08.03.2010
Papiers letzter Paukenschlag
Hans-Jügen Papier, Präsident des Bundes- 
Verfassungsgerichts, hat in seinem letzten Urteil noch einmal Maßstäbe  gesetzt: 
*Datenschutz* darf nicht beliebig der Angst vor Terror  preisgegeben werden.  
Von Andreas HerholzKarlsruhe/Berlin. „Ich mache keinen Hehl daraus“, sagt Sabine  Leutheusser-Schnarrenberger. „Ich freue mich über das Urteil“, erklärt  die liberale Bundesjustizministerin vor der Hauptstadtpresse, strahlt  und jubelt über „einen herausragend guten Tag“ für die Grundrechte und  den Datenschutz. Beim Koalitionspartner sieht man das ganz anders und  ist „ausdrücklich nicht froh“: „Solange wir keine Nachfolgeregelung  haben ist die Lage für Straftäter komfortabel, weil für die Aufklärung  von Straftaten keine Verkehrsdaten anlasslos gespeichert und genutzt  werden dürfen“, kommentiert Innenausschuss-Chef Wolfgang Bosbach (CDU),  die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. 
Das Karlsruher Urteil mit dem höchstrichterlichen Stopp der  Vorratsdatenspeicherung beschwört den nächsten Koalitionsstreit herauf.  Während die Union auf eine schnelle Gesetzesänderung noch vor der  Sommerpause drängt und an der Vorratsdatenspeicherung grundsätzlich  festhalten will, sieht die FDP keinen akuten Handlungsbedarf und spielt  auf Zeit. 
Die Verfassungsrichter hatten gestern das Gesetz zur massenhaften  Speicherung von Telefon- und Internetdaten für verfassungswidrig erklärt  und die umgehende Löschung von gespeicherten Daten angeordnet. Bei dem  Gesetz handele es sich um einen „besonders schweren Eingriff“ in das  Fernmeldegeheimnis und die Grundrechte „mit einer Streubreite“ wie sie  die Rechtssprechung bisher nicht gekannt habe. „Das Gesetz habe „ein  diffuses bedrohliches Gefühl des Beobachtetseins hervorgerufen“,  begründete Hans-Jürgen Papier, Präsident des Bundesverfassungsgerichts. 
Die Justizministerin warnte ausdrücklich vor „nationalen  Schnellschüssen“. Die unmissverständliche Botschaft der FDP: Ein neues  Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung dürfte ihre Zustimmung nicht finden.  „Wenn Frau Leutheusser-Schnarrenberger bei dem Standpunkt bleibt, dann  haben wir ein Problem“, rechnet CDU-Innenexperte Bosbach mit neuem  Streit in der Koalition. Das Bundesverfassungsgericht habe die Position  der Justizministerin widerlegt und mit dem Urteil bestätigt, dass  Vorratsdatenspeicherung nicht generell verfassungswidrig sei. „Durch die  vom Verfassungsgericht angeordnete Löschung gehen wichtige  Ermittlungsansätze und gespeicherte Beweismittel für alle Zeit  verloren“, beklagte der CDU-Mann. „Wenn es hierzulande keine  Vorratsdatenspeicherung mehr gäbe, würden immer mehr Straftäter aus dem  europäischen Ausland in den Tatraum Deutschland ausweichen“, warnt  Bosbach. „Gründlichkeit vor Schnelligkeit“, empfiehlt dagegen  Justizstaatssekretär Max Stadler (FDP) und wirbt für eine europäische  Lösung. 
Das Karlsruher Urteil - ein Tag zur Freude oder ein Tag zur Sorge? Nach  den Urteilen zum Lauschangriff, zur Online-Durchsuchung und zu Hartz IV  kippt das Verfassungsgericht jetzt das Gesetz zur  Vorratsdatenspeicherung - „eine Ohrfeige für den Gesetzgeber“, urteilt  der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar. „Ein guter Tag für die  Grundrechte.“ Er rechne nicht mehr damit, dass Deutschland eine solche  Regelung zur Vorratsdatenspeicherung bekommen werde, so der oberste  Datenschützer. 
Die Justizministerin setzt jetzt auf eine europäische Lösung. Hatten die  Karlsruher Richter doch ausdrücklich erklärt, dass eine  verfassungsgemäße Umsetzung der entsprechenden EU-Richtlinie über die  Vorratsspeicherung in Deutschland möglich sei. Nach dem Regelwerk sollen  die EU-Staaten nationale Gesetze erlassen, die die  Telekommunikationsanbieter zur Speicherung der Verbindungsdaten über  sechs Monate verpflichten. Hatten sich Union und FDP in den  Koalitionsverhandlungen noch überraschend schnell auf den Bereich  Inneres und Recht verständigt, droht dort jetzt der nächste Zwist.