Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung
Bundesratsprotokoll Nr. 903 – Rede vom 23. November 2012
Gesetz zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung (Drucksache 689/12)
Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz: Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir befinden uns in der Schlussberatung eines zweifellos schwierigen, aber ebenso wichtigen Gesetzgebungsvorhabens, das wir auf Grund einer bedeutsamen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts eingeleitet haben.
Vor fast genau
zwei Jahren haben wir uns
auf die
Neuordnung der Sicherungsverwahrung geeinigt. Diese Neuordnung ist damals von den Koalitionsfraktionen der CDU/CSU und FDP im Deutschen Bundestag und dankenswerterweise von der Bundestagsfraktion der SPD sowie von der Mehrheit in diesem Haus getragen worden. Einen
Kern dieses gemeinsamen Unternehmens
bildete der
Ausbau der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung. Damit wurde das System für künftige Fälle um die in vielerlei Hinsicht problematische nachträgliche Anordnungsmöglichkeit nach Strafhaft bereinigt, ohne dass unserer Meinung nach Schutzlücken geöffnet worden wären.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 4. Mai 2011 an keiner Stelle die von uns gemeinsam getroffenen
Regelungen beanstandet. Sie
bilden also
unverändert das
rechtliche Fundament auch
für das heute zu beratende
Gesetz; denn Karlsruhe hat die Gesetzgeber in Bund und Ländern zur
Umsetzung des Abstandsgebots im Vollzug der Sicherungsverwahrung verpflichtet. Wir haben Vorgaben erhalten, dass und wie sich der Vollzug von Sicherungsverwahrung von Strafhaft unterscheiden muss. Die Umsetzung dieser Vorgaben ist für das Bundesrecht mit dem vorliegenden Gesetz offenbar
gut gelungen; denn ich habe in den Redebeiträgen kaum Kritik daran gehört.
Die
eigentliche Aufgabe, die das Bundesverfassungsgericht uns gestellt hat, ist hiermit
bewältigt. Ich danke den Ländern ausdrücklich dafür, dass sie sich so intensiv an dem Diskussionsprozess beteiligt haben. Sie haben maßgeblich dazu beigetragen, dass dieser Inhalt des Gesetzes nahezu unstreitig ist. Frau Dr. Merk hat erwähnt, dass es zwischen Bund und Ländern insoweit eine gute Zusammenarbeit gegeben hat. Dafür bedanke ich mich im Namen der Bundesregierung ausdrücklich.
Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens ist noch einmal über die bei der Reform 2011 gemeinsam erkannte und gemeinsam gelöste
Problematik der nachträglichen Anordnung von Unterbringung nach Strafhaft diskutiert worden. Ich darf darauf hinweisen, dass alle Aspekte, die heute wiederum in die Debatte getragen worden sind,
seinerzeit – unter Einholung vieler sachverständiger Meinungen – von den Gesetzgebungsorganen
sorgfältigst erörtert worden sind.
Das Ergebnis der damaligen Beratungen war, dass wir ein gänzlich neues System der Sicherungsverwahrung geschaffen haben; Kernstück ist der Ausbau der sogenannten „im Urteil vorbehaltenen Sicherungsverwahrung“. Unser Gesetzentwurf hält genau an der damals gemeinsam getroffenen Grundentscheidung fest.
Wir bleiben bei dem
reformierten, in sich stimmigen neuen Gesamtkonzept der Sicherungsverwahrung, allerdings ergänzt um das, was Karlsruhe beanstandet hatte, nämlich um Regelungen zum Abstandsgebot.
Etwas anders verhält es sich mit einer Ausschussempfehlung, die auf eine Sonderkonstellation hinweist, die wohl vor allem im Saarland virulent geworden ist und dort offenbar noch praktische Bedeutung besitzt. Es handelt sich um eine ziemlich komplizierte Einzelsituation, zu der ich nur sagen will: Die Bundesregierung sieht die
Problematik der zeitlichen Sonderkonstellation zwischen der
Bestandskraft der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte einerseits
und der schon zitierten
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 andererseits. In der Zukunft kommt diese Konstellation nicht mehr vor.
Gleichwohl kann ich Ihnen folgende Zusage geben: Falls der Vermittlungsausschuss nicht angerufen wird, werden wir dennoch einen Weg finden, dieses Sonderproblem zu lösen. Die
Bundesregierung wird dem Deutschen Bundestag die
Einführung einer entsprechenden
Übergangsregelung empfehlen und dies heute in einer
Protokollerklärung zusagen.
Nach alledem komme ich zu folgender zusammenfassenden Bewertung:
Ihnen liegt ein Gesetz zur bundesrechtlichen Regelung des Abstandsgebots zwischen Strafverbüßung und Sicherungsverwahrung vor, ein Gesetz, gegen dessen eigentlichen Inhalt es auch in diesem Haus kaum Einwände gibt. Deshalb bitte ich Sie: Lassen Sie uns das Gesetz ohne Verzögerung in Kraft setzen! Die Gesetzgeber in den Ländern und vor allem die Vollzugspraxis benötigen es als bundesrechtlichen Bezugspunkt. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Amtierende Präsidentin Emilia Müller: Vielen Dank, Herr Staatssekretär!
Anlage 7Erklärung
von Parl. Staatssekretär
Dr. Max Stadler (BMJ) zu Punkt 17 der Tagesordnung
Die Bundesregierung sieht die der Empfehlung der Ausschüsse unter Ziffer 2 (Bundesrats-Drucksache 689/1/12) zugrunde liegende spezielle Problematik, die sich aus den Anforderungen des § 1 Therapieunterbringungsgesetz für Fallkonstellatio¬nen ergeben kann, bei denen über eine Anordnung der
Sicherungsverwahrung bereits vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 rechtskräftig ablehnend befunden wurde.
Sie sichert zu, diese besondere Problematik im Rahmen einer Übergangsregelung zu lösen. Dazu wird sie dem Deutschen Bundestag eine Ergänzung von Artikel 316e EGStGB im Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2012/6/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. März 2012 zur Änderung der Richtlinie 78/660/EWG des Rates über den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen hinsichtlich Kleinstbetrieben (MicroBilG) vorschlagen. Die Vorschrift soll einen neuen Absatz 4 folgenden Wortlauts erhalten:
(4) § 1 des Therapieunterbringungsgesetzes vom 22. Dezember 2010 (BGBl. I S. 2300, 2305) ist unter den dortigen sonstigen Voraussetzungen auch dann anzuwenden, wenn der Betroffene noch nicht in Sicherungsverwahrung unterge-bracht, gegen ihn aber bereits Sicherungsverwahrung im ersten Rechtszug angeordnet war und aufgrund einer vor dem 4. Mai 2011 ergangenen Revisionsentscheidung festgestellt wurde, dass die Sicherungsverwahrung ausschließlich deshalb nicht rechtskräftig angeordnet werden konnte, weil ein zu berücksichtigendes Verbot rückwirkender Verschärfungen im Recht der Si-cherungsverwahrung dem entgegen stand, ohne dass es dabei auf den Grad der Gefährlichkeit des Betroffenen für die Allgemeinheit angekommen wäre.