Rede vom 14.06.2012
Gesetz zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung184. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 14. Juni 2012
Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz:
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Es war eine der bleibenden Leistungen des großen Liberalen Thomas Dehler in seiner Amtszeit als erster Bundesminister der Justiz, dass er 1953 das Jugendgerichtsgesetz in der Tradition des großen Gustav Radbruch gestaltet hat. Der damals formulierte Vorrang des Erziehungsgedankens hat das deutsche Jugendstrafrecht zu einem der modernsten der Welt gemacht. Dieses Jugendstrafrecht hat sich über die Jahrzehnte hinweg sehr gut bewährt. Bei der Grundkonzeption bleibt es selbstverständlich, auch wenn wir heute die jugendrichterlichen Handlungsmöglichkeiten punktuell erweitern.
Seit langem wird darüber diskutiert, ob das Höchstmaß der Jugendstrafe von zehn Jahren bei Mord ausreichend definiert ist. Ich bin überzeugt: Es gibt Einzelfälle, bei denen dieses Höchstmaß nicht angemessen ist. Ich nenne ein Beispiel: Zwei Täter im Alter von 20 und 22 Jahren begehen gemeinschaftlich einen Mord. Wenn nun der 20-jährige Haupttäter, auf den noch Jugendstrafrecht anwendbar ist, zu einer Jugendstrafe von maximal zehn Jahren verurteilt werden kann, für den 22-jährigen Mittäter hingegen zwingend lebenslange Freiheitsstrafe vorgeschrieben ist, dann besteht offenkundig eine Diskrepanz.
Deshalb ist die Anhebung des Höchstmaßes der Jugendstrafe für Heranwachsende bei Mord auf 15 Jahre richtig, wobei wir als einschränkende Voraussetzung vorsehen, dass dies nur bei besonderer Schwere der Schuld gilt. Diese Änderung betrifft nicht die jugendlichen Täter, also die Altersgruppe der 14- bis 17-jährigen Täter, sondern ausdrücklich nur die Heranwachsenden, also die Gruppe der 18- bis 20-jährigen Täter, falls auf diese noch Jugendstrafrecht angewendet wird.
Strittiger war in den Ausschussberatungen ein weiteres Dauerthema aus der jugendrechtlichen Diskussion der letzten 20 Jahre: die Ermöglichung des Jugendarrestes neben einer auf Bewährung ausgesetzten Jugendstrafe.
Entgegen bekannten Bedenken im Schrifttum halten viele Praktiker diese zusätzliche Reaktionsmöglichkeit für erforderlich, um zu vermeiden, dass ein zu einer Bewährungsstrafe verurteilter Täter den falschen Eindruck aus der Gerichtsverhandlung mitnimmt, seine Straftat sei quasi sanktionslos geblieben. Ich sage noch einmal, Herr Kollege Montag: Das ist ein falscher Eindruck. Aber viele Praktiker meinen aufgrund ihrer Erfahrung, dass das bei den Verurteilten manchmal so ankommt. Wir entsprechen heute diesem Wunsch aus der Praxis, in der Erwartung, dass von der neuen Sanktionsmöglichkeit zielgenau, in den richtigen Fällen und damit wirksam Gebrauch gemacht wird.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Meine eigene persönliche Erfahrung als Jugendrichter hat mich gelehrt, dass der erstrebte pädagogische Erfolg eines kurzzeitigen Freiheitsentzugs sehr stark von der praktischen Durchführung abhängt. Insbesondere muss der Jugendliche die Verbindung zwischen der Ahndung und seiner Tat erkennen können. Dies setzt einen raschen Vollzug des Arrestes und dessen sinnvolle Ausgestaltung voraus. Davon wird der Erfolg dieses neuen Instruments abhängen. Hierfür tragen die Länder die Verantwortung.
Auch unser zweites heutiges Thema berührt sehr stark die Bundesländer, die für den Vollzug der Sicherungsverwahrung zuständig sind. Bei der grundlegenden Reform dieses schwierigen Bereichs zum 1. Januar 2011 haben wir diese Kompetenzzuweisung beachtet. Wir haben damals als Bundesgesetzgeber bewusst keine Vorgaben gemacht, wie sich der Vollzug der Sicherungsverwahrung von der Strafhaft unterscheiden muss.
In seiner Entscheidung vom 4. Mai 2011 hat das Bundesverfassungsgericht jedoch gerade die Verletzung des sogenannten Abstandsgebotes zwischen dem Vollzug von Sicherungsverwahrung und Strafhaft gerügt. Vor allem aus diesem Grund beschäftigt uns diese Thematik heute erneut, während die Grundgedanken der von diesem Hohen Hause im Dezember 2010 mit breiter Mehrheit gebilligten Reform in Karlsruhe unangetastet geblieben sind. Vor allem das Ultima-Ratio-Prinzip, dem wir mit der damaligen Reform zu einer stärkeren Geltung verholfen haben, wurde von den Karlsruher Richtern ausdrücklich hervorgehoben.
Das Bundesverfassungsgericht hat den Bund in dieser Entscheidung beauftragt, bundesrechtlich die wesentlichen Leitlinien zum Abstandsgebot zu formulieren, die dann konkret in Vollzugsgesetzen der Länder münden und durch die Vollzugspraxis ausgefüllt werden müssen. Die Bundesregierung hat nach intensiven Beratungen mit den Ländern einen Gesetzentwurf hierzu vorgelegt, der vom Bundesrat schon im ersten Durchgang behandelt worden ist. Die Länderkammer ist offenbar der Auffassung, dass der Regierungsentwurf seine Aufgabe sehr gut erfüllt. Nennenswerte Änderungswünsche im Hinblick auf die Regelungen zum Abstandsgebot gibt es vom Bundesrat nämlich praktisch nicht.
Allerdings möchte der Bundesrat die Neubezeichnung „Sicherungsunterbringung“ einführen.
(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein guter Vorschlag!)
Das ist meiner Meinung nach nicht notwendig. Entscheidend ist nicht ein neues Etikett, sondern entscheidend ist, dass der Vollzug der Sicherungsverwahrung verfassungs- und menschenrechtskonform ausgestaltet wird. Genau dies leistet unser Gesetzentwurf.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Meine Damen und Herren, bedeutsamer ist ein inhaltlicher Änderungswunsch des Bundesrates. Wir haben – mit den Stimmen der SPD und mit Unterstützung der Grünen – zum 1. Januar 2011 ein neues Konzept der Sicherungsverwahrung beschlossen. Es sah vor, die im Urteil vorbehaltene Sicherungsverwahrung auszubauen, und zwar zulasten der aus verschiedenen Gründen nicht die Anforderungen erfüllenden sogenannten nachträglichen Sicherungsverwahrung. In Abweichung von diesem unserem Konzept hat der Bundesrat nun erneut eine nachträgliche Unterbringungsmöglichkeit vorgeschlagen, die sogenannte nachträgliche Therapieunterbringung. Ich sage ganz deutlich: Im Regierungsentwurf bleiben wir bei der Konzeption von 2011, die die Koalition von CDU/CSU und FDP mit den Stimmen der SPD und mit Unterstützung der Grünen beschlossen hat,
(Burkhard Lischka [SPD]: Nehmen Sie uns jetzt mal nicht in Mithaft!)
und zwar aus wohlerwogenen fachlichen Gründen.
Unser Konzept – ich betone das noch einmal – ist vom Bundesverfassungsgericht in seiner wirklich wegweisenden Entscheidung vom 4. Mai 2011 gerade nicht beanstandet worden. Gegen die nachträgliche Sicherungsverwahrung bestehen dagegen offenkundig sowohl beim Bundesverfassungsgericht als auch beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte erhebliche Bedenken.
(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es! Richtig!)
Der Regierungsentwurf sieht daher pro futuro keine nachträgliche Sicherungsverwahrung und keine nachträgliche Unterbringung vor.
In der Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrates hat die Bundesregierung lediglich ausgeführt, diesen Vorschlag des Bundesrates im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu prüfen. Man braucht kein Prophet zu sein, um zu vermuten, dass dieser Komplex in den Ausschussberatungen ein Schwerpunkt der Diskussionen sein wird.
Für heute möchte ich mit der Feststellung schließen: Bei einem so komplexen und derart grundrechtssensiblen Thema wie dem weiteren Freiheitsentzug, obwohl die verhängte Freiheitsstrafe schon vollstreckt ist, führt der Entwurf der Bundesregierung das Sicherheitsbedürfnis der Allgemeinheit auf der einen Seite und die verfassungsrechtlichen Vorgaben zur Anordnung von Sicherungsverwahrung und zu einer rechtsstaatlichen Ausgestaltung in überzeugender Weise zusammen. Daher bitte ich Sie um breite Unterstützung für unseren Entwurf, wie Sie sie auch im Dezember 2010 gezeigt haben.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)