Dr. Max Stadler

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Donnerstag, 3. Januar 2013
06.06.2011

Frühjahrstagung der Österreichischen Juristenkommission

Rede des Parlamentarischen Staatssekretärs bei der Bundesministerin der Justiz, Dr. Max Stadler, MdB, anlässlich der Frühjahrstagung der Österreichischen Juristenkommission
„Die Staatsanwaltschaft im liberalen Rechtsstaat“ am 2. Juni 2011 in Attersee

Es gilt das gesprochene Wort!

[Anrede],
die Frühjahrstagung der Österreichischen Juristenkommission befasst sich in diesem Jahr unter der Überschrift „Strafverfolgung auf dem Prüfstand“ mit aktuellen und spannenden Fragen auf dem Gebiet der Strafrechtspflege; einem Gebiet, welches aufgrund reger Anteilnahme der Medien bei bestimmten, meist spektakulären Einzelfällen, nicht nur im Focus der Fachwelt, sondern oft auch im Blickpunkt der Öffentlichkeit steht. Sie werden in den nächsten drei Tagen eine Vielzahl von Fragen zu dem übergeordneten Themenkomplex „Funktionsfähigkeit und Rechtsstaatlichkeit der Strafrechtspflege“ thematisieren und in zahlreichen hochkarätigen Beitragen und Diskussionen einer Antwort zuführen. Es freut mich sehr, gerade auch als ehemaliger Richter und Staatsanwalt, die Möglichkeit zu haben, im Rahmen der Eröffnungssitzung der Frühjahrstagung einige Gedanken und Überlegungen zum Thema „Die Staatsanwaltschaft im liberalen Rechtsstaat“ zu formulieren. Natürlich basieren meine Ausführungen letztlich auf der Rechtslage in Deutschland, angesichts der Vergleichbarkeit unserer Rechtsordnungen in den maßgeblichen Fragen denke ich jedoch, dass sich meine Überlegungen auch auf die Situation in der Republik Österreich stützen können.

Zunächst einige Betrachtungen grundsätzlicher Art zu Funktion und Stellung der Staatsanwaltschaft im demokratischen Rechtsstaat: Ausgangspunkt aller Überlegungen ist das staatliche Gewaltmonopol. Das Recht zu strafen ist dem Staat vorbehalten. Wenn der Staat die Selbstjustiz grundsätzlich verbietet, folgt für ihn – quasi spiegelbildlich – die Pflicht, selbst für den Schutz seiner Bürgerinnen und Bürger, also seines Souveräns, Sorge zu tragen. Bei der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruches gebührt der Staatsanwaltschaft neben den Gerichten die Hauptrolle als Akteur der öffentlichen Gewalt: Sie ist Herrin des Ermittlungsverfahrens, Anklagebehörde und Vollstreckungsinstanz; die Entscheidung über Schuld und Strafe hingegen liegt in den Händen der unabhängigen Gerichte. Beide Akteure, Staatsanwaltschaften wie Gerichte, sind dabei gleichermaßen der Ermittlung des wahren Sachverhaltes, der materiellen Wahrheit, verpflichtet. Anders als in anderen Rechtsordnungen hat die Staatsanwaltschaft daher beispielsweise gleichermaßen belastende wie entlastende Umstände heranzuziehen und zu bewerten. Die Staatsanwaltschaft ist also – ein gerne verwendetes Diktum – objektivste Behörde der Welt, Hüterin des Rechts und Garant der Freiheit, keineswegs hingegen „Verfolgerin um jeden Preis“ oder gar „Werkzeug der Obrigkeit“. Ihre Klaviatur, das Strafverfahrensrecht, nimmt als angewandtes Verfassungsrecht je nach Konstellation die mannigfaltigsten Aufgaben vor dem Horizont des Rechtsstaatsprinzips wahr: „Magna Charta des Beschuldigten“, Codex der Verteidigung der Rechtsgemeinschaft gegen den Rechtsbrecher und Instrument zur Begrenzung des Machbaren.

Gerade die letztgenannte Aufgabe des Strafverfahrensrechts, meine Damen und Herren, ist im liberalen Rechtsstaat von großer Bedeutung. Der Bundesgerichtshof hat es nachdrücklich formuliert: Strafverfolgung um jeden Preis darf es nicht geben. Nicht erst seit den Diskussionen um die angemessene Reaktion des Staates auf terroristische Bedrohungslagen ist dies ein immer neu zur Diskussion stehendes, facettenreiches Thema.

Beispielhaft zu nennen in diesem Kontext ist die im September 2009, also noch vor Amtsantritt der christlich-liberalen Koalition, in Kraft getretene Kronzeugenregelung des § 46b StGB, welche der Aufklärung oder Prävention schwerer Straftaten dienen soll. Diese Regelung ist auf zum Teil deutliche Kritik gestoßen, insbesondere der Umstand, dass auch ein Täter, dessen Angaben sich ausschließlich auf eine ganz andere Tat beziehen, mit der er selbst gar nichts zu tun hat, mit Strafmilderungen rechnen kann. Ich denke, diese Kritik ist berechtigt. Denn die Anwendung der bestehenden Kronzeugenregelung auch auf ganz andere Taten betreffende Angaben kann dazu führen, dass die Strafe letztlich keinen hinreichenden Bezug mehr zur konkreten Schuld des Angeklagten hat.

Aus diesem Grund haben wir in der Koalition vereinbart, hier eine Korrektur vorzu-nehmen. In Zukunft soll es nur dann eine Milderungsmöglichkeit geben, wenn die Angaben des Kronzeugen sich auf eine Tat beziehen, die im Zusammenhang mit seiner eigenen Tat steht.
Auch bei den Diskussionen über die – vom  deutschen Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig beurteilten – Umsetzung der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung ist die Frage nach den Grenzen im Blick zu halten. Es geht dabei nicht darum, den Strafverfolgungsbehörden unnötig Steine in den Weg zu legen oder sie gar bei ihren gesetzlichen Ermittlungspflichten zu behindern. Aber ein liberaler Rechtsstaat muss immer – und immer aufs Neue – die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit achten und schützen. Freiheit und Sicherheit schließen sich nicht aus, der eine Wert findet seine Bestätigung im anderen. Wir werden daher auf diesem Gebiet Regelungen zu treffen haben, die den berechtigten Interessen der Strafverfolgungsbehörden nachkommen, andererseits aber nicht Millionen von Menschen dem diffusen Gefühl eines „Beobachtet-Seins“ aussetzen.

Auch bei der Beurteilung der Legitimität und Legalität des Ankaufs sogenannter „Steuer-CDs“ durch staatliche Stellen stellt sich die Frage der Grenzziehungen. Das Spektrum der Ansichten reicht hier vom kategorischen „Kaufen – um jeden Preis!“ bis hin zum genauso kategorischen „Bloß nicht“, und zwischen diesen Positionen liegt noch eine Vielzahl differenzierender Auffassungen und Meinungen.

Eines ist jedenfalls klar: So wie der Staat das Recht und gegebenenfalls die Ver-pflichtung hat, Grenzen zu setzen und für deren Einhaltung zu sorgen, so hat er – auch und gerade auf dem Gebiet der Strafverfolgung – die Pflicht, Grenzen zu acht-en und zu respektieren. Das Selbstverständnis des liberalen Rechtsstaats legt dem Staat, und damit auch der Strafverfolgungsbehörde Staatsanwaltschaft, Zügel an und setzt systemimmanent dem Machbaren Grenzen.

Solche Begrenzung bewirkt, richtig verstanden, freilich keine Schwächung unserer Staatsanwaltschaften. Im Gegenteil: Der „Wächter des Gesetzes“, wie der preußi-sche Justizminister Friedrich  Carl von Savigny die Staatsanwaltschaft bezeichnete, verpflichtet dem Ziel, dass überall dem Gesetz Genüge geschehe, kann nur im Be-wusstsein seiner eigenen Grenzen ein Rückgrat der Rechtsstaatlichkeit sein. „Quis custodiet ipsos custodes?“ Die vom römischen Dichter Juvenal gestellte Frage, wer denn die Wächter überwachen soll, ist für die Staatsanwaltschaft mit dem Recht, mit Gesetz und Verfassung und den darin verbrieften Freiheitsrechten zu beantwoten. Und genau darin liegen Stärke und Akzeptanz dieser Institution.

Lassen Sie mich einige Gedanken zur vielfach diskutierten Frage der Weisungsge-bundenheit der Staatsanwaltschaften formulieren. Diese steht schon seit einer gan-zen Zeit im Fokus verschiedener Reformüberlegungen. Der Deutsche Richterbund hat beispielsweise im Jahre 2003 vorgeschlagen, das externe Weisungsrecht im Einzelfall generell auszuschließen, den Justizverwaltungen des Bundes und der Länder allerdings die Möglichkeit allgemeiner ministerieller Weisungen zu be-lassen. Auch im Grünbuch der Europäischen Union zur Schaffung einer Europäischen Staatsanwaltschaft wird eine weitgehend unabhängige Stellung des Europäischen Staatsanwalts angestrebt. Und die deutsche Bundesministerin der Justiz hat als Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarats im Herbst 2009 eine einstimmig angenommene Entschließung verfasst, in der ebenfalls die Forderung nach einer Abschaffung des ministeriellen Einzelweisungsrechts erhoben wird. Die Forderungen gehen teilweise dahin, jene Leitungsbefugnis gänzlich abzuschaffen oder aber zumindest die Möglichkeit, Einzelweisungen zu geben, zu untersagen. Hierfür werden in den Diskussionen verschiedene Gründe angeführt: So wird in dieser Möglichkeit unter Hinweis auf das Gewaltenteilungsprinzip eine Überschreitung der der Verwaltung gesetzten Grenzen gesehen. Direkte Eingriffe des Justizministers beschädigten das Berufsbild des Staatsanwaltes, konterkarierten seinen gesetzlichen Auftrag, seine Pflicht zur Unparteilichkeit und Objektivität und seine Bindung an das Legalitäts-prinzip.

Diesen kritischen Überlegungen stehen vielfältige Gegenargumente gegenüber:

Diese sind unter anderem verfassungsrechtlicher Art: Die demokratische und recht-staatliche Ordnung des Grundgesetzes setzt erkennbare Verantwortlichkeit im Staat und im Besonderen eine verantwortliche Regierung voraus. Diese Verantwortlichkeit bedeutet einerseits, dass es Aufgaben gibt, die wegen ihrer politischen Tragweite nicht generell der Regierungsverantwortung entzogen werden dürfen; andererseits ist diese Verantwortlichkeit nur möglich bei grundsätzlicher Weisungsgebundenheit der nachgeordneten Exekutivorgane, wie sie die Staatsanwaltschaften bisher sind. Für die Tätigkeit eines Ministeriums trägt der Justizminister die parlamentarische Verantwortung. Daher steht es ihm grundsätzlich frei, seine rechtspolitischen Vorstellungen durch Weisungen im Einzelfall umzusetzen. Denn insoweit unterliegt er auch der Kontrolle des Parlaments.

Und ohnehin besteht für solche ministeriellen Weisungen nur ein schmaler Korridor: Sie müssen sich am Legalitätsprinzip messen lassen und dürfen keine Aufforderung zu rechtswidrigem Tun oder Unterlassen enthalten. Bei gesetzesgemäßer Ausübung des Weisungsrechts ist somit keine Konterkarierung des staatsanwaltschaftlichen Auftrags zu befürchten.

In der Praxis machen die Justizverwaltungen von ihrem Weisungsrecht sowieso nur sehr zurückhaltend Gebrauch, um den Vorwurf politischer Einflussnahme gar nicht erst entstehen zu lassen. Informelle Einflussnahmen hingegen wären auch bei Abschaffung des externen Weisungsrechts nicht ausgeschlossen.

Und letztlich – ein gewichtiges Argument –  kann das Weisungsrecht auch eine einheitliche Praxis der Strafverfolgung gewährleisten und trägt damit zu Rechtssicherheit und Rechtsfrieden bei.

Das Bundesministerium der Justiz verfolgt die Diskussionen zur Weisungsabhängigkeit der Staatsanwaltschaften mit großem Interesse. Von etwaigen Neuerungen wären allerdings primär die Länder und ihre Strafverfolgungsbehörden betroffen, so dass Reformen letztlich nur in breitem Konsens Erfolg versprechen. Auf der Ebene des Bundes dürfte der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof bereits aufgrund der ihm zugewiesenen besonderen Zuständigkeiten und der sich daraus ergebenden politischen Verantwortung des Bundesministeriums der Justiz eine beachtenswerte Sonderstellung einnehmen, welche ein entsprechendes Weisungsrecht zur Wahrnehmung dieser Verantwortung zu rechtfertigen vermag.

Gestatten Sie mir abschließend noch einen kurzen Blick auf die europäische Ebene: Art. 86 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union enthält die optionale Rechtsgrundlage für die Schaffung einer europäischen Staatsanwaltschaft. Nach Artikel 86 Absatz 2 wäre diese europäische Staats-anwaltschaft zuständig für die strafrechtliche Verfolgung von Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union . Darüber hinaus sieht Artikel 86 Abs. 4 die Möglichkeit vor, die Zuständigkeit der europäischen Staatsanwaltschaft auf die Bekämpfung schwerer, grenzüberschreitender Kriminalität auszuweiten.

Auch wenn die Errichtung einer solchen Institution einen gewissen Charme zu haben scheint, stehe ich derartigen Überlegungen eher zurückhaltend gegenüber: Schon der Bedarf für eine europäische Staatsanwaltschaft ist fraglich, zumindest aber nicht belegt. Sofern in den Mitgliedsstaaten der Union Probleme bei der Strafverfolgung von Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der EU bestehen sollten, sollte in erster Linie eine verbesserte Nutzung von schon vorhan-denen Möglichkeiten zur internationalen Zusammenarbeit – unter Einbindung von OLAF, Eurojust, des Europäischen Justiziellen Netzes und Europol – Abhilfe schaffen. Und auch die erheblichen rechtlichen Probleme sind mit Bedacht in Blick zu nehmen: Eine europäische Staatsanwaltschaft könnte derzeit weder auf ein europaweit harmonisiertes Strafrecht noch auf ein harmonisiertes Strafverfahrensrecht zurückgreifen. Auch europaweite Mindeststandards im Strafverfahren – ein wichtiges Anliegen der Bundesrepublik Deutschland – gibt es bislang nur in Ansätzen. Ferner: Welche genauen Ermittlungskompetenzen soll eine solche Staatsanwaltschaft besitzen? Wie kann ein „forum shopping“, bei dem der Gerichtsstand durch die europäische Staatsanwaltschaft nach der jeweils günstigsten nationalen Rechtsordnung ausgewählt wird, vermieden werden? Aus all diesen schwierigen Fragen folgt für mich: Wir müssen zunächst einmal – unter Einbindung aller existierenden EU-Institutionen – eine exakte Analyse des Ist-Zustands durchführen, damit wir wissen, wo genau etwaige Defizite liegen und worin diese etwaigen Defizite ihre Ursachen haben. Erst wenn uns hier gesicherte Erkenntnisse vorliegen, können wir entscheiden, ob und welche Lösungswege eingeschlagen werden müssen und welchen Beitrag dazu die Einführung einer europäischen Staatsanwaltschaft möglicherweise leisten könnte.

Damit, meine Damen und Herren, bin ich am Ende meiner Ausführungen angelangt. Ich wünsche der Frühjahrstagung der österreichischen Juristenkommission einen erfolgreichen und fruchtbaren Verlauf.
Vielen Dank.


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