Dr. Max Stadler

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Donnerstag, 3. Januar 2013
28.07.2011

Grußwort Weltkongress Heidelberg

Grußwort des Parlamentarischen Staatssekretärsbei der Bundesministerin der Justiz,Dr. Max Stadler, MdB, beim Weltkongress für Prozessrecht am 26. Juli 2011 in Heidelberg

„Effektiver Rechtsschutz als Garant des modernen Rechtsstaates“

Es gilt das gesprochene Wort!
[Anrede]

Es ist mir eine große Ehre, dass ich Sie im Namen des Bundesministeriums der Justiz beim diesjährigen Weltkongress für Prozessrecht begrüßen darf.

Seit meiner Zeit als Assistent am Lehrstuhl für Prozessrecht der Universität Regensburg bei meinem verehrten Lehrer Prof. Dr. Ekkehard Schumann und seit meiner Mitarbeit an der Universität Passau bei Prof. Dr. Hans-Joachim Musielak bin ich überzeugt, dass es sich beim Verfahrensrecht um eine Königsdisziplin innerhalb der Jurisprudenz handelt.

Zwar kommt dem Prozessrecht eine dienende Funktion zu, wie dies Schumann schon in der Einleitung zur 20. Auflage des Stein-Jonas in der Randnummer 4 beschrieben hat. Es soll – so Prof. Hess in der 30. Auflage des ZPO-Lehrbuchs von Jauernig –  vor allem die Durchsetzung subjektiver Rechte gewährleisten, die Geltung des materiellen Rechts sichern und – neben anderen Prozesszwecken – den Rechtsfrieden herstellen. Aber ich meine in Anlehnung an eine freilich umstrittene These von Niklas Luhmann, dass es zusätzlich auch eine „Legitimation durch Verfahren“ gibt. Ein fair gestaltetes Verfahren kann einen Beitrag dazu leisten, dass Entscheidungen allseits besser akzeptiert werden können.

Hierfür gibt es durchaus auch Beispiele in der Politik, auch aus nächster Nähe. Der Versuch, den Streit um den Neubau eines Bahnhofs in Stuttgart mit einem besonderen Verfahren unter Einschaltung eines Schlichters zu lösen, zählt sicherlich dazu. Womöglich scheitert dieser konkrete Versuch, womöglich hätten auch die herkömmlichen Entscheidungswege in Parlamenten und Gerichten mehr Respekt verdient gehabt, aber dennoch zeigt diese aktuelle Debatte, wie wichtig eine Verfahrensgestaltung ist, die von allen Beteiligten als fair empfunden wird.

Auch im Bundestag spielen Verfahrensfragen mitunter eine sehr große Rolle. Kürzlich gab es eine eindrucksvolle Debatte über die Zulässigkeit der Präimplantationsdiagnostik. das Ergebnis war nicht vorhersehbar, auch weil die Abgeordneten nicht nach Fraktionslinie, sondern gemäß eigener Gewissensentscheidung abstimmten. daher kam es auch auf die Reihenfolge an, in der über die drei Gesetzentwürfe abzustimmen war. Denn die Verfechter eines der drei Anträge hofften, dass ihr Vorschlag als Kompromiss eine Mehrheit finden würde, wenn über ihn zuletzt abzustimmen sei. Taktische Fragestellungen sind offenbar bei Verfahrensgestaltungen nicht zu vermeiden.

Das Verfahrensrecht soll aber, um noch einmal Schumann in der Einleitung zum Stein-Jonas zu zitieren (Rdnr. 5), gerade verhindern, dass der „taktisch Klügere siegt“; es soll dazu beitragen, dass sich die Gerechtigkeit durchsetzt. Man spricht daher mit Wolfram Henkel vom „Gerechtigkeitswert verfahrensrechtlicher Normen“.

Ihr Kongressthema der „Verfahrensgerechtigkeit“ ist also sowohl in der Rechtswissenschaft als auch im Alltag der der Gesellschaft höchst aktuell. Sie stellen das Thema in den Rahmen der fortschreitenden Globalisierung. Das erinnert mich daran, welche neuen Probleme die Internationalisierung des Rechts aufwirft, auch im Verfahrensrecht. So kam es vor einigen Wochen zu einer teilweisen Einigung auf der EU-Justizministerkonferenz über die Europäische Ermittlungsanordnung. Vorausgegangen waren lange Verhandlungen, denn es ist zwar unzweifelhaft, dass solche EU-weit wirkenden Anordnungen in strafrechtlichen Ermittlungsverfahren sinnvoll sind. Andererseits soll der national jeweils erreichte Standard an Grundrechtsschutz beispielsweise für Beschuldigte dadurch nicht unterlaufen werden können.

Sie haben mich gebeten, über effektiven Rechtsschutz als Garant des modernen Rechtsstaates zu sprechen. Dass nur ein effektiver Rechtsschutz ein guter Rechtsschutz ist, hat das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber  immer wieder ins Stammbuch geschrieben. Jüngst gab es hierzu ein Beispiel aus dem Asylverfahrensrecht. Asylbewerber werden gemäß der Dublin II-Verordnung zur Prüfung ihres Asylbegehrens in denjenigen EU-Mitgliedsstaat gebracht, den sie als ersten bei Überschreiten der EU-Außengrenze aufgesucht haben. Gegen die zwangsweise Verbringung z.B. nach Griechenland, das derzeit wohl nicht die Kapazitäten für zu viele Asylverfahren hat, gibt es erstaunlicherweise in Deutschland keinen einstweiligen Rechtsschutz. Dies ist von mehreren Verwaltungsgerichten beanstandet worden.

Einstweiliger Rechtsschutz in diesem Bereich wäre wohl fair und effektiv zugleich.

Häufig wird aber Effektivität vom Gesetzgeber unter einem ganz anderen Aspekt betrachtet, nämlich dem der Kostenersparnis.

Wie das Bundesministerium der Justiz das skizzierte Spannungsfeld aufzulösen versucht,  möchte ich Ihnen kurz an Hand von drei aktuellen Reformvorhaben darstellen. Diese drei Reformvorhaben aus unterschiedlichen Bereichen des Prozessrechts haben eines gemeinsam: Sie alle haben eine Verbesserung des Rechtsschutzes der Bürgerinnen und Bürger zum Ziel.

Bei dem ersten Projekt geht es um den Schutz vor überlangen Verfahren.
Der Blick in die Justizstatistik zeigt zwar, dass in den allermeisten Fällen Gerichtsverfahren schon nach relativ kurzer Zeit abgeschlossen werden. Die Zivilverfahren an den Amtsgerichten dauern im Schnitt rund 4 ½ Monate, beim Landgericht als erste Instanz sind es rund 8 Monate.  Trotzdem kommt es in Einzelfällen immer wieder vor, dass Verfahren zu lange dauern.

Deutschland ist deswegen mehrfach vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt worden. Im Fall Sürmeli dauerte ein Zivilprozess 16 ½ Jahre, im Fall Grässer waren es fast 29 Jahre.

Das verletzt den Anspruch der Betroffenen auf effektiven Rechtsschutz. Aus diesem Grund hat die Bundesregierung einen Gesetzentwurf vorgelegt, der für solche Fälle eine Entschädigung vorsieht. Damit soll natürlich auch präventiv erreicht werden, dass es zu solchen Fällen gar nicht mehr kommt (oder wie ein bekanntes Bonmot des Schachgroßmeisters Savielly Tartakower besagt: Die Drohung mit einem Zug ist oft wirkungsvoller als die Ausführung des Zugs).

Zunächst wird dem Betroffenen im Ausgangsrechtsstreit die Obliegenheit - genauer gesagt: die prozessuale Last -auferlegt, eine Verzögerungsrüge erheben. Damit soll dem Gericht die Gelegenheit gegeben werden, die Verfahrensgestaltung noch einmal auf hinreichende Beschleunigung hin zu überprüfen. Wenn dies nicht hilft, kann der Betroffene nach sechs Monaten eine Entschädigungsklage einreichen. Wenn er damit durchdringt, bekommt er nicht nur seinen materiellen Schaden ersetzt, sondern auch Ersatz für immaterielle Schäden von 1200 Euro pro Jahr Verzögerung.

Dies ist wohl besser als die frühere Idee einer Untätigkeitsbeschwerde. Letztere wurde vor allem aus der Richterschaft kritisiert: man hielt es für kontraproduktiv, ohnehin schon zu lange Verfahren durch neue Beschwerdeverfahren zu belasten.

Ein zweites Thema ist in den letzten Monaten bei uns heftig diskutiert worden: Die Zurückweisung aussichtloser Berufungen durch unanfechtbaren Beschluss im schriftlichen Verfahren gemäß § 522 Absatz 2 der deutschen Zivilprozessordnung (ZPO).

Der Zurückweisungsbeschluss ist im Jahre 2002 in die ZPO eingeführt worden, um Berufungen, die aussichtlos erscheinen, schnell, kostengünstig und mit reduziertem Aufwand, nämlich ohne mündliche Verhandlung, zu erledigen. Der tragende Gesichtspunkt war also Effektivität im Sinne der Entlastung und Kostenersparnis der Justiz .

Das hat durchaus funktioniert, wen auch von dieser Vorschrift sehr unterschiedlich Gebrauch gemacht worden ist.
Während beim Oberlandesgericht  Bremen 5,2% aller Berufungen durch Beschluss zurückgewiesen werden, sind es beim Oberlandesgericht Rostock 27,1%. Diese kaum erklärbare Spannweite führte zu einem ungleichen Rechtsschutzniveau in Deutschland. Schon aus diesem Grund sah sich der Gesetzgeber veranlasst, einzugreifen.

Es gab aber noch einen weiteren, tiefergehenden Anlass. Viele Betroffene haben es nicht verstanden, warum es ihnen verwehrt wurde, ihr – vermeintlich oder tatsächlich wichtiges – Anliegen dem Berufungsgericht selbst mündlich zu erläutern. Sie wünschten „rechtliches Gehör“ im Sinne des Wortes. Ob sich dadurch am Endergebnis des Berufungsverfahrens etwas ändert, ist eine andere Frage. Aber offenkundig sind bisher die Effektivität des Verfahrens und die Einsparungen im Justizetat bezahlt worden mit mangelnder Akzeptanz der im schriftlichen Verfahren ergangenen Beschlüsse.

Damit sind wir bei Ihrem Kongressthema der Verfahrensgerechtigkeit. Im konkreten Beispiel sieht die vom Bundestag schon beschlossene Neureglung vor, dass der Bundesgerichtshof künftig auf die Nichtzulassungsbeschwerde hin einen Zurückweisungsbeschluss ab einer Beschwer von 20.000 € in gleicher Weise überprüfen wird wie jetzt schon ein Berufungsurteil.

Die Reform betont außerdem wieder stärker die Rolle der mündlichen Verhandlung. Nur noch in offensichtlich aussichtslosen Fällen darf schriftlich durch Zurückweisungsbeschluss entschieden werden. Außerdem muss in besonderen Fällen aus Gründen der Fairness mündlich verhandelt werden, selbst wenn die Berufung offensichtlich aussichtslos ist. Manche Fälle verlangen unabhängig von der Rechtslage eine mündliche Erörterung. Dies gilt vor allem, wenn die Sache für den Berufungsführer existenzielle Bedeutung hat, wie es etwa in Arzthaftungssachen der Fall sein kann.

Wir haben also das beherzigt, was Professor Hess in der 30. Auflage des Jauernig auf Seite 109 formuliert hat: „Die Vorzüge der Mündlichkeit liegen auf der Hand“.

Meine Damen und Herren,

mein drittes und letztes Beispiel berührt die Frage, dass effektiver Rechtsschutz auch bedeuten kann, den wirtschaftlichen Wert eines berechtigten Anspruchs zu erhalten. Befindet sich der Schuldner wiederkehrender Zahlungsleistungen in Verzug, sieht sich der Gläubiger der Gefahr ausgesetzt, dass er durch die Dauer des Hauptsacheverfahrens einen wirtschaftlichen Schaden dadurch erleidet, dass der Schuldner am Ende des Prozesses nicht mehr zahlungsfähig ist. Die Hinterlegungsanordnung sichert den Zahlungsanspruch unabhängig von einer konkreten Gefährdung des Vollstreckungserfolges. Der vom Bundesministerium der Justiz kürzlich vorgelegte Referentenentwurf zur Mietrechtsreform will mit dem neuen Instrument der Hinterlegungsanordnung den tatsächlichen Wert des Titels erhalten, indem der Schuldner vom Gericht verpflichtet werden kann, die bis zum Urteil auflaufenden Forderungen zu hinterlegen. Die Hinterlegungsanordnung mindert den Anreiz, den Zivilprozess als Instrument zu missbrauchen, den Ausgleich einer berechtigten Geldforderung zu verzögern.

Vermieter sind bei Zahlungsunwilligkeit ihres Mieters besonders gefährdet, weil sie auch dann weiter leistungspflichtig bleiben, wenn der Mieter nicht mehr zahlt. Deshalb kann nach dem Entwurf zur Mietrechtsreform der Vermieter, dessen Räumungsklage wegen Zahlungsverzugs rechtshängig ist, gegen den Mieter, der die Hinterlegungsanordnung nicht befolgt, im Wege der einstweiligen Verfügung einen Räumungstitel beantragen. Ein Mieter, der die Hinterlegungsanordnung missachtet, setzt sich dem erhöhten Verdacht der Verzögerungsabsicht aus.

Weitere Teile dieses Reformvorhabens betreffen eine veränderte Ausgestaltung des Räumungsverfahrens im Mietrecht.
Durch eine Beschränkung des Räumungsauftrags auf die bloße Besitzentsetzung des Schuldners bei gleichzeitiger Belassung der beweglichen Schuldnersachen in der Immobilie ließen sich die Vollstreckungskosten ganz erheblich reduzieren. Eine solche Beschränkung des Räumungsauftrags soll ausdrücklich gesetzlich erlaubt werden.

Der Gläubiger soll künftig die Wahl zwischen der herkömmlichen Kompletträumung seiner Immobilie sowie der kostengünstigeren Beschränkung des Räumungsauftrags auf die bloße Besitzentsetzung des Schuldners haben.

Mit diesem letzten Beispiel sind wir doch wieder bei der dienenden Funktion des Verfahrensrechts zur Durchsetzung des materiellen Rechts angelangt.

Wenn das materielle Recht – wie im Mietrecht – eigentlich einen angemessenen Interessensausgleich vorsieht, dieser aber in der Praxis teilweise nicht funktioniert, kann man versuchen, über das Verfahrensrecht dem benachteiligten Teil zu helfen und Fairness wiederherzustellen.

Wir sehen also, dass die verschiedenen Facetten Ihres Kongressthemas konkreten Einfluss auf aktuelle Gesetzgebung haben. So dient auch dieser Weltkongress wieder nicht nur einem Meinungsaustausch unter Wissenschaftlern, sondern auch der Befruchtung der Praxis des Gesetzgebers und der Rechtsprechung.

Ich wünsche daher der Tagung einen ertragreichen Verlauf!

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