Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Vielen Dank. – Dann kommen wir zur Frage 13 des Kollegen Jerzy Montag:
Ist es aus Sicht des Bundesministeriums der Justiz in irgendeiner Weise zu beanstanden, dass der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts Professor Dr. Hans-Jürgen Papier im Auftrag der Bundesregierung ein Rechtsgutachten zu einer aktuellen verfassungsrechtlichen Frage erstellt und in einer Fachzeitschrift veröffentlicht hat (vergleiche die Äußerung des Vorsitzenden der Fraktion der CDU/CSU, Volker Kauder, in der Passauer Neuen Presse vom 16. September 2010)?
Bitte schön.
Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz:
Herr Professor Papier ist als Präsident des Bundesverfassungsgerichts am 16. März 2010 in Ruhestand getreten. Er lehrt jetzt als Hochschullehrer an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Das Bundesministerium der Justiz hatte und hat keinen Anlass, in irgendeiner Weise den Umstand zu bewerten, dass sich Professor Papier Ende Mai und im September 2010 zu einer aktuellen verfassungsrechtlichen Frage wissenschaftlich geäußert hat.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Eine Nachfrage? – Bitte schön.
Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Danke, Herr Präsident. – Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen für diese klare Einschätzung. Sie führt mich zu meiner Nachfrage. Es ist unstreitig: Die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes über die Nutzung der Atomenergie resultiert aus Art. 73 Abs. 1 Nr. 14 GG, die Zustimmungspflicht des Bundesrates ergibt sich aus Art. 87 c des Grundgesetzes.
(Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär: Ja!)
Nun liegen uns zwei Formulierungshilfen der Bundesregierung zu den Gesetzentwürfen der Koalitionsfraktionen in Bezug auf die Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke vor. In der ersten Formulierungshilfe steht nichts zu der Frage der Zustimmungspflicht. Die zweite Formulierungshilfe enthält ausschließlich eine Bezugnahme auf Art. 87 d des Grundgesetzes, der für das Atomrecht ohne Bedeutung ist.
Nun hat sich Herr Papier – auf Anforderungen der Bundesregierung hin – zu genau dieser Problematik geäußert. Ich frage Sie: Warum findet sich in der neuesten Formulierungshilfe der Bundesregierung zu dieser so komplexen und schwierigen Materie keine Auseinandersetzung mit den äußerst gewichtigen Argumenten für eine Zustimmungspflicht des Bundesrates? Herr Professor Papier und viele andere haben sich mit genau dieser Frage auseinandergesetzt. Die Bundesregierung schreibt dazu in ihrer Formulierungshilfe kein einziges Wort. Warum eigentlich nicht?
Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz:
Herr Kollege Montag, die Frage der Zustimmungsbedürftigkeit einer Laufzeitverlängerung war bereits vor einigen Monaten Gegenstand vieler Fragen in der Fragestunde. Schon damals habe ich dazu Stellung genommen. Seither hat sich allerdings ein Faktum geändert. Ich habe damals ausgeführt, dass es unter Gutachtern in der wissenschaftlichen Lehre unterschiedliche Meinungen gibt. Es gibt die Auffassung, jede Verlängerung bedürfe der Zustimmung des Bundesrats, und es gibt die Auffassung, dass dies nur in bestimmten Ausgestaltungen der Fall sein sollte. Es gibt außerdem die Auffassung, eine neue Zustimmung sei entbehrlich, weil der Bundesrat ursprünglich schon einmal der Übernahme der Zuständigkeit für die Verwaltung der Atomkraftwerke zugestimmt hat.
Nunmehr gab es nach unserer damaligen Fragestunde eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu – wie Sie zu Recht sagen – Art. 87 d des Grundgesetzes, und zwar zum Thema Luftsicherheitsgesetz. In dieser Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht in großer Klarheit ausgeführt, dass eine rein quantitative Ausweitung einer Aufgabe nicht zu einer neuerlichen Zustimmungsbedürftigkeit des Bundesrats führt. Auf diese Entscheidung nimmt die Bundesregierung jetzt Bezug, weil wir der Überzeugung sind, dass die Grundsätze aus dieser sehr neuen und ganz aktuellen Entscheidung eben auch in Bezug auf Art. 87 c gelten. Das ist der Grund für diese neue Situation. Selbstverständlich sind Argumente insbesondere von Herrn Professor Papier, der von allen Seiten – selbstverständlich auch von mir persönlich – hochanerkannt ist, gewichtig. Gewichtig ist aber auch die ganz aktuelle Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Eine weitere Nachfrage. – Bitte.
Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Staatssekretär Dr. Stadler, das Bundesverfassungsgericht hat zwischenzeitlich Stellung genommen. Dies hat es allerdings ausdrücklich in Bezug auf Art. 87 d getan, während sich das Atomrecht und die Zustimmungspflicht in Atomrechtsfragen nach Art. 87 c richten. Genau zu dieser Problematik hat Herr Professor Papier gesagt – dies wurde auch veröffentlicht –: Die Gedankengänge und Regelungen zu Art. 87 d und insoweit auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts seien nach seiner Auffassung für das Atomrecht und für Art. 87 c Grundgesetz nicht einschlägig; das Gegenteil sei der Fall. Deswegen frage ich Sie noch einmal: Warum hat die Bundesregierung zu dieser weiterhin hochstreitigen Problematik in ihrer neusten Formulierungshilfe für die Koalitionsfraktionen mit keinem einzigen Wort Stellung genommen, obwohl Herr Professor Papier sein Gutachten im Auftrag der Bundesregierung erstellt hat?
Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz:
Lieber Kollege Montag, über diese Rechtsfrage wird in der weiteren parlamentarischen Debatte sicherlich noch trefflich gestritten werden. Gleichwohl darf ich darauf aufmerksam machen, dass es in der Juristerei keine Seltenheit ist, dass es zu verschiedenen Fragen unterschiedliche Auffassungen gibt, die jeweils mit beachtlichen Argumenten begründet werden. Es gilt aber doch auch ein wenig die alte Erkenntnis: Roma locuta, causa finita. Das heißt, wenn das Bundesverfassungsgericht eine Entscheidung trifft und man der Auffassung sein kann, diese sei einschlägig, dann ist das aus Sicht der Bundesregierung ein entscheidender Faktor.
Ich habe in meiner vorherigen Antwort wie Sie darauf hingewiesen, dass die Entscheidung zu Art. 87 d ergangen ist und wir uns jetzt im Bereich des Art. 87 c des Grundgesetzes befinden. Nur, die ganz klare Aussage lautete, dass „die Wiederholung oder Konkretisierung bereits früher erfolgter Aufgabenzuweisungen den Aufgabenbestand der Länder nicht vergrößern“ und daher keine neue Aufgabenübertragung darstellen wird. In der Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts, die am 11. Juni 2010 veröffentlich wurde, steht unter Bezugnahme auf die Entscheidung vom Mai, dass eine lediglich quantitative Erhöhung der Aufgabenlast für die Länder keine neue Zustimmungspflicht auslöst. Das sind Kernsätze einer Entscheidung, die sehr klar und sehr deutlich sind. Ich wiederhole: Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass diese Grundsätze auch bei Art. 87 c GG zu beachten sind.