Dr. Max Stadler

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Donnerstag, 3. Januar 2013

Rede vom 17.03.2011

Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Intensivierung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen Verfahren (Drucksache 17/1224) zu Protokoll

Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz:
Mit dem am 1. Januar 2002 in Kraft getretenen Gesetz zur Reform des Zivilprozesses wurde die Videokonferenz in den Zivilprozess eingeführt. Sie baute die Möglichkeiten des Einsatzes moderner Kommunikationsmittel weiter aus, indem bei Einvernehmen aller Beteiligten Verfahrensbeteiligte an der mündlichen Verhandlung im Wege einer Videokonferenz teilnehmen können. Im Strafverfahrensrecht wurden die rechtlichen Möglichkeiten zum Einsatz der Videokonferenztechnik in den letzten Jahren fortlaufend ausgebaut.

Die Videokonferenztechnik ist heute – fast zehn Jahre später – in vielen Gerichten und Anwaltskanzleien technisch verfügbar, führt aber oft nur ein Schattendasein. Sie sollte nach Auffassung der Bundesregierung häufiger eingesetzt werden. Dadurch könnten den Beteiligten aufwendige und zeitintensive Anreisen erspart werden. Dies kommt nicht nur den Bürgern entgegen, sondern hilft auch, das Verfahren schneller und kostengünstiger zu machen.
Die Bundesregierung begrüßt deshalb den Gesetzentwurf des Bundesrates im Grundsatz. Der Entwurf baut einige rechtliche Hürden für den Einsatz der Videokonferenztechnik ab: Künftig soll im Zivilprozess der Einsatz der Videokonferenztechnik in der mündlichen Verhandlung und bei der Beweisaufnahme im Ermessen des Gerichts stehen und nicht mehr vom Einverständnis der Parteien abhängen. Im Falle der Gefahr eines zukünftigen Beweisverlustes soll das Gericht die Aufzeichnung anordnen können. Im Bereich des Strafverfahrensrechts soll nach dem Entwurf das Ziel der Verfahrensbeschleunigung und der Steigerung der Verfahrensökonomie insbesondere dadurch erreicht werden, dass unter bestimmten Voraussetzungen Vernehmungen oder Anhörungen von Verfahrensbeteiligten und Zeugen unter Verzicht auf deren persönliche Anwesenheit erfolgen können.
Es soll unter anderem ein entsprechender Einsatz der Videokonferenztechnik für die Vernehmung eines Zeugen außerhalb der Hauptverhandlung nach § 58 b StPO-E zum Beispiel zur Verhinderung des zeitaufwendigen Versandes von Verfahrensakten mit Vernehmungsersuchen an ferne Polizeidienststellen möglich sein. Auch im Zusammenhang mit der mündlichen Haftprüfung soll der Einsatz von Videokonferenztechnik nach § 118 a Abs. 2 Satz 2 StPO-E ermöglichen, dass der Beschuldigte in den Fällen, in denen das Gericht wegen Krankheit oder anderer nicht zu beseitigender Hindernisse nach bisheriger Rechtslage auf dessen Vorführung verzichtet hat, nunmehr an der Haftprüfung per Videokonferenz teilnehmen kann. Im Bereich der Strafvollstreckung soll durch den vermehrten Einsatz von Videokonferenztechnik den Strafvollstreckungskammern eine erhebliche Verfahrenserleichterung dadurch zuteilwerden, dass die persönliche Anwesenheit des Verurteilten zum Beispiel bei der Anhörung im Rahmen der Entscheidung einer Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung nicht mehr stets erforderlich ist. Die Bundesregierung kann aber den Vorschlägen des Bundesrates nicht uneingeschränkt zustimmen.
Die Videokonferenztechnik wird bereits jetzt im Bereich des Strafverfahrensrechts eingesetzt. So dürfen die Staatsanwaltschaft und die Polizei Vernehmungen von Beschuldigten und Zeugen schon nach der bestehenden Gesetzeslage per Videokonferenztechnik vornehmen, ohne dass es hierzu einer ausdrücklichen Regelung bedürfte. Denn der die gerichtlichen Verhandlungen beherrschende Unmittelbarkeitsgrundsatz gilt hier nicht. Die gesetzliche Verankerung des Einsatzes der Videokonferenztechnik für gerichtliche Vernehmungen und Anhörungen, unter anderem in § 58 b StPO-E, ist daher grundsätzlich zu begrüßen. Für den Bereich der polizeilichen Zeugenvernehmung bedeutet die beabsichtigte Regelung des § 58 b StPO-E hingegen eine Einschränkung der bislang möglichen Anwendung der Videokonferenztechnik. Denn die Vorschrift würde für die polizeiliche Zeugenvernehmung mangels Verweisung in der für sie ausschlaggebenden Regelung des § 163 Abs. 3 StPO nicht gelten und damit den Umkehrschluss nahelegen, dass die Videokonferenztechnik bei der polizeilichen Zeugenvernehmung nicht zulässig ist. Das ist kontraproduktiv. Die bereits bestehenden Möglichkeiten, die Videokonferenztechnik im Bereich der staatsanwaltschaftlichen und polizeilichen Vernehmungen einzusetzen, sollten nicht beschränkt werden. Dies muss aus Sicht der Bundesregierung durch sprachliche Änderungen im Gesetzentwurf noch sichergestellt werden.
Aus strafprozessualer Sicht muss darüber hinaus weiterhin gewährleistet sein, dass das Gericht beim Einsatz der Videokonferenztechnik die tragenden und bewährten Grundsätze des Strafverfahrens, insbesondere den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme, sowie die berechtigten Interessen aller Verfahrensbeteiligten miteinander abwägen und zu einem Ausgleich bringen kann, ohne dass von vornherein ein Abwägungsvorrang festgelegt würde. Es muss vermieden werden, dass durch den Gesetzentwurf Widersprüche zu den bereits vorhandenen Regelungen über den Einsatz von Videokonferenztechnik, der vor allem zum Schutz des Opfers bereits geltendes Recht ist, entstehen. Schließlich muss insbesondere vermieden werden, dass durch eine Einschränkung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme dem erkennenden Gericht die Möglichkeit genommen wird, sich einen ganz persönlichen Eindruck von dem Zeugen oder dem Angeklagten zu machen.
Gerade und in besonderem Maße bei der Anhörung des Verurteilten im Strafvollstreckungsrecht spielt der persönliche Eindruck eine wesentliche Rolle. Wenn das Gericht den Verurteilten vor seiner Entscheidung, ob die Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann, anhört, gewährt es ihm damit nicht nur rechtliches Gehör. Es verschafft sich, was mindestens ebenso wichtig ist, durch den unmittelbaren Kontakt mit dem Verurteilten einen höchstpersönlichen Eindruck von ihm. Es ist daher von wesentlicher Bedeutung, dass dieser Zweck bei den Vorschlägen zur Einführung der Videokonferenztechnik in den Fällen der §§ 453, 454 StPO-E nicht aus dem Blick gerät.
Zum Schluss möchte ich auf einen weiteren problematischen Punkt im Entwurf hinweisen. Die Nutzung der Videokonferenztechnik sollte nicht davon abhängen, dass die Länder sie durch eine Rechtsverordnung – womöglich für jedes einzelne Gericht gesondert – zulassen. Das in Art. 9 des Entwurfes stehende grundsätzliche „Verbot mit Zulassungsvorbehalt“ wäre ein Rückschritt gegenüber der heutigen Rechtslage, die den Einsatz von Videotechnik generell zulässt. Die Regelung steht dem Ziel des Entwurfes, den Einsatz der Videotechnik zu fördern, entgegen.
Die Regelung ist auch nicht zum Schutz der Landesjustizhaushalte vor unkalkulierbaren Kosten notwendig. Im Zivilprozess ist schon jetzt klar, dass die Beteiligten den Einsatz von Videotechnik nicht beanspruchen können. Im Strafprozess hat dagegen der Bundesgerichtshof schon entschieden, dass die Justizverwaltungen verpflichtet sind, es zu ermöglichen, dass ein Zeuge per Videokonferenz vernommen wird, wenn es anders nicht geht. Ich bin zuversichtlich, dass es uns gelingt, in den noch offenen Fragen des Entwurfs in den jetzt anstehenden Beratungen des Deutschen Bundestages zufriedenstellende Lösungen zu finden, damit die Videokonferenz in der gerichtlichen Praxis künftig eine größere Bedeutung erlangt.


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