaments um den Rechtsstaat. Denn das ist der Kern der Themen, die uns bewegen: Wie bewältigen wir die Abwehr terroristischer Bedrohungen, ohne den bewährten Rechtsstaat des Grundgesetzes preiszugeben? Um diese Frage geht es.
(Beifall bei der FDP)
Wenn wir das Thema so angehen, dann verfolgen wir dasselbe Ziel wie diejenigen in der amerikanischen Gesellschaft und im Kongress, die ebenfalls anstreben, ausschließlich mit rechtsstaatlichen Methoden in der Terrorismusabwehr zu arbeiten. Dies zeigt die begrüßenswerte Initiative von Senator McCain.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Diese Bestrebungen in den USA sind deshalb für uns so wichtig, weil wir selbstverständlich die weitere Zusammenarbeit mit den amerikanischen Behörden gerade auch in diesem Bereich brauchen, weil wir sie wollen und weil wir den Informationsaustausch zwischen den Geheimdiensten zur Abwehr terroristischer Gefahren benötigen.
(Dr. Peter Struck [SPD]: Sehr richtig!)
Aber wir sagen auch klipp und klar, was dabei nicht geht: Verschleppung und Folter sind als Methoden der Gefahrenabwehr absolut nicht hinnehmbar.
(Beifall im ganzen Hause)
Deshalb, Herr Minister Steinmeier, war es mir zu wenig, als ich neulich die Äußerung von Ihnen gelesen habe, die Bundesregierung habe bei den ganzen Vorgängen gegen keinerlei Vorschrift verstoßen. Das reicht manchmal nicht aus; manchmal muss man im privaten Leben, aber auch in der Politik mehr tun, als nur nicht gegen Vorschriften zu verstoßen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Ob die alte Bundesregierung in diesem Sinne im konkreten Fall el-Masri genug getan hat, können wir auch nach der heutigen Information nicht abschließend bewerten. Die Darlegungen in den Ausschüssen waren von Zeitnot geprägt; dort konnten nicht alle Fragen angesprochen werden. Sie haben jetzt im Plenum Ausführungen gemacht, die aber in einem gewissen Widerspruch zu den Klagen stehen, die man aus der Münchener Staatsanwaltschaft hört, wo es noch gestern hieß, dass man von den Bundesbehörden immer nur höre, sie wüssten auch nichts.
Es gibt noch viele offene Detailfragen. Wenn man genau hinhört, erkennt man, dass immer vom Verhalten der Bundesbehörden die Rede ist, die keine Informationen nach außen gegeben hätten. Was war denn mit den Landesbehörden? Neu-Ulm liegt bekanntlich in einem Bundesland,
(Ute Kumpf [SPD]: Bayern!)
einem sehr schönen noch dazu. Da muss man nachfragen. Wieso stellt die angesehene „Washington Post“ den Zeitablauf anders dar, als es der ehemalige Minister Schily getan hat? Manches ist einem nach wie vor rätselhaft. Wieso soll es fünf Monate gedauert haben, bis eine angebliche Personenverwechslung aufgedeckt und aufgeklärt worden ist? Gab es in diesen fünf Monaten Rückfragen bei den deutschen Behörden, wer denn el-Masri sei? Warum wurde jemand, der monatelang verschwunden ist, von niemandem als vermisst gemeldet?
(Klaus Uwe Benneter [SPD]: Auch von Ihnen nicht! Auch Sie haben ihn nicht als vermisst gemeldet, Herr Stadler!)
Das sind ganz einfache Fragen, die man stellen muss.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das sind Detailfragen, die uns aber nicht vom Kern des Problems ablenken. Denn vom damaligen Bundesinnenminister Schily selber wird berichtet, dass er im Februar 2005 erfolglos bei amerikanischen Behörden interveniert habe; erfolglos in dem Sinne, dass er keine Zusicherung erhalten hat, dass sich eine solche Verschleppung nicht wiederholen wird.
(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Sehr wichtige Frage! Ja, genau so!)
Da stellt sich natürlich die Frage: Wie ist denn eine solche Reise eines Bundesministers zu einem so brisanten Thema in der alten Bundesregierung vorbereitet worden? Was war die Linie des Auswärtigen Amtes und des damaligen Bundesaußenministers, der in der heutigen Debatte leider nicht anwesend ist? Wie ist über die erfolglose Mission berichtet worden und welche Folgerungen hat man daraus gezogen, was man zu tun hat, damit sich solche Rechtsverletzungen nicht wiederholen?
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Wir müssen uns noch einmal klar machen: Es ging hier um massive Rechtsverstöße. Jeder, der verhaftet wird, hat gewisse Rechte. Er darf einen Anwalt wählen. Er darf Kontakt zu seiner Familie aufnehmen, wenigstens brieflich. Wenn er im Ausland inhaftiert wird, kann er konsularischen Schutz durch die Bundesregierung beanspruchen. Im konkreten Fall el-Masri war es so, dass ein deutscher Staatsangehöriger über Monate rechtlos gestellt worden ist.
Jetzt komme ich zu meinem Ausgangsgedanken zurück. Es reicht eben nicht, nicht gegen Rechtsvorschriften zu verstoßen.
(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Sehr richtig!)
Man muss eine öffentliche Debatte beginnen, die einem solchen Vorgang ganz klar widerspricht.
(Beifall bei der FDP und der LINKEN)
Denn jede stillschweigende Hinnahme von Verschleppung und Folter würde dazu beitragen, dass unser Grundkonsens in Gefahr geriete, den wir alle in diesem Parlament haben, nämlich dass wir uns bei der Bekämpfung terroristischer Gefahren strikt an das Grundgesetz und an die Grundrechte halten.
(Beifall bei der FDP)
Ich sage Ihnen Folgendes: Bei unseren Auseinandersetzungen um Schily I und Schily II, die wir hier im Plenum ausgetragen haben, ging es um Abwägungsfragen. Aber wir als FDP haben immer entschieden widersprochen, wenn beim Thema Folter in öffentlicher Debatte plötzlich keine Prinzipienfestigkeit mehr zu spüren war; übrigens gibt es Staatsrechtler, die Folter wieder für zulässig halten. Wir haben – auch im Parlament – entschieden widersprochen,
(Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Wem werfen Sie das vor?)
wenn Vorschläge wie die Einführung einer verfassungswidrigen Sicherungshaft gemacht wurden. Wir haben ganz klar widersprochen, wenn die These vom Feindstrafrecht aufgetischt wurde, nach der man in einer solchen Situation die normalen Rechtsregeln außer Kraft setzen müsse, um der jeweiligen Gefahr zu begegnen.
Das Entscheidende ist: Wir müssen die Debatten über Einzelfälle wie Guantanamo und die dortigen Vernehmungen sowie über den Fall el-Masri dazu nutzen, den Grundkonsens zu bekräftigen, dass in einem Rechtsstaat wie der Bundesrepublik Deutschland, auch wenn es um die Abwehr von Gefahren geht, in jedem Fall die Grundrechte eingehalten werden.
(Dr. Peter Struck [SPD]: Das stellt doch niemand infrage!)
Darin sind wir uns einig.
(Beifall bei der FDP – Klaus Uwe Benneter [SPD]: Ja! Genau das hat der Außenminister auch getan!)
Daran dürfen wir keinen Zweifel aufkommen lassen, –
(Klaus Uwe Benneter [SPD]: Daran hat doch niemand Zweifel!)
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Herr Kollege, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Dr. Max Stadler (FDP):
– indem wir zum Beispiel bei Vorgängen, die nicht erträglich sind, schweigen. Das Entscheidende an dieser Debatte ist also, dass wir diesen Grundkonsens bekräftigen.
(Klaus Uwe Benneter [SPD]: Ja!)
Für die Beantwortung der Einzelfragen brauchen wir noch weitere Informationen. Daher tagen die Ausschüsse auf unseren Wunsch und auf den Wunsch anderer morgen weiter. Wir als FDP behalten uns alle parlamentarischen Schritte vor, die notwendig sind, um diese Fragen zu klären.
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
.
Rede vom 15.12.2005
8. Sitzung des Deutschen Bundestages
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Max Stadler von der FDP-Fraktion.
Dr. Max Stadler (FDP):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zu Frau Stokar muss ich nicht viel sagen, außer dass sie vielleicht nicht bemerkt hat, dass unsere Vorschläge nichts anderes als die rasche Umsetzung des Eckpunktepapiers bedeuten, das immerhin die Unterschrift des Verdi-Vorsitzenden Frank Bsirske trägt.
(Beifall bei der FDP – Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Ganz neue Verbindun-gen! – Silke Stokar von Neuforn [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Schauen Sie mal nach, wo es da eine Formulierung gegen die Beteiligung von Personalräten gibt!)
Indem wir unseren Antrag einbringen, wollen wir der Koalition die Gelegenheit geben, in einigen Punkten Klarheit zu schaffen. Die heutigen Beiträge der Redner der Koalition haben diese Klarheit leider nicht gebracht. Jetzt haben die beiden Redner von SPD und CDU/CSU zur Übertragung von Kompetenzen auf die Länder eher Zweifel formuliert. Wir werden uns überraschen lassen, wie ihre endgültige Haltung sein wird. Mir zumindest ist sie nicht klar geworden.
Allerdings haben Sie sich – das ist begrüßenswert – für die Fortführung der von Herrn Schily gemeinsam mit dem Deutschen Beamtenbund und Verdi ausgehandelten Reform ausgesprochen. Wir sind der Meinung, dass diese Reform auf jeden Fall umgesetzt werden muss; denn wir wollen den guten öffentlichen Dienst, den wir haben, modernisieren. Für den Bund besteht, egal wie die Kompetenzen letztlich verteilt sind, auf jeden Fall die Notwendigkeit, diese Reform durchzuführen.
(Beifall bei der FDP)
Der eigentliche Grund für meine kurze Wortmeldung ist, dass der Kollege Wolfgang Bosbach, Fraktionsvize der CDU/CSU, in der Aussprache über die Regierungserklärung für weitere Unklarheit gesorgt hat. Es gibt nämlich einen Widerspruch zwischen dem, was in der Koalitionsvereinbarung angekündigt wurde – finanzielle Einschnitte für die Beamten; insbesondere hat Herr Schäuble ja von einer deutlichen Kürzung des Weihnachtsgeldes, auch für die Pensionäre, gesprochen –, und den Ausführungen von Herrn Bosbach, der addiert hat, welche Belastungen den Beamten in den letzten Jahren zugemutet worden sind, und der daher für einen fairen Umgang mit ihnen plädiert. Bitte nutzen Sie die heutige Debatte dazu – noch sind es einige Tage bis Weihnachten –, klarzustellen, was in diesem Punkt von der Koalition denn zu erwarten ist.
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Ich schließe die Aussprache.
Rede vom 16.12.2005
9. Sitzung des Deutschen Bundestages
Vizepräsident Wolfgang Thierse:
Ich erteile dem Kollegen Max Stadler, FDP-Fraktion, das Wort.
Dr. Max Stadler (FDP):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Spätestens seit der berühmten „Spiegel“-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist der hohe Wert der Pressefreiheit für unsere Demokratie eigentlich geklärt.
(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: „Eigentlich“!)
Wer hätte gedacht, dass wir uns heute, im Jahr 2005, noch einmal mit Gefährdungen der Pressefreiheit auseinander setzen müssen, die teils schon länger zurückliegen, teils durchaus aktuell sind und eben in den letzten Wochen bekannt geworden sind?
Es ging in allen Fällen um ein Grundproblem: Staatliche Stellen haben geltend gemacht, sie hätten das Bedürfnis, undichte Stellen im eigenen Apparat herauszufinden. Um dies zu erreichen, sind Journalisten unter Beobachtung genommen worden, sind Redaktionsräume durchsucht worden und ist selbst recherchiertes Material beschlagnahmt worden. Dem muss das deutsche Parlament entschieden widersprechen. Dazu gibt die heutige Debatte Gelegenheit.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ich bin wirklich der Meinung, dass die Vorgänge, die im Verhältnis des Bundesnachrichtendienstes zu dem Journalisten Schmidt-Eenboom und anderen bekannt geworden sind, dem Ansehen des BND ungeheuer geschadet haben. Da kann man nur durch rückhaltlose Aufklärung Abhilfe schaffen.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: So ist es!)
Das wird jetzt durch einen Sonderermittler, einen ehemaligen Richter des Bundesgerichtshofs, versucht. Ich bin der Überzeugung, dass das Parlamentarische Kontrollgremium dann, wenn der Bericht vorliegt – hoffentlich möglichst bald –, geeignete Wege finden wird, um das, was nicht geheimdienstrelevant und nicht geheimhaltungsbedürftig ist, der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Wir warten auch darauf, dass uns der Sonderermittler Hinweise zu der Frage gibt, ob es erforderlich ist, das BND-Gesetz zu ändern. Es fällt auf, dass hier eine Schwachstelle in rechtsstaatlicher Hinsicht besteht. Dem Bundesnachrichtendienst ist es erlaubt, zur Eigensicherung im Inland tätig zu werden. In den Fällen, über die wir sprechen, in denen Journalisten und Publizisten observiert worden sind, war aber immer schon der Verdacht des Geheimnisverrates durch Mitarbeiter des BND gegeben. Also hätte rechtmäßigerweise zu einem bestimmten Zeitpunkt die Staatsanwaltschaft eingeschaltet werden müssen. Das ist wichtig; denn dann sind wir in einem geordneten Verfahren nach der Strafprozessordnung und dann werden solche Maßnahmen richterlich angeordnet und überprüft.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Hier war das nicht so!)
Das ist im Normalfall eine Garantie dafür, dass nicht so über das Ziel hinausgeschossen wird, wie das durch den BND selbst geschehen ist.
Wir haben am Fall „Cicero“ und an vielen anderen Fällen, die der Deutsche Journalisten-Verband dokumentiert hat, gesehen, dass in der Rechtspraxis die bisher bestehenden Vorschriften des Strafrechts und des Strafprozessrechts leider keinen hinreichenden Schutz davor bieten, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit missachtet wird. Das geschieht leider. Daher hat die FDP-Fraktion eine Initiative ergriffen und eine fraktionsinterne Sachverständigenanhörung durchgeführt. Dabei ist deutlich geworden, dass wir wahrscheinlich sehr radikal – im Sinne von: an der Wurzel des Problems – ansetzen müssen.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Radikal für die Freiheit!)
Niemand versteht, warum sich ein Journalist, der eine ihm mitgeteilte Information verwendet und veröffentlicht, der Beihilfe zum Geheimnisverrat schuldig macht, wenn doch der Geheimnisverrat bei den Mitarbeitern von Behörden liegt, die solche Informationen unzulässigerweise herausgeben. Trotzdem existiert eine solche Rechtsprechung. Wir werden gemeinsam überlegen müssen, ob wir als Gesetzgeber klarstellen, dass diese Strafbarkeit des Verhaltens der Journalisten auszuschließen ist. Strafbar ist das Verhalten der Mitarbeiter von Behörden, die gegen ihre Vorschriften handeln und solche Informationen herausgeben. In diese Richtung müssen wir gehen.
(Beifall bei der FDP)
Wir werden darüber hinaus erörtern müssen, ob man nicht auch in der Strafprozessordnung das Redaktionsgeheimnis klarer als bisher schützt, indem recherchiertes Material schlechthin beschlagnahmefrei gestellt wird. Damit entfallen auch Durchsuchungen in Redaktionsräumen sowie in Arbeits- und Wohnräumen der einzelnen Journalisten, wie sie, wie gesagt, nicht nur im Fall „Cicero“, sondern leider in einer Vielzahl von Fällen vorgekommen sind.
Wir sollten daher all diese Fälle zum Anlass nehmen, nach der Weihnachtspause als Gesetzgeber initiativ zu werden. Die FDP jedenfalls wird in Auswertung der von uns durchgeführten Anhörung hier bald Vorschläge unterbreiten. Ich lade Sie ein, diesen Vorschlägen zu folgen; denn sie haben das gemeinsame Ziel, einen besseren Schutz des Redaktionsgeheimnisses sicherzustellen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Rede vom 20.01.2006
12. Sitzung des Deutschen Bundestages am 20.01.2006
Dr. Max Stadler (FDP):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Kollege Schmidbauer hat mit einem netten Zitat die Frage zu beantworten versucht, ob wir diesen Untersuchungsausschuss brauchen. Insofern haben wir heute wirklich etwas dazugelernt.
Eingangs der Debatte hat Herr Minister Steinmeier eine für mich etwas unverständliche These formuliert. Herr Minister Steinmeier hat gesagt, die FDP werfe Traditionen über Bord, wenn sie dieses parlamentarische Instrument benutze. Das Gegenteil ist richtig, Herr Minister Steinmeier. Unser Ziel ist es, rechtsstaatliche Traditionen in unserer Sicherheitspolitik zu bewahren. Deswegen brauchen wir diesen Ausschuss.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Herr Kollege Scholz, Sie haben in beachtlich sachlicher Weise die Vorgänge erörtert, aber doch in einem Punkt nicht ganz den richtigen Eindruck erweckt. Auch wenn von den vielen verschiedenen Fragen, die von uns aufgeworfen worden sind, das Parlamentarische Kontrollgremium zu einer Detailfrage eine Bewertung abgegeben hat, dann bleiben noch etliche andere Fragen offen. Es kann nicht deswegen schon die Notwendigkeit eines Untersuchungsausschusses entfallen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)
Wir sehen ihn aus einem Grund als erforderlich an – das geht weit über das Thema BND-Einsatz im Irak hinaus –: Jeder weiß – die Nachrichtendienste betonen es selber immer wieder –, dass sich seit dem 11. Sep-tember 2001 für unsere Sicherheitsbehörden eine neue Aufgabenstellung ergeben hat: der Schutz vor der terroristischen Bedrohung. Deswegen ist das Spannungsfeld zwischen der einen Notwendigkeit einer umfassenden Informationsgewinnung und der anderen Notwendigkeit, sich dabei unter Geltung des Grundgesetzes an rechtsstaatliche Prinzipien zu halten, so groß geworden.
Wir haben den Eindruck, dass in diesem neuen Spannungsfeld die Maßstäbe durch die Politik noch nicht abschließend und richtig formuliert worden sind. Das zeigt sich an den Verhören in Syrien, auf Guantanamo und möglicherweise auch im Libanon. Das zeigt sich ebenso an der Reaktion der Bundesregierung auf den Entführungsfall el-Masri, die wir für unzureichend halten. Die Frage der CIA-Flüge beschäftigt jetzt auch das Europaparlament. Da gibt es also offenkundig Aufklärungsbedarf.
(Vorsitz: Präsident Dr. Norbert Lammert)
Wir von der FDP sagen sehr deutlich: Es ist nicht zulässig, dass wir die Verantwortung für schwierige Grenzziehungen, was im Einzelfall noch erlaubt ist, etwa bei der Informationsgewinnung, auf einzelne Mitarbeiter von Behörden abwälzen. Es ist die Aufgabe der Bundesregierung und des Parlaments, hier Maßstäbe zu formulieren.
(Beifall bei der FDP)
Dies ist die eigentliche Rechtfertigung für den von uns vorgeschlagenen Untersuchungsausschuss. Es sind die konkreten Fälle, die Anlass geben, zu zweifeln, ob die Grenzen immer richtig definiert worden sind, präzise aufzuklären. Das funktioniert in einem Untersuchungsausschuss viel besser als im normalen Parlamentsbetrieb, wie wir in diversen Ausschusssitzungen erlebt haben.
Nach der Aufklärung wird sich das Parlament mit den Fragen zu befassen haben, was an Informationsgewinnung zulässig ist, wenn zum Beispiel klare Hinweise vorliegen, dass Gefangene gefoltert oder unter folterähnlichen Bedingungen inhaftiert worden sind. Die Bundesregierung ist in ihrer eigenen Haltung noch nicht klar, wie die unterschiedlichen Äußerungen der Justizministerin und des Innenministers zu diesem Problem zeigen.
(Beifall bei der FDP und der LINKEN)
Deswegen brauchen wir eine präzise und umfassende Aufklärung des Sachverhalts, damit wir daraus die richtigen politischen Leitlinien für die Zukunft formulieren können. Sie können sicher sein, dass die FDP ihre parlamentarischen Rechte in dieser schwierigen Frage im Interesse des gesamten Staates und der Bewahrung des Rechtsstaates vollständig und verantwortungsbewusst nutzen wird.
Vielen Dank.
Rede vom 09.02.2006
12. Sitzung des Deutschen Bundestages am 09. Februar 2006
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Max Stadler von der FDP-Fraktion.
(Beifall bei der FDP)
Dr. Max Stadler (FDP):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn man über die Situation von illegalen Ausländern in Deutschland spricht, dann ist dies von vornherein heikel. Denn bei einem solchen Thema kann es leicht zu Missverständnissen kommen. Deswegen möchte ich bewusst mit der eigentlich völlig selbstverständlichen Aussage beginnen, dass illegale Migration in einem Rechtsstaat nicht akzeptiert werden kann und dass der Staat das Recht und die Pflicht hat, sich dagegen zur Wehr zu setzen.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich übernehme daher auch nicht ganz die Formulierung des Kollegen Winkler, man müsse die Realität der Situation von Illegalen in Deutschland anerkennen. Ich bevorzuge vielmehr die Formulierung: Wir müssen uns dieser Realität stellen. Dass die Realität des Aufenthalts einer unbekannt hohen Zahl von Illegalen in Deutschland einige Probleme aufwirft, die den Deutschen Bundestag sehr wohl interessieren müssen, scheint klar zu sein. Das ist nicht etwa ein Anliegen der Grünen, wie Sie es hier formuliert haben, Herr Kollege Grindel; vielmehr wird dieses Anliegen – wie Sie genau wissen – seit langem insbesondere von der katholischen Kirche an uns herangetragen.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Rüdiger Veit [SPD])
Alle Fraktionen dieses Bundestags waren oft zu Gast im Forum „Leben in der Illegalität“, das von Pater Alt und Schwester Bührle geleitet wurde. Wir haben dort gelernt, dass entgegen Ihren Ausführungen, Herr Kollege Grindel, sehr wohl praktische Probleme bestehen, für die wir als Bundestag eine Lösung anbieten müssen, ohne dass wir uns gegenseitig verdächtigen sollten, hier würde irgendjemand einen rechtsstaatlichen Grundsatz aufgeben oder gar illegale Migration fördern oder eine Sogwirkung herbeiführen wollen.
Worin bestehen die Probleme, die insbesondere von der katholischen Kirche so nachdrücklich an uns herangetragen werden? Es besteht eine Rechtsunsicherheit, ob sich diejenigen, die aus humanitären Gründen Hilfe leisten – beispielsweise Ärzte, die einem kranken Illegalen medizinische Versorgung zukommen lassen –, möglicherweise der Beihilfe zu einer Straftat schuldig machen. Ich meine, dass es eine solche Rechtsunsicherheit nicht geben darf. Insofern ist der Bundestag verpflichtet, Klarstellungen vorzunehmen.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Auch ein weiterer Punkt ist bedenkenswert. Die Kinder von Illegalen können doch am allerwenigsten für ihre Situation. Deshalb muss man bei allem, was Sie zu Recht über Abschiebungen gesagt haben, die durchgesetzt werden müssen, darüber nachdenken, wie dennoch gewährleistet werden kann, dass diesen Kindern ein elementares Recht – nämlich der Zugang zum Bildungssystem – nicht vorenthalten wird.
(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Den haben sie doch! Sie können zur Schule gehen!)
Das berührt das Problem der Meldepflichten.
Ihnen ist das Manifest vom 2. März 2005 bekannt, das sich mit diesen Fragen befasst. Kollege Winkler hat es bereits erwähnt. Aus Anlass der Debatte habe ich nachgesehen, welche honorigen Personen dieses Manifest unterzeichnet haben. Es sind Mitglieder aller damaligen vier Bundestagsfraktionen. Drei von ihnen sprechen übrigens in der heutigen Debatte. Für mich ist dabei besonders interessant, dass das Manifest, mit dem von uns als Gesetzgeber verlangt wird, dass wir die Augen vor diesen Problemen wenigstens nicht verschließen, auch von Vertretern von Berufsverbänden der deutschen Kriminalbeamten, der Polizeigewerkschaft, von Sicherheitsbehörden, Kirchen, einem Kardinal und vielen anderen respektablen Persönlichkeiten unterzeichnet worden ist.
Wenn dies nicht Beweis genug ist, darf ich daran erinnern, dass uns die Unabhängige Kommission „Zuwanderung“ unter der Leitung von Frau Professor Dr. Rita Süssmuth und dem ebenfalls allseits anerkannten früheren SPD-Vorsitzenden Dr. Hans-Jochen Vogel, der bei der Trauerfeier für Johannes Rau eine sehr bewegende Rede gehalten hat, klare Ratschläge gegeben hat. Diese unabhängige Kommission hat uns ganz klare Ratschläge gegeben. Die Kommission empfiehlt,
… in den allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum Ausländergesetz
– so hie�� es damals –
eindeutig klarzustellen, dass Schulen und Lehrer nicht verpflichtet sind, den Behörden ausländische Schüler zu melden, die sich illegal in Deutschland aufhalten.
Die Süssmuth/Vogel-Kommission, an der zum Beispiel auch Cornelia Schmalz-Jacobsen, die ehemalige Ausländerbeauftragte, mitgearbeitet hat, empfiehlt uns des Weiteren, klarzustellen, dass Personen, die sich aus humanitären Gründen um Illegale kümmern, nicht wegen Beihilfe in Strafverfahren gezogen werden dürfen.
Wir sollten diese Ratschläge beherzigen und im Ausschuss über die Einzelheiten – genauso wie Sie, Herr Grindel, es in dem versöhnlichen Schlussteil Ihrer Rede gesagt haben – sachlich und ergebnisoffen debattieren. Es ist seit langem ein Anliegen der FDP, dass diese Debatte im Hohen Haus geführt wird. Ich bin froh, dass wir nun an dieser Stelle angelangt sind.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Rede vom 16.03.2006
25. Sitzung im Plenum am 16.03.2006
Anrede,
das Zuwanderungsgesetz ist besser als sein Ruf. Insbesondere im humanitären Bereich darf nicht übersehen werden, dass durch die Anerkennung nicht staatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung deutliche Fortschritte erzielt worden sind. Alle Versuche, das Asylrecht im Zuge der Zuwanderungsdebatte noch stärker einzuschränken, konnten abgewehrt werden.
Dennoch gibt es Reihe von Punkten, bei denen im Zuge der Verhandlungen zum Zuwanderungsgesetz keine Einigkeit erzielt werden konnte. Eine Bleiberechtsregelung für langjährig Geduldete, wie sie die FDP-Bundestagsfraktion nachhaltig vertreten hat, war mit der CDU/CSU nicht machbar, stieß aber auch auf den Widerstand großer Teile der SPD.
Die Residenzpflicht von Geduldeten, ein überholtes Relikt, ist ebenso geblieben wie die Verweigerung des Zugangs zum Arbeitsmarkt für Geduldete. Das bedeutet, dass Integration behindert wird, und zwar ganz bewusst, und führt zu unnötigem Neid, weil Geduldete von staatlichen Transferleistungen leben, ohne dass ihnen die Chance gegeben wird, selbst ihren Lebensunterhalt zu verdienen.
Dass die Problematik der mit dem Aufenthalt von „Illegalen“ verbundenen Personen im Zuwanderungsgesetz nicht angegangen wurde, war kürzlich schon Gegenstand einer Plenumsdebatte. Besonders dringender Nachbesserungsbedarf besteht hinsichtlich § 25 des Aufenthaltsgesetzes. Während der Beratungen zum Zuwanderungsgesetz waren sich alle Seiten einig, dass Kettenduldungen unerwünscht sind. Die betroffenen Personen haben Anspruch darauf, in angemessener Zeit Klarheit über ihr weiteres Schicksal zu erhalten.
Die unabhängige Kommission „Zuwanderung“ unter Vorsitz von Frau Prof. Dr. Rita Süssmuth hat in ihrem Bericht vom 04.07.2001 auf Seite 166 dargestellt, dass die Rechtspraxis der „Kettenduldungen“ unzulänglich sei.
Auch nach Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes hat sich an diesem Befund leider nichts geändert. Der unbestimmte Rechtsbegriff des „Ausreisehindernisses“ wird von den Bundesländern sehr unterschiedlich interpretiert. Wenn das Ziel, Kettenduldungen abzuschaffen, tatsächlich erreicht werden soll, darf nicht auf eine objektive Unmöglichkeit der Ausreise abgestellt werden. Es bedarf vielmehr einer gesetzlichen Klarstellung, dass auch dann, wenn die Rückkehr unzumutbar ist, eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden muss. Es wäre wünschenswert, als Regelbeispiel in das Gesetz aufzunehmen, dass die Unzumutbarkeit einer Rückkehr sich insbesondere aus gelungener
Integration ergeben kann. Langjähriger Aufenthalt kann dafür ein entscheidendes Kriterium sein. In der Bevölkerung wird auch nicht verstanden, warum Familien, deren Kinder in Deutschland aufgewachsen sind und hier die Schule besuchen, abgeschoben werden, obwohl sie bestens integriert sind. Auf diese Weise tragen Unklarheiten des Gesetzes dazu bei, dass gerade Personen, deren Aufenthalt in Deutschland unter dem Aspekt der Integration keinerlei Probleme bereitet, entweder hier unter dem Damoklesschwert der Nichtverlängerung ihrer Duldung leben oder am Ende ganz abgeschoben werden.
Deswegen ist es an der Zeit, die Ankündigung des damaligen Bundesinnenministers Otto Schily, das neue Zuwanderungsrecht werde weitgehend mit der Praxis der Kettenduldung Schluss machen, jetzt endlich in die Tat umzusetzen. Die FDP-Bundestagsfraktion ist bereit, daran konstruktiv mitzuwirken.
Rede vom 19.05.2006
Aktuelle Stunde
Vizepräsidentin Petra Pau:
Das Wort hat der Kollege Dr. Max Stadler.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Dr. Max Stadler (FDP):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Röttgen, ich beziehe mich nicht auf den noch nicht veröffentlichten Schäfer-Bericht, sondern nur auf die Vorgänge, die schon im November und Dezember letzten Jahres bekannt geworden sind und zur Beauftragung von Herrn Schäfer mit Ermittlungen geführt haben, nämlich auf die unzulässigen, schon damals bekannten Oberservierungen von einzelnen Journalisten durch den Bundesnachrichtendienst. Das führte immerhin dazu, dass sich der ehemalige BND-Präsident bei Betroffenen entschuldigt hat und diese Vorgänge als rechtswidrig bezeichnet hat. Das kann man als Ausgangspunkt der Debatte nehmen. Von da ist es nur ein kurzer Weg zu der Aussage: Man fühlt sich schon sehr an die „Spiegel“-Affäre des Jahres 1962 erinnert.
(Beifall bei der FDP und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Bei aller Unterschiedlichkeit der Vorgänge gibt es einen gemeinsamen Punkt. Auch damals wurde versucht, eine kritische Berichterstattung mundtot zu machen; das war der Kern der „Spiegel“-Affäre. Es hat dagegen massiven Widerstand gegeben. Die FDP hat den Rücktritt von Franz Josef Strauß erzwungen. Die Bürger haben protestiert. Das Zusammenwirken von Bürgergesellschaft und Liberalen hat dazu geführt, dass heute im Rückblick gesagt wird: Erst nachdem die „Spiegel“-Affäre durchgestanden war, hat sich das Bewusstsein für die Pressefreiheit in der noch jungen Bundesrepublik Deutschland so richtig entwickelt.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Dieses Bewusstsein ist aber offenbar im Laufe der Zeit wieder verloren gegangen. Der Stellenwert der Pressefreiheit wird heute vielfach geringer angesetzt. Wir haben das bei der Durchsuchung der Zeitschrift „Cicero“ feststellen müssen. Auch da haben Sicherheitsbehörden Durchsuchungen bei Journalisten durchgeführt, um Informanten aufzudecken, obwohl der Schutz der Informanten ein wesentlicher Bestandteil der Pressefreiheit ist.
(Beifall bei der FDP)
Die FDP-Bundestagsfraktion ist schon damals initiativ geworden und hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, auf den ich gleich zu sprechen komme. Aber wir haben uns im letzten Herbst nicht vorstellen können, dass die Anzahl der Observierungen und Beobachtungen von Journalisten durch den Bundesnachrichtendienst über Jahre hinweg so groß ist. Während es für die Durchsuchung bei „Cicero“ immerhin einen richterlichen Beschluss gab, hat der Bundesnachrichtendienst nun offenbar in eigener Machtvollkommenheit gehandelt; er hat rechtswidrig gehandelt. Wir, die FDP, wollen einen gut funktionierenden Bundesnachrichtendienst, aber einen, der sich strikt an Recht und Gesetz hält.
(Beifall bei der FDP – Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Wer will das nicht?)
Wir schlagen dem Parlament drei Sofortmaßnahmen vor, damit hier nicht nur Empörungsdebatten laufen, sondern etwas Konkretes geschieht. Erstens. Die Vorwürfe müssen sofort und umfassend aufgeklärt werden mit dem Ziel, Wiederholungen zu verhindern. Wir, die FDP, sind der Meinung, dass es nicht ausreicht, auf den Schäfer-Bericht zu warten. Wer weiß schon, was genau veröffentlicht werden kann. Schließlich muss der Persönlichkeitsschutz gewahrt werden. Aber wer hindert die Bundesregierung daran, ihr eigenes Wissen der Bevölkerung mitzuteilen und aufzuklären, ob die in der Öffentlichkeit erhobenen Vorwürfe zutreffen oder nicht?
(Beifall bei der FDP und der LINKEN)
Die Bundesregierung hat sich schließlich nicht daran gehindert gesehen, die Meldung zu dementieren, bei der „Berliner Zeitung“ habe es eine Telefonüberwachung gegeben. Dann kann die Bundesregierung – meinetwegen ohne Namensnennung; unter Wahrung des Persönlichkeitsschutzes – doch auch sagen: Diese oder jene Vorgänge haben sich sehr wohl zugetragen. – Ich verstehe nicht, warum man Tag für Tag darauf warten muss. Das ist der erste Punkt.
Der zweite Punkt ist: Die FDP hat den Entwurf eines Gesetzes zum Schutz der Pressefreiheit eingebracht. Der Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Journalist und Informant – auf dessen Informationen ist der Journalist angewiesen –, das ähnlich schützenswert ist wie das Verhältnis zwischen Arzt und Patient oder zwischen Anwalt und Mandant, darf nicht beeinträchtigt werden. Um das sicherzustellen, haben wir einen Gesetzentwurf eingebracht, der in der nächsten Sitzungswoche im Innenausschuss debattiert wird. Ich bitte die große Koalition, sich unseren Vorstellungen anzuschließen, damit wir als Gesetzgeber das Unsere für einen besseren Schutz der Pressefreiheit tun.
(Beifall bei der FDP)
Drittens. Die Reform der Geheimdienstkontrolle erweist sich immer mehr als dringend notwendig. Darüber herrscht allmählich Einigkeit. Wir haben gehandelt. Unser Gesetzentwurf zur Reform der Arbeit des Kontrollgremiums steht in der nächsten Sitzungswoche auf der Tagesordnung dieses Plenums. Auch hier fordern wir die Koalition auf, unseren Vorstellungen zu folgen, damit diese Kontrolle endlich effektiver wird.
Damit ist es aber nicht getan. Für mich hat diese BND-Affäre zwar nicht die Züge einer Krise des Rechtsstaats, aber deutliche Anzeichen einer Krise des Grundwertebewusstseins in unserem Land.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir erleben immer wieder – genau das nehmen diejenigen beim BND für sich in Anspruch, die gehandelt haben –, dass Sicherheitsbedürfnisse formuliert werden – hier sind es die der „Eigensicherung“, wie es im Gesetz heißt – und dass es bei der Wahrung dieser Sicherheitsinteressen zu rechtswidrigen und unverhältnismäßigen Eingriffen in Grund- und Freiheitsrechte kommt.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Herr Kollege Stadler, Sie müssen zum Schluss kommen.
Dr. Max Stadler (FDP):
Ich möchte meinen Gedanken noch zu Ende bringen. – Das ist der eigentliche Kern der Auseinandersetzung, über die Verantwortlichkeit beim BND, über die eventuelle Verantwortlichkeit im Kanzleramt, die wir noch klären müssen, hinaus.
Wir müssen diese Debatte dazu nutzen, dass der Wert fundamentaler Grundrechte und Verfassungsprinzipien
(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Das steht doch gar nicht infrage!)
im Parlament wieder eindeutig befürwortet wird.
(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Ach! Wer bestreitet das denn?)
Auch in diesem Parlament sind mit großer Mehrheit leider Entscheidungen getroffen worden – Stichwort „Luftsicherheitsgesetz“ –, die das Bundesverfassungsgericht aufheben musste.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Dr. Max Stadler (FDP):
Wir sollten diese Debatte zum Anlass nehmen, den Wert der Grundrechte wieder zu betonen. Wenn wir – wie am Ende der „Spiegel“-Affäre – dazu gekommen sein sollten, dass die Pressefreiheit wieder den Stellenwert hat, der ihr zukommt, dann hätte das Ganze wenigstens einen Nutzen gehabt.
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP und der LINKEN)
Rede vom 01.06.2006
Rede im Plenum des Deutschen Bundestages am 01.06.2006
zum Thema „Wirksamere Kontrolle der Geheimdienste“
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Max Stadler von der FDP-Fraktion.
(Beifall bei der FDP)
Dr. Max Stadler (FDP):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Forderung nach mehr und besserer Kontrolle richtet sich nicht gegen die Geheimdienste; Kontrolle ist vielmehr ein wesentlicher Teil der Legitimation der Arbeit von Geheimdiensten in einer Demokratie.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Leider müssen wir feststellen, dass es mit der Kontrolle der Arbeit der Geheimdienste, zuletzt des Bundesnachrichtendienstes, schon ein rechtes Kreuz ist. Die Bundesregierung hat vor einigen Wochen einen sehr umfangreichen Bericht über verschiedene in der Öffentlichkeit diskutierte Vorgänge über die Entführung und Verschleppung eines deutschen Staatsangehörigen, über Vernehmungen auf Guantanamo und in Syrien unter fragwürdigen Umständen und über andere Vorgänge vorgelegt. Nach der Vorstellung dieses Berichts meinte der Kollege Olaf Scholz ich habe es noch im Ohr , von diesem Zeitpunkt an sei alles aufgeklärt, es blieben keine Fragen mehr unbeantwortet. Wir von der Opposition haben diesem Frieden nicht getraut und entschieden, einen Untersuchungsausschuss einzurichten.
(Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr wohl!)
Heute hat sich etwas höchst Ungewöhnliches ereignet. Noch ehe dieser Untersuchungsausschuss den ersten Zeugen vernommen hat, stellte sich heraus, dass die Bundesregierung ihren umfangreichen Bericht an einer wichtigen Stelle in einem wichtigen Punkt korrigieren muss. Ein Geheimdienstmitarbeiter hat, weil er vor sich sah, im Untersuchungsausschuss unter Wahrheitspflicht aussagen zu müssen, von sich aus jetzt sein Wissen über die Verhaftung el-Masris in Mazedonien offenbart, das er bisher für sich behalten hat. Ich werte das so: Der Untersuchungsausschuss entfaltet bereits Wirkung. Er war und ist deshalb dringend notwendig.
(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Wolfgang Neskovic (DIE LINKE))
Nun sagt Herr Ströbele, dass hier ein Einzelner etwas über die Vernehmung el-Masris gewusst habe, sei nicht glaubhaft. Wir haben da auch Zweifel. Geheimdienstarbeit bedeutet ja nicht, dass man eine Information geheim für sich behält. Das Normale ist, dass man sie dem Vorgesetzten mitteilt. Das werden wir klären.
Die Argumentation, da handele es sich um das Versagen eines Einzelnen, haben wir schon bei der Frage der rechtswidrigen Observation von Journalisten erlebt. Auch da wird es so dargestellt, dass sich eine bestimmte Abteilung verselbstständigt habe. Aber wenn das so sein sollte, meine Damen und Herren, dann wäre das immerhin ein Zeichen dafür, dass es höchste Zeit ist, Ordnung im eigenen Haus zu schaffen.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Geheimdienstkontrolle bedeutet in erster Linie zunächst einmal interne Kontrolle. Ich stehe nicht an, zu sagen: Die organisatorischen Sofortmaßnahmen, die Herr Fritsche und Herr de Maizière vorgesehen haben, finden die Unterstützung der FDP. - Aber wir dürfen dabei nicht stehen bleiben. Wir brauchen natürlich auch eine effektivere parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste. Ich sagte schon: Das dient der Legitimation der Arbeit unserer Sicherheitsbehörden.
Herr Kollege Binninger, Sie haben Recht: Die FDP hat als erste Fraktion einen Gesetzentwurf dazu vorgelegt, über den wir jetzt in erster Lesung beraten. Wir wollen, dass wir vom Allgemeinen zum Konkreten kommen. Ich höre überall, eine Reform sei notwendig, aber einen konkreten Gesetzentwurf vermisse ich bisher von der CDU/CSU genauso wie von der SPD.
Wir haben diesen Entwurf mit einer internen Sachverständigenanhörung sorgfältig vorbereitet und genau Ihre Forderung erfüllt, nämlich Parlamentarier, die früher in dem Gremium tätig waren, zu Rate gezogen. Dabei hat sich ergeben: Der Hauptfehler in der jetzigen Konstruktion liegt darin, dass das Parlamentarische Kontrollgremium oft zu spät und unvollständig, jedenfalls so, dass es seine Arbeit nicht richtig machen konnte, informiert worden ist. Das ist der Grund dafür, dass wir in unserem Gesetzentwurf noch einmal klarstellen: Es ist eine Bringschuld der Bundesregierung, die Parlamentarier zu unterrichten, damit die Kontrolle wirksam ausgeübt werden kann.
Aber wir halten das noch nicht für ausreichend. Wir meinen auf den Rat von Sachverständigen hin; Herr Werthebach ist ein profilierter CDU-Politiker, der uns dankenswerterweise auch beraten hat , dass es heilsam sein kann, wenn Mitarbeiter der Dienste das Recht erhalten, sich unmittelbar, ohne den Dienstweg einzuhalten, an die Parlamentarier zu wenden, um Missstände aufzuzeigen.
(Beifall bei der FDP)
Das könnte dazu führen, dass wir künftig eher von Fehlentwicklungen erfahren und dass das Kontrollgremium nicht immer nur nachträglich eingreift, sondern auch in laufende Prozesse eingreift.
(Dr. Peter Struck (SPD): Das kann doch nicht sein, Herr Stadler! Sie können doch nicht in laufende Verfahren eingreifen! Das ist unmöglich!)
Ein Aufsichtsrat in der freien Wirtschaft, der erst informiert wird, wenn die Firma schon pleite ist, ist offenkundig überflüssig.
(Beifall bei der FDP)
In laufende Prozesse muss man eingreifen können.
(Dr. Peter Struck (SPD): Was meinen Sie mit „laufende Prozesse“?)
Dazu haben wir eine Reihe von Vorschlägen gemacht, Herr Struck; ich hoffe, Sie haben das alles gelesen. Im Ausschuss können wir gern darüber diskutieren.
Ich greife nur einen Punkt auf, nämlich den Geheimdienstbeauftragten des Parlaments.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Kollege Stadler, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Struck?
Dr. Max Stadler (FDP):
Sehr gern; denn sonst wäre meine Redezeit zu Ende und so kann ich noch antworten.
(Heiterkeit bei der FDP)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Kollege Struck, bitte schön.
Dr. Peter Struck (SPD):
Ich helfe Ihnen ja gern, Herr Kollege Stadler. Für die Nöte kleiner Fraktionen bin ich immer offen.
Sie sagen: in laufende Prozesse eingreifen. Ich möchte Sie fragen: Heißt das, dass sich nach Ihrer Vorstellung Mitarbeiter des BND an das PKGr wenden können, wenn eine Operation läuft, und sagen können: „Herr Stadler, was mein Vorgesetzter da macht, das geht nicht; das akzeptiere ich nicht“? Das kann doch nicht Ihr Ernst sein, Herr Stadler;
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
denn das würde die Funktionsfähigkeit eines Dienstes nachhaltig beeinträchtigen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Dr. Max Stadler (FDP):
Verehrter Herr Kollege Struck, es kann nicht Ihr Ernst sein, dass es richtig sein soll, dass Journalisten über Jahre hinweg in rechtswidriger Weise ausspioniert werden,
(Iris Gleicke (SPD): Was soll das jetzt?)
wie ein neutraler Gutachter feststellt, unter Verletzung des Prinzips der Verhältnismäßigkeit, das dafür zuständige Kontrollgremium nach Jahren erstmals davon erfährt und erst dann Gelegenheit hat, sich dazu zu äußern. Wenn es solche offenkundigen Fehltendenzen in einzelnen Abteilungen eines Dienstes gibt, dann habe ich das Vertrauen, dass es Mitarbeiter gibt, die eine derartige Entwicklung mit Sorge sehen und uns informieren, damit wir an die Bundesregierung die richtigen Fragen stellen, nämlich: Was läuft da in Bezug auf Eigensicherung? Mit welchen Methoden wird hier versucht was an sich legitim ist , undichte Stellen im eigenen Apparat aufzudecken? Ist das, was da geschieht, noch im Rahmen des gesetzlich Zulässigen? Dann mag uns die Bundesregierung die richtigen Antworten oder die richtige Sachverhaltsdarstellung geben. Die Schwierigkeit, die wir im Kontrollgremium haben, ist, dass wir gar nicht zu den richtigen Fragen kommen. Manchmal ist es schwieriger, die richtige Frage zu wissen als die richtige Antwort.
(Beifall bei der FDP)
Deswegen, Herr Kollege Struck, laden wir alle Fraktionen dazu ein, die Vorschläge, die wir gemacht haben, zu erörtern. Ich möchte einen Vorschlag noch ganz kurz erwähnen
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Kollege, bitte!
Dr. Max Stadler (FDP):
- in einem Satz -: Ein Geheimdienstbeauftragter des Parlaments darf nicht an die Stelle des Kontrollgremiums treten, sondern soll ihm zuarbeiten; denn die Kontrolle der Dienste ist und bleibt eine Aufgabe aller Fraktionen des Bundestages.
(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Selber vernehmen!)
Dass sie besser erfüllt wird als bisher, dazu soll unser Gesetzentwurf beitragen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat der Kollege Klaus Uwe Benneter von der SPD-Fraktion.
Rede vom 05.09.2006
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Max Stadler für die FDP-Fraktion.
Dr. Max Stadler (FDP):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der geschätzte Kollege Hartmann hat am Ende der letzten Haushaltsdebatte die Gemeinsamkeit aller Fraktionen bei der inneren Sicherheit beschworen. Wir von der FDP können dem zustimmen, aber nur teilweise. Wie Kollegin Gisela Piltz vorhin richtig ausgeführt hat, tragen wir Maßnahmen, die die innere Sicherheit wirklich erhöhen, mit, wenn sie verfassungsgemäß sind.
(Beifall bei der FDP)
Das war in der Vergangenheit nicht immer der Fall. Wer entscheidet das? Das Bundesverfassungsgericht. Es musste leider des Öfteren die Entscheidung treffen, dass Gesetze, die hier mit Mehrheit verabschiedet worden sind, nicht dem Grundgesetz entsprechen.
Wir meinen, die richtige Reaktion darauf ist nicht, die Karlsruher Richter in die Ecke der Weltfremden zu stellen. Die richtige Reaktion ist vielmehr, sich künftig an die Vorgaben der Verfassung zu halten.
(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Verehrter Herr Kollege Brandt, wer sich gegen überzogene Überwachung ausspricht, hat doch nicht selber etwas zu verbergen.
(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Na ja!)
Das ist ein typischer Kurzschluss, der hier zwar ein wenig Heiterkeit hervorgerufen hat. In Wahrheit ist das ein Argument, dem man in der Sicherheitsdebatte oft begegnet. Es ist ein Argument, mit dem das Bemühen um die Einhaltung der Verhältnismäßigkeit der Mittel diskreditiert wird. Deswegen kann dieses Argument hier nicht gelten.
(Beifall bei der FDP, der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Die Leute haben Angst vor Anschlägen und nicht vor Überwachung!)
Sicherheitspolitik ist nicht etwa nur Polizeirecht. Deswegen unterstützen wir Sie, Herr Minister Schäuble, wenn Sie mit dem Islamgipfel einen Dialog beginnen und wenn Sie das Versprechen einhalten, das Sie in einem Interview gegeben haben, nämlich bei der Einladung die Gesprächspartner ohne Tabu auszuwählen.
Aber Sicherheitspolitik ist im Wesentlichen natürlich polizeiliches Handeln. Wir haben bei Ihren Ausführungen heute in der Debatte wieder gehört, dass man angesichts der Bedrohung immer mehr in den präventiven Bereich hineingehen müsse; es komme darauf an, Straftaten schon im Vorfeld zu erkennen und zu verhindern. Wer möchte dem widersprechen? Aber wir müssen uns ebenso bewusst sein, dass darin auch eine Gefahr liegt. Erinnern wir uns an die klaren Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, etwa wann polizeiliches Abhören von Telefonaten oder eine Rasterfahndung vorbeugend zulässig sein darf. Man merkt, dass bei der von Ihnen vorhin favorisierten Tätigkeit der Geheimdienste die Kriterien für die Eingriffe nicht so klar sind. Geheimdienste dürfen definitionsgemäß viel mehr. Dadurch geraten viel mehr Unverdächtige in ihr Visier. Das ist der eigentliche Kern des Streits darüber, warum es nicht richtig sein konnte, Dateien der Geheimdienste allen Sicherheitsbehörden eins zu eins zur Verfügung zu stellen.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
Auch dafür muss es genaue Kriterien geben.
Lassen Sie mich zum Schluss noch etwas erwähnen, worin ich Sie unterstütze, Herr Minister Schäuble. Sie sagten, wenn wir – die Koalition will das ja demnächst in die Gesetzgebung einbringen – den Geheimdiensten mehr Befugnisse gäben, wäre auch mehr Kontrolle erforderlich. Das ist genau das richtige Gegengewicht. Wir von der FDP verstehen nicht, warum Sie als Koalition dann nicht unserem Entwurf eines Gesetzes zur besseren parlamentarischen Kontrolle der Nachrichtendienste näher treten.
Ich möchte mit der Bitte an Sie schließen, doch auch die personellen Ressourcen bei den Diensten sinnvoll einzusetzen. Ich habe heute zufällig den bayerischen Verfassungsschutzbericht in die Hände bekommen; beim Bund ist es nicht besser. Ich lese Ihnen vor, was im bayerischen Verfassungsschutzbericht auf Seite – –
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Stadler, das wird nur schwer gehen.
Dr. Max Stadler (FDP):
Herr Präsident, dieses Zitat wird auch Sie erfreuen
(Heiterkeit)
und Ihre Kenntnisse über die Arbeit der Geheimdienste erweitern.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich lasse mich einmal auf dieses Geschäft ein, Herr Stadler.
Dr. Max Stadler (FDP):
Gestatten Sie, dass ich Ihnen aber doch noch mitteile, was dort auf Seite 169 zu lesen ist. Über einen PDS-Parteitag heißt es:
Gregor Gysi betonte, dass der Staatssozialismus zu Recht gescheitert sei.
Meine Damen und Herren, das habe ich auch auf Phoenix gesehen. Bitte setzen Sie das Personal sinnvoll ein, dann wird die FDP auch einer Aufstockung der Haushaltsmittel hierfür zustimmen.
Vielen Dank, Herr Präsident.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Stadler, es wäre in der Tat ein Jammer gewesen, wenn ich dieses Zitat nicht gehört hätte.
(Heiterkeit)
Nun hat das Wort der Kollege Sebastian Edathy für die SPD-Fraktion. Den zahlreichen bereits vorgetragenen Glückwünschen zu seinem heutigen Geburtstag schließt sich das Präsidium vollinhaltlich an.
(Beifall)
Rede vom 22.09.2006
Die Debatte eröffnet der Kollege Dr. Max Stadler für die FDP-Fraktion.
Dr. Max Stadler (FDP):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am Ende der heutigen Tagesordnung geht es um ein Thema, das auf der kommunalen Ebene viele Bürgerinnen und Bürger sehr stark bewegt, das aber bisher noch nicht so recht die Aufmerksamkeit des Deutschen Bundestages gefunden hat, obwohl wir für die Lösung des Problems zuständig sind. Deswegen möchte ich trotz der fortgeschrittenen Stunde am Freitagnachmittag die Gelegenheit nutzen, Sie mit der Thematik vertraut zu machen, und vor allem die Kolleginnen und Kollegen von der SPD und der CDU/CSU einladen, mit den Oppositionsfraktionen gemeinsam nach einer Lösung zu suchen.
Es geht, kurz gesagt, um Folgendes: Nach dem GmbH-Gesetz und nach dem Aktiengesetz tagen die Aufsichtsgremien, also die Aufsichtsräte, prinzipiell nicht öffentlich. Die Mitglieder der Aufsichtsräte sind zur Verschwiegenheit über das, was in diesen Sitzungen geschieht, verpflichtet. Das ist auch richtig, soweit es um echte private Gesellschaften geht. Dafür sind diese Gesetze auch geschaffen. Nun hat sich in letzter Zeit die Tendenz entwickelt, dass immer mehr kommunale Einrichtungen, Dienststellen und Verwaltungsstellen ebenfalls in die Rechtsform der GmbH und in größeren Städten sogar in die der Aktiengesellschaft überführt worden sind. Dabei handelt es sich aber nicht etwa um eine echte Privatisierung, sondern nur um eine Organisationsänderung, weil die Kommunen zugleich meistens zu 100 Pro-zent Inhaber dieser Gesellschaften geworden sind.
Damit ändert sich in den Sitzungen der Aufsichtsgremien scheinbar wenig. Es geht um kommunalpolitische Themen, um Busfahrpläne, um Stromtarife, um die Frage, ob eine Stadt ein Hallenbad baut, und ähnliches mehr, also um ganz normale kommunalpolitische Diskussionen und Entscheidungen. Aber eines ändert sich durch diese Organisationsform: Während das Kommunalrecht die Öffentlichkeit solcher Sitzungen vorsieht, schreibt, wie schon dargestellt, das Gesellschaftsrecht gerade die Nichtöffentlichkeit vor. Damit fehlt ein Stück Transparenz, es fehlt ein Stück demokratischer Diskussionskultur und demokratischer Kontrolle. Das zeigt uns, dass die Vorschriften, die für private Gesellschaften gedacht sind, auf die kommunalen Gesellschaften nicht passen.
Nun gibt es zwei höchstrichterliche Entscheidungen aus diesem Jahr, die uns deutlich vorgeben, dass der Grundsatz der Öffentlichkeit und Transparenz stärker zu beachten ist. Die erste Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 8. Mai 2006 geht auf einen Rechtsstreit zurück, den eine Bürgerinitiative in Passau ausgelöst hat. Die Bürgerinitiative ist nämlich auf die Idee gekommen, zu verlangen, dass wenigstens die Tagesordnungen solcher Gremiensitzungen bekannt gegeben werden, damit die Bürgerinnen und Bürger zumindest wissen, worum es geht. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat entschieden, dass diesem Begehren aufgrund der überragenden Bedeutung des Grundsatzes der Öffentlichkeit und Transparenz stattzugeben ist.
Aber der Verwaltungsgerichtshof konnte sich natürlich nicht über die bundesgesetzliche Regelung hinwegsetzen, nach der die Sitzungen selbst nicht öffentlich bleiben müssen. Damit fehlt das Kernstück der öffentlichen Debatte, nämlich die Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger an dem, was in diesen Sitzungen gesprochen und entschieden wird. Dieses Problem müssen wir lösen.
Eine weitere Entscheidung, nämlich die des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom 26. Juli 2006, gibt uns ebenfalls eine Richtschnur. Da ging es um das Problem, dass der Freistaat Bayern auf parlamentarische Anfragen hin erklärt hat, er gebe keine Auskunft, und dies damit begründet hat, dass die Anfragen wiederum solche Gesellschaften betreffen, die in privater Rechtsform betrieben werden, aber zu 100 Prozent staatlich sind. Hierzu hat der Bayerische Verfassungsgerichtshof gesagt: Egal wie die öffentliche Hand tätig wird, in welcher Form, ob in den hergebrachten öffentlich-rechtlichen Formen oder in der Form privater Gesellschaften – die demokratische Kontrolle muss sichergestellt sein.
Die FDP schlägt daher vor, dass wir diese Grundsätze jetzt auf die Lösung unseres Problems übertragen. Ich könnte mir beispielsweise vorstellen, dass wir im GmbH-Gesetz und im Aktiengesetz eine Öffnungsklausel einbauen, die es den Städten, Landkreisen und Gemeinden ermöglicht, diese Gremiensitzungen künftig genauso öffentlich abzuhalten wie zum Beispiel eine normale Stadtratsitzung. Natürlich wird es Teile geben, bei denen es um Interna geht, die nicht öffentlich bleiben müssen, aber im Grundsatz brauchen wir mehr Transparenz.
Gleichzeitig müssen dann natürlich die Vorschriften über die Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsräte gelockert werden; das passt sonst nicht zusammen.
Wir können uns nicht darauf zurückziehen, dass wir die Lösung der weiteren Entwicklung in der Rechtsprechung überlassen; denn hier geht es um Bundesgesetze. Es ist unsere Verantwortung, uns des Themas anzunehmen.
(Beifall des Abg. Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE])
Ich darf mit dem Hinweis darauf schließen, dass die Praktiker auf ein Tätigwerden des Deutschen Bundestages warten. Der Passauer Oberbürgermeister Albert Zankl, der übrigens der CSU angehört, hat am 20. Sep-tember der Bundesjustizministerin einen Brief geschrieben und darin den Gleichklang von Kommunalrecht, das von der Öffentlichkeit von Sitzungen ausgeht, und Gesellschaftsrecht für kommunale GmbHs angemahnt. Er schreibt wörtlich – ich zitiere –:
Ich würde mich sehr freuen, wenn mein Schreiben, das die Meinung vieler Kommunen widerspiegelt, eine entsprechende Gesetzesänderung anstoßen würde.
(Uwe Barth [FDP]: Bravo!)
Ich bitte Sie, unseren Antrag nicht reflexartig abzulehnen, weil er von der Opposition kommt, und lade Sie ein, sich mit uns zu bemühen, dieses Problem, das, wie gesagt, viele Menschen in den Kommunen bewegt, im Deutschen Bundestag zu lösen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Rede vom 20.10.2006
Dr. Max Stadler (FDP):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zu Beginn dieser Woche haben wir uns alle über die Besorgnis erregende Meldung erschrocken, dass die Zahl rechtsextremistischer Gewalttaten stark angestiegen ist. Das hat daran erinnert, dass es einmal ein NPD-Verbotsverfahren gegeben hat, das im Wesentlichen daran gescheitert ist, dass die eine Sicherheitsbehörde nicht wusste, was die andere gemacht hat. Ein solches Fiasko können wir uns bei der Terrorismusabwehr nicht leisten.
(Beifall bei der FDP und der SPD)
Deswegen sagt die FDP: Im Prinzip ist es richtig und vernünftig, wenn man die vorhandenen Daten besser miteinander vernetzt.
(Clemens Binninger (CDU/CSU): Sehr gut!)
Dabei sind aber selbstverständlich rechtsstaatliche Prinzipien zu beachten. Lieber Kollege Frank Hofmann, in der Rede war vorhin ein Satz, der noch einmal überdacht werden sollte:
Auch wir würden gern die Sicherheit für die Bürgerinnen und Bürger ... um die Grundrechte herum bauen. Das aber geht an der Realität vorbei.
Eine solche Position darf nicht Ausgangspunkt einer Debatte über innere Sicherheit im Deutschen Bundestag sein.
(Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Mit diesem sehr schiefen Ansatz gerät man nämlich in die Nähe derer, die die Einhaltung von Grundrechten als ein Hindernis für die innere Sicherheit betrachten. Richtig ist doch, dass wir die innere Sicherheit auf den Grundrechten aufbauen müssen. Das ist der richtige Ansatz.
(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir haben Zweifel, ob das mit dem Gesetzentwurf zur Errichtung gemeinsamer Dateien gelungen ist. Frau Piltz hat die Kritikpunkte genannt, insbesondere die Möglichkeit, in einem Eilfall Informationen zu erhalten, die aus guten Gründen bei den Geheimdiensten bleiben müssten und nicht für die Polizei geeignet sind. Diese Möglichkeit, in Eilfällen die normalen Regeln zu umgehen, kann so nicht bestehen bleiben.
(Frank Hofmann (Volkach) (SPD): Haben Sie eine bessere Idee, Herr Stadler?)
In der Sachverständigenanhörung muss in dieser Sache Klarheit geschaffen werden. Dort brauchen wir Änderungen, um nur einen Punkt zu nennen.
Nun haben Sie heute die Verlängerung der so genannten Schily-Kataloge mit auf die Tagesordnung gesetzt. Ich halte es für ein unangemessenes Verfahren, zwei so wichtige Gesetzesvorhaben in einer knappen Debatte abzuhandeln.
(Beifall der Abg. Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))
Nur ganz kurz: Kollege Wieland, dass Ihnen ein Lapsus Linguae unterlaufen ist, erklärt sich daraus, dass Sie dem Gesetzentwurf vor fünf Jahren zugestimmt haben. Sie konnten Ihrer Anhängerschaft dies nur plausibel machen, indem Sie gesagt haben: Das Gesetz gilt nur befristet und wird später evaluiert.
(Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wollten wir ja auch!)
Jetzt sehen wir: Eine Evaluierung, die derjenige macht, der das Gesetz selber geschrieben hat,
(Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ist nichts wert!)
ist das Papier nicht wert, auf der sie geschrieben wird.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir müssen in Zukunft zu neuen Regeln kommen und zu einer neuen Qualität, also zu einer echten Evaluierung, die externen Sachverstand und Bürgerrechtler einbezieht.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Kollege Stadler, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hartmann?
Dr. Max Stadler (FDP):
Ja, für die bin ich sehr dankbar. Denn sonst hätte ich meine Rede jetzt beenden müssen.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Bitte schön, Herr Hartmann.
Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD):
Herr Stadler, wir arbeiten ja in der Innenpolitik und im Untersuchungsausschuss gut zusammen. Deshalb hab ich mit Bedauern gesehen, wie knapp Ihre Redezeit bemessen ist.
(Beifall des Abg. Jürgen Koppelin (FDP))
Ich möchte Ihnen mit meiner Zwischenfrage die Chance geben, diese zu verlängern. Ich habe aber natürlich vor allem und zuerst ein drängendes Fragebedürfnis.
Sie haben darauf hingewiesen, wie kritisch manches aus Ihrer Sicht zu bewerten ist. Ich habe aber auch sehr wohl verstanden, dass Sie trotz dieser kritischen Anmerkungen bereit und willens sind, den Gesetzgebungsprozess der grundsätzlichen Notwenigkeit wegen weiter positiv zu verfolgen. Vor diesem Hintergrund möchte ich Sie fragen: Wir haben den Datenschutzbeauftragten sehr eng in beide großen Gesetzgebungsverfahren eingebunden, übrigens auf Bitten des Kollegen Hofmann. Finden Sie es nicht mit uns gemeinsam positiv, dass der Datenschutzbeauftragte diesem Gesetzgebungsverfahren, und zwar so, wie wir es heute einbringen, grundsätzlich positiv und offen gegenübersteht?
Dr. Max Stadler (FDP):
Lieber Herr Kollege Hartmann, Ihre Freundlichkeit mir gegenüber ist heute wirklich grenzenlos. Sie geben mir Gelegenheit, die Sprache noch einmal auf einen ganz wichtigen Punkt zu bringen.
(Frank Hofmann (Volkach) (SPD): Habt ihr das abgesprochen?)
Sie sagen zu Recht, dass der Datenschutzbeauftragte dem Gesetzgebungsvorhaben im Grundsatz zustimmt. Wir vertreten Frau Piltz hat es ausgeführt hinsichtlich der Zentraldatei die Auffassung, dass ein Index das Richtige ist, weil man das System nicht komplett ändern darf. Geheimdienste in der Bundesrepublik Deutschland dürfen viel und dies ohne richterliche Erlaubnis. Die Polizei ist dazu berufen, konkrete Gefahren abzuwehren, und sie unterliegt bei ihren Eingriffen engen Grenzen, insbesondere sind vielfach richterliche Vorbehalte zu beachten. Solche Systeme kann man nicht beliebig vermischen.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Es muss bei den bewährten Regeln des Datenaustausches bleiben. Eine solche neue Datei kann, wie Kollege Bosbach versprochen hat, eigentlich nur den Sinn haben, dass die Technik verbessert
(Klaus Uwe Benneter (SPD): So ist es!)
und der Austausch schneller wird. Aber die grundlegenden Prinzipien müssen erhalten bleiben. Ihre Frage gibt mir Anlass, noch einmal darauf hinzuweisen, dass dies nach Meinung der FDP im bisherigen Entwurf nicht gewährleistet ist.
Um Ihre Frage umfassend zu beantworten,
(Heiterkeit)
weise ich darauf hin, dass ein letzter Punkt ebenfalls noch nicht gewährleistet ist. Er ist aber ganz entscheidend. Durch das, was von der großen Koalition vorgeschlagen wird, bekommen die Geheimdienste im Vergleich zu dem, was Herr Schily seinerzeit im Eiltempo durchgesetzt hat, noch mehr Eingriffsbefugnisse. Es ist doch das Logischste auf der Welt, dass man als Gegengewicht die Kontrolle der Geheimdienste verbessern muss.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD): Sie haben noch nichts zum Datenschutzbeauftragen gesagt!)
Ich verstehe nicht, Herr Kollege Hartmann, warum sich die große Koalition weigert, sich den entsprechenden Gesetzentwürfen der Opposition anzuschließen. Die FDP hat längst einen Entwurf eines Gesetzes zur Kontrolle der Geheimdienste eingebracht. Wenn Sie den Geheimdiensten erneut weitere Befugnisse übertragen wollen, wäre jetzt der richtige Moment, auch ihre Kontrolle zu verbessern. Denn das ist dringend notwendig.
(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wolfgang Bosbach (CDU/CSU): Jetzt musst du noch die Frage beantworten! Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nein! Nicht vorbeugend noch nicht gestellte Fragen beantworten!)
Damit ist Ihre Frage, wie ich glaube, umfassend beantwortet.
(Heiterkeit - Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD): Die ist überhaupt noch nicht beantwortet!)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Kollege Stadler, nach dieser, wie es die Geschäftsordnung vorschreibt, kurzen und präzisen Antwort bitte ich Sie, zum Schluss zu kommen.
Dr. Max Stadler (FDP):
Mein Schlussgedanke lautet: Wir müssen uns des Gedankens bewusst werden, dass es auch einen Grundrechtsschutz durch Verfahren gibt. Dieser Grundrechtsschutz durch Verfahrensbestimmungen bzw. durch Kontrolle ist in den vorliegenden Gesetzentwürfen noch nicht hinreichend berücksichtigt. Deswegen müssten wir in den Ausschüssen noch jede Menge Nachbesserungen vornehmen, wenn wir am Ende des Gesetzgebungsprozesses tatsächlich zustimmen können sollen.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Rede vom 30.11.2006
Anrede,
mit diesem Antrag zielt die Fraktion Die Linke darauf ab, bestimmte Regelungen des Bundesentschädigungsgesetzes zu revidieren. Nach § 6 Absatz 1 Nr. 2 BEG wurden Personen, die die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekämpft haben, von Entschädigungsleistungen ausgeschlossen. Die Fraktion Die Linke möchte erreichen, dass dieser Entschädigungsausschluss nicht auf Mitglieder der damaligen Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) und andere Personen, die sich als Kommunisten politisch betätigten, angewandt wird.
Wenn man diesem Antrag folgen würde, würde im nachhinein eine gesetzgeberische Grundentscheidung aus den 50er Jahren aufgehoben, obwohl der Sachverhalt bereits abgeschlossen ist. Dies begegnet rechtsstaatlichen Bedenken.
Zwar ist richtig, dass das KPD-Verbot historisch im Kontext des „kalten Krieges“ zu sehen ist. Das damalige Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht ist historisch zu bewerten auf dem Hintergrund der deutschen Teilung. Ähnliche Verfahren gab es anderen westlichen Demokratien wie Frankreich, Österreich oder Italien gerade nicht. Andererseits besteht kein Zweifel, dass dieses Verbot auf der Grundlage des Artikels 21 Abs. 2 des Grundgesetzes rechtmäßig zustande gekommen ist und in Rechtskraft erwachsen ist.
Der Gesetzgeber des Bundesentschädigungsgesetzes von 1956 hatte einen Ermessensspielraum, welcher Personenkreis Anspruch auf Entschädigungsleistungen haben sollte, und wer nicht. Hiervon hat er unter Berücksichtigung der damaligen Verhältnisse maßvoll Gebrauch gemacht. In der Gesetzesbegründung heißt es ausdrücklich: „Es sei staatspolitisch geboten und rechtlich vertretbar, Verfolgte von der Entschädigung auszuschließen, die durch ihr Verhalten die politische Ordnung des heutigen Staates gestört haben. Doch liege in einer bloßen Mitgliedschaft in einer Partei, z. B. in der KPD oder SED, noch kein Bekämpfen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung; dieser Tatbestand sei nur bei einem aktiven Verhalten erfüllt“. Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsmäßigkeit der Ausschlussformel bestätigt, aber zugleich festgestellt, dass der Ausschluss eines Verfolgten von Entschädigungsleistungen nicht damit begründet werden könne, er habe die freiheitliche demokratische Grundordnung „bekämpft“, wenn sich seine Tätigkeit darin erschöpfte, im Rahmen einer noch nicht verbotenen verfassungswidrigen Partei sich für die Verwirklichung ihrer Ziele mit allgemein erlaubten Mitteln einzusetzen. Von einem flächendeckenden Ausschluss früherer Kommunisten von Entschädigungsleistungen kann also keine Rede sein.
Wenn die Antragsteller mit ihrem Anliegen Erfolg haben wollen, müssen sie mögliche Gerechtigkeitslücken schon sorgfältiger herausarbeiten. Nach unserer Auffassung muss eine Entschädigungsleistung jedenfalls dann ausgeschlossen bleiben, wenn der Betroffene die freiheitlich demokratische Grundordnung in strafrechtlich relevanter Weise bekämpft hat.
Unabhängig davon ist es eine Sache der Diskussion unter Historikern, den Widerstand gegen den Nationalsozialismus und dabei auch den von Kommunisten geleisteten Widerstand angemessen zu würdigen und sich mit der Behandlung dieses Personenkreises in der Frühphase der Bundesrepublik Deutschland auseinanderzusetzen.
ENDE
Rede vom 01.12.2006
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Dr. Max Stadler ist der nächste Redner für die FDP-Fraktion.
(Beifall bei der FDP)
Dr. Max Stadler (FDP):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Minister Schäuble, Sie haben hier völlig zu Recht die Bedrohungslage eindringlich geschildert. Aber die FDP war zum Beispiel für eine praxisnahe Lösung bei der Zusammenarbeit der Sicherheitsdienste und für eine Indexdatei, wie sie auch Praktiker gefordert haben. Also führen wir doch bitte die Debatte hier nicht so, als ob denjenigen, die für rechtsstaatliche Lösungen eintreten, die innere Sicherheit nicht am Herzen läge. Einen solchen Gegensatz dürfen wir hier nicht aufbauen.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
Herr Minister Schäuble, es ist doch völlig unstreitig: Der Staat hat selbstverständlich eine Schutzpflicht gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern. Aber bei den Methoden, die er anwendet, ist er an die Grundrechte gebunden.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)
Deswegen ist sehr wohl über die Details zu diskutieren.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Jan Korte [DIE LINKE])
Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 haben die Geheimdienste Befugnisse bekommen wie nie zuvor. Das war in gewissem Umfang sogar notwendig. Aber es bleibt ein Grundproblem. Geheimdienste versuchen, schon im Vorfeld Informationen zu gewinnen. Die Polizeiarbeit setzt dagegen bei konkreten Gefahren bzw. konkreten Verdachtsmomenten an. Geheimdienste erfassen notwendigerweise viele Unschuldige. Deswegen muss ein Gegengewicht durch eine entsprechende Kontrolle der Geheimdienstarbeit gesetzt werden. Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie wollen heute die Geltungsdauer der Schily-Gesetze, die 2002 sehr eilig durch das Parlament gebracht wurden, verlängern.
(Dr. Carl-Christian Dressel [SPD]: 2001, Herr Stadler!)
Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, endlich eine bessere Kontrolle der Geheimdienste als Gegengewicht einzuführen.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
Es ist mir völlig unbegreiflich, warum Sie die Gelegenheit der heutigen Gesetzgebung nicht nutzen, endlich auf unsere Vorschläge einzugehen, aus denen hervorgeht, wie die Arbeit des Parlamentarischen Kontrollgremiums besser und effektiver gestaltet werden könnte. Noch einmal: Wir von der FDP könnten notwendigen Maßnahmen, die durchzuführen Sie den Geheimdiensten erlauben wollen, durchaus zustimmen, wenn Sie auf der anderen Seite bereit wären, die Kontrolle zu verbessern. Das sind Sie leider nicht.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
Es ist schon gesagt worden, dass die Evaluierung, auf die Sie sich bei der Verlängerung der Schily-Gesetze berufen, nicht zureichend war. Dem stimme ich völlig zu; denn diese Evaluierung, die die Frage betrifft, wie sich die Gesetze in der Praxis ausgewirkt haben, ging einzig und allein vom Blickwinkel der Anwender aus und hatte überhaupt nicht im Blick, wie sich die neuen Vorschriften auf die Betroffenen auswirken, zum Beispiel, ob Menschen in Dateien aufgenommen worden sind, ohne etwas davon zu wissen, und dann berufliche Nachteile davon hatten. Das hätte evaluiert werden müssen, wenn Sie dies zur Grundlage einer Gesetzgebung machen wollen. Auch deswegen können wir nicht zustimmen.
Jetzt kommt der entscheidende Punkt. Die Koalitionsfraktionen bringen heute einen Entschließungsantrag ein. Es lohnt sich, ihn wörtlich zu zitieren. Er hat folgenden Text: „Die Bundesregierung wird aufgefordert, zeitnah einen Gesetzentwurf vorzulegen...“ – jetzt fasse ich zusammen –, der das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum großen Lauschangriff berücksichtigt. Meine Damen und Herren, das kann doch nicht Ihr Ernst sein. Sie regieren seit einem Jahr. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts datiert vom März 2004 und gibt dem Gesetzgeber auf, dafür zu sorgen, dass der Bereich der ganz privaten, intimen Lebensführung vom Staat nicht beeinträchtigt wird. Und Sie fordern heute die Bundesregierung auf, dies künftig bei Gesetzen zu berücksichtigen. Wir sind doch die Volksvertreter. Wir sind der Gesetzgeber.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Jan Korte [DIE LINKE] und des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])
Sie hatten ein Jahr Zeit, dies in die heutigen Gesetze einzuarbeiten. Das haben Sie nicht gemacht. Ihr Entschließungsantrag zeigt, dass Ihnen diese Lücke bewusst ist.
Sie machen folgende Politik: Heute beschließen Sie ein Gesetz, das verfassungswidrig ist, weil es ein Urteil aus Karlsruhe nicht berücksichtigt; dann sagen Sie: Um den Grundrechtsschutz kümmern wir uns morgen oder übermorgen.
Meine Damen und Herren, Sie können nicht erwarten, dass die Opposition bei einem solchen Verfahren mitmacht.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
Rede vom 18.01.2007
Dr. Max Stadler (FDP): Der gesetzgeberische Handlungsbedarf zur Änderung des Vertriebenen rechts erschließt sich bei Lektüre des Gesetzentwurfs nicht auf Anhieb. Die Bundesregierung will das Bundesvertriebenengesetz den politischen Entwicklungen anpassen, in der Verwal-tungspraxis aufgetretene Probleme lösen und den Zuzug von Extremisten und Terroristen verhindern.
Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang die vielleicht ein wenig naiv anmutende Frage, ob sich das vertriebenenrechtliche Aufnahmeverfahren in der Vergangenheit zu einem Ein-fallstor für Extremisten und Terroristen entwickelt hat. Mir ist eine solche Entwicklung nicht bekannt. Wenn es im Gesetzentwurf heißt, hier müsse eine Lücke geschlossen werden, damit Extremisten und Terroristen keine Aufnahme finden, erwarte ich hierzu von der Bundesregie-rung weiteren Tatsachenvortrag. Hat es in der Vergangenheit Fälle gegeben, in denen Extre-misten oder Terroristen versucht haben, über Verfahren nach dem Bundesvertriebenengesetz Aufnahme in Deutschland zu finden und hat das geltende Recht nicht ausgereicht, dies zu ver-hindern? Sollte es hier wirklich ein Problem geben, wird sich die FDP einer vernünftigen Lösung selbstverständlich nicht verschließen.
Ohne Weiteres einleuchtend erscheint mir der gesetzgeberische Handlungsbedarf im Bereich des Zuzugs Schwerkrimineller. Das geltende Recht stellt auf die Absicht ab, sich durch Aussiedlung der drohenden Strafverfolgung zu entziehen. Es erscheint in der Tat sachgerechter, nicht länger auf die Absicht, sondern auf die Schwere der Tat abzustellen. Auf diese Weise ist sichergestellt, dass Personen, die schwer-wiegende rechtswidrige Taten begangen haben, von der Aufnahme ausgeschlossen sind. Im Üb-rigen lege ich Wert auf die Feststellung, dass es sich auch hierbei nicht um ein Massenphänomen handeln dürfte. In diesem Zusammenhang sei der Hinweis erlaubt, dass die aktuellen Kriminali-täts- und Integrationsstatistiken zeigen, dass Spätaussiedler – anders als vielfach behauptet – keine besondere Problemgruppe darstellen und sich mehrheitlich gut in unsere Gesellschaft integrieren.
Die FDP unterstützt alle Maßnahmen, die zu einer weiteren Verbesserung der Integration beitragen. Hierzu gehört die im Gesetzentwurf vor-gesehene Zahlung von Fahrkostenzuschüssen, um Spätaussiedlern und ihren Angehörigen die Teilnahme an einem Integrationskurs zu ermög-lichen. Das Geld ist gut angelegt. Es fördert die Integration von Spätaussiedlern und ihren Familienangehörigen weiter und vermeidet Integrationskosten an anderer Stelle. Die Bitte des Bundesrats, den Kreis der Anspruchsberechtigten moderat zu erweitern, wird zu prüfen sein.
Die weiteren Änderungsvorschläge sind ganz überwiegend rechtstechnischer und verwaltungspraktischer Natur. Sie werden einen Bei-trag zum Bürokratieabbau leisten. Das gilt vor al-lem für die Übertragung der Zuständigkeit für die Entscheidung über die Gewährung der pauschalen Eingliederungshilfe von den Ländern auf das Bundesverwaltungsamt sowie die Abschaffung des Zustimmungsverfahrens im Rahmen des schriftlichen Aufnahmeverfahrens.
Rede vom 09.03.2007
Max Stadler (FDP): Es ist ein alter, leider nicht immer durchgängig eingehaltener Grundsatz, dass die Ergebnisse der Tarifverhandlungen auf die Besoldung der Beamtinnen und Beamten übertragen werden. Im Tarifvertrag vom 9. Februar 2005 ist für die Tarifbeschäftigten des Bundes jeweils eine Einmalzahlung in Höhe von 300 Euro für die Jahre 2005, 2006 und 2007 vereinbart worden. Es hat viel zu lange gedauert, bis diese Einmalzahlungen auf den Beamtenbereich des Bundes übertragen worden sind. Mit dem heute zu beratenden Gesetzentwurf kommt die Bundesregierung diesem Anliegen nun endlich, allerdings mit großer Verspätung, nach. Die FDP stimmt dem Gesetzentwurf daher zu.
Für uns ist allerdings unverständlich, warum sich CDU/CSU und SPD weigern, diese Einmalzahlung auf die Versorgungsempfänger des Bundes zu erstrecken. Dazu muss man wissen, dass das Versorgungsniveau derzeit dem des Jahres 2002 entspricht. Da zu Recht bei solchen Fragen der Vergleich mit dem Rentenbereich herangezogen wird, ist festzustellen, dass es im Jahre 2003 eine Rentenerhöhung gegeben hat.
Bundesländer wie beispielsweise Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen haben daher für ihre Versorgungsempfänger Regelungen für eine Einmalzahlung getroffen. Dies entspricht dem Prinzip, die Versorgungsempfänger in angemessener Weise an der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung und den Besoldungserhöhungen für die aktiven Bediensteten teilhaben zu lassen. Die Bundesregierung hat in den vergangenen Jahren das Gegenteil gemacht und den Versorgungsempfängern immer wieder Sparmaßnahmen zugemutet.
Im Innenausschuss hat die FDP daher einen Änderungsantrag zugunsten einer Einmalzahlung für Versorgungsempfänger gestellt. Dieser wurde jedoch mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD abgelehnt. Als Gegenargument wurde ausschließlich auf den finanziellen Aufwand einer Einmalzahlung hingewiesen.
Die FDP möchte daher der Koalition eine Brücke bauen. Wir haben in unserem Änderungsantrag, der in zweiter Lesung im Plenum wieder zur Abstimmung gestellt worden ist, mit Rücksicht auf die Haushaltslage des Bundes nur vorgesehen, dass die Einmalzahlung ausschließlich das Jahr 2007 betreffen soll und nicht in voller Höhe, sondern anteilig je nach dem Prozentsatz gezahlt wird, der dem Pensionsanspruch des jeweiligen Versorgungsempfängers entspricht.
Wenn die Bundesregierung und die Große Koalition sich einem solch maßvollen Antrag verschließen, zeigt dies leider mit Deutlichkeit, dass ihnen die Interessen derjenigen Staatsdiener, die in ihrer aktiven Zeit einen maßgeblichen Beitrag für das Funktionieren des Staatswesens geleistet haben, gleichgültig sind.
Für eine lediglich auf das Jahr 2007 bezogene Einmalzahlung spricht nämlich ein entscheidendes Argument: Erfreulicherweise wird es im Sommer 2007 aller Voraussicht nach eine – wenn auch relativ geringfügige – Rentenerhöhung geben. Im Hinblick darauf ist nicht einzusehen, warum sich CDU/CSU und SPD dem Antrag der FDP nicht anschließen wollen. Denn wenn die Renten erhöht werden, muss im Gleichklang dazu auch die Beamtenversorgung angepasst werden.
Unabhängig davon will die FDP-Fraktion mit ihrer Zustimmung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung den Weg dafür freimachen, dass die Einmalzahlungen für die aktiven Beamten des Bundes endlich auf den Weg gebracht werden.
Rede vom 24.05.2007
Anrede,
Die Fraktion Die Linke versucht mit ihrem Antrag „Unrecht des Kalten Krieges wiedergutmachen“ eine Thematik aufzugreifen, die in erster Linie der zeitgeschichtlichen Forschung und Diskussion vorbehalten bleiben sollte. Im Kreis zielt der Antrag darauf ab, die politische Auseinandersetzung, wie sie in den 50er Jahren und frühen 60er Jahren in der Bundesrepublik Deutschland mit der KPD, deren Mitgliedern und Nachfolgeorganisationen und anderen Linksoppositionellen geführt worden ist, zum Gegenstand einer öffentlichen Debatte zu machen. Die konkreten Forderungen, die in dem Antrag der Linksfraktion gegenüber der Bundesregierung formuliert werden, sind aber sehr vage gehalten. Sie dienen offenkundig nur als Vehikel dafür, eine politische Bewertung der Ära des sogenannten Kalten Krieges vorzunehmen und die Debatte hierüber ins Parlament zu tragen.
Die Linksfraktion schweigt sich in ihrem Antrag darüber aus, wie sie sich genau die „Rehabilitierung der Opfer des Kalten Krieges in Deutschland“ vorstellt. Dem Antrag ist nicht zu entnehmen, wem genau und in welchem Umfang eine „materielle Wiedergutmachung für das erlittene Unrecht“ zukommen soll. Es wird auch nicht näher ausgeführt, wie denn die „unverzüglichen Regelungen“ aussehen sollen, mit denen nach Auffassung der Linksfraktion „betroffene Menschen politisch rehabilitiert“ werden sollen. Somit bleiben die konkreten Folgerungen, die die Linksfraktion in ihrem Antrag unter Ziffer II aus der Sachverhaltsfeststellung unter Ziffer I zu ziehen gedenkt, reichlich nebulös.
Daraus ist unschwer der Schluss zu ziehen, dass es der Linksfraktion hauptsächlich darauf ankommt, ihre Sichtweise der politischen Abläufe der 50er Jahre zu präsentieren. Der damalige Umgang in der Bundesrepublik Deutschland mit Kommunisten kann aber selbstverständlich nicht aus dem historischen Kontext herausgelöst bewertet werden. Durch Deutschland verlief die Grenzlinie zwischen der westlichen Welt und dem Ostblock. Schon bald nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges verschärfte sich die ideologische Auseinandersetzung zwischen den westlichen Demokratien und den Staaten des real existierenden Sozialismus. Der Ost-West-Konflikt führte auch zu militärischen Spannungen und damit zu einer Bedrohung für den Frieden in Mitteleuropa.
Demgemäß war die politische Lage in den 50er Jahren nicht vergleichbar mit der Phase der Entspannungspolitik, wie sie 1969 durch die sozial-liberale Koalition unter maßgeblicher Beteiligung der FDP und der Außenminister Walter Scheel und Hans-Dietrich Genscher eingeleitet worden ist. In dieser späteren Phase ist beispielsweise kein Verbotsantrag gegen die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) gestellt worden. Ohnehin blieb die DKP politisch weitgehend bedeutungslos.
Dagegen hatte sich die frühere CDU/CSU-FDP-Bundesregierung in der spannungsgeladenen Situation der 50er Jahre für einen Verbotsantrag gegen die KPD entschieden, wie übrigens auch gegen die SRP.
Das Verbotsverfahren gegen die KPD vor dem Bundesverfassungsgericht ist einzuordnen in einer Zeit, die geprägt war durch die deutsche Teilung und unterschiedliche, einander diametral entgegengesetzte Gesellschaftssysteme. Ähnliche Verfahren gab es in anderen westlichen Demokratien wie Frankreich, Österreich oder Italien nicht. Dort entwickelte sich aufgrund gänzlich anderer Ausgangsbedingungen eine andere Tradition im Umgang mit sozialistischen und kommunistischen Parteien.
Diese wenigen Überlegungen mögen genügen, um meine Ausgangsthese zu untermauern: Das von der Linksfraktion aufgeworfene Thema ist und bleibt ein Objekt politikwissenschaftlicher und zeithistorischer Forschung.
Für eine juristische Aufarbeitung eigenen sich die fünf Jahrzehnte zurückliegenden Vorgänge dagegen nicht. Es besteht kein Zweifel, dass das KPD-Verbot - unabhängig von der politischen Bewertung dieses Verfahrens - legal auf der Grundlage des Artikel 21 Absatz 2 des Grundgesetzes zustande gekommen ist. Die Bestimmungen über strafbewehrte Verstöße gegen dieses Parteienverbot waren ebenfalls Bestandteil der Rechtsordnung. Von juristischer Willkür kann daher keine Rede sein.
Rede vom 11.09.2007
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Ich möchte einen Gedanken von Minister Schäuble aufgreifen. Herr Minister, Sie haben gesagt: Wir können auf die Arbeit unserer Sicherheitsbehörden vertrauen. Der Meinung sind wir als FDP auch. Der Fahndungserfolg der letzten Woche war ein Beleg für die gute Arbeit der Sicherheitsbehörden.
Aber die Sicherheitsbehörden brauchen dafür auch das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger. Durch die Politik der letzten Monate mit einem unangebrachten Stakkato von unausgegorenen Verschärfungsvorschlägen wurde
gerade dieses Vertrauen gestört.
Ich will versuchen, Ihnen an einem Beispiel deutlich zu machen, welche Fehlentwicklung die Innenpolitik hier nimmt. Sie sagten heute in Ihrer Rede hier und auch zuvor im Morgenmagazin, die umstrittene Onlinedurchsuchung sei eine Maßnahme, die in nur ganz wenigen Fällen im Jahr in Betracht komme. Das glaubt nach den Erfahrungen, die die Bürgerinnen und Bürger mit der Innenpolitik machen mussten, niemand.
Ich nenne folgende Beispiele:
Dieser Bundestag hat einmütig beschlossen, dass wir keine Speicherung der Telekommunikationsdaten, der Daten von Millionen unverdächtiger Bürgerinnen und Bürger, auf Vorrat haben wollen. Die Bundesregierung beschließt auf EU-Ebene genau das Gegenteil mit.
Erinnern wir uns an den Onlinezugriff auf Bankdaten. Dieser Onlinezugriff war ursprünglich zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität geplant. Er kann heute jede Bürgerin und jeden Bürger treffen.
Herr Minister Schäuble, Sie persönlich waren es, der bei dem Thema Mautdaten in gleicher Weise agierte. Dieser Bundestag hat bei Einführung der Lkw-Maut einstimmig beschlossen, dass die dabei erhobenen Daten nur für Abrechnungszwecke verwendet werden sollen. Die CDU/CSU hat übrigens besonderen Wert auf diesen Passus im Gesetz gelegt. Als ein schlimmes Verbrechen an einer Autobahnraststätte geschah, haben Sie, Herr Minister Schäuble, als einer der Ersten verlangt, dass die Daten selbstverständlich auch für polizeiliche Zwecke zur Verfügung stehen.
Ich will gar nicht darüber diskutieren, ob es richtig oder falsch ist. Mir geht es darum, dass hier von der Bundesregierung, aber auch von der Mehrheit im Parlament immer wieder versprochen wird, dass eine bestimmte Maßnahme die Ausnahme bleibt. Am Ende wird diese Ausnahme dann immer weiter ausgeweitet, und ganz am Schluss ist es eine Standardmaßnahme. Das ist die Realität, auf die wir uns einstellen müssen.
Wem das noch nicht genügt, der möge einen Blick in § 100 a Strafprozessordnung werfen, der die Telefonüberwachung regelt. Damit hat man im Jahr 1968 begonnen; bezüglich vier schwerer Delikte war Telefonüberwachung zulässig. Ich habe jetzt einmal in diesem ellenlangen Paragrafen die möglichen Delikte gezählt. Bei 90 Delikten habe ich aufgehört, zu zählen. So ist das ausgeweitet worden.
Herr Minister Schäuble, daher besteht unser Misstrauen. Sie sagen: Regt euch nicht auf, ein Eingriff in die Privatsphäre ja, aber für wenige Fälle im Jahr. Später werden immer mehr Fälle dazukommen; es wird immer mehr ausgeweitet. Der hessische Datenschutzbeauftragte, ein angesehener Professor für öffentliches Recht, Michael Ronellenfitsch – installiert von der Regierung Koch –, hat davor gewarnt, indem er in einer Fachzeitschrift schrieb:
Sind Zugriffsmöglichkeiten einmal geschaffen, verselbständigen sie sich leicht gegenüber ihrem ursprünglichen Zweck.
Dagegen müssen wir als Opposition angehen.
Herr Minister, Sie haben heute – das sei zugestanden – eine relativ moderate Rede gehalten.
Aber es ist noch nicht sehr lange her – deswegen muss man hier im Hohen Haus nach der Sommerpause daran erinnern –, dass Sie Interviews gegeben haben, wie etwa im Spiegel, die – ich sage das einmal vorsichtig – grenzwertig waren: mit der Relativierung der Unschuldsvermutung, mit dem Aufwerfen der Frage der gezielten Tötung von Terrorverdächtigen und anderem.
Minister Schäuble hat sich darauf berufen, er habe Fragen aufgeworfen und das dürfe man doch wohl noch.
Wir sagen: Das reicht uns nicht. Von einem Verfassungsminister erwarten wir Antworten, und zwar Antworten, die Freiheit und Sicherheit miteinander verknüpfen. Diese Antworten von Ihnen vermissen wir.
Rede vom 20.09.2007
Rücknahme der Ermächtigung zur Strafverfolgung von Journalisten wegen Verstoßes gegen Geheimhaltungsvorschriften gemäß § 353 b des Strafgesetzbuches
Dr. Max Stadler (FDP):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Selten habe ich jemanden so wortreich wie Sie, Herr Kollege Dressel, am Thema vorbeireden hören,
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
sodass es mich wirklich reizen würde, hier in eine juristische Fachdebatte einzutreten. Das würde aber ebenfalls am Kern der Sache vorbeigehen. Heute geht es nämlich aufgrund der Anträge von Bündnis 90/Die Grünen und der FDP-Fraktion darum, dass der Deutsche Bundestag eine Gelegenheit zu einer Klarstellung wahrnimmt, die dringend notwendig ist.
(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr richtig!)
Der Deutsche Bundestag legt selbstverständlich Wert darauf, dass die eigenen Verfahrens- und Geheimhaltungsregeln von denen eingehalten werden, die zu dieser Geheimhaltung verpflichtet sind.
(Beifall der Abg. Siegfried Kauder [Villingen-Schwenningen] [CDU/CSU] und Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Aber der Deutsche Bundestag will nicht, dass durch Strafverfahren in die Pressefreiheit eingegriffen wird. Das könnte mit einer Zustimmung zu unseren Anträgen heute hier vom Hohen Haus klargestellt werden.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
Ich sage Ihnen ganz offen: Als derzeitiger Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums bin ich sogar sehr stark daran interessiert, dass Geheimhaltungsregeln strikt beachtet werden. Man macht da aber übrigens so seine eigenartigen Erfahrungen: Vor gut zwei Wochen wurden drei Personen verhaftet, die im Verdacht stehen, fürchterliche Bombenanschläge geplant zu haben. Dazu konnte man aus der Presse Details aus den Ermittlungsverfahren erfahren, ehe auch nur ein einziges parlamentarisches Gremium über die Vorgänge informiert worden war.
(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Hört! Hört!)
Das zeigt: Die Verantwortung dafür lag bei anderen, jedenfalls nicht bei Parlamentariern. Das wollte ich nur einmal zu der Praxis sagen, mit der wir uns hier beschäftigen.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
Gleichwohl verstehe ich, dass unser Kollege Siegfried Kauder als Vorsitzender des Untersuchungsausschusses für den von ihm geleiteten Ausschuss das gleiche Inte-resse verfolgt, welches ich für das Kontrollgremium in Anspruch nehme: nämlich die Einhaltung der Geheimhaltungsregeln. Deswegen war seinem Vorschlag zuzustimmen, dass bei Verletzung der Geheimhaltungsregeln mit entsprechenden Ermittlungsverfahren gegengesteuert wird. Die FDP hat aber bei ihrer Zustimmung von Anfang an klargestellt: Wir wollen nicht, dass sich solche Verfahren gegen Journalisten richten, die nur ihrer Pflicht zur Information der Öffentlichkeit nachkommen.
Wir sind der Meinung – das will ich jetzt aus Zeitgründen juristisch nicht näher begründen; die Fachleute wissen es sowieso –, dass sich Journalisten nach geltendem Recht ohnehin nicht wegen Beihilfe zum Geheimnisverrat strafbar machen, wenn sie Informationen, die sie erhalten haben, publizieren. Vielmehr sind die diejenigen als Täter zu verfolgen, die den Geheimnisverrat begangen haben.
Diese Auffassung, die wir, gestützt auf gewichtige Stimmen in der Strafrechtsliteratur, vertreten, wird aber offenkundig nicht von allen geteilt. Deswegen bestand von Anfang an die Gefahr, dass sich eine undifferenzierte Ermächtigung zur Strafverfolgung dann auch gegen Journalisten richtet. Leider ist es genau so gekommen, weil der Herr Bundestagspräsident die Ermächtigung nicht beschränkt hat. Er hätte die Journalisten von der Ermächtigung ausnehmen können; das wäre rechtlich zulässig gewesen. Das hat er aber nicht getan.
Da der Bundestagspräsident damit nur dem Willen der Großen Koalition entsprochen hat, richtet sich unser Antrag nicht etwa gegen den Bundestagspräsidenten;
(Lachen des Abg. Joachim Stünker [SPD])
im Gegenteil: Wir wollen, dass das Parlament ihm heute den Rücken stärkt, sodass er die erteilte Ermächtigung in Bezug auf die Journalisten zurücknimmt.
(Beifall bei der FDP – Dr. Carl-Christian Dressel [SPD]: Sie wollen ein Gesetz als Korrektiv!)
Wir sind es, die ihm diesen Willen des Parlaments vortragen müssen. Dies ist rechtlich ohne Weiteres zulässig.
Herr Kollege Dressel, wenn wir aus einem älteren Kommentar zitiert haben, so zeigt dies nur, dass unsere Meinung schon seit langem vertreten wird, nicht etwa nur im konkreten Fall.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU und der SPD)
Somit halte ich fest: Es ist rechtlich zulässig, die Ermächtigung zur Strafverfolgung auf die eigentlichen Täter zu beschränken und die Journalisten davon auszunehmen. Dies wäre ein gutes Signal des Bundestags; es würde zeigen, dass wir uns des Werts der Pressefreiheit bewusst sind, wenn wir die Dinge wieder ins Lot bringen, die sich – vielleicht unbeabsichtigt – in eine falsche Richtung entwickelt haben.
Allerdings hat Kollege Dressel zugleich Recht: Das Problem sitzt tiefer.
(Dr. Carl-Christian Dressel [SPD]: Danke!)
Es muss auch das Strafgesetzbuch in dem Sinne geändert werden, dass eine Klarstellung erfolgt, dass journalistische Tätigkeit keine Beihilfe zum Geheimnisverrat darstellt und damit nicht strafbar ist.
(Dr. Carl-Christian Dressel [SPD]: Dann haben Sie mich falsch verstanden!)
Der FDP-Entwurf eines Gesetzes zur Pressefreiheit liegt auf dem Tisch. Ich bitte Sie, zum einen das Einzelproblem zu lösen, indem Sie unserem Antrag zustimmen, zum anderen aber auch das grundsätzliche Problem anzugehen – dazu ist eine Klarstellung im Strafgesetzbuch notwendig –, indem Sie schlicht und einfach unserem Gesetzentwurf zustimmen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie hätten unserem Gesetz vorher auch schon zustimmen können!)
Rede vom 08.11.2007
Anrede,
mit dem Gesetzentwurf greift die Bundesregierung eine nunmehr zehn Jahre alte Prüfmitteilung des Bundesrechnungshofs auf. Dieser war seinerzeit zu dem Ergebnis gekommen, dass sich der Zweck der Heimkehrerstiftung, die wirtschaftliche und soziale Förderung ehemaliger Kriegsgefangener, „im Wesentlichen erledigt“ habe. Deshalb sei eine Aufhebung der Stiftung zu erwägen.
Die FDP-Bundestagsfraktion hält diese Auffassung grundsätzlich für zutreffend. Die noch vorhandenen Aufgaben rechtfertigen in der Tat keine eigenständige Stiftung mehr. Es ist daher richtig, die Aufgaben auf das Bundesverwaltungsamt zu übertragen. Die FDP-Bundestagsfraktion übersieht nicht, dass hiermit ein Wegfall der Vertretung der Opferverbände bei der Mittelvergabe verbunden ist. Sie vertraut aber auf die Richtigkeit der Einschätzung der Bundesregierung, dass aus demographischen Gründen die Repräsentation der Betroffenen in den Stiftungsgremien praktisch kaum mehr zu verwirklichen sei.
Zu begrüßen ist, dass mit der Aufhebung der Stiftung nunmehr nicht, wie von der Bundesregierung ursprünglich beabsichtigt, die ersatzlose Streichung der Rentenzusatzleistungen für bedürftige Kriegsheimkehrer und Kriegerwitwen mit Ablauf des Jahres 2009 verbunden sein wird. Der Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen sieht vor, bewilligte Rentenzusatzleistungen bis zum Versterben des Begünstigten weiter zu gewähren. Eine solche ersatzlose Streichung der Leistungen wäre im Hinblick auf die Rechtsstaatsgarantie und das Sozialstaatsprinzip sowie das Recht auf Eigentum zumindest bedenklich gewesen. Möglicherweise hätten sich auch Mehrbelastungen für die Sozialhilfeträger ergeben. Auf jeden Fall wären hiermit Härten für die Betroffenen verbunden gewesen, die so vermieden werden. Es erscheint mir wirklich nicht zumutbar, Menschen, die vielleicht schon in ihrem 8. oder 9. Lebensjahrzehnt stehen, auf die Möglichkeit zu verweisen, Sozialhilfe in Anspruch zu nehmen. Die Mehrbelastungen für den Bundeshaushalt, die sich aus der Weitergewährung der Rentenzusatzleistungen über das Jahr 2009 hinaus ergeben, halten sich zudem in vertretbaren Grenzen. Das Ziel, den Haushalt zu konsolidieren, wird hierdurch nicht gefährdet.
Ebenfalls zu begrüßen ist die Unterstützung der Zivilinternierten und -deportierten aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten jenseits von Oder und Neiße, wie sie ebenfalls Gegenstand des Änderungsantrags der Koalitionsfraktionen ist. Damit wird nunmehr endlich ein Versprechen aus dem Koalitionsvertrag eingelöst und eine bislang „vergessene“ Opfergruppe in den Kreis der Anspruchsberechtigten einbezogen. Die FDP-Bundestagsfraktion hat sich hierfür stets eingesetzt, zuletzt im Zusammenhang mit der Beratung des Dritten SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes. Ob die hierfür vorgesehenen Mittel ausreichen werden, bleibt abzuwarten. Die FDP-Bundestagsfraktion wird dies sehr genau im Auge behalten.
Der Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen sieht darüber hinaus eine Einmalleistung für Kriegsgefangene und Geltungskriegsgefangene vor, die nach ihrer Gefangenschaft in die Sowjetische Besatzungszone (SBZ) bzw. Deutsche Demokratische Republik (DDR) heimkehrten. Die FDP-Bundestagsfraktion sieht hierin ein überfälliges Symbol der Anerkennung und eine Geste der Wiedergutmachung gegenüber ostdeutschen Heimkehrern. Zu kritisieren ist allerdings, dass Mittel hierfür erst im Haushaltsjahr 2009 zur Verfügung gestellt werden sollen. Diese Kritik mag man als kleinlich abtun. Für uns ist sie das nicht. Im Hinblick auf das weit fortgeschrittene Alter der noch lebenden ehemaligen Kriegsgefangenen hätte man sich hier eine großzügigere Lösung gewünscht.
Unsere weitere Kritik gilt dem Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens. Der eigentliche Beratungs- und Abstimmungsgegenstand ergibt sich nicht aus dem Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 27. Juni 2007, sondern aus dem Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen vom 1. November 2007. Offensichtlich haben CDU/CSU und SPD so lange gebraucht, um sich auf eine halbwegs vertretbare Lösung zu verständen. Wofür die Koalition vier Monate braucht, soll die Opposition dann in vier Tagen nachvollziehen. Ordnungsgemäße Gesetzgebung sieht anders aus.
Noch schlechter als den Oppositionsfraktionen ergeht es den Beschäftigten der Heimkehrerstiftung. Diese werden bis zum heutigen Tage darüber im Unklaren gelassen, wo sie ab dem 1. Januar 2008 ihren Dienst versehen dürfen. Im Gesetzentwurf heißt es lapidar: „Das Stiftungspersonal soll vom Bund übernommen werden.“. Was dies genau heißt, konnte die Bundesregierung auch auf meine Nachfrage hin nicht mitteilen. In ihrer Antwort auf eine Schriftliche Frage vom 23. Oktober 2007 heißt es sogar, die „Absichtserklärung einer Personalübernahme entbinde die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Heimkehrerstiftung nicht davon, sich bereits jetzt und auch in Zukunft zusätzlich selbst aktiv um eine berufliche Tätigkeit innerhalb und außerhalb des öffentlichen Dienstes zu bemühen“. Eine Informationsveranstaltung über die künftigen Beschäftigungsmöglichkeiten werde voraussichtlich im Dezember 2007 durchgeführt werden. So sollte man mit Beschäftigten nicht umgehen. Ein Dienstherr, der sich so verhält, wird seiner Fürsorgepflicht nicht gerecht und setzt die Motivation seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter leichtfertig aufs Spiel. Die FDP-Bundestagsfraktion kritisiert dies nachdrücklich und fordert die Bundesregierung auf, nunmehr endlich Klarheit zu schaffen und das Versprechen, das Personal zu übernehmen, unverzüglich einzulösen.
Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass die FDP-Bundestagsfraktion dem Gesetzentwurf unter diesen Umständen nicht zustimmen kann, sondern sich der Stimme enthalten wird.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Rede vom 15.11.2007
Anrede,
mit dem Gesetzentwurf zur Neuordnung des Dienstrechts des Bundes hat sich die Bundesregierung weit von ihren ursprünglichen Reformzielen entfernt. Der Entwurf wird dem im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD formulierten Anspruch, die Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit des öffentlichen Dienstes zu stärken, nicht gerecht.
Zwar sind einzelne Reformschritte enthalten, die zu begrüßen sind, z. B. die Abkehr vom Besoldungsdienstalter oder die Stärkung des Grundsatzes „Rehabilitation vor Versorgung“. Doch reicht das nicht aus. Was vor allem fehlt, ist eine Stärkung des Leistungsprinzips, insbesondere eine Weiterentwicklung der Leistungsbezahlung.
Hier fällt der Entwurf deutlich hinter den Reformansatz aus dem Jahre 2004, wie er seinerzeit im Eckpunktepapier „Neue Wege im öffentlichen Dienst“ zum Ausdruck kam, zurück. Schlimmer noch: Er verharrt auf dem Stand der 90er Jahre und ist bei Lichte betrachtet nichts anderes als eine Festschreibung der Regelungen aus der Dienstrechtsreform von 1997.
Damals, noch unter FDP-Regierungsbeteiligung, wurde die Gewährung von Leistungselementen zusätzlich zur Besoldung ermöglicht. Leistungsprämie, Leistungszulage und Leistungsstufe wurden eingeführt. Damals, noch unter FDP-Regierungsbeteiligung, war der Bund Vorreiter. Heute, zu Zeiten der so genannten Großen Koalition, läuft der Bund der Entwicklung hinterher. Die FDP bedauert dies.
Für den Aufbau einer weitergehenden Leistungsbezahlung seien, so der Bundesinnenminister, keine finanziellen Spielräume vorhanden. Wer so argumentiert, verkennt, dass die Beamtinnen und Beamten in der Vergangenheit einen ganz erheblichen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung erbracht haben. Beispielhaft erwähnt seien die Kürzungen bei der Sonderzahlung, die Heraufsetzung der Wochenarbeitszeit und die Einschnitte bei der Versorgung. In Anbetracht dieser Vorleistungen wäre es an der Zeit, durch neue Ansätze in der Leistungsbezahlung etwas für die Motivation der Beschäftigten zu tun.
Hinzu kommt, dass die Leistungsbezahlung im Tarifbereich bereits eingeführt worden ist. Ohne Übertragung auf den Beamtenbereich droht der Gleichklang zwischen Besoldung und Tarif verloren zu gehen. Das wird zu großen Schwierigkeiten überall dort führen, wo Arbeitnehmer und Beamte zusammenarbeiten, z. B. in Teams oder bei Projekten.
Nicht einmal eine Experimentierklausel zur Erprobung verschiedener Leistungsmodelle ist vorgesehen. Auf diese Weise hätte man zumindest einmal anfangen und einen Wettbewerb um die besten Ideen in Gang setzen können. An Vorschlägen mangelt es ja nicht. Lassen sie mich an dieser Stelle auf den Antrag „Für ein modernes Berufsbeamtentum“ der FDP-Bundestagsfraktion hinweisen. Darin sprechen wir uns dafür aus, die Leistungsbezahlung gerecht, transparent und unbürokratisch auszugestalten und den Anteil der leistungsabhängigen Vergütungsbestandteile am Maß der beruflichen Verantwortung auszurichten.
Um Missverständnisse auszuschließen: Der FDP geht es nicht darum, Entwicklungen in der Wirtschaft kritiklos auf den öffentlichen Dienst zu übertragen. Das würde den Besonderheiten staatlichen Handelns nicht gerecht. Im Idealfall ist die Entscheidung für eine Tätigkeit im öffentlichen Bereich nicht nur ökonomisch motiviert. Stets sollte die Bereitschaft hinzukommen, Verantwortung für Staat und Gesellschaft zu übernehmen. Doch ohne Blick über den Tellerrand geht es nicht. Der öffentliche Dienst muss mit der allgemeinen Entwicklung in der Arbeitswelt und auch mit der Einkommensentwicklung Schritt halten. Anderenfalls drohen Wettbewerbsnachteile und Nachteile bei der Gewinnung qualifizierten Personals.
Auch im Bereich des Personalaustauschs zwischen Wirtschaft und Verwaltung tritt die Bundesregierung auf der Stelle. Auch hier gilt: Stillstand ist Rückschritt. Besonders zu kritisieren ist, dass sich die Bundesregierung einmal mehr nicht dafür entscheiden konnte, die Versorgungsansprüche mitnahmefähig auszugestalten. Dies behindert den Wechsel in die Privatwirtschaft. Damit wird die notwendige Flexibilität und Mobilität extrem eingeschränkt. Auch hier werden Kostengründe angeführt. Diese Argumentation ist extrem kurzsichtig. Auf diese Weise begibt sich die Bundesregierung z. B. der Möglichkeit, Personalüberhänge durch ein freiwilliges Ausscheiden aus dem Beamtenverhältnis abzubauen. In der Praxis scheitert ein Wechsel in die Privatwirtschaft regelmäßig an den Nachteilen, die mit der Nachversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung verbunden sind.
Aber auch für die Binnenmobilität des beamteten Personals wird zu wenig getan. Beispielsweise fehlen Vorschriften zur gegenseitigen Anerkennung von Laufbahnabschlüssen von Bund und Ländern und zur Kostenteilung von Versorgungslasten beim Wechsel des Dienstherrn.
Mehr Mut und Kreativität hätte man sich auch in Sachen Pensionseintrittsalter gewünscht. Hier sieht der Gesetzentwurf eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit vor. Wie in der gesetzlichen Rentenversicherung soll das Pensionseintrittsalter stufenweise auf 67 Jahre angehoben werden. Die FDP ist hier weiter. Sowohl für den Renten- als auch für den Versorgungsbereich hat sie ein Konzept vorgelegt, das ab Vollendung des 60. Lebensjahrs einen individuellen Eintritt in den Ruhestand ermöglicht, umgekehrt aber auch eine Weiterarbeit über die jetzt geltenden bzw. vorgesehenen Altersgrenzen hinaus erlaubt.
Lassen Sie mich abschließend zwei weitere Problembereiche ansprechen: Nach dem Gesetzentwurf sollen Beamte mit Lebenspartnern weiterhin wie Ledige behandelt werden. Sie erhalten keinen Familienzuschlag und keine Beihilfe, der überlebende Lebenspartner erhält keine Pension und beim Aufstieg in den Besoldungsstufen soll die Zeit, in denen Beamte sich haben beurlauben lassen, um ihren Partner zu pflegen, nicht anerkannt werden. Für die FDP ist dies nicht akzeptabel. Die darin zum Ausdruck kommende Ungleichbehandlung ist zudem kurzsichtig. Es ist davon auszugehen, dass hier bereits in Kürze auf der Grundlage eines zu erwartenden Grundsatzurteils des EuGH zur Gleichstellung von Arbeitnehmern in Lebenspartnerschaft mit verheirateten Kollegen erheblicher Korrekturbedarf auf den Gesetzgeber zukommen wird.
Eine weitere Frage betrifft eine mögliche Ungleichbehandlung von Soldatinnen und Soldaten gegenüber Beamtinnen und Beamten beim Erreichen des Endgrundgehalts sowie bei der Anrechnung von Dienstzeiten im Falle eines Wechsels des Dienstherrn.
Die FDP-Bundestagsfraktion wird unverzüglich nach Überweisung des Gesetzentwurfs im federführenden Innenausschuss die Durchführung einer öffentlichen Anhörung beantragen. Sie legt Wert darauf, dass der Gesetzentwurf mit der Gründlichkeit und Ernsthaftigkeit beraten wird, die der Bedeutung des Themas entspricht und die erforderlich ist, um das Berufsbeamtentum zu stärken und bestmöglich auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts vorzubereiten.
Rede vom 29.11.2007
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Schon nach zwei Jahres ihres Bestehens ist die Große Koalition in der Innenpolitik praktisch handlungsunfähig.
(Dr. Michael Bürsch (SPD): Oh! Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Recht hat er!)
- Doch. Der Tagesspiegel hat am Samstag unter der Überschrift „Koalition des Misstrauens“ zu Recht geschrieben:
Die Innenpolitiker von SPD und Union misstrauen sich von Herzen … Es ist hier gut zu beobachten, wie aus Partnern Opponenten geworden sind …
(Reinhard Grindel (CDU/CSU): Andere Journalisten sind da anders informiert!)
Das ist eigentlich ein verheerender Befund über den Zustand dieser Regierung.
Aber Politik ist manchmal paradox: Man muss geradezu froh sein, dass sich Union und SPD nicht mehr auf neue Gesetze einigen können.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Denn was die Koalition in den bisherigen zwei Jahren in der Gesetzgebung gemacht hat, war ja nichts anderes als eine Kaskade von Einschnitten in die Grundrechte. Mit ihrer bürgerrechtsunfreundlichen Politik hat diese Koalition nahtlos die Politik der rot-grünen Vorgängerregierung fortgesetzt.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Die innere Zerrissenheit der Koalition zeigt sich im Großen wie im Kleinen. Sie streiten ja nicht nur über zentrale Themen wie die heimliche Onlinedurchsuchung, sondern wir haben hier im Plenum auch oft die Spannungen in dieser Koalition live miterlebt, wenn sich die Kontrahenten aus Union und SPD beispielsweise über das Ausländerrecht coram publico gestritten haben. Sie sind nicht in der Lage, eine wirkliche Modernisierung des öffentlichen Dienstes auf den Weg zu bringen, und greifen die Vorschläge und Eckpunkte, die Otto Schily zusammen mit dem Deutschen Beamtenbund und mit Verdi vereinbart hat, eben gerade nicht auf. Sie versuchen, die Organisation der Bundespolizei neu zu regeln. Das hat bisher hauptsächlich zu Unruhe bei den Polizeibeamten geführt, aber nicht mehr Sicherheit produziert. Jetzt zeigt sich, wie der Spiegel am Montag geschrieben hat, Herr Körper:
Nach monatelangem Stillhalten torpediert die SPD
- der eigene Koalitionspartner! - nun die Reform der Bundespolizei.
(Fritz Rudolf Körper (SPD): Wir machen eine gute Reform!)
Ein letztes Beispiel würde man vielleicht eher als eine Begebenheit am Rande einstufen; es wirft aber ein bezeichnendes Schlaglicht auf den Zustand dieser Koalition. Sie wissen, dass in der Vorgängerregierung durch eine Verfügung des damaligen Staatssekretärs Lutz Diwell heimliche Onlinedurchsuchungen erlaubt worden sind. Wir haben im Innenausschuss den Wunsch, dass Herr Diwell uns dies persönlich erklärt; denn er hat nachher öffentlich gesagt, ihm sei gar nicht bewusst gewesen, was er da unterschrieben hat. Das scheint mir bei einem solchen Grundrechtseingriff doch ein sehr beachtlicher Vorgang. Daher haben wir Auskunft von Herrn Diwell im Innenausschuss erbeten.
(Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mehrfach!)
Die CDU/CSU hat unserem Ansinnen vernünftigerweise zugestimmt sehr zum Missfallen der SPD.
(Dr. Michael Bürsch (SPD): Nein!)
Das ist nur eine Begebenheit am Rande, die aber, wie ich glaube, doch zeigt, wie es um den Zustand dieser Koalition bestellt ist.
(Beifall bei der FDP – Reinhard Grindel (CDU/CSU): Er ist sehr, sehr gut! - Dr. Michael Bürsch (SPD): Herr Diwell hat doch schriftlich Auskunft gegeben!)
Meine Damen und Herren, kommen wir jetzt aber zur zentralen Kritik der FDP an der Innenpolitik dieser Koalition, kommen wir zum alles entscheidenden Thema in der Innenpolitik, nämlich dem Verhältnis von Sicherheit und Freiheit.
Ich möchte durchaus feststellen, dass es um die innere Sicherheit in Deutschland alles in allem befriedigend steht
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der SPD: Gut! - Reinhard Grindel (CDU/CSU): Man kann auch sagen: Gut!)
dank der guten Arbeit der Sicherheitsbehörden.
(Reinhard Grindel (CDU/CSU):Und des Ministers!)
Beispielsweise hat die Verhaftung von drei Verdächtigen, die offenbar einen Bombenanschlag geplant hatten, gezeigt, dass unsere Polizeibehörden eine gute Arbeit leisten,
(Reinhard Grindel (CDU/CSU): Das gelang wegen der akustischen Wohnraumüberwachung!)
und zwar auf der Basis der bestehenden Gesetze und ohne heimliche Onlinedurchsuchungen.
(Reinhard Grindel (CDU/CSU): Aber mit der akustischen Wohnraumüberwachung! Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Die FDP war auch dagegen!)
Um die innere Sicherheit mache ich mir daher keine so großen Sorgen, um die innere Liberalität in diesem Land aber schon.
(Beifall bei der FDP)
Ich kann es Ihnen nicht ersparen, dies zum wiederholten Male festzustellen: Der Schutz der Grundrechte ist bei Ihnen nicht in den besten Händen. Ich nenne Ihnen beispielhaft ein Zitat, das Ihnen doch zu denken geben müsste. Der renommierte Staatsrechtler und Verfassungsrichter Professor Udo di Fabio hat Ihnen ins Stammbuch geschrieben ich zitiere wörtlich aus der Süddeutschen Zeitung, was er gesagt hat :
Ich halte es für eine Krankheit, dass ständig unser System in Frage gestellt wird.
Das war an die Adresse dieser Großen Koalition gerichtet, und das müsste Ihnen doch endlich zu denken geben; denn Professor di Fabio hat recht.
Das erkennen wir an dem jüngsten Beispiel, nämlich der Vorratsdatenspeicherung. In der Debatte hier vor knapp zwei Wochen am 16. November 2007 war eines wirklich nicht nachvollziehbar: Die Redner der Großen Koalition haben entweder nicht verstanden oder nicht verstehen wollen, dass mit der Vorratsdatenspeicherung jetzt eine neue Qualität der Überwachung gesetzlich eingeführt worden ist; denn Sie sind damit von einem wichtigen Grundsatz abgewichen. Dieser Grundsatz lautet: Eingriffe in Bürgerrechte sind dann gerechtfertigt, wenn es konkrete Verdachtsmomente gegen konkrete Beschuldigte oder Verdächtige gibt. Das ist die notwendige Begrenzung, damit nicht uferlos und schrankenlos in die Grundrechte eingegriffen wird.
Wenn jemand konkret in Verdacht steht, eine schlimme Straftat zu planen, dann mag es richtig sein, sein Telefon zu überwachen oder die Telefonverbindungsdaten zu speichern. Es ist aber etwas fundamental Neues und anderes, die Daten von Millionen unverdächtigen Bürgerinnen und Bürgern zu speichern.
(Clemens Binninger (CDU/CSU): Sie werden doch zurzeit schon gespeichert!)
Das ist der Systemwechsel, den Udo di Fabio Ihnen vorwirft.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))
Herr Minister Schäuble, deswegen sind wir auch bei Ihren zahlreichen Interviewäußerungen misstrauisch. Ich nehme eine heraus, die öffentlich vielleicht wenig bemerkt worden ist, mir aber sehr verdächtig erscheint. Nur Sie selber wissen, was Sie gemeint haben mir ist das nicht ganz klar , als Sie am 9. Juli 2007 im Spiegel erklärt haben:
Wir sollten versuchen, ... Rechtsgrundlagen zu schaffen, die uns die nötigen Freiheiten im Kampf gegen den Terrorismus bieten.
Was soll das eigentlich heißen? Haben wir denn die nötigen Rechtsgrundlagen nicht?
(Reinhard Grindel (CDU/CSU):Nein! Norbert Barthle (CDU/CSU): Keine ausreichenden!)
Der Rechtstaat ist wehrhaft. Er kann sich auf der Basis der geltenden Gesetze zur Wehr setzen.
Wenn ich mir noch einmal das Stakkato, wie der Bundespräsident es bezeichnet hat, Ihrer Interviewäußerungen vor Augen führe, in denen Sie über Inhaftierung auf Verdacht, gezielte Tötungen targeted killing und anderes gesprochen und die Unschuldsvermutung relativiert haben, muss ich Ihnen sagen: Ein solcher Satz, mit dem Sie Freiheiten bei der Terrorismusbekämpfung beanspruchen, weckt in uns Liberalen den Verdacht, dort solle einem neuen Feindstrafrecht das Wort geredet werden, wie es manche in der strafrechtlichen Literatur verlangen.
(Zuruf von der CDU/CSU: Kaffeesatzleserei!)
Auch dagegen hat sich Udo di Fabio in seinem Beitrag in der Welt massiv verwahrt.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, wir wollen keinen Systemwechsel. Wir wollen, dass der Rechtsstaat sich so bewährt, wie er von den Müttern und Vätern des Grundgesetzes gestaltet worden ist.
In dem eingangs zitierten Artikel des Tagesspiegel hieß es am Schluss, mit der FDP in einer Regierung wäre es in der Innenpolitik auch schwierig. Meine Damen und Herren, das nehmen wir erstens als Kompliment; denn wenn es darum geht, die Grundrechte zu bewahren, muss man sperrig sein. Zweitens sage ich Ihnen Folgendes: Mit uns ist einfach zusammenzuarbeiten. Mit der FDP ist einfach zu regieren, wenn eine Politik betrieben wird, die sich strikt an den Grundrechten orientiert.
(Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wie bei Herrn Wolf in Nordrhein-Westfalen!)
Ihre Politik tut dies leider nicht.
(Beifall bei der FDP)
Rede vom 13.12.2007
Dr. Max Stadler (FDP):
Mit dem Beamtenstatusgesetz macht sich der Bundesgesetzgeber in Sachen Beamtenrecht noch kleiner, als er es nach der Föderalismusreform ohnehin schon ist. Es wird nicht einmal ansatzweise der Versuch unternommen, die verbliebene Kompetenz auszuschöpfen. Die Bundesregierung und in ihrem Schlepptau die Koalitionsfraktionen drücken sich um die Beantwortung zentraler Fragen schlichtweg herum.
Was ist eine in Berlin erworbene Laufbahnbefähigung in Bayern wert? Welcher Dienstherr hat in welcher Höhe für die Versorgung aufzukommen, wenn ein Beamter von Baden-Württemberg nach Nordrhein-Westfalen wechselt? Mit diesem Gesetz, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und SPD, betreiben Sie Kleinstaaterei. Sie sind dabei, das Berufsbeamtentum zu provinzialisieren. Damit machen Sie es gerade solchen Beamtinnen und Beamten schwer, die mobil sind, die bereit sind, für eine neue berufliche Herausforderung erforderlichenfalls ihren Wohnsitz auch in ein anderes Bundesland zu verlegen, oder die einfach nur den Wunsch haben, ihrem Partner an einen anderen Ort zu folgen. Für viele Beamtinnen und Beamte wird sich das Gesetz als Klotz am Bein, als echtes Mobilitätshemmnis erweisen. Ich sehe hier erhebli-chen gesetzgeberischen Nachbesserungsbedarf auf den Deutschen Bundestag zukommen.
Auch im Innenausschuss haben Sie auf die an-stehenden Fragen keine Antworten gegeben. Die Frage, wer für die Versorgung aufkommt, soll im Einzelfall entschieden werden. Die Frage der Aner-kennung von Laufbahnbefähigungen soll erneut aufgerufen werden, wenn die Länder ihr Laufbahnrecht geregelt haben. Auf diese Weise lassen Sie den Langsamsten das Tempo bestimmen. Das kann man beim Sonntagsspaziergang machen. Das darf aber nicht Handlungsmaxime zur Regelung des Statusrechts der Beamtinnen und Beamten in den Ländern und Gemeinden sein. Hier kommt dem Bundesgesetzgeber die Funktion zu, gemeinsame Maßstäbe für die Zukunft des Berufs-beamtentums zu setzen. Art. 33 Abs. 5 des Grundgesetzes weist dem Bundesgesetzgeber im gesamtstaatlichen Interesse eine vorrangige Verantwortung für die Funktionsfähigkeit des Berufsbeamtentums zu. Es ist danach Aufgabe des Bundesgesetzgebers, einheitliche Grundstrukturen für alle Dienstherren zu schaffen und die verfassungsrechtlichen Vorgaben durch gesetzgeberische Entscheidungen auszufüllen. Diesen Anforderungen wird das Beamtenstatusgesetz nicht annähernd gerecht.
Aus liberaler Sicht ist ein weiterer wichtiger Punkt zu kritisieren: das Fehlen eines Leitbildes. Wie soll das Berufsbeamtentum der Zukunft aussehen? In welchen Bereichen und bei der Erledigung welcher Aufgaben sollen auch zukünftig Beamtinnen und Beamte zum Einsatz kommen? Was ist mit der Aufgabe des Beamtenrechts, politisch motivierte Personalentwicklung zu verhindern? Wie geht es weiter mit den verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen im Besoldungs- und Versorgungsrecht? Hierauf gibt das Gesetz keine Antworten. Eine Festlegung der Funktion des Berufsbeamtentums unterbleibt. Eine statusrechtliche Absicherung der Alimentation fehlt. Ebenso fehlen ei-ne Absicherung des Anspruchs auf Teilhabe an der allgemeinen Einkommensentwicklung und eine Verankerung des Grundsatzes, dass die Rechtsstellung der Beamtinnen und Beamten nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes geregelt werden kann.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Uns geht es nicht um Redundanz. Wir sehen aber die Gefahr, dass der hier praktizierte gesetzgeberische Minimalismus ganz schnell auch in einen beamtenpolitischen Relativismus umschlagen kann. Hierauf wurde bereits in der Sachverständigenanhörung hingewiesen. Aus dem Gesetz wird nicht klar, warum wir überhaupt noch Beamtinnen und Beamte brauchen. Das ist Wasser auf die Mühlen derer, die das Berufsbeamtentum am liebsten gleich ganz abschaffen würden. Das ist nicht der Weg der FDP. Wir bekennen uns zum Berufsbeamtentum und wollen es durch eine Konzentration auf Kernbereiche stärken. Ein solches Bekenntnis hätten wir uns auch von den Koalitionsfraktionen gewünscht. Dem Statusgesetz ist ein solches Bekenntnis nicht zu entnehmen. Auch deshalb wer-den wir es ablehnen.
Rede vom 06.03.2008
Anrede,
seit Tagen wird landauf landab intensiv darüber diskutiert, dass im großen Umfang die Möglichkeiten des Bankensystems in Liechtenstein auch von Deutschen dazu genutzt wurden, Steuern in erheblicher Höhe zu hinterziehen. Die FDP ist selbstverständlich der Auffassung, dass solche Delikte wie alle anderen Straftaten auch verfolgt und bestraft werden müssen. Ebenso wie bei allen anderen Straftaten sind dabei die rechtsstaatlichen Regeln strikt einzuhalten.
Ob dies der Fall war, erscheint allerdings sehr zweifelhaft. Die für Steuerdelikte richtigerweise zuständige Steuerfahndung hat ihre Ermittlungen gemeinschaftlich mit dem Bundesnachrichtendienst durchgeführt. Letzterer ist unstrittig für die Aufklärung von Steuerhinterziehung nicht zuständig.
Die Einhaltung der jeweiligen Kompetenzen ist durchaus sehr wichtig: Die Steuerfahndung ist bei ihren strafrechtlichen Ermittlungen an die Vorschriften der Strafprozessordnung gebunden. Dies darf nicht dadurch umgangen werden, dass in Strafverfahren plötzlich geheimdienstliche Ermittlungsmethoden einfließen, indem der Bundesnachrichtendienst über den Umweg der „Amtshilfe“ beigezogen wird.
Genau dies ist aber im Fall Liechtenstein geschehen. Es handelt sich also um einen in jeder Hinsicht bedeutsamen Vorgang aus der Tätigkeit des Bundesnachrichtendienstes. Deshalb bestand für die Bundesregierung die gesetzliche Verpflichtung, das Parlamentarische Kontrollgremium hierüber zu unterrichten. Dies ist nicht rechtzeitig geschehen.
Dieser aktuelle Vorgang zeigt, dass die Arbeit des Parlamentarischen Kontrollgremiums dringend reformbedürftig ist. Die deutschen Nachrichtendienste haben zur Erfüllung ihrer verantwortungsvollen Tätigkeit in den letzten Jahren immer mehr Befugnisse bekommen. Demgemäß muss auch die Parlamentarische Kontrolle effektiver werden. Hierfür hat die FDP-Bundestagsfraktion am 05.04.2006 einen eigenen Gesetzentwurf zur Änderung des Kontrollgremiumgesetzes eingebracht.
Es ist ein nahezu skandalöses Versäumnis der Großen Koalition, dass dieser konkrete Reformvorschlag der FDP bisher keine Zustimmung bei der SPD und der CDU/CSU gefunden hat. Während bei einzelnen Unionsabgeordneten durchaus Gesprächsbereitschaft bestand, wollte die SPD mit dem fadenscheinigen Argument, man müsse erst die Beendigung des BND-Untersuchungsausschusses abwarten, das Thema auf die lange Bank schieben.
Das geht jetzt nicht mehr, weil die Bundesregierung das Kontrollgremium in der Liechtenschein-Affäre zum wiederholten Male missachtet hat und nunmehr endlich auch die Sozialdemokraten einsehen, dass das Parlament sich eine faktische Schwächung der Kontrollrechte nicht mehr länger bieten lassen kann.
Deswegen ist es erfreulich, dass endlich fraktionsübergreifende Gespräche vereinbart werden konnten. Die FDP wird auf der Basis des eigenen Gesetzentwurfes dazu beitragen, dass am Ende eine gemeinsame Lösung stehen könnte, mit der das Parlament seine Kontrollbefugnis gegenüber der Bundesregierung und den Nachrichtendiensten besser erfüllen kann.
Auch aus dem heute zu beratenden Antrag der Grünen „Für eine wirksamere Kontrolle der Geheimdienste“ können dabei einige Gedanken in die im April beginnenden fraktionsübergreifenden Gespräch eingeführt werden. Somit ist festzustellen, dass die FDP das Grundanliegen des Antrags der Grünen teilt, jedoch nicht bei allen Einzelfragen den Lösungsvorschlägen der Grünen zustimmt. Dies heute im Detail zu erörtern, erübrigt sich, da ja - wie schon dargestellt - schon in der übernächsten Sitzungswoche die Berichterstattergespräche zu der überfälligen Reform beginnen.
Die FDP enthält sich daher der Stimme hinsichtlich des Antrages der Grünen. Das Reformvorhaben als solches werden wir aber mit aller Kraft vorantreiben.
Rede vom 11.04.2008
Dr. Max Stadler (FDP):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die FDP tritt seit langem für eine wirksamere
Kontrolle der Nachrichtendienste ein. Wir haben dazu längst einen Gesetzentwurf eingebracht. Jetzt – das ist das erfreuliche Ereignis dieser Woche – beginnt die Koalition, unserer Initiative zuzustimmen; sie hat sie aufgegriffen. Wir werden hier einen Schritt vorankommen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)
Aber wir stehen auch nicht an, nach der Sitzung des Kontrollgremiums am Mittwoch ganz offen zu sagen: In der Libyen-Affäre geht es gar nicht um eine Affäre des Bundesnachrichtendienstes, sondern um erhebliche Versäumnisse der Bundesregierung.
(Beifall bei der FDP)
Die Debatte über die Rolle des Bundesnachrichtendienstes hätte beinahe den Blick auf die Unterlassungen der Bundesregierung verstellt. Deswegen ist es notwendig, heute in der Aktuellen Stunde darauf noch einmal zurückzukommen. Da passt sehr gut, dass der Tagesspiegel heute unter der Überschrift „Brutal, korrupt, chaotisch“ eine Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik über die derzeitige politische Lage in Libyen zitiert. Nach dieser Studie sei Europa in der Sicherheitspolitik gut beraten, „eine gewisse Distanz zu Libyen zu wahren“. Die Studie mahnt Vorsicht bei der „Kooperation mit libyschen Sicherheitsapparaten im Kampf gegen den Terrorismus“ an. Gerade Oppositionelle würden in Libyen weiterhin als Terroristen gebrandmarkt. Das ist der aktuelle Hintergrund. Es liegt doch auf der Hand, dass dann, wenn Deutsche, und sei es eine private deutsche Sicherheitsfirma, an der Ausbildung von Polizisten, womöglich von Geheimpolizisten, in einem solchen Staat beteiligt sind, ein solcher Sachverhalt geeignet ist, unser Ansehen in der Welt zu schädigen.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wenn dem so ist, dann darf eine Bundesregierung nicht einfach abtauchen und die Dinge laufen lassen. Nicht ohne Grund hat doch Wolfgang Bosbach, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU, gesagt – ich zitiere ihn wörtlich –: Allein bei Erwähnung des Namens Libyen müssen beim BND alle roten Lampen angehen. Ich füge hinzu: nicht nur beim BND, sondern auch beim Bundesinnenministerium, beim Auswärtigen Amt und bei der gesamten Bundesregierung.
(Beifall bei der FDP)
Was haben wir stattdessen in den letzten Tagen erlebt? Diese Bundesregierung erweckt in der Öffentlichkeit den Eindruck, als hätte sie von den Vorgängen in Libyen überhaupt nichts gewusst. Dieses Wegducken ist nicht weiter zulässig. Denn es ist nachweislich falsch, dass die Bundesregierung hier unwissend gewesen wäre. Leider kommt die Wahrheit nur scheibchenweise ans Tageslicht. Das Bundesinnenministerium hat selber vorgetragen, im November 2007 informiert worden zu sein, und zwar von der Landesregierung Nordrhein-Westfalens. Das Bundesverteidigungsministerium hat vorgetragen, im Jahr 2006 informiert gewesen zu sein. Wir wissen, dass das Auswärtige Amt weitaus früher informiert war; im Dezember 2005 hat das Auswärtige Amt ja zu einer Munitionslieferung nach Libyen Stellung genommen und richtigerweise seine Meinung kundgetan, diese sei zu untersagen. Dann kann man aber doch allenfalls sagen, man habe vielleicht über Details nicht Bescheid gewusst. Auf jeden Fall wusste man: Eine deutsche Sicherheitsfirma ist in einem hochsensiblen Bereich in einem hochproblematischen Land tätig. Deswegen ist die FDP der Meinung, dass die Bundesregierung mindestens einen Rechtsverstoß und drei Verstöße gegen ihre politischen Obliegenheiten begangen hat.
(Beifall bei der FDP)
Den Rechtsverstoß hat die Bundesregierung begangen, indem sie dem Parlamentarischen Kontrollgremium nicht darüber berichtet hat. Außerdem hat sie drei politische Unterlassungen begangen: Erstens. Sie hat nicht die Landesregierungen der betroffenen Bundesländer informiert, die ja beamtenrechtlich hätten einschreiten können. Zweitens. Die Bundesregierung hat nicht den Bundestag über den Sachverhalt in Libyen informiert, wodurch sie eine Debatte darüber hätte herbeiführen können, ob man aus außenpolitischen Gründen sozusagen einen Wandel durch Annäherung anstreben sollte oder ob es die richtige Politik wäre, die Distanz zu Libyen gerade in diesem sensiblen Sicherheitsbereich als Letztes aufzugeben und den Wandel vielleicht erst in anderen Bereichen zu fördern.
(Beifall bei der FDP)
Drittens. Die Bundesregierung sagt, sie habe keine rechtliche Handhabe gehabt, einzuschreiten. Dann hätte sie aber dem Bundestag diesen Sachverhalt „Libyen“ vortragen und eine Debatte etwa über eine Ausweitung des Außenwirtschaftsgesetzes herbeiführen können, vielleicht mit Anzeigepflichten beim Export von problematischen Dienstleistungen in problematische Länder. Meine Damen und Herren, die CDU/CSU hat 2004 einen sehr schönen Antrag zu diesem Thema gestellt. Warum nehmen Sie diesen Antrag jetzt, wo Sie in der Regierung sind, nicht zum Maßstab Ihres Handelns?
(Beifall bei der FDP)
Es bleibt dabei: Die Affäre Libyen reicht weit über den Bundesnachrichtendienst hinaus.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Kollege Stadler, achten Sie bitte auf Ihre Redezeit?
Dr. Max Stadler (FDP):
Die Affäre ist ein Beleg für Defizite der Bundesregierung im Umgang mit problematischen Staaten und für
Unterlassungen im Umgang mit diesem Parlament. Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP)
Rede vom 07.05.2008
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Für die FDP-Fraktion hat nun das Wort der Kollege Dr. Max Stadler.
(Beifall bei der FDP)
Dr. Max Stadler (FDP):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr von Klaeden, trotz Ihres Bemühens um eine wirklich intelligente Herleitung dessen, was die Union in ihrem Papier fordert, bleibe ich dabei: Ein Nationaler Sicherheitsrat ist überflüssig, verfassungspolitisch verfehlt und verfassungsrechtlich mehr als bedenklich.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Sie haben allerlei Ausnahmesituationen angeführt – von der Schleyer-Entführung bis zum NPD-Verbotsverfahren –, die miteinander nichts zu tun haben und über die schlichte Tatsache hinwegtäuschen könnten, dass die Koordinierung ohnehin selbstverständliche Aufgabe einer Bundesregierung ist. Es bedarf also nicht eines neuen Gremiums, das die politischen Achsen nur verschieben würde.
(Beifall bei der FDP)
Ich stelle mir daher die Frage, wie die Union dazu kommt, ein solches Papier jetzt in die Debatte einzubringen. Kollege Kolbow hat von parteipolitischer Profilierung gesprochen. Die Älteren unter uns – leider gehöre auch ich dazu – werden sich noch an die Große Koalition von 1966 erinnern. Diese war im dritten Jahr ihres Bestehens ebenfalls tief zerstritten. Herr Strauß und Herr Schiller inszenierten damals einen Streit über die D-Mark-Aufwertung. Dies wurde dann zu einem Wahlkampfthema. Wir haben die Sorge, dass die Debatte, die Sie von der CDU/CSU nun begonnen haben, mehr ist als ein vorgezogener Wahlkampf. Wir haben die Sorge, dass es Ihnen um eine entscheidende innenpolitische Weichenstellung geht.
(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Kann man so sehen!)
Denn Ihre Vorschläge stellen den wiederholten Versuch dar, unsere bewährte Sicherheitsarchitektur auf den Kopf zu stellen und bei der Abwehr terroristischer Gefahren dem amerikanischen Vorbild zu folgen. Aber gerade bei diesem Thema ist das der falsche Weg.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir von der FDP setzen dem unsere Verfassungstradition entgegen, von der Sie sich gerade verabschieden wollen. Die FDP ist der Überzeugung: Der Rechtsstaat ist wehrhaft, und es gibt keinen Anlass, rechtsstaatliche Grundsätze aufzugeben.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)
Deswegen haben wir mit Sorge in Ihrem Entwurf nicht nur Ihr ewiges Mantra gelesen, dass die Trennung von äußerer und innerer Sicherheit überholt sei. Sie haben vielmehr geschrieben, die Trennung von Kriegszustand und Friedenszeit sei nicht länger aufrechtzuerhalten.
(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Sie haben nur die Zeitung gelesen, nicht unser Papier!)
Das ist in Ihrem letzten Beschluss nicht mehr enthalten. Die Formulierung fehlt in dem Papier. Aber der Duktus des Papiers beruht genau auf dieser fehlerhaften Annahme.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)
Von dem Denkansatz, wir befänden uns in einem ständigen Kriegszustand, kommen Sie zu falschen Schlüssen.
Wir halten dagegen Folgendes fest: Erstens. Es bleibt bei der Trennung der Aufgaben von Bundeswehr und Polizei.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN und des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])
Die Bundeswehr ist keine Hilfspolizei im Inland.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Der bekannte Bundesverfassungsrichter Udo Di Fabio hat im November in der Welt geschrieben, die Trennung der Aufgaben von Polizei und Militär sei eine zivilisatorische Errungenschaft. An dieser Errungenschaft wollen wir festhalten.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])
Zweitens. Wir halten an der strikten Trennung der Aufgaben von Polizei und Nachrichtendiensten fest.
Drittens. Wir halten daran fest, dass es Eingriffe in die Bürgerrechte nur bei konkreten Gefahrenlagen geben darf.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)
Sie von der CDU/CSU sprechen dagegen in Ihrem Papier davon, man müsse die Abwehrrechte gegen den Staat, also die Grundrechte, anpassen. Nein, die Grundrechte sind nicht anzupassen, sondern zu bewahren. Das ist unsere Aufgabe als Parlament.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Willy Wimmer [Neuss] [CDU/CSU] – Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Nein, das steht da nicht! – Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/ CSU]: Sie haben es nicht gelesen!)
– Es sind Ihre Formulierungen. Es tut mir leid, Herr Schockenhoff, aber Sie haben von uns verlangt, Ihr Papier gründlich zu lesen. Das haben wir gemacht.
(Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [FDP] – Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Das interpretieren Sie falsch!)
Das wendet sich nun gegen Sie.
Ich komme daher zu dem Ergebnis: Der Beschluss der CDU/CSU-Fraktion enthält sowohl außenpolitisch als auch insbesondere innenpolitisch eine falsche, ja eine gefährliche Tendenz. Wir als FDP bleiben bei den bewährten Strukturen des Grundgesetzes.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP)
Deshalb haben Ihre Vorschläge keine Chance auf Realisierung. Ich möchte Ihnen mit Udo Di Fabio sagen, der es in der Welt auf den Punkt gebracht hat, als er formulierte:
Westen muss Westen bleiben. … Gerade deswegen gilt: Sicherheit, aber in Freiheit.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN).
Rede vom 29.05.2008
Anrede,
Die FDP hatte seinerzeit die Einmalleistung für Kriegsgefangene und Geltungskriegsgefangene als Symbol der Anerkennung und als Geste der Wiedergutmachung gegenüber ostdeutschen Heimkehrern begrüßt. Wir waren allerdings nicht damit einverstanden, dass erst ein sehr spätes Inkrafttreten zum 1. Januar 2009 vorgesehen war. Die FDP-Bundestagsfraktion hatte stattdessen eine großzügigere Lösung angeregt. Die noch lebenden ehemaligen Kriegsgefangenen befinden sich nämlich in einem weit fortgeschrittenen Alter. Ein weiteres Zuwarten erschien uns daher nicht angebracht. Dies habe ich für die FDP-Bundestagsfraktion schon in der Plenardebatte am 8. November 2007 zum Ausdruck gebracht.
Mit dem jetzigen Gesetzentwurf greifen die Koalitionsfraktionen diesen zentralen Kritikpunkt der FDP-Bundestagsfraktion auf.
Dieser Meinungsumschwung innerhalb der Regierungsfraktionen ist zu begrüßen. Wir unterstützen daher den nunmehrigen Gesetzentwurf der CDU/CSU und der SPD. Die FDP stimmt daher dem Änderungsgesetz zu.
Rede vom 20.06.2008
Dr. Max Stadler (FDP):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Streit zwischen der CDU/CSU und der SPD um das neue Gesetz über das Bundeskriminalamt ist ein deutliches Zeichen für die Handlungsunfähigkeit der Koalition in der Innenpolitik.
(Reinhard Grindel (CDU/CSU): Ja, ja, das hätten Sie gerne!)
Allerdings hat diese Zerstrittenheit in dem speziellen Fall ihr Gutes: Jeder, der sich um den Schutz der Bürgerrechte sorgt, muss froh sein, wenn dieser Gesetzentwurf so am Ende nicht verabschiedet wird.
(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))
Wir sind allerdings skeptisch, ob der in dieser Woche neuerdings von Herrn Wiefelspütz formulierte Widerspruch der SPD wirklich ernst gemeint ist. Frau Justizministerin Zypries, es trifft sich gut, dass Sie der Debatte hier beiwohnen; denn Sie haben in der Öffentlichkeit monatelang mit Erfolg den Eindruck erweckt, als seien Sie eine entschiedene Gegnerin heimlicher Onlinedurchsuchungen von privaten Computern. Jetzt haben Sie im Kabinett einem Gesetzentwurf zugestimmt, der genau diese tief in die Privatsphäre eingreifende Maßnahme beinhaltet. Daher sind wir im Zweifel darüber, ob das, was die SPD macht, wirklich mehr als ein taktischer Widerstand ist.
Herr Minister Schäuble, es geht hier keineswegs darum, wie bei einem Puzzle aus den verschiedenen Landespolizeigesetzen die dort formulierten Befugnisse zu einem BKA-Gesetz zusammenzufügen, sodass das Ganze nur eine Sammlung ohnehin bestehender Normen auf Bundesebene wäre. Es geht vielmehr um eine grundsätzliche Änderung des Sicherheitssystems, und zwar in einer Weise, die wir als FDP entschieden ablehnen.
(Beifall bei der FDP)
Ich nenne Ihnen auch die Hauptgründe. Man könnte ja über viele Punkte sprechen. Frau Piltz hat unsere Kritik an der heimlichen Onlinedurchsuchung zu Recht schon erwähnt. Ich will mich hier jetzt auf drei Kerngesichtspunkte beschränken:
Erstens. Die Polizei ist im Grundgesetz aus gutem Grunde als Ländersache definiert. Mit diesem Gesetzentwurf wird ohne Not in die bewährte Arbeit der Landeskriminalämter und der Landespolizeien eingegriffen.
(Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Genau!)
Kompetenzstreitigkeiten und Reibungsverluste werden die Folge sein. Die Abgrenzungskriterien sind unscharf. Ich sage Ihnen: Das ist kein Sicherheitsgewinn, sondern ein ungerechtfertigtes Misstrauen gegenüber der ausgezeichneten Arbeit der Landespolizeien. Das ist das, was Sie hier veranstalten.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Frank Hofmann (Volkach) (SPD): Die Länder sehen das aber anders! Sonst hätten sie nicht zugestimmt!)
Zweitens. Durch dieses Gesetz wird eine Fülle von Grundrechtseingriffen ohne ausreichende Begrenzung zugelassen. Lieber Kollege Wolfgang Bosbach, das ist eben keine einfache Übernahme von Vorschriften, die in den Ländern entsprechend definiert sind. Wenn man etwas genauer hinschaut, dann erkennt man, dass das BKA Eingriffsbefugnisse erhält, für die die Voraussetzungen bei Weitem nicht so streng sind.
Ich nenne als Beispiel den sogenannten Spähangriff, also die Videoüberwachung von Wohnungen. Jeder wird ja wohl zustimmen, dass das ein immenser Eingriff in die Privatsphäre bzw. sogar in die Intimsphäre ist. In Landespolizeigesetzen wird dafür immerhin die Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib und Leben verlangt. Das ist in Ihrem Entwurf des BKA-Gesetzes gerade nicht der Fall. Dies ist ein Beispiel dafür, dass Sie hier Grundrechtseingriffe zulassen und keineswegs die bewährte Polizeirechtstradition übernehmen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wenn man sich zugleich vor Augen führt, dass das Bundeskriminalamt jetzt weit in den präventiven Bereich hinein tätig werden darf das heißt, es wird dort vorbeugend tätig, wo noch gar keine konkreten Straftaten drohen , und wenn man bedenkt, dass dieser Behörde Maßnahmen gestattet werden, die vom Typ her nachrichtendienstlicher Art sind, dann kommt man eben zu dem Ergebnis das ist unsere Bewertung : Sie schaffen eine Mischform von Polizei- und Nachrichtendienst und verstoßen damit zugleich in eklatanter Weise gegen den bewährten Grundsatz der Trennung von Polizeiarbeit und nachrichtendienstlicher Arbeit. Das ist unser zweiter Einwand.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Ich nenne drittens noch ein kleines, aber markantes Beispiel, wie Sie mit den Grundrechten der Bürgerinnen und Bürger umgehen. Wenn gegen eine Person heimlich vorgegangen und in die Grundrechte eingegriffen wird das betrifft nicht nur Verdächtige, sondern auch viele andere Personen , dann kann man zumindest erwarten, dass anschließend eine Benachrichtigung erfolgt, damit man sich gerichtlich zur Wehr setzen kann.
(Klaus Uwe Benneter (SPD): So ist es!)
Nicht einmal das ist in Ihrem Gesetzentwurf sichergestellt.
(Klaus Uwe Benneter (SPD): Das werden wir sicherstellen! Darauf können Sie sich verlassen!)
Darin liegt ein eklatanter Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes.
(Beifall bei der FDP)
Die Liste der Kritikpunkte ließe sich beliebig fortsetzen. Ich komme zu dem Fazit: Die Koalition hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, der die bewährte Sicherheitsstruktur im föderalistischen Staatsaufbau zerstört, der keinen erheblichen Sicherheitsgewinn bringt, der aus dem Bundeskriminalamt eine Mischform zwischen Polizei und Nachrichtendienst macht und der in Teilen offenkundig verfassungswidrig ist. Wir stimmen dem Gesetzentwurf keinesfalls zu.
(Beifall bei der FDP)
Ich komme zum Schluss. Herr Minister Schäuble, vor drei Wochen haben Sie in der Akademie für Politische Bildung in Tutzing Ihre Vorstellungen der Sicherheitspolitik dargelegt. Dort hat am selben Tag der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Professor Papier, gesprochen. Er hat seinen sehr bemerkenswerten Vortrag mit einem bekannten Zitat des Philosophen Spinoza begonnen: „Der Zweck des Staates ist in Wahrheit die Freiheit.“ Zu diesem Staatszweck leistet Ihr Gesetzentwurf keinen Beitrag.
(Beifall bei der FDP und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Rede vom 26.06.2008
Anrede,
Der Gesetzgeber tut sich bekanntlich schwer, wenn er in eigener Sache zu entscheiden hat. Erst vor wenigen Wochen hat der Deutsche Bundestag über die Erhöhung der Abgeordnetendiäten beraten. Die massive Kritik der parlamentarischen Opposition sowie der Öffentlichkeit hat die Koalitionsfraktionen schließlich dazu bewogen, von ihren Ursprungsplänen Abstand zu nehmen. Immer dann, wenn sich die Abgeordneten mit ihren eigenen Rechtsverhältnissen befassen, steht automatisch der Vorwurf der Selbstbedienung im Raum. Dieser Umstand ist jedoch zentraler Bestandteil des Systems. Aus diesem Grund wirbt die FDP-Bundestagsfraktion seit Jahren für einen Systemwechsel bei der Entschädigung von Politkern. In der Regel befassen wir uns im Deutschen Bundestag mit einer Erhöhung oder einer Anpassung der Versorgungsleistungen für Abgeordnete. Es ist daher grundsätzlich anzuerkennen, dass die Bundesregierung mit ihrem Gesetzentwurf für ein Drittes Gesetz zur Änderung des Bundesministergesetzes Regelungen vorschlägt, die im Ergebnis zu Kürzungen bei der Ministerversorgung führen. Der Gesetzentwurf bemüht sich, die Einschnitte und Änderungen, die Arbeiter, Angestellte und Beamte in jüngster Zeit bei der Altersversorgung erfahren haben, auch für Bundesminister nachzuvollziehen. Dazu gehört bspw. die schrittweise Anhebung der Regelaltersgrenze auf 67 Jahre, die Heraufsetzung der Mindestamtszeit für den Bezug von Ruhegehalt auf 4 Jahre sowie die Kürzung der maximalen Dauer des Bezuges von Übergangsgeld auf 2 Jahre. Soweit so gut. Ein näherer Blick auf den Gesetzentwurf zeigt jedoch, dass der Gesetzeszweck durch zahlreiche Ausnahmetatbestände in vielen Fällen vereitelt wird. So bleiben die Mitglieder der derzeitigen Bundesregierung von den Kürzungen in dem Gesetzentwurf weitgehend verschont. Von der Neuregelung werden alle Minister ausgenommen, die bereits vor dem Regierungswechsel im November 2005 im Amt waren. Darüber hinaus werden ehemalige Mitglieder einer Landesregierung so behandelt, als wären sie die gesamte Zeit Mitglied der Bundesregierung gewesen. Damit ist auch an die Bundesminister de Maiziere, Schavan und von der Leyen gedacht. Ich will keineswegs bestreiten, dass Regelungen zum Vertrauensschutz notwendig und rechtlich geboten sein können. Wenn der Bundesregierung aber daran gelegen ist, die Einschnitte, die den Bürgerinnen und Bürgern in den letzten Jahren zugemutet wurden, auf sich selbst zu übertragen, hätte ich mir durchaus mutigere Schritte vorstellen können. Auch bei der Regelung über die Frühpensionierung gelingt die Gleichstellung an Beamte nicht. Während Bundesbeamte erst ab dem 63. Lebensjahr die Möglichkeit der Frühpensionierung haben, soll dies für Mitglieder der Bundesregierung bereits ab dem 60. Lebensjahr gelten.
Im Zentrum der Diskussion der vergangenen Monate stand die sog. „Ehrenpension“ für die Mitglieder der letzten frei gewählten DDR-Regierung de Maiziere. Das Ruhegehalt ist gedacht als Anerkennung für den Einsatz der Regierung de Maiziere beim demokratischen Neuanfang nach der Wende 1989. Mit der Bundesregierung ist die FDP-Bundestagsfraktion der Auffassung, dass die Arbeit der letzten DDR-Regierung zu würdigen ist und ihr Beitrag für die parlamentarische Demokratie dauerhaft Bestand haben wird. Dennoch ist es den Bürgerinnen und Bürgern nur schwer vermittelbar, wenn der ehemalige Ministerpräsident und seine Minister aufgrund einer Amtszeit von nur wenigen Monaten nach dem 55. Lebensjahr Anspruch auf eine Pension in Höhe von rund 800 € bzw. 650 € haben. In welchem Verhältnis steht dies zu der Rente, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zusteht, nachdem sie mehrere Jahrzehnte in die gesetzliche Rentenkasse einbezahlt haben? Hier liegt es allein in der Verantwortung der Bundesregierung, den Bürgerinnen und Bürgern diese Regelung zu vermitteln. Ein gutes Gefühl scheint die Bundesregierung bei dieser Regelung wohl auch nicht gehabt zu haben. Schließlich haben die Koalitionsfraktionen kurz vor der Abstimmung noch einen Änderungsantrag präsentiert, mit dem der Ruhegehaltssatz von ursprünglich 7 % auf 5 % der Bezüge herabgesenkt wird.
So begrüßenswert der Ansatz des Gesetzentwurfes insgesamt auch ist, so bedauerlich ist, dass die Bundesregierung nicht den Mut zu einer grundlegenden Reform des Bundesministergesetzes gefunden hat. 11 Jahre nach der letzten Änderung des Gesetzes wäre die Zeit dafür reif gewesen. Gerade bei den Anrechnungsvorschriften von Versorgungsbezügen gibt es, gerade auch aus jüngster Zeit, Fälle, die einer intensiveren Diskussion bedurft hätten. Nicht in allen Fällen kann eine Doppelversorgung tatsächlich vermieden werden. So hat z. B. das Verwaltungsgericht Kassel in einer Entscheidung von April diesen Jahres darauf hingewiesen, dass das geltende Recht keine Vorschriften für die Anrechnung von Ruhegehältern kennt, wenn jemand erst in der Kommune und dann im Bundestag tätig gewesen ist. Es wäre wünschenswert gewesen, wenn die Bundesregierung auch solche Fälle bei der Ausgestaltung ihres Entwurfs im Blick gehabt hätte.
Trotz einiger positiver Ansätze bei der Reform der Ministerversorgung wird sich die FDP-Bundestagsfraktion bei der Abstimmung enthalten.
Rede vom 27.06.2008
Anrede,
Die große Koalition hätte heute die Chance, aufgrund eines Antrags der FDP-Bundestagsfraktion die Bundesregierung zur Lösung eines Problems aufzufordern, das in den Kommunen sehr viele Menschen beschäftigt. Es geht um mehr Öffentlichkeit und Transparenz bei der Entscheidungsfindung in der Kommunalpolitik. Die Lösung wäre, wie ich noch ausführen werde, einfach. Mir ist völlig unverständlich, warum CDU/CSU und SPD offenbar dieses Thema nicht anpacken wollen.
Tatsache ist, dass aus unterschiedlichen Gründen landauf, landab vielfach die Erfüllung kommunaler Aufgaben in neu gegründete Gesellschaften mit beschränkter Haftung oder sogar Aktiengesellschaften ausgelagert worden sind. Wir reden nicht über echte Privatisierung, sondern nur über eine Änderung der Rechtsform, denn der FDP-Antrag bezieht sich auf solche Gesellschaften, die vollständig in kommunaler Hand sind.
Dabei handelt es sich beispielsweise um den Betrieb von Schwimmbädern, die Erbringung von Leistungen der Daseinsvorsorge, die Verwaltung kommunaler Grundstücke, die örtliche Energieversorgung.
Diesen Beispielen ist gemeinsam, dass in den Aufsichtsgremien der so gegründeten Gesellschaften kommunalpolitische Entscheidungen getroffen werden, übrigens regelmäßig von denselben Kommunalpolitikern, die vorher Mitglieder des entsprechenden Stadtrats- oder Kreistages- oder Gemeinderatsausschusses gewesen sind.
Wir haben es aufgrund dieser Organisationsprivatisierungen also mit kommunalpolitischer Entscheidungsfindung im privatrechtlichen Gewande zu tun.
Dass es diese Entwicklung gegeben hat, hat nachvollziehbare, häufig steuerrechtliche Gründe.
Zu Recht wird aber von interessierten Bürgerinnen und Bürger als Manko empfunden, dass damit kommunalpolitische Debatten in nicht öffentlichen Sitzungen stattfinden. Dies ist ein Verlust an Offenheit und Transparenz, der nicht sein müsste, wenn man für kommunale Gesellschaften Sonderregeln zulassen würde.
Das GmbH-Gesetz schreibt zwingend die Nicht-Öffentlichkeit von Aufsichtsratssitzungen vor und unterwirft die Aufsichtsratsmitglieder einer Verschwiegenheitspflicht. Diese strengen Regelungen sind verständlich, da sie ursprünglich natürlich für echte private Gesellschaften vorgesehen waren.
Auf die Entscheidungsfindung kommunaler GmbHs passen diese Vorschriften nicht. Vielmehr gilt im Kommunalrecht der Grundsatz der Öffentlichkeit der Verhandlungen. Kommunalrecht als Landesrecht hat aber hinter Bundesrecht zurückzutreten.
Dies ist unbefriedigend. Selbstverständlich gibt es auch nach Auffassung der FDP in kommunalen Gesellschaften einzelne Fragen, die nicht öffentlich zu verhandeln wären, wie etwa Personalfragen oder Themen, bei denen eine GmbH im Wettbewerb zu anderen GmbHs steht. Die allermeisten Fragen könnten aber ohne irgendeinen Schaden für die kommunalen GmbHs öffentlich und ohne Verschwiegenheitspflicht verhandelt werden.
Dies wird zunehmend auch in der Rechtssprechung so gesehen. Das Verwaltungsgericht Regensburg hat in einer Entscheidung vom 02.02.2005 den Grundsatz der Öffentlichkeit für vorrangig erklärt.
Mit Hinweis auf diese Tendenz in der Rechtssprechung meint die Koalition offenbar, es bestehe keinerlei Handlungsbedarf. In den Ausschussberatungen ist von der Koalition vorgetragen worden, die gewünschte Transparenz könne auch durch örtliches Satzungsrecht hergestellt werden. Dieser Lösungsvorschlag reicht jedoch nicht aus. Denn nach wie vor bewegt sich eine untergerichtliche Rechtssprechung, die nur aus allgemeinen Erwägungen heraus den Öffentlichkeitsgrundsatz für vorrangig erklärt, auf schwankendem juristischen Boden. Den Bürgerinnen und Bürgern, aber auch den Mitgliedern der Aufsichtsgremien, wäre mehr gedient, wenn im Bundesrecht eine eindeutige Klärung der strittigen Rechtslage erfolgen würde. Zu denken wäre etwa daran, im GmbH-Gesetz eine Öffnungsklausel für kommunale GmbHs vorzusehen, so dass die ansonsten im GmbH-Gesetz angelegt strikte Nichtöffentlichkeit gelockert werden könnte.
Solange der Bundesgesetzgeber diese seine Aufgabe der Klarstellung nicht erfüllt, besteht die Gefahr, dass öffentlich gefasste Beschlüsse rechtswidrig sind, und dass Aufsichtsratsmitglieder sich wegen Verletzung von Verschwiegenheitspflichten schadensersatzpflichtig oder sogar strafbar machen könnten.
Es wird auch noch eingewandt, in der Gesellschafterversammlung - also beispielsweise in einem Stadtratsplenum - könnten Themen, die im Aufsichtsrat einer städtischen GmbH nicht öffentlich beraten worden sind, nachträglich der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Dies geht an der Realität vorbei. Wieso soll man denn eine Wiederholung von Beratungen in einem anderen Gremium vorschlagen, wenn es mit einem kleinen Federstrich des Gesetzgeber möglich wäre, sofort die Original-Beratung der Öffentlichkeit zugängig zu machen?
Daher setzen sich diejenigen, die dem Anliegen der FDP nicht folgen, dem Verdacht aus, sie wollten in Wahrheit die von vielen Bürgerinnen und Bürgern gewünschte Transparenz kommunaler Entscheidungsfindung gar nicht herstellen.
Sollte dieser Vorwurf unberechtigt sein, dann sind wir gespannt, welche Alternativen denn die Koalition vorschlägt. Bisher tragen CDU/CSU und SPD unverständlicher Weise nichts zur Lösung des Problem bei.
Rede vom 16.09.2008
Dr. Max Stadler (FDP):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In den haushalts- und sonstigen innenpolitischen Debatten haben wir immer wieder die FDP-Kernthese zur inneren Sicherheit vorgetragen. Wir meinen, verantwortungsvolle Politik für innere Sicherheit bedeutet: Man muss Defizite beim Vollzug der bestehenden Gesetze beseitigen, aber nicht ständig unnötige Gesetzesverschärfungen beschließen. Leider machen Sie oft das Gegenteil.
(Beifall bei der FDP)
Ich darf dies anhand von einigen Beispielen belegen.
Aus aktuellem Anlass kennen wir die Anzahl der Polizeiplanstellen in vielen Bundesländern, speziell in Bayern, weil sie zurzeit in der Diskussion stehen. Die Gewerkschaften haben errechnet, dass bei den Polizeidienststellen in Bayern 1 100 Stellen abgebaut wurden. Im ganzen Bundesgebiet sind es seit dem 11. September 2001 erstaunlicherweise 10 000 Planstellen. Dieser Vorwurf trifft nicht Sie, Herr Bundesinnenminister. Es ist aber bemerkenswert, dass dadurch beispielsweise in Bayern viele Polizeidienststellen nur noch zu 75 Prozent einsatzfähig sind.
(Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Das ist eine Sauerei!)
Das wird nicht etwa nur von der Polizeigewerkschaft vorgetragen, sondern auch vom Arbeitskreis Polizei der CSU. Dazu sage ich: Herr Beckstein sitzt im Glashaus und sollte nicht mit Steinen auf die FDP werfen, wenn es um die innere Sicherheit geht.
(Beifall bei der FDP)
Das ist ein Beispiel dafür, dass man mit zu wenig Personal Vollzugsdefizite nicht in den Griff bekommen kann.
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und Sie wollen koalieren?)
Sie liefern aber hier im Bundestag gerade ein Beispiel für den zweiten Ansatz, was man gerade nicht machen sollte – den habe ich Ihnen genannt –, nämlich überflüssige Gesetzesverschärfungen. Dazu hat gestern die Anhörung zum Entwurf des Bundeskriminalamtsgesetzes Folgendes erbracht: Dieses Gesetz ist nicht erforderlich, handwerklich schlecht gemacht und in vielen Bestimmungen grundgesetzwidrig.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] – Günter Baumann [CDU/CSU]: Wer hat das gesagt?)
Wenn Sie die Darlegungen von namhaften Verfassungsrechtlern von gestern ernst nehmen, dann dürfen Sie als Große Koalition diesen missglückten Gesetzentwurf keinesfalls im Oktober im Eiltempo hier durch das Parlament bringen. Gisela Piltz hat zu Recht gesagt: Dieser Entwurf für ein verfassungswidriges BKA-Gesetz muss zurückgezogen werden. Dann muss sorgfältig neu beraten werden.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE] – Günter Baumann [CDU/ CSU]: Das ist ein guter Entwurf!)
Ich hoffe, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Sie haben einmal den Mut und das Rückgrat, dass Sie diese unsere Forderung erfüllen, wenn Sie schon den Anspruch erheben, mitzuregieren, Herr Edathy.
(Sebastian Edathy [SPD]: Wir wollen den vorliegenden Entwurf überarbeiten, Herr Kollege!)
Manchmal gibt es sowohl Vollzugsdefizite als auch ein Gesetzgebungsdefizit. Das ist beim Datenschutz eindeutig der Fall. Ein Vollzugsdefizit besteht, weil diejenigen, die über unsere Daten zu wachen haben, personell total unterbesetzt sind. Das gilt für den Bundesdatenschutzbeauftragten. In Bayern sind es ganze sechs Personen, die den Datenschutz für einen so großen Flächenstaat gewährleisten sollen.
(Fritz Rudolf Körper [SPD]: Das betrifft nicht den Bundesdatenschutzbeauftragten!)
Das ist völlig unzureichend.
Wir brauchen über eine bessere Personalausstattung hinaus natürlich ein neues Datenschutzgesetz. Denn das jetzige stammt sozusagen aus der Postkutschenzeit. Wir brauchen eine Bewusstseinsänderung. Es muss wieder klar sein, dass der Schutz unserer Privatsphäre ein vordringliches Anliegen einer vernünftigen Innenpolitik ist. Ich kann Ihnen folgenden Hinweis nicht ersparen. Wie oft haben wir im Innenausschuss erlebt, wenn wir verlangt haben, dass der Bundesdatenschutzbeauftragte zu Gesetzesvorhaben von Ihnen sachverständig gehört wird, dass Sie gesagt haben: „Das ist überflüssig, das ist Zeitverschwendung, und auf den hören wir sowieso nicht.“?
(Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht! Das ist nicht wahr!)
Die christliche Nächstenliebe verbietet es mir, mitzuteilen, wer vor allem diese Auffassung im Innenausschuss vertreten hat. Da müssen Sie Ihr Bewusstsein ändern, so wie sich in der Bevölkerung das Bewusstsein mehr in Richtung einer größeren Bedeutung des Datenschutzes entwickelt.
(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Ich komme zu dem Fazit: Da, wo Ihr Regierungshandeln gefragt wäre, beispielsweise beim Datenschutz, haben Sie jahrelang nichts gemacht. Das Gutachten aus dem Bundesinnenministerium hierzu aus dem Jahre 2002 blieb völlig ohne Konsequenzen. Also, da, wo Sie gefragt gewesen wären, haben Sie nichts gemacht. Da, wo Sie handeln, gehen Sie in die falsche Richtung und machen immer mehr Einschnitte in die Grundrechte und Bürgerrechte. Eine solche Politik tragen wir als FDP selbstverständlich nicht mit.
(Beifall bei der FDP)
Rede vom 12.11.2008
Anrede,
mit der heutigen Beratung beenden wir den Prozess der Neuordnung des Dienstrechts. Die Modernisierung des Dienstrechts fängt damit erst an. Zahlreiche Aufgaben blieben unerledigt, vieles fehlt: die mitnahmefähige Ausgestaltung der erworbenen Versorgungsansprüche, die Weiterentwicklung der Leistungselemente, eine Flexibilisierung des Ruhestandseintritts und die Gleichstellung eingetragener Lebenspartner mit Ehegatten im Besoldungs-, Versorgungs- und Beihilferecht. Befriedigend ist das nicht. Die FDP hätte sich mehr Mut und mehr Entschlossenheit gewünscht. Die Länder sind hier vielfach weiter. Sie entwickeln sich zu den eigentlichen Schrittmachern bei der Modernisierung des Dienstrechts. Wir hätten diese Rolle dem Bund zugedacht. Doch der Reformmotor stottert. Der Bund fällt als Ideen- und Impulsgeber aus. Wieder einmal ist es der großen Koalition nicht gelungen, sich auf mehr als auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu einigen. Die eigentlichen Probleme wurden entweder gar nicht angefasst, oder, wie im Falle der Mitnahme von Versorgungsansprüchen, in eine Entschließung der Koalitionsfraktionen abgeschoben. Was bleibt, ist eine handwerklich saubere Umsetzung technischer Einzelfragen, ein, wie es die Sachverständigen in der Anhörung ausgeführt haben, braves, biederes oder auch betuliches Gesetz. Was fehlt, ist ein Bekenntnis zum Berufsbeamtentum. Was fehlt, ist eine Vision, eine Vorstellung davon, wie ein modernes und zukunftsfestes Berufsbeamtentum des Bundes aussehen sollte.
Die FDP-Bundestagsfraktion hat in allen vorgenannten Punkten Alternativvorschläge unterbreitet. Ich verweise zur Vermeidung von Wiederholungen auf unseren heutigen Entschließungsantrag zum Dienstrechtsneuordnungsgesetz. Ich verweise darüber hinaus auf unseren Antrag „Für ein modernes Berufsbeamtentum“ auf BT-Drucksache 16/129, den wir gleich zu Beginn der Wahlperiode in den Deutschen Bundestag eingebracht haben. Darin setzen wir uns für eine leistungsbezogene Bezahlung ein, die gerecht, transparent und unbürokratisch ausgestaltet ist und darüber hinaus auch regional-, arbeitsmarkt-, berufsgruppen- und aufgabenbezogene Differenzierungen erlaubt. Auch die FDP behauptet nicht, in Sachen Leistungsbezahlung im Besitz eines Patentrezepts zu sein. Auch verkennen wir nicht die Schwierigkeiten in der Praxis, wie sie sich im Bereich der Tarifbeschäftigten des öffentlichen Dienstes gelegentlich zeigen. Es ist jedoch der falsche Weg, daraus die Konsequenz zu ziehen, in den wesentlichen Punkten alles beim Alten zu belassen. Mindestens erforderlich gewesen wäre eine Experimentierklausel, um verschiedene Leistungsmodelle zu erproben und einen Wettbewerb um die besten Lösungen in Gang zu setzen.
Beim Ruhestandseintritt setzt die FDP statt auf starre Altersgrenzen auf ein flexibles Konzept, das es dem Einzelnen ermöglicht, ab Vollendung des 60. Lebensjahres den Zeitpunkt seines Ruhestandseintritts selbst zu bestimmen, sofern seine bis dahin erworbenen Versorgungsansprüche über dem Niveau der Mindestversorgung liegen. Umgekehrt soll es allen, die dies wollen und können, möglich sein, auch über die jetzigen bzw. zukünftig geltenden Altersgrenzen hinaus zu arbeiten. Ein längeres Verbleiben im aktiven Dienst ist mit Anreizen zu versehen. Für Deutschland muss das Leitbild gelten, möglichst lange am Erwerbsleben teilzuhaben, statt wie bisher möglichst frühzeitig auszuscheiden.
Die FDP setzt darüber hinaus auf mehr Mobilität zwischen öffentlichem Dienst und gewerblicher Wirtschaft. Solange es bei der jetzigen Regelung mit der obligatorischen Nachversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung bleibt, wird dem beamteten Personal ein Wechsel in die Privatwirtschaft zu wirtschaftlich akzeptablen Bedingungen nicht möglich sein. Die Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und SPD sprechen dieses Problem in ihrem Entschließungsantrag an, lösen es aber nicht. Die FDP wird an dieser Stelle nicht locker lassen. Wir behalten uns weitere parlamentarische Initiativen ausdrücklich vor. Die Sorge, dass das beamtete Personal im Falle der mitnahmefähigen Ausgestaltung von Versorgungsansprüchen in Scharen davonläuft, teilen wir nicht. Und wenn, stimmte etwas mit den Beschäftigungs- und Bezahlungsbedingungen im öffentlichen Dienst nicht. Dann wäre es Aufgabe des Gesetzgebers, durch entsprechende attraktivitätssteigernde Maßnahmen einen Ausverkauf des öffentlichen Dienstes zu verhindern und für geeigneten Nachwuchs sowie für qualifizierte Quereinsteiger zu sorgen.
Gänzlich unverständlich ist die unterbliebene Gleichstellung von eingetragenen Lebenspartnern mit Ehegatten im Dienstrecht des Bundes. Schon aus Rechtsgründen spricht viel für eine solche Gleichstellung. Ich erlaube mir an dieser Stelle den Hinweis auf die jüngste Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in der Vorlegungssache Tadao Maruko. Zumindest aber spricht rechtspolitisch alles für eine solche Gleichstellung. Spätestens nach der Einbeziehung der Lebenspartnerschaft in die gesetzliche Renten- und Krankenversicherung erweist sich die Ungleichbehandlung der in einer Lebenspartnerschaft lebenden Beamtinnen und Beamten gegenüber Verheirateten als Anachronismus, den es zu beseitigen gilt. Hier hat der Gesetzgeber, wie das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich festgestellt hat, einen weiten, längst noch nicht ausgeschöpften Gestaltungsspielraum. Von diesem Gestaltungsspielraum macht die Koalition höchst unterschiedlichen Gebrauch. Es ist in hohem Maße widersprüchlich, wenn die Gleichstellung nunmehr auch beim Erbschaftsteuerrecht erfolgen soll, was zu begrüßen ist, in der Besoldung, Versorgung und bei der Beihilfe der Beamtinnen und Beamten des Bundes aber nach wie vor unterbleibt.
Aus den vorgenannten Gründen ist es der FDP-Bundestagsfraktion nicht möglich, dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zuzustimmen. Hieran ändert auch der Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen nichts. Dieser bringt keine wirklichen Verbesserungen. Er enthält im Wesentlichen Klein-Klein. Sollte die Koalition auf der Suche nach einer Blaupause für ein nachhaltig modernisiertes und zukunftsfestes Berufsbeamtentum sein, sei auf den eingangs erwähnten Antrag „Für ein modernes Berufsbeamtentum“ vom 1. Dezember 2005 und unseren heutigen Entschließungsantrag hingewiesen. Beide Anträge empfehle ich dem Deutschen Bundestag zur Zustimmung.
Ebenfalls zur Zustimmung empfohlen sei der Gesetzentwurf der FDP-Bundestagsfraktion zur Änderung des Bundesbesoldungsgesetzes auf BT-Drucksache 16/9317. Hinter den dort vorgesehenen Verbesserungen für Soldatinnen und Soldaten bleiben die in dem Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen enthaltenen Prämien für Angehörige der Spezialkräfte der Bundeswehr deutlich zurück. Diese benachteiligen insbesondere länger dienende Kommandosoldaten und Kampfschwimmer, da erst mit Stichtag 1. April 2008 eine Berechtigung zur Prämienzahlung eingeräumt wird, obwohl viele Angehörige der Spezialkräfte bereits seit zehn Jahren in den jeweiligen Verbänden dienen. Die Attraktivität gerade für die erfahrenen Soldaten, die einen Großteil der Einsätzkräfte bilden, ist auf diese Weise nicht gegeben. Hier geht die FDP einen anderen Weg, indem sie in den Mittelpunkt ihres Gesetzentwurfs insbesondere die Personalbindung von Wissensträgern stellt.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Rede vom 12.11.2008
Dr. Max Stadler (FDP):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Zuge einer streitigen Debatte ist es sicherlich richtig, auch auf Gemeinsamkeiten hinzuweisen. Herr Minister, selbstverständlich wissen auch wir um die terroristische Bedrohung. Selbstverständlich ist auch uns der Schutz der Bevölkerung vor den Gefahren durch den Terrorismus ein Anliegen.
Der Streit dreht sich um die Methoden. Da wird es allerdings sehr prinzipiell; denn wir sagen: Der Rechtsstaat, so wie er sich bei uns über Jahrzehnte hinweg unter Geltung des Grundgesetzes entwickelt hat, ist stark genug, um die Gefahren abzuwehren. Wir brauchen keine Eingriffe in die Strukturen und Institutionen des Rechtsstaates. Herr Minister, das ist der entscheidende Punkt der Auseinandersetzung. Aufgrund vieler Äußerungen von Ihnen, Herr Schäuble, wissen wir, dass Sie die Sorge haben, dass die überkommenen Institutionen, die Sicherheitsbehörden, so wie sie konzipiert sind, und die rechtlichen Befugnisse nicht ausreichen. Das ist Ihre Sorge, die Sie oft zum Ausdruck gebracht haben. Sie haben nicht zuletzt deswegen gesagt, dass es in der sicherheitspolitischen Debatte keine Tabus geben dürfe.
Wir greifen Ihre Grundhaltung auf und schauen, was davon in den Entwurf des BKA-Gesetzes, der uns heute vorliegt, eingeflossen ist. Wir stellen fest: Es handelt sich eben nicht um den Entwurf eines normalen Polizeigesetzes. Es trifft den Kern der Auseinandersetzung nicht, wenn man sagt: Da ist nur aufgeschrieben worden, was in den Länderpolizeigesetzen sowieso schon steht, und jetzt darf das Bundeskriminalamt das, was jeder Dorfpolizist darf. Tatsächlich verlassen Sie mit diesem Gesetzentwurf bewährte Strukturen des Polizeirechts.
(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Und was ist mit Bayern?)
Es gibt jetzt Eingriffe in die Befugnisse der Länder. Es gibt jetzt Tätigkeiten des Bundeskriminalamts, die nicht mehr durch den Generalbundesanwalt überwacht werden. Das Bundeskriminalamt kann als Polizeibehörde geheimdienstähnliche Methoden anwenden.
Der Sachverständige Professor Geiger hat in der Anhörung darüber gesprochen. Er hat gesagt: Wenn geheimdienstliche Methoden zum Alltag der Polizeiarbeit werden, dann ist das Trennungsgebot zwischen Nachrichtendiensten und Polizeien verletzt. Sie führen so tiefe Eingriffe ein, wie es in keinem Polizeigesetz in dieser Massivität bisher der Fall war. Beispiel: heimliche Onlinedurchsuchungen. Sie sagten hier in Ihrer Rede zu Recht, dass dann immer ein unabhängiger Richter entscheiden muss. Warum steht das dann anders in Ihrem Gesetzentwurf?
(Beifall der Abg. Gisela Piltz [FDP])
Sie haben für den Eilfall vorgesehen, dass es zunächst keiner richterlichen Entscheidung bedarf.
(Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Hört! Hört!)
Das ist ein rechtsstaatlicher Sündenfall, der völlig unerträglich ist, weil es diesen Eilfall im Handyzeitalter gar nicht geben darf. Justiz kann so organisiert werden, dass immer ein Richter zu erreichen ist, der eine Entscheidung trifft. Das ist auch die Auffassung des Deutschen Richterbundes.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich sage am Schluss meiner kurzen Rede noch: Da, wo Sie Neuland hätten beschreiten können, haben Sie es nicht getan.
(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Was ist denn mit Bayern?)
Sie hätten die Gelegenheit gehabt, in diesem Gesetzentwurf einen gleichwertigen Schutz für alle Berufsgeheimnisträger vorzusehen. Anwälte, Journalisten und Ärzte hätten Sie mit Strafverteidigern und Abgeordneten gleichstellen können. Sie haben es nicht getan. Sie haben nicht den neuen Weg beschritten, eine parlamentarische Kontrolle vorzusehen, wenn schon der Generalbundesanwalt nicht mehr die Aufsicht und Kontrolle hat.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Kollege Stadler, Sie haben zu Recht den Schluss Ihrer Rede angekündigt.
Dr. Max Stadler (FDP):
Ja, ich komme zum Schluss. – Sie hatten nicht die Fantasie, aus der Sachverständigenanhörung Anregungen neuerer Art aufzugreifen, zum Beispiel die von Professor Geiger, der einen Bürgeranwalt vorgeschlagen hat. Wenn immer mehr Menschen heimlich überwacht werden – Sie selber haben ja gesagt, das müsse heimlich geschehen –, dann müssen die Kontrolle und der Schutz aber auch damit Schritt halten.
Dieses Gesetz ist kein normales Polizeigesetz. Es ist ein weiterer Schritt in einen ausufernden Präventionsstaat. Das ist die Wahrheit.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Rede vom 25.11.2009
Dr. Max Stadler (FDP):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Minister Schäuble, niemand und schon gar nicht die Freie Demokratische Partei will hier offene Debatten abwürgen. Aber Sie müssen sich schon sagen lassen: Wenn Sie einen Vorschlag für die Änderung der Abstimmungsregeln im Bundesrat ausgerechnet zu dem Zeitpunkt erneut – Sie haben es auch schon früher getan – in die öffentliche Debatte bringen, wo Sie Gefahr laufen, mit Ihrem BKA-Gesetz im Bundesrat zu scheitern, dann ist natürlich der Verdacht naheliegend, dass man die Regeln so gestalten möchte, dass eine Mehrheit für das eigene Gesetzesvorhaben zustande kommt, die nach den jetzt gültigen Vorschriften nicht in Sicht ist.
Es ist nicht die FDP allein, die Sie in diesem Punkt kritisiert hat, sondern es gibt auch Kritiker aus Ihren eigenen Reihen: Ole von Beust, Hamburgs Erster Bürgermeister, hat gesagt, aktuelle Schwierigkeiten sollten nicht ein Grund dafür sein, das zu ändern, was sich über Jahrzehnte bewährt hat. Wolfgang Böhmer, Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, hat Kritik geübt. Sogar der bayerische Innenminister Joachim Herrmann hat dies getan. Ich will jetzt nicht auf das näher eingehen, was Bremens Bürgermeister, der der SPD angehört, gesagt hat, der von einem Anschlag auf bewährte parlamentarische Prinzipien gesprochen hat.
Debatten müssen zur richtigen Zeit geführt werden. Dann ist allerdings in der Tat – da stimme ich Ihnen zu – eine Tabuisierung nicht der richtige Weg. Ich möchte darauf aufmerksam machen, dass wir vorhin – vielleicht hat es nicht jeder bemerkt – Zeugen einer Art Tabuisierung waren, gegen die wir uns wehren. Herr Kollege Luther, vielleicht haben Sie es nicht so gemeint, als Sie vorhin zu der rhetorischen Figur der präemptiven Schuldzuweisung gegriffen haben.
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)
Sie haben nämlich gesagt: Wer dieses BKA-Gesetz verhindert, der trägt die Verantwortung dafür – ich will es einmal so auf den Punkt bringen –, wenn später etwas passiert. Dagegen wehren wir uns allerdings.
(Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Denn die deutschen Sicherheitsbehörden haben jede Menge Eingriffsbefugnisse, und sie haben in der Vergangenheit mit den geltenden Gesetzen erfreulicherweise schlimme Anschläge verhindern können. Sie können uns hier nicht einreden, dass nur mit dem neuen BKA-Gesetz die Sicherheit in Deutschland gewährleistet sei.
Herr Minister Schäuble hat neulich in einem Interview im Stern zu einem kühnen Vergleich gegriffen, als er auf Wallensteins Kriegsführung rekurriert hat, um das BKA-Gesetz zu rechtfertigen. Uns erscheint etwas anderes aus dem 17. Jahrhundert passender, nämlich das Zitat von Thomas Hobbes, der von „bellum omnium contra omnes“ gesprochen hat, also von der Auseinandersetzung jeder gegen jeden. Das ist das, was wir derzeit in der Großen Koalition erleben: beim BKA-Gesetz, bei der Auseinandersetzung um die Abstimmungsregeln im Bundesrat und – das liegt schon etwas länger zurück – bei der Maßnahme, die Sie vorhin so gepriesen haben, nämlich bei der Forderung, Sprachkenntnisse beim Ehegattennachzug nachzuweisen. Dazu hat der Kollege Edathy, immerhin Vorsitzender des Innenausschusses des Bundestages, gesagt – ich werde dies nie vergessen –, er stimme dem Gesetz zu, hoffe aber, dass das Bundesverfassungsgericht es aufheben wird.
(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Aber wir
haben es!)
Das ist symptomatisch für den Zustand der Großen Koalition.
Herr Minister Schäuble, Sie haben in der letzten Ausgabe des Stern eines sehr richtig gesagt und damit das eigentliche Stichwort für die heutige Haushaltsdebatte geliefert. Sie haben nämlich gesagt:
Ich bin kein Anhänger der Großen Koalition … Sie ist vom System her falsch.
Völlig richtig, füge ich hinzu. Ich zitiere Sie – am Ende des Interviews – noch einmal:
Wir hatten gute Vorsätze, haben auch manches vorangebracht, aber es ist gut, wenn es vorbei ist.
Dem stimmen wir wirklich zu.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Rede vom 03.07.2009
Rede vom 03.07.2009
Kurzintervention bei der Debatte Grundrechte
Dr. Max Stadler (FDP):
Frau Kollegin Raab, nachdem Sie einen unzutreffenden Vorwurf gegen die FDP erhoben hatten, haben Sie leider eine Zwischenfrage von mir nicht zugelassen. Deswegen muss ich den Weg der Kurzintervention wählen, um Folgendes klarzustellen:
Wenn Sie sagen, man müsse bei der Gesetzgebung abwägen, und wenn Sie betonen, die Union würde mehr in Richtung Sicherheit und die FDP mehr in Richtung Freiheit gehen, dann kann man darüber vernünftig und seriös debattieren. Sie haben aber gemeint, uns auch deswegen kritisieren zu können, weil Sie glauben – so habe ich Ihre Worte im Ohr –, dass die Ausstattung der Polizei und der Sicherheitsbehörden nicht konkurrenzfähig wäre, wenn es nach dem Willen der FDP ginge. So ungefähr haben Sie es formuliert.
Ich will Sie darauf aufmerksam machen, dass es unsere ständige Leitlinie ist, zu sagen: Mehr Sicherheit schafft man nicht durch mehr und unnötige Gesetze, sondern mehr Sicherheit schafft man durch eine bessere personelle, technische und finanzielle Ausstattung der Sicherheitsbehörden.
(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Aber Befugnisse müssen die auch haben, Herr Stadler! Sie dürfen nicht nur mit Wasserpistolen schießen!)
– Herr Gehb, bevor Sie sich nicht wegen Ihrer unsäglichen Äußerung, wir würden mit unserer Kritik, dass in der Gesetzgebung die Grundrechte nicht genügend geachtet werden, Extremismus fördern, entschuldigt haben, höre ich Ihnen nicht mehr zu. Das sage ich Ihnen ganz deutlich.
(Beifall des Abg. Jörg Tauss [fraktionslos])
Frau Kollegin Raab, ich komme noch einmal zu dem entscheidenden Punkt. Sie meinen, wir hätten für innere Sicherheit nichts übrig und die Ausstattung wäre ungenügend, wenn die FDP etwas zu sagen hätte. Ich habe Ihnen unseren Grundsatz genannt: Mehr Sicherheit gibt es durch eine bessere Ausstattung der Sicherheitsbehörden. Das sagen wir nicht nur, sondern so handeln wir auch. Wir haben in der bayerischen Koalitionsvereinbarung, die die FDP mit der CSU getroffen hat, durchgesetzt, dass der Personalfehlbestand bei der Polizei in Bayern bald der Vergangenheit angehören wird.
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Finanziert das einmal!)
Wir haben durchgesetzt, dass dort 1 000 neue Planstellen für Polizisten geschaffen wurden, weil wir davon überzeugt sind, dass die Sicherheitsbehörden Personal brauchen und keine unnötigen und tief in die Bürgerrechte eingreifenden Gesetze. Dies wollte ich Ihnen gesagt haben, weil Sie hier den gegenteiligen Eindruck erweckt haben.
(Beifall bei der FDP – Dr. Carl-Christian Dressel [SPD]: Das Ganze finanziert durch Steuersenkungen!)
Rede vom 03.07.2009
Dr. Max Stadler (FDP):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Am 8. März hat Bundesinnenminister Schäuble in einem Interview das Bundesverfassungsgericht kritisiert, weil es sich mit der einstweiligen Anordnung gegen die Vorratsdatenspeicherung angeblich zu sehr in die Politik einmische. Wir teilen diese Auffassung ganz und gar nicht. Ganz im Gegenteil! Wenn der Bundestag Gesetze verabschiedet, die unzulässig in die Grundrechte eingreifen, dann ist es die Pflicht der Karlsruher Richter, sich einzumischen. Und das hat das Bundesverfassungsgericht getan.
(Beifall bei der FDP und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Herr Gehb, Sie wissen genau: Andere Gesetze, über die wir hier streitig verhandelt haben, stehen dort noch zur Prüfung an. Sie können sich nicht darauf berufen, dass alles, was Sie hier gemacht haben, problemlos gewesen sei.
(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Das habe ich nicht gesagt! Aber es ist nichts aufgehoben worden! Sie müssen gut zuhören!)
Ich komme jetzt zu dem entscheidenden Punkt, den Herr Kauder angesprochen hat. Unser Eindruck aus der Gesetzgebung der letzten Jahre nicht nur der Großen Koalition, sondern auch der rot-grünen Vorgängerregierung ist in der Tat, dass hier das praktiziert wird, was Sie beschrieben haben, nämlich dass man an die Grenzen der Verfassung geht.
(Zuruf von der CDU/CSU: Muss man ja!)
Wenn man an die Grenzen der Verfassung geht, läuft man aber Gefahr, dass man diese Grenzen überschreitet.
(Beifall des Abg. Jörg Tauss [fraktionslos])
Sie können doch nicht bestreiten, dass das Bundesverfassungsgericht in einer Fülle grundlegender Entscheidungen der letzten Jahre die Gesetzgebung korrigiert hat, und zwar – das gebe ich zu – nicht nur des Bundestags, sondern auch von Landesparlamenten. Das sollte Anlass sein, darüber nachzudenken, ob es die richtige Politik sein kann, bei Eingriffen in die Bürgerrechte immer sozusagen den äußersten Spielraum auszunutzen. Wir meinen, der Bundestag selber, die Parlamente selber müssen eine grundrechtsorientierte Gesetzgebung betreiben.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich nenne Ihnen noch ein Beispiel für das, was ich meine, das bisher nicht im Mittelpunkt der Reden gestanden hat, mir aber unvergesslich bleiben wird. Sie haben als Große Koalition Einschränkungen beim Ehegattennachzug von Ausländern beschlossen. Das ist aufgrund unserer Kritik und der Kritik der anderen Oppositionsfraktionen hier streitig verhandelt worden. Der Vorsitzende des Innenausschusses des Deutschen Bundestages, der Kollege Edathy, hat im Plenum gesagt, er stimme dem Gesetz zwar zu, aber er sei sicher, dass es vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben werde.
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er wünscht es sich! – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Natürlich! Er hoffe es sogar!)
– Er hoffe sogar darauf.
Das heißt, Teile des Gesetzgebers beschließen hier Gesetze, von denen sie selber der Meinung sind, sie seien verfassungswidrig.
(Beifall des Abg. Jörg Tauss [fraktionslos])
Das können wir als Opposition doch nicht unkommentiert einfach nur zur Kenntnis nehmen; darauf muss man hinweisen dürfen.
(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Das dürfen Sie doch auch!)
– Einen Moment! Ich komme gerade zu Ihnen. – Ich will später das Protokoll lesen, aber wenn ich es richtig im Ohr habe, haben Sie vorhin gesagt, Herr Gehb, dass wir Freien Demokraten, wir Liberalen, mit unserer Kritik daran, dass der Gesetzgeber Grundrechte nicht genügend beachtet, Extremisten stark machen würden. Das ist ein so ungeheuerlicher Vorwurf,
(Beifall des Abg. Jörg Tauss [fraktionslos])
dass Sie gut daran täten, sich jetzt und hier zu entschuldigen, Herr Kollege Gehb; darauf warten wir noch.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Jörg Tauss [fraktionslos] – Lachen des Abg. Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU])
Ich komme zum Ende und will einen vielleicht versöhnlichen Abschluss finden. – Manchmal kommen Vorlagen, die im Bundestag gescheitert sind – ich denke etwa an die Vorratsdatenspeicherung; da haben wir einmal einstimmig gesagt: das wollen wir nicht –, über Europa zurück, natürlich deshalb, weil die Bundesregierung sie dort gebilligt hat.
(Brigitte Zypries [SPD]: Nein!)
Deswegen ist es sehr begrüßenswert – das sage ich als überzeugter Europäer –, dass das Bundesverfassungsgericht in den Randnummern 240 und 241 der Lissabon-Entscheidung sich eine Prüfungskompetenz bezüglich grundrechtseinschränkender Rechtsakte der Europäischen Union vorbehalten hat.
(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Natürlich!)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Dr. Max Stadler (FDP):
Ich schließe mit folgendem Ausblick: Das Verfassungsgericht hat uns den Hinweis gegeben, für diese wichtige Grundrechtsüberprüfung doch einen eigenen Rechtsweg vorzusehen. Wir schlagen vor, dem jetzt gleich im August und im September im Begleitgesetz nachzukommen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Jörg Tauss [fraktionslos])
Rede vom 02.07.2009
Anrede,
wir alle stimmen darin überein, dass eine private Verwertung von Amtswissen nach dem Ausscheiden aus dem Amt das Vertrauen der Allgemeinheit in die Integrität des Regierungshandelns und des öffentlichen Dienstes beeinträchtigen kann.
An sich sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, dass sich Mitglieder der Bundesregierung, Parlamentarische Staatssekretäre und politische Beamte auch nach ihrem Ausscheiden der Würde ihres früheres Amtes gemäß verhalten, Interessenkonflikte vermeiden und alles unterlassen, was das Ansehen staatlichen Handelns und das Vertrauen der Allgemeinheit in dessen Integrität gefährden kann.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Nicht jeder Wechsel eines Ministers, eines Parlamentarisches Staatssekretärs oder eines politischen Beamten, wozu auch beamtete Staatssekretäre zählen, begründet per se einen Interessenkonflikt und ist per se geeignet, das Ansehen staatlichen Handelns zu gefährden. Im Gegenteil: Gerade für Minister und Parlamentarische Staatssekretäre gilt: Sie sind keine Beamten. Ihre Amtszeit ist begrenzt. Sie können jederzeit entlassen werden. Dann muss es ihnen auch möglich sein, nach dem Ausscheiden aus dem Amt in den früheren Beruf zurückzukehren oder sich eine neue berufliche Existenz aufzubauen. Das ist schon mit Blick auf die Freiheit der Berufsausübung geboten.
Es kann daher nur um solche Fälle gehen, bei denen die Aufnahme einer Beschäftigung außerhalb des öffentlichen Bereichs beabsichtigt ist, die im Zusammenhang mit der früheren dienstlichen Tätigkeit steht. In solchen Fällen ist eine Anzeigepflicht gegenüber der Bundesregierung vorzusehen. Es ist dann Aufgabe der Bundesregierung, die Art der geplanten Tätigkeit zu prüfen. Droht eine Beeinträchtigung dienstlicher Interessen, kann die Bundesregierung dem früheren Minister oder Parlamentarischen Staatssekretär die Beschäftigung untersagen. Was den zeitlichen Rahmen der Anzeigepflicht anbetrifft, ist zu beachten, dass für Minister und Parlamentarische Staatssekretäre das Lebenszeitprinzip nicht gilt. Der zeitliche Rahmen muss deshalb unterhalb der für Beamte geltenden Regelung von drei bzw. fünf Jahren bleiben. In dem Antrag der FDP-Bundestagsfraktion wird insoweit ein Zeitraum von zwei Jahren vorgeschlagen. Das ist angemessen und trägt dem Grundsatz der Freiheit der Berufsausübung Rechnung. Zudem spricht sich die FDP für eine Regelung durch Verhaltenskodex aus. Eine gesetzliche Regelung scheint uns nicht angezeigt und auch nicht angemessen. Schon aus diesem Grund sind die Anträge der Fraktion DIE LINKE und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für die FDP-Bundestagsfraktion so nicht zustimmungsfähig. Hinzu kommt bei dem Antrag der Linksfraktion die deutlich zu lang bemessene Frist von fünf Jahren nach Ausscheiden aus dem Amt. Hier ergeben sich bereits verfassungsrechtliche Bedenken mit Blick auf die Berufsfreiheit. Keiner weiteren Erwähnung bedarf der Antrag der Linksfraktion auf BT-Drucksache 16/13366 vom 17. Juni 2009, der den Wechsel zu Unternehmen betrifft, die mit Steuergeldern vor der Insolvenz gerettet worden sind. Der Antrag ist viel zu unbestimmt und in populistischer Absicht mit heißer Nadel gestrickt.
Offen bleibt ein ganz wichtiger anderer Punkt, den die FDP-Bundestagsfraktion bereits in der letzten Wahlperiode angesprochen hat. Gemeint sind Fälle, in denen Beamte ohne Versorgungsbezüge ausscheiden. Hierbei handelt es sich zumeist um Mitarbeiter mit besonderen Kenntnissen und einem erheblichen „Marktwert“, bei denen der neue Arbeitgeber die Versorgung gleich mit übernimmt. In solchen Fällen gelten die beamtenrechtlichen Anzeigepflichten bislang nicht. Die Sachverständigen haben die Notwendigkeit einer Ausweitung der einschlägigen Vorschriften auf Fälle, in denen ehemalige Beamte ohne Versorgungsbezüge ausscheiden, in der Anhörung des Innenausschusses am 15. Juni 2009 noch einmal betont. Die FDP-Bundestagsfraktion hatte dies bereits in ihrem Antrag „Regeln und Grenzen für den Personalwechsel vom öffentlichen Dienst zur Wirtschaft“ vom 22. September 2004 auf BT-Drucksache 15/3739 angeregt. Leider kam dieser Antrag wegen des vorzeitigen Endes der 15. Wahlperiode nicht mehr zur Abstimmung. Wir alle sollten diesen Ansatz in der nächsten Wahlperiode weiter verfolgen.
Rede vom 02.07.2009
Dr. Max Stadler (FDP):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dieser Untersuchungsausschuss war notwendig, und er war erfolgreich. Wir haben zahlreiche neue Erkenntnisse zutage gefördert. Nur ein Untersuchungsausschuss konnte es leisten, die verschiedensten Vorgänge minutiös zu überprüfen. Aus Sicht der FDP kam er am Ende zu einem klaren Ergebnis. Dieses Ergebnis lautet: Nach dem 11. September 2001 sind leider auch in Deutschland wiederholt rechtsstaatliche Grundsätze bei der Gefahrenabwehr massiv verletzt worden. Der Grund hierfür liegt in einer Fehlentwicklung im Denken; denn die Bundesregierung war der Meinung, die Rechte Einzelner müssten hinter einer vermeintlichen Staatsräson zurücktreten. Das ist die Hauptursache all der Fälle, bei denen etwas schiefgelaufen ist und die wir untersucht haben.
Heute gab es zu unserer Debatte eine gewisse Begleitmusik aus dem Bundesinnenministerium. Dort hat aufgrund terroristischer Bedrohungen eine Konferenz stattgefunden. Es ist richtig, dass sich die Sicherheitsbehörden darüber Gedanken machen. Es ging dort auch um die Beschaffung und Verarbeitung von Informationen. Das ist selbstverständlich eine Grundaufgabe der Sicherheitsbehörden. In einem Rechtsstaat müssen sich Nachrichtendienste und Polizei aber an die Regeln halten, die ihnen dieses Hohe Haus und die Verfassung vorgeben.
(Thomas Oppermann (SPD): Machen sie auch!)
Es darf keine Sicherheitspolitik zulasten der Grundrechte geben. Genau das mussten wir aber im Ausschuss feststellen.
(Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Thomas Oppermann (SPD): Wo denn?)
Die wesentlichen Ergebnisse nenne ich Ihnen gerne, Herr Kollege Oppermann.
Erstens. Der Bundesnachrichtendienst hat rechtswidrig Journalisten bespitzelt. Das war ein Eingriff in Persönlichkeitsrechte und in die Pressefreiheit.
(Thomas Oppermann (SPD): Das war vor unserer Zeit! Da war die FDP noch an der Regierung!)
Es war eine Provokation gegenüber dem Deutschen Bundestag, dass diese Praxis fortgesetzt worden ist, indem E-Mails einer Journalistin erfasst worden sind, kurz nachdem der Bundestag diese Praxis des BND öffentlich kritisiert hatte.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Zweitens. Die rot-grüne Bundesregierung hat durch den Bundesnachrichtendienst vor und während des Irakkriegs Informationen aus Bagdad gewinnen und an die USA übermitteln lassen. Diese Informationen waren für die Kriegsführung durchaus von Bedeutung. Damit hat die damalige rot-grüne Bundesregierung ein zentrales Wahlversprechen gebrochen, nämlich sich nicht am Irakkrieg zu beteiligen. Das ist in diesem Ausschuss ganz deutlich geworden.
(Beifall bei der FDP und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU Thomas Oppermann (SPD): Damit machen Sie sich doch lächerlich!)
Drittens. Das offizielle Nein der früheren Bundesregierung zum Irakkrieg führte zugleich dazu, dass man keine zusätzlichen Streitpunkte mit den USA riskieren wollte. Joschka Fischer brachte dies in Bezug auf die Verschleppung des unschuldigen deutschen Staatsangehörigen Khaled el Masri durch die Amerikaner deutlich zum Ausdruck. Der frühere Außenminister Fischer wurde in der Zeit vom 21. Dezember 2005 zitiert:
El-Masris wegen wollte Berlin nicht den großen Krach anzetteln.
Er hat der befreundeten Nation aber nicht einmal den dezenten Hinweis gegeben, dass die Methoden der Bush-Administration zur Terrorabwehr nicht unsere Methoden sind.
(Beifall bei der FDP und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Weil dies so war, sind wir der Auffassung: Es reicht nicht aus, sich im Bundestag in Resolutionen für die Schließung von Guantánamo auszusprechen. Auch das Handeln der Behörden in Einzelfällen muss an unseren eigenen rechtsstaatlichen Maßstäben gemessen werden.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Viertens. Als zwei Beamte des Bundeskriminalamts Herrn Khafagy kurz nach dem 11. September 2001 in Bosnien vernehmen sollten, lehnten sie eine Vernehmung vor Ort ab, weil Khafagy unter folterähnlichen Umständen inhaftiert war. Das rechtsstaatliche Gewissen war zu diesem Zeitpunkt noch intakt. Die richtige Entscheidung der beiden Beamten lautete, dass es keine Informationsgewinnung um jeden Preis geben darf.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Das war ein richtiger Grundsatz.
Fünftens. In der Folgezeit kam es zu einem Paradigmenwechsel in der deutschen Sicherheitspolitik. Es galt der von Otto Schily hier im Plenum oft vertretene Grundsatz: „In dubio pro securitate“ im Zweifel für die Sicherheit.
(Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD): Jetzt sind Sie aber bei Visa, Herr Stadler!)
Nein. Es ist eigentlich selbstverständlich, dass man für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger eintritt; aber dieser Grundsatz führte in der Praxis dazu, dass die Grundrechte Einzelner nicht mehr geachtet wurden. Das Grundgesetz verlangt aber eine Sicherheitspolitik unter Beachtung der Grundrechte, nicht unter ihrer Verletzung.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))
Im Zweifel für die Freiheit das ist der Geist der Verfassung. Dagegen ist verstoßen worden.
Ich nenne aus Zeitgründen nur ein einziges Beispiel, das verdeutlicht, wozu dieser Denkansatz geführt hat. Er hat zu einer von der Mehrheit im Bundestag getragenen Gesetzgebung geführt, die das Bundesverfassungsgericht immer wieder korrigieren musste, beispielsweise das verfehlte Luftsicherheitsgesetz.
Sechstens. Der Paradigmenwechsel im Denken wirkte sich auch auf das Regierungs- und Behördenhandeln aus. Gegen Murat Kurnaz lagen keine stichhaltigen Beweise, sondern nur vage Verdachtsmomente vom Hörensagen vor. Da setzte aber die unerbittliche Logik des Präventionsstaates ein. Die rot-grüne Bundesregierung setzte sich nicht etwa für die Freilassung von Kurnaz aus Guantánamo ein, sondern verfügte ganz im Gegenteil eine Wiedereinreisesperre. Die schreckliche Wirkung war eine Art Verbannung auf Verdacht. Diese Verdachtsmentalität war prägend für die Sicherheitspolitik.
Murat Kurnaz war ironischerweise einer der Gewinner der Bundestagswahl 2005, weil die Bundeskanzlerin Angela Merkel und der Außenminister Frank-Walter Steinmeier ihn nach jahrelanger Folter und Inhaftierung aus Guantánamo herausholten.
(Beifall bei der FDP)
- Moment, meine Damen und Herren. Warum Kanzleramtschef Frank-Walter Steinmeier 2002 nicht einmal den Versuch unternommen hat, Kurnaz aus Guantánamo freizubekommen, bleibt für die FDP nach wie vor völlig unbegreiflich. Ein Wort der Entschuldigung gab es bis heute nicht.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Herr Kollege Stadler.
Dr. Max Stadler (FDP):
Ich komme zum Schlusssatz, Frau Präsidentin.
Ralf Dahrendorf hat in seinem letzten Buch vor der Gegenaufklärung als Reaktion auf den Terrorismus gewarnt. Diese Mahnung sollten wir ernst nehmen. Wir müssen eine Sicherheitspolitik betreiben, die sich an den Werten der Aufklärung und des Grundgesetzes orientiert. Wenn der Untersuchungsausschuss dazu einen Beitrag geleistet hat, dann hat sich die viele Arbeit gelohnt.
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP und der LINKEN sowie des Abg. Laurenz Meyer (Hamm) (CDU/CSU))
Rede vom 18.06.2009
Antrag Bündnis 90/Die Grünen
Rechtsklarheit und Transparenz schaffen- Öffentlichkeit von Aufsichtsratssitzungen kommunaler Gesellschaften bundesrechtlich eindeutig normieren
Das in dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen formulierte Anliegen, durch eine klare bundesrechtliche Regelung die Öffentlichkeit von Aufsichtsratssitzungen kommunaler Gesellschaften zuzulassen, wird von der FDP-Bundestagsfraktion seit langem unterstützt. Die FDP hat einen ähnlichen Vorstoß bereits früher unternommen, ist dabei leider ebenso wenig auf Gegenliebe bei der großen Koalition gestoßen, wie dies auch heute wieder zu erwarten ist.
Die Debatte in der ersten Lesung sowie in den Ausschüssen hat gezeigt, dass die Koalition irrtümlich der Meinung ist, es bestehe kein Regelungsbedarf. Immer wieder wird behauptet, dass dieses Problem nur einige wenige Kommunalpolitiker interessiere.
Dem ist entgegenzuhalten, dass beispielsweise in Bayern zu dieser Thematik Verwaltungsgerichtsstreitigkeiten bis zum Bayerischen Verwaltungsgerichtshof geführt worden sind, und dass es in vielen Städten und Gemeinden lebhafte Debatten über mehr Transparenz bei kommunalen Gesellschaften gibt. Für viele Bürgerinnen und Bürger ist es nicht einsichtig, warum wegen einer reinen Rechtsformänderung bisher nach Kommunalrecht öffentlich zu diskutierende Sachverhalte plötzlich hinter verschlossenen Türen behandelt werden. Die Leichtigkeit, mit der sich die große Koalition über das berechtigte Anliegen nach mehr Transparenz hinwegsetzt, zeugt leider entweder von Arroganz oder von Ignoranz. Beides ist gleich schlimm.
Soweit die Koalition überhaupt sachlich auf das Transparenz-Anliegen eingeht, gibt sie mit ihrer Verweigerungshaltung aber Steine statt Brot. Zum einen wird behauptet, die Kommunen könnten sich ja anderer Organisationsformen bedienen, bei denen der Nichtöffentlichkeitsgrundsatz des Gesellschaftsrechts nicht gelte.
Es mag ja sein, dass der Weg der bloßen Organisationsprivatisierungen und der Überführung kommunaler Dienststellen in Gesellschaften mit beschränkter Haftung ein Irrweg gewesen ist, der hauptsächlich aus dem Ruder laufende Schattenhaushalte und überzogene Geschäftsführergehälter produziert hat. Gleichwohl ist es ein Faktum, dass - beispielsweise aus steuerlichen Gründen - viele Kommunen diesen Weg gegangen sind und nun eben zahlreiche kommunale GmbHs existieren. Vor dieser Realität kann man nicht einfach die Augen verschließen, sondern muss als Gesetzgeber die passenden Antworten geben.
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Hierzu behauptet die SPD, man könne alle gewünschten Regelungen im Gesellschaftsvertrag unterbringen. Genau dies ist aber unter Juristen äußerst streitig. In Passau, wo die Thematik seit langem öffentlich intensiv diskutiert wird, hat sich dazu kürzlich auf einer Vortragsveranstaltung der renommierte Gesellschaftsrechtler Professor Dr. Jan Wilhelm geäußert. Nach seiner Auffassung darf entsprechend der derzeitigen Rechtslage vom Nichtöffentlichkeitsgrundsatz gerade nicht abgewichen werden.
Daran erkennt man, dass zumindest eine erhebliche Rechtsunsicherheit herrscht. Manche Städte, wie etwa die große Kreisstadt Deggendorf, sind dazu übergegangen, gleichwohl die Sitzungen der Aufsichtsgremien kommunaler Gesellschaften öffentlich durchzuführen. Fachleute wie Professor Wilhelm haben die Sorge geäußert, dass Beschlüsse, die auf diese Weise zustande gekommen sind, anfechtbar seien. Im Hintergrund drohen sogar Schadensersatzansprüche gegen die Aufsichtsräte.
Es ist unverantwortlich, Kommunalpolitiker, die ihre Beratungen der Öffentlichkeit zugänglich machen wollen, mit dieser ihrer guten Absicht alleine zu lassen. Es gibt keinen einsichtigen Grund, warum der Gesetzgeber keine sichere Grundlage für mehr Transparenz schaffen dürfte und sollte. Mit ihrer Untätigkeit verletzt die große Koalition ihre Pflicht, per Gesetz Klarheit und Rechtssicherheit zu schaffen.
Die FDP wird nicht müde werden, das Thema erneut auf die Tagesordnung des Bundestages zu setzen. Es ist zu hoffen, dass in der nächsten Legislaturperiode eine größere Bereitschaft hergestellt werden kann, das einfach zu lösende Thema endlich anzupacken.
Bei dem heute zur Abstimmung stehenden Antrag der Grünen enthält sich die FDP-Fraktion allerdings aus einem bestimmten Grund der Stimme: Die Grünen wollen in die wünschenswerte Neuregelung auch Gesellschaften mit lediglich kommunaler Mehrheitsbeteiligung einbeziehen. Dies könnte rechtlich problematisch sein, weil dann auch private Minderheitsgesellschafter, für die eben traditionell der Nichtöffentlichkeitsgrundsatz gilt, betroffen wären. Aus Sicht der FDP wäre es daher besser, zunächst einmal die Transparenzregelung auf die vollständig in kommunaler Hand befindlichen Gesellschaften zu beziehen.
Wenn wir somit auch dem Antrag der Grünen nicht zustimmen können, sondern uns der Stimme enthalten, bleibt doch zu betonen, dass das Grundanliegen von der FDP seit langem befürwortet wird.
Rede vom 18.06.2009
Dr. Max Stadler (FDP):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir Freien Demokraten unterstützen diejenigen Maßnahmen, die wirklich gegen Kinderpornografie helfen.
(Beifall bei der FDP)
Das Gesetz der Großen Koalition erfüllt diesen Zweck nicht. Deswegen lehnen wir es ab.
(Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Mit dem Gesetz, das CDU/CSU und SPD heute vorlegen, wird die Kinderpornografie um kein Jota zurückgedrängt.
(Martin Dörmann [SPD]: Das ist eine Behauptung!)
Die von Ihnen vorgesehenen Zugangssperren im Internet sind in Sekundenschnelle zu umgehen und deswegen kein taugliches Mittel. Es führt kein Weg daran vorbei, sich der weitaus mühsameren Aufgabe zu unterziehen, die Täter zu verfolgen und zu bestrafen
(Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
und Seiten mit kinderpornografischen Inhalten zu löschen, statt nur den Zugang zu erschweren.
(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch kein Widerspruch!)
Diese wirklich wirksamen Maßnahmen sind auch realisierbar. Dazu muss man sich allerdings, weil sich die meisten Anbieter im Ausland befinden, die Mühe machen, eine wirkungsvolle internationale Zusammenarbeit mit den betreffenden Staaten zu organisieren oder zu intensivieren. Kinderpornografie ist ein abscheuliches Verbrechen. Dagegen muss man aber wirklich wirksame Maßnahmen ergreifen. Sie begnügen sich hier mit Scheinaktivitäten.
(Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Die von Ihnen vorgeschlagenen Zugangssperren sind aber nicht nur nutzlos, sondern sie berühren auch sensible Fragen des Rechtsstaats. Deswegen möchte man meinen, dass gerade ein solches Gesetzgebungsvorhaben in einer Form durchgeführt wird, die über jeden Zweifel erhaben ist. Das Gegenteil ist leider der Fall. Frau Kollegin Krogmann hat ihren Beitrag damit begonnen, dass sie behauptet hat, es würde jetzt gleich das Gesetz zur Bekämpfung der Kinderpornografie in Kommunikationsnetzen beschlossen.
(Dr. Martina Krogmann [CDU/CSU]: Das Gesetz heißt auch so!)
Richtig ist: Ein solches Gesetz war hier in erster Lesung beraten worden. Sie aber haben das geändert. Wir beraten heute über ein gänzlich neues, anderes Gesetz, das auch einen anderen Namen hat. Es heißt Zugangserschwerungsgesetz. Das wird heute erstmals hier im Plenum beraten, obwohl der normale Ablauf wäre, dass es eine Plenardebatte gibt, dann Ausschussberatungen und dann die zweite und dritte Lesung.
(Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Jörg Tauss [SPD] – Dr. Ole Schröder [CDU/CSU]: Man kann doch im Gesetzgebungsverfahren den Namen des Gesetzes ändern!)
– Nein, Sie haben das ursprüngliche Gesetz, das noch auf der Tagesordnung steht – die ist insofern irreführend –, ersetzt und ein neues eingebracht, ohne den normalen Ablauf einzuhalten. Ich sage Ihnen Folgendes, lieber Herr Kollege Schröder: Wir Juristen wissen, dass das Bundesverfassungsgericht seit der Elfes-Entscheidung – 6. Band, Seite 32 – auch das formelle Zustandekommen eines Gesetzes auf Verfassungsbeschwerde hin prüft. Dass hier Verfassungsbeschwerden eingelegt werden, liegt auf der Hand. Dann wird Ihr Verfahren in Karlsruhe überprüft werden. Das sage ich Ihnen jetzt schon voraus.
(Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Ole Schröder [CDU/CSU]: Können Sie gerne machen!)
Es kommt aber noch schlimmer: Sie als Bund haben gar keine Gesetzgebungskompetenz.
(Zuruf von der FDP: So ist es!)
Wir beraten hier eine Materie, die eindeutig zum Polizeirecht gehört.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP sowie des Abg. Jörg Tauss [SPD])
Polizeirecht ist Ländersache. Man kann nicht deswegen, weil es um das hehre Ziel geht, Kinderpornografie zu bekämpfen, einfach die grundgesetzlichen Kompetenzregelungen übergehen. Auch dieses wird mit Sicherheit vom Verfassungsgericht überprüft werden. Sie haben in der Tat in dem neuen Gesetz, das wir heute eigentlich in erster Lesung beraten – Sie nennen das fälschlich zweite und dritte Lesung –, tatsächlich einige Kritikpunkte von uns aus der Lesung zu dem damaligen Gesetz aufgegriffen. Beispielsweise haben Sie jetzt vorgesehen, dass die Daten nicht mehr für Strafverfolgungszwecke verwendet werden.
(Michaela Noll [CDU/CSU]: Das haben wir von vornherein gefordert!)
Das ist ein Fortschritt, damit nicht der, der zufällig in so eine Sperre gerät, der Strafverfolgung ausgesetzt wird. Nur ist Ihnen die Formulierung missglückt. Es wird nämlich keineswegs verboten, dass die Daten übermittelt werden, es wird keineswegs verboten, dass sie für andere Zwecke gespeichert werden. Kollege Wiefelspütz von der SPD hat gestern im Innenausschuss zu Recht gesagt: Wer sich nichts hat zuschulden kommen lassen, dessen Daten gehören überhaupt nicht gespeichert. – Aber leider stimmen Sie von der SPD anders ab, als Sie sich kritisch dazu verhalten.
(Klaus Uwe Benneter [SPD]: Stimmt doch gar nicht!)
Ich nenne noch einen Punkt, weil Frau Krogmann darauf großen Wert gelegt hat. Wir haben kritisiert, dass eine Polizeibehörde Sperren für Inhalte im Internet vorsehen soll, nämlich das Bundeskriminalamt. Das ist wirklich systemfremd, weil es eigentlich eine richterliche Aufgabe wäre. Nun haben Sie die Kritik zum Teil aufgegriffen, indem ein Expertengremium noch einmal darüber schaut, allerdings nur stichprobenartig. Ist das wirklich eine rechtsstaatliche Kontrollfunktion, wenn nur Stichproben – wie im Gesetz steht, mindestens einmal im Quartal – durchgeführt werden?
(Dr. Martina Krogmann [CDU/CSU]: Jederzeit, steht im Gesetz!)
Aber Sie haben dabei einen entscheidenden Fehler begangen; ich will ihn Ihnen nennen: Dieses Expertengremium richten Sie beim Bundesdatenschutzbeauftragten ein, aber dort gehört es nicht hin.
(Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Jörg Tauss [SPD])
Damit wird der Bundesdatenschutzbeauftragte Beteiligter einer polizeilichen Maßnahme. Das ist völlig aufgabenfremd für ihn, und deswegen hat Herr Schaar sich zu Recht dagegen gewehrt.
(Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Jörg Tauss [SPD])
Meine Damen und Herren, die größte Sorge, die auch in der Community geäußert wird – Sie haben gesagt, dass Sie dafür Verständnis haben –, lautet: Dies ist ein Einstieg in die Internetzensur. Sie versichern zwar, es sei nur dieser Bereich, in den Sie auf diese Weise eingreifen wollen, und es sei nicht daran gedacht, dies auf weitere Bereiche auszudehnen. Genau das hören wir bei jedem Ihrer Eingriffsgesetze, und bei jedem dieser Ihrer Gesetze kommt ein halbes Jahr oder ein Jahr später die Debatte über die Ausweitung. Das war so bei der Verwendung der Mautdaten, das war so bei den heimlichen Onlinedurchsuchungen. Immer finden sich dann jemand und ein Anlass, dass dies ausgeweitet werden muss. Ich sage Ihnen: Sie haben heute die gute Absicht, es dabei zu belassen, aber die Ausweitungsforderungen kommen so sicher wie das Amen in der Kirche.
(Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Jörg Tauss [SPD] – Zuruf von der FDP: Die sind doch schon da!)
Wenn Sie vielleicht sagen, dies seien Kassandrarufe der Liberalen, dann darf ich Sie darauf hinweisen: Kassandra hat bedauerlicherweise recht behalten.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Herr Kollege Stadler!
Dr. Max Stadler (FDP):
Deshalb komme ich zu folgendem Schlusssatz, Frau Präsidentin: Das einzig Gute, was man über Ihr Gesetz sagen kann, ist, dass es offensichtlich gut gemeint sein könnte; aber das Zugangserschwerungsgesetz erreicht seinen Zweck nicht und enthält Risiken und Nebenwirkungen, vor denen man nur dringend warnen kann.
(Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Jörg Tauss [SPD])
Rede vom 29.05.2009
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Das Wort hat Kollege Max Stadler für die FDP-Fraktion.
(Beifall bei der FDP)
Dr. Max Stadler (FDP):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach den Anschlägen in den USA am 11. Septem-ber 2001 haben die Nachrichtendienste auch in der Bundesrepublik Deutschland so viele Befugnisse erhalten wie nie zuvor. Für die FDP war immer klar: Je mehr Befugnisse Geheimdienste haben, umso besser muss die parlamentarische Kontrolle ausgestaltet werden.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Daran hat es bisher aber gemangelt. Diese Kontrolldefizite werden mit dem heute zu verabschiedenden Gesetz verringert.
Erinnern wir uns: Einsatz von BND-Agenten während des Irak-Kriegs in Bagdad trotz gegenteiliger Selbstdarstellung der damaligen rot-grünen Bundesregierung, rechtswidrige Bespitzelung von Journalisten, fragwürdige Amtshilfe des Nachrichtendienstes gegenüber Polizeibehörden. All diese Vorgänge sind in der Vergangenheit am dafür berufenen Parlamentarischen Kontrollgremium vorbeigegangen. Das war nicht länger akzeptabel. Das wissen alle in diesem Hohen Haus zwar seit Jahren.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Aber nur die FDP-Fraktion hat schon am 6. April 2006 einen Reformentwurf in den Bundestag eingebracht.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den Sie jetzt für erledigt erklären, Herr Kollege!)
– Ja, weil wir daraus jetzt ein Gesetz machen. Das ist genau der Gedankengang, den ich vortragen wollte, lieber Herr Kollege Ströbele. – Wir sind sehr zufrieden, dass es jetzt nach dreijähriger Debatte gelungen ist, obwohl die Koalition das Thema jahrelang nicht angepackt hat, die Regierung „not amused“ war und nichts voranzugehen schien, zu einem gemeinsamen Gesetzentwurf von CDU/CSU, SPD und FDP zu kommen.
Es passiert nicht jeden Tag, dass man aus der Opposition heraus gemeinsam mit den Regierungsfraktionen einen Gesetzentwurf initiieren kann.
(Beifall bei der FDP – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo bleiben denn Ihre Forderungen?)
Das wäre auch in diesem Fall nicht möglich gewesen, wenn sich nicht einzelne Abgeordnete der Koalitionsfraktionen des Themas besonders angenommen hätten. Das sind Kollege Uhl, der gerade gesprochen hat, Kollege Röttgen und Kollege Oppermann. Ich will in aller Deutlichkeit sagen, dass auch die Diskussionsbeiträge des Kollegen Ströbele von den Grünen und des Kollegen Nešković von der Linkspartei die Reformdebatte befruchtet haben.
Dagegen lesen wir in seriösen Zeitungen, dass offenbar mehrere Minister der amtierenden Bundesregierung hinhaltenden Widerstand gegen diesen ohnehin moderaten Gesetzentwurf geleistet haben.
(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Das kann ich mir gar nicht vorstellen! – Gisela Piltz [FDP]: Wir sind das Parlament, Herr Stadler!)
Es ist nicht dementiert worden, dass die Minister Schäuble, Steinmeier und Jung wieder einmal das Argument benutzt haben, dass eine stärkere parlamentarische Kontrolle die Arbeit der Geheimdienste erschweren und unsere Sicherheit gefährden würde.
(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Das kann ich mir nicht vorstellen! – Zuruf von der FDP: Was ist denn das für ein Parlamentsverständnis!)
Das ist völliger Unsinn. Wir sagen dazu: Für die FDP kam es überhaupt nicht infrage, diesem Druck, der offenbar von der Regierung auf das Parlament ausgeübt werden sollte, in irgendeiner Weise nachzugeben.
(Beifall bei der FDP)
Im Gegenteil: Der Gesetzentwurf ist nach einer Sachverständigenanhörung, die am Montag stattgefunden hat, im Ausschuss noch deutlich verbessert worden. Ich nenne folgende Punkte: Mit diesem Gesetzentwurf wird erstmals in den Fällen, in denen das Gremium Vorgänge öffentlich bewertet – das ist allerdings die Ausnahme, weil es weiterhin prinzipiell nicht öffentlich tagt –, das Recht der Opposition auf ein Sondervotum bei diesen Bewertungen festgeschrieben. Das ist ein erheblicher Fortschritt. Allerdings findet sich im Gesetzentwurf eine wirklich unpassende Formulierung, nach der solche Sondervoten der Opposition dem Gremium vorher vorzulegen sind. Wir haben nicht das Bedürfnis, diejenigen, die wir kontrollieren wollen und nach dem gesetzlichen Auftrag kontrollieren müssen, vorher um Erlaubnis zu bitten. Es ist klargestellt, dass diese Passage, die ohnehin nicht im Gesetz stand, sondern nur in der Begründung, keine Bedeutung hat.
(Beifall bei der FDP)
Ich nenne einen zweiten Punkt: Wir haben in den letzten Beratungen in dieser Woche erreicht, dass die Mitarbeiter, die uns neu zuarbeiten können, weil vier Augen nun einmal mehr sehen als zwei Augen, auf Beschluss des Gremiums auch Zugang zu den Sitzungen und damit zu der mündlichen Unterrichtung der Abgeordneten haben.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur im Einzelfall und mit Zweidrittelmehrheit!)
Das wird ebenfalls die Kontrollmöglichkeiten deutlich verbessern und ist ein Fortschritt gegenüber dem, was zu Beginn unserer Beratungen im Gesetzentwurf vorgesehen war.
Nun ist mir eines noch besonders wichtig, meine Damen und Herren; auch dies hat die FDP mit Unterstützung von CDU/CSU und SPD im Innenausschuss klargestellt: Erstmals wird das Parlamentarische Kontrollgremium auch in der Verfassung selbst verankert. Mit dieser besonderen Hervorhebung des Gremiums werden aber die Rechte einzelner Abgeordneter oder sonstiger Parlamentsausschüsse wie etwa Innenausschuss oder Rechtsausschuss in keiner Weise beeinträchtigt. Das Parlamentarische Kontrollgremium ist in besonderem Maße zur Kontrolle befugt, aber andere Ausschüsse haben ebenfalls ihre Rechte, etwa wenn Polizeien wie das Bundeskriminalamt gemeinsam, womöglich unter Verletzung des Trennungsgebotes, mit Geheimdiensten tätig sind.
(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Wolfgang Nešković [DIE LINKE])
Für uns ist klar, dass die Rechte des Parlaments unberührt bleiben. Es kommt im Gegenteil insgesamt zu einer verbesserten Kontrolle.
Auch die FDP sagt: Wir brauchen die Dienste, aber die Dienste brauchen auch uns Kontrolleure; denn eine Tätigkeit, die sich im Geheimen abspielt, kann nur Vertrauen beanspruchen, wenn es eine ausreichende Kontrolle gibt. Da könnte man sich immer noch mehr vorstellen – das weiß jeder –; trotzdem sage ich in der Gesamtabwägung: Mit diesem Gesetz, das wir heute beschließen, wird die notwendige Kontrolle ein gutes Stück vorangebracht.
(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)
Rede vom 06.05.2009
Dr. Max Stadler (FDP):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Staatssekretär Schauerte hat seinen Beitrag mit dem Satz begonnen, dass Kinderpornografie ein abscheuliches Verbrechen ist. Dem stimmen wir voll und ganz zu.
(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Renate Gradistanac [SPD])
Die Täter müssen konsequent verfolgt und die Straftaten geahndet werden.
(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Richtig!)
Kinderpornografische Seiten im Netz müssen, wo immer das möglich ist, gelöscht werden. Es reicht nicht, nur den Zugang zu erschweren. Auch die Seiten müssen, wie gesagt, gelöscht werden.
(Beifall bei der FDP und der LINKEN sowie des Abg. Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])
An dieser Stelle würde ich meinen Diskussionsbeitrag am liebsten beenden. Man läuft nämlich Gefahr, bewusst missverstanden zu werden, wenn man zu Ihrem Gesetzentwurf kritische Fragen stellt. Solche kritischen Fragen muss man aber stellen, weil noch nicht alles richtig ausdiskutiert ist, was Sie uns hier vorlegen.
Das beginnt schon mit der Gesetzgebungskompetenz. Sagen Sie nicht, das sei eine Petitesse am Rande. Nein, der Bund darf nur das regeln, wofür er zuständig ist. Sie meinen, es gehe um Wirtschaftsrecht und damit sei der Bund zuständig. Wir sagen: Hier geht es – genau das haben Sie ausgeführt, Herr Staatssekretär – um die Abwehr von Straftaten, also um Prävention und Gefahrenabwehr. Das ist nach unserer Verfassungsordnung Ländersache. Darüber muss man in den weiteren Beratungen ernsthaft reden.
(Beifall bei der FDP)
Immerhin legen Sie jetzt einen Gesetzentwurf vor. Die vertragliche Regelung wäre rechtsstaatlich auf keinen Fall ausreichend gewesen; denn es geht um Grundrechtseingriffe. Bei dem Gesetzentwurf, den Sie vorlegen, stellen sich dennoch weitere Fragen. Die erste Frage lautet: Greifen Sie überhaupt zu tauglichen Mitteln? Ich habe schon erwähnt, dass auf der Grundlage Ihres Gesetzentwurfs kinderpornografische Seiten keineswegs gelöscht werden sollen. Vielmehr wird dadurch nur der Zugang erschwert. Die Zugangserschwernis ist aber leicht zu umgehen; das sagen uns die Fachleute aus der Computerbranche.
Ist das noch ein taugliches Mittel, wenn man es so leicht umgehen kann und wenn die hauptsächlichen Verbreitungswege von Kinderpornografie in sogenannten Peer-to-Peer-Gruppen von den Maßnahmen in Ihrem Gesetzentwurf gar nicht erfasst werden? Die Frage nach der Tauglichkeit einer Regelung ist sehr wohl zu stellen; denn der Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit der Eingriffsmittel umfasst eben auch das Erfordernis, dass Eingriffe tauglich sein müssen.
(Beifall bei der FDP und der LINKEN sowie des Abg. Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])
Ich komme zu einem weiteren Punkt, der uns Sorgen macht. Wollen wir wirklich, dass eine Polizeibehörde, und zwar nur sie, einen Eingriff in ein Grundrecht, nämlich die Informationsfreiheit, formuliert und dafür Vorgaben macht? Ist das der richtige Weg, oder braucht man nicht zumindest einen Richtervorbehalt? Als Beispiel nenne ich Gremien, die entsprechende Entscheidungen im Falle von jugendgefährdenden Schriften treffen. Da ist in Ihrem Gesetzentwurf noch nicht alles zu Ende gedacht.
Es gibt im Übrigen einen entscheidenden Punkt, wo wir Sie beim Wort nehmen müssen, da Sie gerade den Ausführungen des Staatssekretärs Beifall gezollt haben. In der Gesetzesbegründung heißt es, dass mit diesem Gesetz der Kampf gegen kinderpornografische Seiten gesetzlich abgesichert werden soll. So weit, so gut. Dem stimmen wir zu. Aber dann folgt ein wichtiger Satz:
Eine Ausweitung auf andere Zwecke ist nicht beabsichtigt.
Meine Damen und Herren, das ist eine gute Absicht. Allein uns fehlt der Glaube,
(Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
weil wir in der Vergangenheit häufig genug erlebt haben, dass Sie weitere Eingriffe vorgenommen haben.
Nehmen wir das aktuelle Beispiel heimlicher Onlinedurchsuchungen. In den Diskussionen in diesem Hause hieß es, dass sie nur ausnahmsweise und nur zur Bekämpfung des Terrorismus durchgeführt werden sollen. Aber schon wenige Monate nach der Verabschiedung dieses Gesetzes wurde die Forderung erhoben, die Regelungen auf weitere Bereiche auszudehnen. Deswegen sage ich: Bei allen Maßnahmen, über die wir jetzt diskutieren, muss völlig klar sein, dass man nicht weitergehen darf.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf sind Sie allerdings weiter gegangen als in der vorherigen Debatte angekündigt. Nach Ihrem Gesetzentwurf wird künftig auch derjenige, der nur versehentlich auf eine gesperrte Seite gerät und gar nicht weitersurft, dem Bundeskriminalamt gemeldet; das ist zumindest zulässig, also wird es auch geschehen. Wollen wir das? Ist das noch verhältnismäßig? Oder wollen wir die wirklichen Täter aufspüren?
(Beifall bei der FDP und der LINKEN sowie des Abg. Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])
Mein Fazit: Sie verfolgen mit Ihrem Gesetzentwurf eine gute Absicht. Kinderpornografie muss bekämpft werden; das ist auch die Position der FDP. Aber über die Ausführung, die Sie vorschlagen, werden wir in den Ausschüssen noch sehr gründlich diskutieren müssen. Hier ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.
(Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Genau! So machen wir das!)
Rede vom 23.04.2009
Der heute zu beratende Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Umsetzung des Beschlusses des Rates vom 23. Juni 2008 geht auf den sogenannten Prümer Vertrag zurück. Dieser Vertrag ist durch ein entsprechendes Vertragsgesetz in das deutsche Recht transformiert worden. Damals hat sich die FDP der Stimme enthalten. Die Gründe, die seinerzeit dafür maßgeblich gewesen sind, gelten weiter fort. Deshalb ist die Haltung der FDP zur heute vorliegenden Änderung des Ausführungsgesetzes zum Prümer Vertrag und zu weiteren Folgeänderungen unverändert.
Der Ratsbeschluss vom 23. Juni 2008, der mit dem heutigen Gesetz umgesetzt werden soll, entspricht nämlich im Wesentlichen dem Inhalt des Vertrages selbst.
Den Vertrag hat die FDP im Grundsatz begrüßt, weil damit eine verbesserte internationale Zusammenarbeit im Bereich der polizeilichen Arbeit in der Europäischen Union zum Zwecke der Gefahrenabwehr, insbesondere zur Bekämpfung des Terrorismus und der grenzüberschreitenden Kriminalität beabsichtigt war.
Allerdings haben mehrere Einzelpunkte nicht die Zustimmung der FDP gefunden. Wir haben kritisiert, dass die Anforderungen für die Übermittlung von DNA-Daten nicht ausreichend definiert worden sind. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist dabei nicht vollständig beachtet worden. Die Rechtsschutzmöglichkeiten der EU-Bürgerinnen und EU-Bürger sind nicht ausreichend ausgestaltet worden. Nach wie vor gibt es übrigens auch keine zufriedenstellenden Kontrollrechte des EU-Parlaments bezüglich der internationalen polizeilichen Zusammenarbeit.
Ferner hat die FDP damals kritisiert, dass dem Vertrag von Prüm auch andere, sogar außereuropäi-sche Staaten beitreten können, deren Datenschutzniveau nicht hinreichend ist.
Es ist klar, dass der heute vorliegende Gesetzentwurf im Wesentlichen Rechtstechnik betrifft, gleichwohl kann man nicht darüber hinweggehen, dass Ausgangspunkt hierfür eben der Vertrag von Prüm ist, der in seiner konkreten Ausgestaltung trotz grundsätzlich richtiger Zielsetzung von der FDP nicht mitgetragen werden konnte.
Deshalb ist es folgerichtig, dass sich unsere Fraktion auch bei dem jetzt zur Debatte stehenden Gesetzentwurf der Stimme enthält.
Rede vom 27.03.2009
Dr. Max Stadler (FDP):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Bitte des Kollegen Brandt, diesem Gesetz zuzustimmen, kann die FDP-Fraktion leider nicht erfüllen. Ich komme gleich auf die Einzelheiten zu sprechen.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hoffentlich!)
Zunächst ist darauf zu verweisen, dass wir es mit einem äußerst sensiblen Bereich zu tun haben, der den Deutschen Bundestag erstmals in dieser Form im Jahr 1968 beschäftigt hat, als die erste Große Koalition aus CDU/CSU und SPD regiert hat. Damals, am 13. August 1968, ist das Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses – es heißt G-10-Gesetz, weil es Art. 10 des Grundgesetzes einschränkt – in Kraft getreten. Dagegen gab es eine Verfassungsklage. Das Bundesverfassungsgericht hat das Gesetz mit Mehrheit für verfassungskonform erachtet, jedenfalls im Grundsatz, wenn es später auch Details beanstandet hat. Es gab aber das berühmte Sondervotum der Verfassungsrichterin Wiltraud Rupp-von Brünneck, das Rechtsgeschichte geschrieben hat. Sie schrieb in dieses Sondervotum: Principiis obsta – wehret den Anfängen!
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut!)
Das war der erste Schritt zur Abkehr von rechtsstaatlichen Grundsätzen, weil mit diesem Gesetz der damaligen Großen Koalition die richterliche Kontrolle bei einem Grundrechtseingriff beseitigt worden ist.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Eine Mehrheit des Bundesverfassungsgerichts hat dieses Gesetz dennoch für verfassungskonform gehalten. Deswegen hatte der Deutsche Bundestag die Aufgabe, in der G-10-Kommission den Grundrechtsschutz so gut wie möglich zu gewährleisten. Ich will an dieser Stelle nicht verschweigen, dass die Kontrolldichte in diesem Bereich gerade in den letzten Jahren wesentlich verbessert wurde. Wir wissen mittlerweile aus Studien des Max-Planck-Instituts, dass auch die richterliche Kontrolle im Bereich Telefonüberwachung in manchen Fällen nicht wie gewünscht funktioniert hat. Ich will die Gelegenheit der heutigen Debatte nutzen, um zu erwähnen, dass gerade unter dem Vorsitz des Sozialdemokraten Dr. Hans de With, der in der sozialliberalen Koalition Staatssekretär im Bundesjustizministerium unter Dr. Hans-Jochen Vogel gewesen ist – das einmal zur rechtsstaatlichen Tradition der SPD –, versucht wurde, den Grundrechtsschutz zur Geltung zu bringen.
(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Klaus Uwe Benneter [SPD])
Dieses verdienstvolle Bemühen der G-10-Kommission wird meiner Meinung nach teilweise konterkariert, indem mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf schon wieder Erweiterungen der Eingriffsbefugnisse der Nachrichtendienste geschaffen werden, ohne dass sie zwingend notwendig sind. Ich nehme das Beispiel auf: Ist es denn unumgänglich, die Daten Jugendlicher zu speichern? Was ist der nächste Schritt?
(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kinder!)
In einem Bundesland gab es kürzlich die Speicherung der Daten von Kindern. Wollen wir das wirklich? Wir haben doch eines aus dem BND-Untersuchungsausschuss gelernt: Es gibt oft Verdachtsmomente, die sich aus zweiter Hand speisen und die äußerst vage sind. Das ist nicht so, wie wenn vor Gericht nach einem strikten Verfahren etwas festgehalten wird. Deshalb muss man, wenn es darum geht, schon Jugendliche oder gar Kinder zu erfassen, äußerst vorsichtig sein.
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Völlig richtig!)
Ich frage mich auch, ob Schleuserkriminalität Gegenstand der strategischen Fernmeldeaufklärung sein muss. Schleuserkriminalität ist strafrechtlich gesehen Unrecht. Wir können den BND aber nicht auf alle Straftaten ansetzen. Es muss klar getrennt werden zwischen Geheimdienstarbeit und Polizeiarbeit.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Klaus Uwe Benneter [SPD])
Ich komme zum Schluss. Das Verfahren, das die Große Koalition gewählt hat, ist eine Zumutung. Sie haben den Gesetzentwurf im Jahr 2006 eingebracht. Dann blieb er drei Jahre bei Ihnen liegen. Am letzten Freitag sind Sie mit zahlreichen Änderungen gekommen, die heute in zweiter und dritter Lesung durchs Parlament gehen sollen. Das ist jetzt ein völlig anderer Gesetzentwurf als der, den Sie vor drei Jahren eingebracht haben. Sie haben sich mit dieser Vorgehensweise die erste Lesung für diesen völlig neuen Gesetzentwurf, den Sie uns letzten Freitag um 14 Uhr per Fax ins Büro geschickt haben, gespart. Sie haben so eine korrekte Behandlung in den Ausschüssen, vielleicht mit Sachverständigenanhörung, umgangen, und das in einem Bereich, der grundrechtsrelevant ist. Dem können wir nicht zustimmen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Rede vom 27.03.2009
Dr. Max Stadler (FDP):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Verbesserung der Kontrolle der Geheimdienste war und ist überfällig.
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)
Wenn man den Nachrichtendiensten mehr Befugnisse gibt – das ist in den letzten Jahren wiederholt geschehen –, dann muss logischerweise auch die Kontrolle über die Nachrichtendienste verbessert werden. Wir brauchen die Dienste, aber sie dürfen in einem demokratischen Rechtsstaat kein Eigenleben entwickeln, sondern haben sich strikt an Recht und Gesetz zu halten. Dafür tragen wir eine Mitverantwortung. Deshalb müssen die Rechte des Parlamentarischen Kontrollgremiums verbessert werden.
(Beifall des Abg. Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Die FDP hat aus diesem Grund schon im Jahr 2006 als erste Fraktion einen Reformentwurf eingebracht. Es hat lange gedauert, bis sich die Koalition zu einem eigenen Gesetzentwurf durchgerungen hat. Wir sehen es als Erfolg unserer Oppositionsarbeit an, dass wir zu dem heute vorliegenden Reformentwurf gekommen sind, den die FDP in dieser Form mittragen kann. Denn ein entscheidender Mangel, der im Ursprungsvorschlag von CDU/CSU und SPD enthalten war, ist aufgrund unserer Intervention herausgenommen worden. Zunächst wollte sich die Mehrheit das Recht vorbehalten, Mitglieder aus dem Kontrollgremium abzuwählen. Das ist natürlich unzumutbar und findet sich in dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf zu Recht nicht wieder.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Meine Damen und Herren, dass es zu diesem Gesetzentwurf gekommen ist, ist ein Verdienst derer, die sich darum besonders bemüht haben: des Kollegen Uhl, des Kollegen Röttgen und des Kollegen Oppermann. Es sind nicht nur die Vorstellungen, die die FDP in ihrem ursprünglichen Gesetzentwurf formuliert hat, eingeflossen, sondern auch die Diskussionsbeiträge beispielsweise des Kollegen Ströbele und des Kollegen Nešković. Wir haben die Notwendigkeit dieser Reform bei vielen Veranstaltungen und in Podiumsdiskussionen, zum Beispiel in der Hanns-Seidel-Stiftung, erörtert. Experten wie Professor Geiger haben uns beraten. Die Ergebnisse all dieser Diskussionen sind in das Reformwerk eingeflossen.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja! Es ist auch sehr viel vorbeigeflossen,
Herr Kollege! – Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Es ist nicht alles berücksichtigt worden! Ein bisschen weniger!)
– Einige wesentliche Punkte wurden aufgenommen. Ich nenne folgende Beispiele: Die Kontrolldichte wird größer. Leider ist die ungünstige Entwicklung zu beobachten, dass die Vermischung von polizeilicher und nachrichtendienstlicher Tätigkeit immer weiter voranschreitet. Im Innenausschuss wurde darauf hingewiesen, dass, was die Kontrolle angeht, Vorgänge, die das Bundeskriminalamt, also eine Polizei, betreffen, dort gar nicht mehr zur Debatte gestellt würden, weil das Kontrollgremium zuständig sei, wenn das BKA mit dem BND zusammenarbeitet,
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Das wird immer schlimmer!)
im Kontrollgremium gab es bisher aber keine Zuständigkeit. Das soll jetzt geändert werden. Wir wollen also die Kontrolldichte erhöhen. An der Formulierung müssen wir vielleicht noch arbeiten,
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Mit Sicherheit! Nicht nur vielleicht!)
damit diese unsere Absicht auch korrekt zum Ausdruck kommt. Ich will ganz deutlich sagen: Die Rechte der – in Anführungszeichen – normalen Bundestagsausschüsse, zum Beispiel des Innenausschusses und des Rechtsausschusses, dürfen auf keinen Fall geschmälert werden,
meine Damen und Herren.
(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Wolfgang Nešković [DIE LINKE] und Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn man das will, dann muss man das auch so aufschreiben, Herr Kollege!)
Als zweiten Fortschritt nenne ich die sogenannte Whistleblower-Regelung. Die Mitarbeiter der Nachrichtendienste wissen selbst am besten über dortige Missstände Bescheid. Bisher war es ihnen verboten, sich direkt an das Parlament zu wenden. Das wird geändert. Dies geschieht vor dem Hintergrund, dass wir über die rechtswidrige Observierung, das Mitlesen und Speichern der E-Mails einer Journalistin des Spiegels, nämlich der Journalistin Susanne Koelbl, nur direkt aus dem Dienst informiert werden konnten.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man hätte sich aber auch an einen einzelnen Bundestagsabgeordneten wenden können!)
Die Bundesregierung hätte uns darüber im Unklaren gelassen. Deswegen brauchen wir die Whistleblower-Regelung. Sie wird unsere Kontrollfähigkeiten verbessern.
Ich komme zu einem dritten Punkt, der ebenfalls einen echten Fortschritt darstellt. Wie Sie wissen, tagt das Gremium geheim. Es ist eine Zweidrittelmehrheit erforderlich, damit es ausnahmsweise öffentlich Stellung nimmt. Es muss gesetzlich abgesichert sein, dass die Opposition in diesem Fall ein Sondervotum abgeben darf. Ob das Recht auf ein Sondervotum gewährt wird, darf natürlich nicht davon abhängig gemacht werden, dass die Mehrheit für sich beansprucht, sich die Sondervoten
vorher zur Prüfung vorlegen zu lassen.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht da aber drin, Herr Kollege! Dem haben Sie zugestimmt!)
Das steht nicht im Gesetzestext,
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber in der Begründung!)
wohl aber in der Begründung.
(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Begründung können Sie aber nicht
mehr ändern!)
Das Struck’sche Gesetz, welches besagt, dass ein Gesetzentwurf, der eingebracht wurde, im Rahmen der Ausschussberatungen noch geändert werden darf, hat also auch in diesem Fall Geltung.
(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Noch einmal: Die Begründung können Sie nicht mehr ändern!)
– Nein. Wir werden aber zum Ausdruck bringen, dass diese Begründung für uns nicht maßgeblich ist. Sonst hätten wir, die FDP, diesen Gesetzentwurf gar nicht erst mit eingebracht.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Sie haben doch zugestimmt!)
Meine Damen und Herren, es gibt noch weitere Punkte, die von Bedeutung sind. Ich komme gerne auf das, was Herr Röttgen gesagt hat, zurück. Dieses Reformwerk wird ein Werk des Parlaments sein. Es handelt sich nicht um eine Regierungsvorlage. Die Zusage von CDU/CSU und SPD, dass auch die Vorschläge der Grünen und der Linken – auch wir, die FDP, haben übrigens noch Änderungswünsche – in den Ausschüssen ergebnisoffen beraten werden, nehme ich ernst. Ein Beispiel. Es muss sichergestellt werden, dass man, wenn ernste Missstände zu beklagen sind, nicht nur allein und im stillen Kämmerlein beklagen kann, wie ungerecht und schlimm die Welt ist,
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)
sondern dass man wenigstens die Spitze der eigenen Fraktion informieren darf, damit Konsequenzen gezogen werden können.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Das steht da aber auch drin!)
Das ist ein Punkt, der aus Sicht der FDP noch ergänzt werden muss.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie das wirklich wollen, dann müssen Sie wohl oder übel unserem Antrag zustimmen!)
Meine Damen und Herren, nach langen Debatten befinden wir uns nun endlich in dem Stadium, dass ein beratungsfähiger Gesetzentwurf vorliegt. Wir freuen uns, ihn mit eingebracht zu haben. Wir wollen, dass diese Reform vorankommt und noch in dieser Legislaturperiode beschlossen werden kann.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, ja! Von wegen!)
Wir wollen allerdings noch einige Ergänzungen. Ich bin mir sicher, am Ende des Beratungsprozesses wird ein vernünftiges Reformwerk stehen, das von einer breiten Mehrheit dieses Hauses mitgetragen werden kann.
Vielen Dank.
Rede vom 05.03.2009
"Rechtsklarheit und Transparenz schaffen - Öffentlichkeit von Aufsichtsratssitzungen kommunaler Gesellschaften bundesrechtlich eindeutig normieren" - Antrag der Grünen (BT-Drs. 16/11826)
Dieser Antrag der Grünen betrifft ein berechtigtes Anliegen und verdient daher Unterstützung. Allerdings ist das Thema keineswegs neu. Vielmehr hatte die FDP-Bundestagsfraktion mit ihrem Antrag „Gegen Geheimniskrämerei – Entscheidungen kommunaler Gesellschaften transparent gestalten“ (BT– Drucksache 16/395) längst dem Hohen Haus und der Bundesregierung Gelegenheit gegeben, eine Lösung im Sinne von mehr Transparenz bei den Beratungen und Entscheidungen der Aufsichtsgremien kommunaler Unternehmen herbeizuführen.
CDU/CSU und SPD waren leider seinerzeit nicht bereit, sich dem Thema ernsthaft zu stellen, und auch die heutigen Antragsteller, die Grünen, ließen es an echter Unterstützung mangeln; sie enthielten sich beim FDP-Antrag der Stimme.
Es sei den Grünen aber nachgesehen, dass sie im Wege des Antragsrecyclings das von der FDP eingebrachte Anliegen erneut aufgreifen; schließlich geht es ja um eine gute Sache. Wenn die Koalitionsfraktionen aber so wenig Interesse an dem Thema zeigen wie bei den damaligen Debatten, befürchte ich, dass wieder kein Fortschritt erreicht werden wird.
Ich musste mir ja seinerzeit entgegenhalten lassen, es handle sich um ein Passauer Sonderproblem und es bestehe keinerlei Handlungsbedarf. Der Antrag der Grünen zeigt, dass zumindest diese Fraktion Handlungsbedarf sieht.
Zu Recht! Auf der kommunalen Ebene bewegt es viele Bürgerinnen und Bürger sehr, dass sie über Beratungen und Entscheidungen der Aufsichtsgremien kommunaler GmbH’s oder AG’ in gleicher Weise informiert werden möchten wie über die Sitzungen der „normalen“ kommunalen Gremien. Es muss möglich sein, dass es in der Aufsichtsratssitzung einer kommunalen GmbH einen öffentlichen Teil gibt wie in jeder Stadtratssitzung auch, und einen nichtöffentlichen Teil bezüglich derjenigen Punkte, bei denen ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse besteht.
Das Kommunalrecht sieht die grundsätzliche Öffentlichkeit von Sitzungen vor, das Gesellschaftsrecht dagegen die Nichtöffentlichkeit. Wenn es so ist, dass als Bundesrecht das Gesellschaftsrecht vorgeht, fehlt ein Stück Transparenz, es fehlt ein Stück demokratischer Diskussionskultur und demokratischer Kontrolle.
Die Vorschriften, die für private Gesellschaften gedacht sind, passen eben auf die kommunalen Gesellschaften nicht vollständig.
Ob man sich mit allgemeinen Grundsätzen über das Nichtöffentlichkeitsgebot des Gesellschaftsrechts hinwegsetzen darf, ist juristisch umstritten. Den Akteuren in den Kommunen sollten wir eine solche Rechtsunsicherheit nicht länger zumuten.
Ohne großen Aufwand könnte der Deutsche Bundestag Rechtsklarheit im Sinne von mehr Transparenz schaffen. Ich fordere CDU/CSU und SPD auf, dieses Thema nicht länger zu ignorieren. Zeigen Sie, dass Sie nicht abgehoben sind, sondern auch hier in Berlin Probleme aus den Kommunen wahrnehmen und lösen.
Die FDP tritt klar für die Interessen der Bürgerinnen und Bürger ein und kämpft weiter für den Vorrang des Öffentlichkeitsgrundsatzes.