Rede vom 10.11.2011
Zu Protokoll Nr. 139 gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Besetzung der Großen Straf- und Jugendkammern in der HauptverhandlungDr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz: Das 1993 in Kraft getretene Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege hat der „Notsituation der Justiz in den neuen Ländern“ der damaligen Zeit Rechnung tragen wollen. Den Großen Straf- und Jugendkammern wurde seinerzeit die Möglichkeit eröffnet, in geeigneten Fällen in reduzierter Besetzung mit zwei statt drei Berufsrichtern zu verhandeln. Diese – immer wieder für zwei oder drei Jahre befristete – Regelung wurde zuletzt bis zum 31. Dezember 2011 verlängert. 19 Jahre provisorische Lösungen sind genug. Jetzt ist höchste Zeit, eine Dauerlösung zu schaffen, auf die sich die Justizverwaltungen und Gerichte einstellen können.
Die Bundesregierung hält allerdings eine Rückkehr zur Rechtslage, wie sie bis 1992 galt, angesichts der stetig steigenden Belastung der Landgerichte und der angespannten Personalsituation in den Ländern nicht für sinnvoll und – das ist angesichts der überragenden Bedeutung, die der Strafrechtspflege in unserer Gesellschaft zukommt, ausschlaggebend – auch rechtsstaatlich nicht für geboten. Wir haben – wie in der Begründung des letzten Verlängerungsgesetzes bereits angekündigt – die Handhabung der Besetzungsreduktion in der Praxis evaluiert. Unter Berücksichtigung der Ergebnisse der in Auftrag gegebenen Gutachten, aber auch der Rechtsprechung und Literatur sowie der Stellungnahmen der Länder und Verbände hat die Bundesregierung den vorliegenden Entwurf erarbeitet.
Unserer Meinung nach stellt der Entwurf einen ausgewogenen Mittelweg zwischen den vor und seit 1993 geltenden Regelungen dar. Die Möglichkeit, mit zwei statt drei Berufsrichtern zu verhandeln, wird zwar grundsätzlich beibehalten. Sind aber besonders schwerwiegende Rechtsfolgen wie die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung, deren Vorbehalt oder die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zu erwarten, ist – wie bisher schon in Schwurgerichtssachen – stets in Dreierbesetzung zu verhandeln. Darüber hinaus werden die Begriffe „Umfang“ und „Schwierigkeit der Sache“, die bisher einen sehr weiten Beurteilungsspielraum der Strafkammern zuließen, durch Regelbeispiele näher konturiert. Es handelt sich dabei um Wirtschaftsstrafverfahren und Hauptverhandlungen, die voraussichtlich länger als zehn Tage dauern. Diese Regelbeispielstechnik erlaubt es zum Beispiel, auch künftig bei einfach gelagerten Wirtschaftsstrafsachen eine Verhandlung in Zweierbesetzung zu beschließen. Bei den Regelungen zur Besetzung der Großen Jugendkammer haben wir zusätzlich jugendstrafrechtlichen Besonderheiten Rechnung getragen.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Verhandlungen in schwierigen Fällen und bei schwerwiegenden Rechtsfolgen künftig immer von drei Berufsrichtern geführt werden. Bei den übrigen Verfahren gibt es eine flexible Lösung, die zwar die Dreierbesetzung bevorzugt, aber bei einfach gelagerten Fällen einen ressourcenschonenden Einsatz erlaubt.
Neben der Besetzung der Großen Straf- und Jugendkammern in der Hauptverhandlung sind weitere Änderungen vorgesehen. Auf zwei Punkte möchte ich gern kurz eingehen: zum einen auf die Erweiterung des Zuständigkeitskatalogs des Schwurgerichts, zum anderen auf drei nachträgliche Änderungen der Vorschriften, die durch das Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren eingeführt worden sind.
Der Zuständigkeitskatalog des Schwurgerichts erfasst seiner Konzeption nach neben den Tötungsdelikten alle Verbrechen mit der Erfolgsqualifikation „Todesfolge“. Der Katalog war bislang unvollständig. Künftig werden alle Straftatbestände des Kern- und des Nebenstrafrechts, die in die genannte Kategorie fallen, zur Zuständigkeit des Schwurgerichts gehören.
Darüber hinaus wird im Hinblick auf das Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren der Protokollerklärung der Bundesregierung zu Tagesordnungspunkt 8 der 888. Sitzung des Bundesrates am 14. Oktober 2011 Rechnung getragen.
Durch Änderungen beim Kreis der Entschädigungsberechtigten im Strafverfahren und bei der Regelung der örtlichen Zuständigkeit der Oberlandesgerichte für Entschädigungsverfahren werden Wünsche des Bundesrates aufgegriffen. Privatkläger sollen – so die geänderte Regelung – von der Entschädigungsregelung ausgenommen sein, und die Zuständigkeit soll aus Gründen der Dekonzentration jeweils bei dem Oberlandesgericht liegen, in dessen Bezirk das streitbefangene Verfahren stattgefunden hat.
Entsprechend dem Vorschlag des Bundesrates wird außerdem die Regelung zum Ausschluss von Präsidenten und Vizepräsidenten bei der Mitwirkung in Entschädigungsverfahren gestrichen.