Dr. Max Stadler Archiv Fragestunde


Gegengutachten zur Bekämpfung von Urheberrechtsverletzungen

Fragestunde - Protokoll Nr. 164 vom 07.03.2012

Gegengutachten der deutschen Internetwirtschaft zum in der BMWi-Studie vorgeschlagenen Warnhinweismodell zur Bekämpfung von Urheberrechtsverletzungen; Vereinbarkeit des Warnhinweismodells mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

Vizepräsident Eduard Oswald:

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Ich rufe nun die Frage 12 des Kollegen Ingo Egloff auf:

Wie bewertet die Bundesregierung die Ergebnisse des von Professor Dr. Thomas Hoeren im Auftrag des Verbandes der deutschen Internetwirtschaft erstellten Gegengutachtens zu dem in der Studie des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie, BMWi, vorgeschlagenen Warnhinweismodell zur Bekämpfung von Urheberrechtsverletzungen, und welche Konsequenzen wird sie daraus ziehen?

Herr Staatssekretär.

Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz:
Herr Präsident, wegen des Zusammenhangs zwischen Frage 12 und Frage 13 würde ich beide Fragen, wenn Sie erlauben, gerne zusammen beantworten.

Vizepräsident Eduard Oswald:
Dann rufe ich auch die Frage 13 des Kollegen Ingo Egloff auf:

Welche Konsequenzen ergeben sich aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Januar 2012 (1 BvR 1299/05), mit der die Zuordnung von dynamischen IP-Adressen ausdrücklich als ein Eingriff in Art. 10 Abs. 1 des Grundgesetzes festgestellt wird, für das mit der BMWi-Studie vorgeschlagene vorgerichtliche Warnhinweismodell, und in welcher konkreten Ausgestaltung sieht die Bundesregierung ein solches Warnhinweismodell als mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vereinbar an?

Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz:
Ich beantworte Ihre Fragen wie folgt: Die Bundesregierung wird die vom Bundeswirtschaftsministerium in Auftrag gegebene vergleichende Studie der Kölner Forschungsstelle für Medienrecht mit den am Wirtschaftsdialog beteiligten Rechteinhabern und Diensteanbietern erörtern, wobei voraussichtlich auch das Gutachten von Professor Hoeren, auf das Sie in Ihrer ersten Frage Bezug genommen haben, thematisiert werden wird. Über mögliche weitere Schritte wird die Bundesregierung auf Grundlage der Ergebnisse dieser Gespräche entscheiden. Die rechtliche Bewertung hängt von der konkreten Ausgestaltung eines etwaigen Warnhinweismodells bzw. eines vorgerichtlichen Mitwirkungsmodells ab. Gegenstand der rechtlichen Bewertung wird auch die Vereinbarkeit mit Art. 10 des Grundgesetzes und mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sein.

Vizepräsident Eduard Oswald:
Herr Kollege Egloff, Sie haben nun eine Reihe von Nachfragen. Sie starten mit Ihrer ersten.

Ingo Egloff (SPD):
Muss ich angesichts Ihrer Antwort davon ausgehen, Herr Staatssekretär, dass die im Gegengutachten vorgebrachten technischen und rechtlichen Probleme Ihrer Meinung nach jedenfalls im Moment noch nicht als so gravierend bewertet werden, dass von einer Umsetzung des Warnhinweismodells in jedem Fall Abstand genommen werden kann?

Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz:
Sie konnten meiner Antwort entnehmen, Herr Kollege Egloff, dass die Gespräche innerhalb der Bundesregierung über die Frage, wie man Urheberrechtsverletzungen im Internet wirksamer begegnet, noch laufen, sodass bisher keinerlei inhaltliche Festlegung getroffen worden ist. Es wurde bisher lediglich eine Festlegung getroffen, die sich schon im Koalitionsvertrag findet: Es wird keine Internetsperren als Folge von Urheberrechtsverletzungen geben. Diese sind, wie gesagt, schon im Koalitionsvertrag ausgeschlossen worden.

Vizepräsident Eduard Oswald:
Herr Egloff, Ihre zweite Nachfrage.

Ingo Egloff (SPD):
Herr Staatssekretär Otto aus dem Wirtschaftsministerium hat angekündigt, im Zweifelsfall müsse man im Hinblick auf die Warnhinweise gesetzliche Maßnahmen ergreifen. Wenn ich Frau Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger richtig verstanden habe, dann befürwortet sie das nicht. Wie beurteilen Sie diesen Widerspruch innerhalb der Bundesregierung?

Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz:
Diesen Widerspruch kann ich nicht erkennen. Herr Kollege Otto ist in der vergangenen Fragestunde auch dazu befragt worden und hat Ihnen die Auskunft gegeben, dass am 15. März im Bundeswirtschaftsministerium Gespräche dazu stattfinden werden. Vorher wird es keinerlei inhaltliche Festlegungen geben. Die Gespräche werden dann ausgewertet.

Des Weiteren hat er ausgeführt, dass eine Gesetzesänderung erforderlich wäre, wenn man bestimmte Formen eines Warnmodells wählt. Das steht nicht im Widerspruch zu dem, was die Bundesjustizministerin gesagt hat; denn es gibt auch andere Modelle, die keine Gesetzesänderung erfordern.

Aus den Reihen Ihrer Fraktion ist beim letzten Mal gefragt worden, ob es jetzt schon möglich sei, dass die Rechteinhaber Mahnschreiben an die Nutzer richten, ohne dass es eine Verpflichtung zur Mitwirkung des Providers gibt. Das wäre eine Form von Hinweisen auf Urheberrechtsverletzungen, die nach geltendem Recht möglich ist und keinerlei Gesetzesänderungen erfordert.

Daher kommt es sehr darauf an, wie die inhaltliche Debatte geführt wird und welches Ergebnis sie hat. Davon hängen dann die rechtlichen Folgen ab.

Vizepräsident Eduard Oswald:
Sie haben eine weitere Nachfragemöglichkeit.

Ingo Egloff (SPD):
Herr Staatssekretär, aufgrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Januar 2012 stellt sich die Frage, ob die Auffassung richtig ist, dass im Lichte der Feststellung, bei der Zuordnung von IP-Adressen handele es sich um einen Eingriff in Art. 10 Abs. 1 Grundgesetz, davon ausgegangen werden kann, dass ein vorgerichtliches Warnhinweismodell ohne richterliche Anordnung zwangsläufig grundgesetzwidrig ist. Teilen Sie diese Auffassung?

Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz:
Herr Kollege Egloff, auch hier gilt, dass wir eine rechtliche Bewertung dann vornehmen werden, wenn eine Einigung darüber erzielt worden ist, wie man Urheberrechtsverletzungen besser begegnet. Es ist offen, ob dies mit Warnmodellen, mit Ermahnungsschreiben oder auch auf ganz andere Art und Weise geschieht. Dann wollen wir eine rechtliche Bewertung – selbstverständlich unter Beachtung dieses relativ neuen Urteils des Bundesverfassungsgerichts – vornehmen.

Vizepräsident Eduard Oswald:
Sie haben die Möglichkeit einer weiteren Nachfrage.

Ingo Egloff (SPD):
Herr Staatssekretär, es liegen Erfahrungen aus anderen europäischen Ländern vor. In Frankreich ist mit einer Art Warnhinweismodell gearbeitet worden. Die Erfahrungen, die die Franzosen damit gemacht haben, sind durchweg nicht positiv, weil es Umgehungstatbestände gibt. Werden diese Erfahrungen anderer europäischer Länder in Ihre Überlegungen einbezogen?

Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz:
Diese Frage kann ich ganz kurz mit einem einfachen Ja beantworten. Wenn es anderweitige Erfahrungen gibt, wie dies in Frankreich der Fall ist, werden diese selbstverständlich einbezogen. Dann schaut man sich natürlich an, welche Schlüsse daraus zu ziehen sind. Allerdings muss man dabei immer auch die Vergleichbarkeit im Auge behalten. Wenn die Nutzung bestimmter Formen des Internets abnimmt, wie dies etwa bei Peer-to-Peer-Gruppen der Fall ist, ist es verständlich, dass unabhängig davon, ob man ein Warnhinweismodell hat oder nicht, die Urheberrechtsverletzungen in diesem Bereich nicht mehr so häufig sind. Das muss man dann auch bedenken.

Im Übrigen hat der Kollege Otto meiner Erinnerung nach in der letzten Fragestunde – jedenfalls aber auch öffentlich – gesagt, dass niemand daran denke, das französische Modell eins zu eins zu übernehmen. In Frankreich sind nämlich als Folge von Urheberrechtsverletzungen Internetsperren vorgesehen. Das wollen wir auf keinen Fall übernehmen. Außerdem sind dort andere schwerwiegende Eingriffe in die Nutzung des Internets wie die Verlangsamung des Zugangs oder Ähnliches vorgesehen.



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