Dr. Max Stadler Archiv Fragestunde


Umsetzung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung

Fragestunde - Protokoll Nr. 77 vom 01.12.2010

Dann rufe ich die Frage 8 der Kollegin Dr. Eva Högl auf:
Wann legt die Bundesregierung ihren Vorschlag für eine neue Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG zur Vorratsdatenspeicherung vor, und welche Kriterien zum Grund und zur Dauer der Speicherung wird diese voraussichtlich erhalten?

Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz:
Frau Dr. Högl, wie Sie wissen, ist die Richtlinie 2006/ 24/EG gegenwärtig Gegenstand einer Bewertung durch die Organe der Europäischen Union. Art. 14 dieser Richtlinie gibt vor, dass die Kommission dem Europäischen Parlament und dem Rat eine Bewertung der Anwendung dieser Richtlinie sowie ihrer Auswirkungen auf die Wirtschaftsbeteiligten und die Verbraucher vorlegt, um festzustellen, ob die Bestimmungen der Richtlinie gegebenenfalls geändert werden müssen. Mit dem Abschluss dieser Evaluation ist nach jüngsten Informationen aus der Kommission im nächsten Quartal zu rechnen. Im aktuellen Arbeitsprogramm kündigt die Kommission eine Bewertung und Überarbeitung der Richtlinie an.

Auch wenn diese Evaluierung, über die ich jetzt berichtet habe, die europarechtliche Verpflichtung zur innerstaatlichen Umsetzung der Richtlinie nicht suspendiert, so erscheinen doch angesichts der vor dem Abschluss stehenden Evaluation und Bewertung der Richtlinie durch die Europäische Kommission sowohl Planungen zu einem Zeitrahmen für eine etwaige Neuregelung als auch diesbezügliche inhaltliche Festlegungen verfrüht. Angaben zum Verfahren und zum Zeitplan für eine erneute Umsetzung setzen zudem voraus, dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 2010 und die daraus zu ziehenden konkreten Konsequenzen für das nationale Recht umfassend geprüft sind, um abschätzen zu können, welche Maßnahmen konkret zur Erfüllung der gegebenenfalls zu überarbeitenden Richtlinie eingeleitet werden müssen.

Diese Prüfung der Entscheidung des Verfassungsgerichts nimmt die Bundesregierung unter besonderer Berücksichtigung der Erfordernisse der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung derzeit vor. So haben die Bundesministerien der Justiz und des Innern beispielsweise Ende September 2010 einen gemeinsamen Workshop zur Klärung praktischer, technischer und finanzieller Fragen im Zusammenhang mit der Speicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten durchgeführt. Daran waren zahlreiche Telekommunikationsunternehmen, deren Verbände, Datenschutzbeauftragte, Vertreter der Wissenschaft und weitere Interessierte beteiligt. Auch dabei – damit schließe ich die etwas umfängliche Antwort – hat sich gezeigt, welch schwierige Probleme etwa technischer Art, zum Beispiel bei der Verschlüsselung der Daten, eine etwaige Neuumsetzung der Richtlinie aufwirft.

Präsident Dr. Norbert Lammert:
Bitte schön, Frau Dr. Högl.

Dr. Eva Högl (SPD):
Herr Staatssekretär, ganz herzlichen Dank für Ihre Antwort. Ich habe noch eine Nachfrage. Die Problematik, die sich aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ergibt, nämlich dass die gegenwärtige oder bisher praktizierte Vorratsdatenspeicherung unwirksam ist und gestoppt wurde, ist eine nationale Problematik in Deutschland. Vielleicht können Sie noch einmal ganz kurz erläutern, warum Sie dennoch die Evaluierung der europäischen Richtlinie, die wir, wie Sie gesagt haben, ohnehin umsetzen müssen, abwarten wollen und welche Erkenntnisse Sie sich von dieser Evaluierung für die notwendige deutsche Umsetzung versprechen.

Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz:
Frau Kollegin Dr. Högl, das Parlament hat zur Zeit der Großen Koalition nur deshalb einen Beschluss zur Vorratsdatenspeicherung gefasst, weil dies durch eine Richtlinie der Europäischen Union vorgegeben war. Zuvor hatte sich nämlich nach meiner Erinnerung der gesamte Deutsche Bundestag in einem anderen Beschluss einstimmig gegen die Einführung der Vorratsdatenspeicherung gewandt, er war dann aber an die Umsetzung der Richtlinie gebunden.

Nun haben wir die Situation, dass diese Richtlinie auch innerhalb der Europäischen Union zunehmend kritisch gesehen wird. Die zuständige Kommissarin, Frau Reding, hat sich im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages – Sie waren zugegen – als erklärte Gegnerin der Vorratsdatenspeicherung geoutet. Es gibt mehrere europäische Länder, die die Richtlinie nicht umgesetzt haben. Manche haben sie umgesetzt, was aber, wie in Deutschland, von deren eigenem Verfassungsgericht wieder aufgehoben worden ist. Die Debatte auf europäischer Ebene ist insgesamt also sehr im Fluss.

Ein Punkt kommt hinzu: Inzwischen ist die europäische Grundrechtecharta in Kraft getreten, die nun auch in die Evaluierung einfließen muss.

Unter diesen veränderten Umständen gegenüber den Vorgaben, die der Gesetzgeber zur Zeit der Großen Koalition hatte, erscheint es uns zweckmäßig, vor weiteren nationalen Aktivitäten die Entwicklung in Europa im Auge zu behalten.

(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut!)

Dr. Eva Högl (SPD):
Herr Staatssekretär, herzlichen Dank auch für diese Antwort. Ich habe trotzdem noch eine Nachfrage.

Da wir als großes Land nicht irgendein Mitgliedstaat in der Europäischen Union sind und es für die weitere Debatte über die europäische Richtlinie vielleicht auch nicht ganz unwichtig ist, was in Deutschland diskutiert wird, möchte ich Ihnen die Frage stellen: Was wird die Bundesregierung in diese Evaluierung einbringen? Welche wesentlichen Gesichtspunkte können Sie uns heute nennen, von denen Sie sagen: Es ist wichtig, dass Deutschland sie a) in die Evaluierung der bisherigen Praxis und b) in die Debatte über die Zukunft der Vorratsdatenspeicherung auf europäischer Ebene einbringt?

Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz:
Die Bundesregierung hat dort über die markante Entscheidung, wenn ich das so formulieren darf, des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 2010 vorgetragen und wird dies auch weiter tun. Ich kann mich an kaum einen Fall erinnern, dass das Verfassungsgericht gesagt hat, eine Maßnahme, die in Grundrechte eingreift, sei von einer bisher nie gekannten Streubreite und erzeuge das diffuse Gefühl, ständig beobachtet zu werden.

Das Bundesverfassungsgericht hat uns auch aufgegeben, dass wir nicht beliebig Datensammlungen großer Quantität anlegen können. Wir verweisen in der Debatte in Europa also auf diese klare Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, durch die gleichwohl, damit das nicht falsch ankommt, eine Neuregelung nicht gänzlich ausgeschlossen wird. Die Karlsruher Richter stehen dem aber offenkundig sehr kritisch gegenüber.

Darüber hinaus tragen wir dort natürlich auch über die praktischen Erfahrungen vorher, während der Geltung und seither vor.

 




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