Besonnene Verfechter einer liberalen Rechtspolitik
PSt Dr. Max Stadler diskutierte an der Uni Passau Grundfragen des Strafrechts
PSt Dr. Max Stadler diskutierte am Freitagabend (26.11.2010) in der Universität Passau auf einem von Prof. Dr. Christian von Coelln (Universität Köln)moderierten Podiumsdiskussion über das Thema: „Jede Gesellschaft hat die Verbrecher, die sie verdient“. Diese sehr gut besuchte Veranstaltung bildete den Auftakt eines dreitägigen Seminars der Europäischen Jura-Studentenvereinigung Elsa: "Im Namen des Volkes... Lebenslänglich für das deutsche Strafrecht?". Mitdiskutanten auf dem Podium waren Prof. Dr. Heribert Prantl, Ressortleiter Innenpolitik der Süddeutschen Zeitung, Prof. Dr. Grischa Merkel, Universität Rostock und Prof. Dr. Reinhard Merkel, Universität Hamburg. Anwesend war auch der frühere Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Prof. Dr. Winfried Hassemer, der am nächsten Tag über das Thema "Strafe muss sein" sprach.
PSt Dr. Stadler verteidigte trotz der neueren Forschungen (u.a. von Prof. Dr. Grischa Merkel), die aufgrund neurobiologischer Abläufe die These von der freien Willensentscheidung von Straftätern in Frage stellt), das geltende Konzept des Schuldstrafrechts. Stadler verwies auf die eingriffslimitierende Funktion des Schuldbegriffs, was auch ein Vorzug gegenüber dem von Arno Plack in den Siebziger Jahren vorgetragenen Konzepts der reinen Maßregelreaktionen sei (Plack: "Plädoyer für die Abschaffung des Strafrechts").
Prof. Dr. Reinhard Merkel sah ebenfalls keine echte Alternative zum Strafrecht, trat aber dafür ein, den Straftatenkatalog zu durchforsten. Insbesondere verhielt er sich skeptisch zu Delikten, mit denen Meinungsäußerungen pönalisiert würden. PSt Stadler verwies darauf, dass ein Teil dieses Anliegens demnächst erfüllt werden wird: Mit dem Gesetz zum Schutz der Pressfreiheit, das schon im ersten Durchgang vom Bundesrat beraten worden ist, wird die Koalition klarstellen, dass Journalisten sich bei Nutzung interner Behördeninformationen nicht wegen Beihilfe zum Geheimnisverrat strafbar machen.
Zu Stadlers Bericht aus der Bundesratssitzung vom selben Vormittag (26.11.2010) über die Verschärfung des § 113 StGB (Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte) merkte Moderator Prof. Dr. von Coelln allerdings an, dass der PSt noch vor einigen Monaten in der ZRP diese Änderung abgelehnt habe, aber dass es verständlicherweise auch Koalitionsrücksichtsnahmen gebe.
Prantls Verdikt jeglichen "Feindstrafrechts" wurde von Stadler ausdrücklich unterstützt, zumal - so der PSt - in der Terrorismusdebatte der letzten Tage wieder einige Elemente des "Feindstrafrechts" aufgetaucht seien. Zustimmung fand auch Grischa Merkels und Prantls Forderung, den Resozialisierungsgedanken im Strafvollzug wieder stärker zu betonen.
Damit kam die Diskussion zu dem Thema "Sicherungsverwahrung", denn PSt Stadler äußerte die Erwartung, dass gerade aufgrund des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom Dezember 2009 der Vollzug der Sicherungsverwahrung künftiger therapeutischer ausgerichtet sein würde.
Ganz aktuell konnte Stadler dem Auditorium berichten, dass sich die Rechtspolitiker der Koalition vor wenigen Stunden auf die endgültigen Formulierungen der Reform der Sicherungsverwahrung geeinigt hätten. Dabei sei der Katalog der Anlasstaten noch einmal deutlich reduziert worden. Prof. Reinhard Merkel begrüßte insbesondere, dass künftig die nachträgliche SV entfallen wird, und maß der elektronischen Fußfessel durchaus präventive Wirkung zu.
Trotz Stadlers Hinweis, dass das ThUG nur für einen begrenzten Täterkreis eine neue Unterbringungsmöglichkeit schaffe, weil nach der EMRG-Entscheidung eine Ausnahmesituation entstanden sein, übte Prantl gerade an dieser Neuerung heftige Kritik. Es sei insbesondere unvertretbar, Personen, die nach dem EMRG-Urteil schon in Freiheit entlassen worden seien, wieder in Unterbringung zu nehmen.
Dennoch schloss Prantl mit dem Fazit, es sei sehr wichtig und wohltuend, dass jetzt an der Spitze des Bundesjustizministeriums besonnene und maßvolle Verfechter einer liberalen Rechtspolitik stünden.