Wackerchef Dr. Rudolf Staudigl wendet sich in Gastbeitrag für die PNP gegen geplante Begrenzung des Zubaus von Photovoltaikanlagen
München. Zwar nicht gegen eine generelle Kürzung der Solarförderung, aber gegen eine immer weitere Reduzierung des Zubaus von Photovoltaik in den kommenden Jahren wendet sich in einem Gastbeitrag für die PNP Dr. Rudolf Staudigl. Staudigl ist Vorstands-Vorsitzender der Wacker Chemie AG, München, die in Burghausen ein Werk mit rund 10 000 Beschäftigte unterhält. Er schreibt:
"Der Ausstieg aus der Kernenergie ist beschlossene Sache. Die Atomkraft, die 2011 immer noch knapp ein Fünftel des deutschen Strombedarfs geliefert hat, muss in Zukunft ersetzt werden. Die Energielücke soll vor allem durch den Ausbau erneuerbarerer Energiequellen geschlossen werden − ein ehrgeiziges Vorhaben mit vielen Herausforderungen, das aber gelingen kann. Windkraft und Solarenergie werden und müssen dabei tragende Säulen im deutschen Energiemix sein.
Ein Jahr nach dem Beschluss der Bundesregierung zum Ausstieg aus der Atomkraft ist die Debatte zur Ausgestaltung der Energiewende in vollem Gange. Besonders Photovoltaik wird derzeit kontrovers diskutiert. Ineffizient sei sie, und ihre Förderung viel zu teuer, sagen die Kritiker. Die Einspeisevergütung käme vor allem den chinesischen Unternehmen zugute. Und außerdem gefährde der rasche Zubau die Stabilität der Stromnetze.
Bemerkenswert ist dabei aus meiner Sicht vor allem, mit welcher Dynamik sich der Stimmungswechsel in der öffentlichen – oder besser in der veröffentlichten – Meinung vollzogen hat. Wurde noch vor ein, zwei Jahren die Photovoltaik geradezu euphorisch als Zukunftstechnologie gelobt, so gilt sie heute vielen als ökonomisch unsinniges Auslaufmodell.
Nach meiner Überzeugung taugt Euphorie genau so wenig als Richtschnur zum Umbau unseres Energiesystems wie der momentan um sich greifende Abgesang auf die Zukunftsfähigkeit von Windkraft und Solarenergie. Zweifellos ist die Energiewende ein fundamentaler Paradigmenwechsel, für dessen erfolgreiche Umsetzung es keine Blaupause gibt. Außerdem ist die Thematik technologisch wie volkswirtschaftlich komplex. Umso wichtiger ist es deshalb, sich an den Fakten zu orientieren.
Das bedeutet zunächst einmal, die Frage zu beantworten, mit welchen Instrumenten die durch den Wegfall der Kernkraft entstehende Energielücke überhaupt geschlossen werden kann.
Vorrangiges Ziel: Sichere Stromversorgung zu vertretbaren Preisen Von allen erneuerbaren Energiequellen haben Windkraft und Photovoltaik das größte Ausbaupotenzial. Biomasse steht in Flächenkonkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion. Sie würde viel zu viel Fläche verbrauchen, wenn man sie hochskaliert. Wasserkraft ist günstig, aber in Deutschland nicht beliebig auszuweiten. Geothermie scheint noch zu teuer zu sein und ist auch nicht beliebig verfügbar.
Dagegen hat Photovoltaik in der Praxis keine Flächenbeschränkungen. Deutsche Dächer und Brachflächen bieten weitaus mehr Platz als notwendig, um die für die Energiewende erforderliche Anzahl an Solarmodulen zu installieren. Und Windkraftanlagen an Land können auch in Süddeutschland zu attraktiven Kosten betrieben werden, wenn die Rotoren groß genug sind. Wenn wir in Deutschland nicht schwerpunktmäßig auf CO2-intensive fossile Energieträger wie Kohle, Öl oder Gas setzen, sondern ein überwiegend auf erneuerbaren Energien basierendes Energiesystem aufbauen wollen, dann werden Photovoltaik und Wind die Hauptträger dieses Energiesystems sein.
Ein ganz wesentliches Ziel für den Umbau des deutschen Energiesystems muss es sein, für Unternehmen und Verbraucher eine sichere Stromversorgung zu vertretbaren Preisen zu gewährleisten. Gerade Wacker macht sich hier das Urteil nicht einfach. Die Stromkosten hierzulande sind für uns von entscheidender Bedeutung, denn wir sind ein besonders energieintensives Unternehmen. Wir verbrauchen an unseren deutschen Produktionsstandorten pro Jahr rund drei Terawattstunden Strom. Das ist etwa ein halbes Prozent des gesamten Strombedarfs hierzulande. Eine sichere und bezahlbare Energieversorgung ist deshalb für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Produktion in Deutschland überlebenswichtig.
Dass die Energiewende nicht zum Nulltarif zu haben sein wird, sollte jedem klar sein. Denn billiger als mit abgeschriebenen Kernkraftwerken lässt sich Strom kaum produzieren. Das gilt allerdings nur dann, wenn man dabei die Milliardensummen für die Endlagerung der verbrauchten Brennelemente und den Rückbau von Kernkraftwerken am Laufzeitende außer Acht lässt. Tatsache ist aber: Erneuerbare Energien sind schon heute sehr viel günstiger als viele denken.
Gerade die Photovoltaik hat in den vergangenen Jahren ganz enorme Kostensenkungen erreicht. Ein Solarmodul kostet heute nicht einmal mehr die Hälfte dessen, was noch vor fünf Jahren bezahlt wurde. Schon in zwei oder drei Jahren werden die Gestehungskosten für Strom aus Photovoltaik das Niveau von Onshore-Windkraft erreicht haben. Und das wird sich weiter fortsetzen. Nur auf die hohen Kosten der Vergangenheit zu sehen, wird der Realität nicht gerecht.
Die Solarförderung zu kürzen, wenn die Investitionskosten immer geringer werden, ist grundsätzlich richtig. Es geht darum, eine Überförderung zu verhindern. Die Einspeisetarife an die stark gesunkenen Systempreise anzupassen, sorgt dafür, dass Solarenergie eine wettbewerbsfähige und attraktive Energiequelle wird. Wichtig ist aber, hier nicht über das Ziel hinaus zu schießen. Damit meine ich etwa die Absicht, den Zubau von Photovoltaik in den kommenden Jahren immer weiter abzusenken.
Es ist legitim, dass die Bundesregierung den Zubau in einem Korridor steuern möchte. Aber die Neuinstallationen ausgerechnet dann noch weiter zu bremsen, wenn Solarenergie kostenmäßig voll wettbewerbsfähig wird, widerspricht jeder volkswirtschaftlichen Logik. Dann sollte der Korridor auf etwa fünf Gigawatt pro Jahr angehoben werden. Anders ist auch das Ziel der Bundesregierung nicht zu erreichen, ab 2050 den deutschen Strombedarf zu 80 Prozent aus erneuerbaren Energiequellen zu decken.
"Möglichkeiten zur Stromspeicherung bei weitem nicht ausgereizt" Mittelfristig geht es vor allem darum, effiziente und kostengünstige Technologien zur Energiespeicherung zu entwickeln. Ich bin zuversichtlich, dass es hier in den kommenden Jahren substanzielle Fortschritte geben wird. Die technischen Möglichkeiten für eine leistungsfähige und kostengünstige Speicherung von Strom sind bei weitem noch nicht ausgereizt.
Am aussichtsreichsten erscheint die Produktion von Wasserstoff und seine Speicherung im Erdgasnetz. Zusammen mit modernen Gaskraftwerken als Regelenergie lässt sich so ein Energieversorgungssystem errichten, das der Volatilität von Wind- und Sonnenenergie Rechnung trägt und sie ausgleicht.
Deutschland ist in Sachen Solarenergie weltweit führend. Mehr als 100 000 Arbeitsplätze hängen hierzulande von der Photovoltaik ab – ein großer Teil davon im Handwerk und im Mittelstand. Selbst wenn die Module für eine bei uns errichtete Solaranlage aus China kommen, bleiben 50 bis 70 Prozent der Wertschöpfung hier. Denn es sind hier ansässige Firmen, die die Anlage projektieren und bauen. Rund 30 Ausbildungsberufe im Handwerk sind mit dem Bereich der erneuerbaren Energien und der Energieeffi-"Ausland beobachtet Energiewende in Deutschland sehr genau" zienz befasst. Auch stammen wesentliche Komponenten wie Wechselrichter oder das Polysilicium für die Solarzellen vielfach aus heimischer Produktion.
Insgesamt sind die Perspektiven für die Photovoltaik weiter sehr positiv. Der deutliche Preisrückgang bei Polysilicium, Wafern, Zellen und Modulen steigert ihre Wettbewerbsfähigkeit als Energieträger. Das wird dazu führen, dass neue Märkte erschlossen werden. Strom aus Photovoltaik kann unabhängig von bestehenden Netzen erzeugt und genutzt werden. Der Aufbau von Solarkraftwerken ist einfach. Sie haben praktisch keine variablen Betriebskosten. Sie erzeugen keinen Lärm. Und wenn die Module in vielleicht 25 bis 40 Jahren abgebaut werden, dann können sie problemlos entsorgt werden, wenn sie aus Silicium bestehen.
Die großen Wachstumsmärkte für Solarstrom sind China, Indien, Japan und die USA. Dort wird sehr genau beobachtet, wie wir in Deutschland die Energiewende voranbringen. Wenn wir dabei erfolgreich sind, bestehen beste Voraussetzungen, um Solar-Know-how made in Germany in diese Länder exportieren zu können. Deshalb ist es der Mühe wert, an bestehenden Problemen (Stichwort Energiespeicherung und Netzstabilisierung) weiter zu arbeiten und sie zu lösen.
Nachdem wir die erneuerbaren Energien und besonders die Photovoltaik über Jahre hinweg mit Milliardenbeträgen gefördert haben, sollten wir jetzt auch darauf achten, dass wir die Früchte dieser Investitionen in möglichst großem Umfang ernten können."