Dr. Max Stadler Archiv Reden


Rede vom 01.03.2002

Stadler zum Zuwanderungsgesetz

Rede von Dr. Max Stadler am 01.03.2002
Zuwanderungsgesetz

(Es gilt das gesprochene Wort!)



Die FDP hält seit langem eine gesetzliche Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung für eine zentrale Aufgabe der deutschen Politik. Die FDP hat diese Auffassung bekräftigt, in dem sie als erste Fraktion am 27.06.2000 einen Gesetzentwurf zur Steuerung der Zuwanderung in den Bundestag eingebracht hat.

Wir haben unser Zuwanderungskonzept am 30.07.2001 im Anschluß an den verdienstvollen Bericht der Süssmuth-Kommission aktualisiert. Viele der uns wichtigen Punkte haben sich dann im Gesetzentwurf der Bundesregierung wiedergefunden.

Wir begrüßen auch, dass es nunmehr nach einem langwierigen Diskussionsprozeß zu einer Entscheidung kommt, die freilich endgültig nicht heute im Bundestag, sondern später im Bundesrat getroffen werden wird.

Trotz unser positiven Grundbewertung des Projekts werden wir uns in der heutigen Abstimmung der Stimme enthalten aus folgenden Gründen:

1. Das von der Bundesregierung und der Koalition gewählte Verfahren, im letzten Augenblick umfangreiche Änderungsanträge zu präsentieren, kann im Interesse der Selbstachtung des Parlaments nicht akzeptiert werden.

2. Die FDP hat sich am gesamten öffentlichen Diskussionprozeß stets konstruktiv beteidigt. Dieser Diskussionsprozeß ist nunmehr innerhalb der Regierungskoalition abgeschlossen, nicht jedoch in Bezug auf die Opposition. Aus Sicht der FDP enthält das Zuwanderungsgesetz Licht und Schatten, wie ich gleich noch näher darstellen werde und wie wir dies in einem eigenen Entschließungsantrag zum Ausdruck bringen.

3. Schließlich ist der Diskussionprozeß in Bezug auf die Bundesländer noch nicht abgeschlossen. Die FDP ist über vier Landesregierungen an der Entscheidung im Bundesrat beteiligt. Insbesondere dem Abstimmungsverhalten des sozial-liberal regierten Bundeslandes Rheinland-Pfalz kommt eine entscheidende Bedeutung zu.

Nachdem die Bundesregierung ihre endgültige Gesetzesfassung erst Anfang dieser Woche vorgelegt hat, werden die FDP-Landespolitiker ihre Haltung in der nächsten Woche koordinieren und festlegen. Dem will die Bundestagsfraktion am heutigen Tage nicht vorgreifen.

Aus alledem ergibt sich als Momentaufnahme eine Stimmenhaltung, die ich aber im Hinblick auf das weitere Verfahren im Bundesrat als wohlwollende Stimmenthaltung charakterisieren möchte.

Lassen sie mich aber noch einmal kurz zum Verfahren und dann detailliert zum Inhalt Stellung nehmen.

Bundesinnenminister Otto Schily, den wir bei anderen Themen an dieser Stelle wiederholt und deutlich kritisiert haben, hat seit der Vorlage seines Gesetzentwurfs im August 2001 mit der FDP-Bundestagsfraktion laufend faire, sachliche und absolut angemessene Beratungen geführt. Dies ist zwar eigentlich selbstverständlich, wird aber von uns dennoch ausdrücklich anerkannt.
All dies galt bis einschließlich Mittwoch der letzten Woche.

Das weitere Vorgehen der Koalition und der Bundesregierung seit Donnerstagabend kann jedoch von keiner Oppositionspartei hingenommen werden. Ich rede dabei nicht über die entschuldbare Tatsache, dass eine Übermittlungsfrist, die am Donnerstag um Mitternacht abgelaufen ist, um einige Minuten überschritten worden ist. Das ist aus der Sicht der FDP ein nebensächlicher Punkt.

Ganz und gar nicht nebensächlich ist dagegen der Umgang der Mehrheit hier im Hause mit der Opposition. Beim Terrorismusbekämpfungsgesetz
sind in letzter Sekunde umfangreiche Änderungen durch die Koalition eingebracht worden. Dies haben alle Oppositionsredner heftig kritisiert. Daraufhin hieß es, es habe sich um einen einmaligen Vorgang gehandelt, der sich auf keinen Fall beim Zuwanderungsgesetz wiederholen werde.

Dieses Versprechen vom Dezember ist jetzt nach zwei Monaten bereits gebrochen worden. Wir respektieren die Arbeitsleistung derjenigen Kolleginnen und Kollegen, die Erkenntnisse aus der Sachverständigenanhörung eingearbeitet haben und in sicherlich mühevoller Kleinarbeit den Gesetzentwurf abstimmungsreif gemacht haben. Aber dies ist so spät geschehen, dass eine sorgfältige Beratung und Bewertung des geänderten Gesetzentwurfs in den Gremien der Oppositionsfraktionen nicht mehr möglich gewesen ist. Das Argument, die Opposition sei ja ohnehin zur Ablehnung entschlossen gewesen, so dass auch ein längerer Vorlauf daran nichts geändert hätte, trifft bekanntlich für die FDP nicht zu. Wenn sie uns eine wirkliche Mitwirkungsmöglichkeit in der Endphase hätten geben wollen, hätten sie sich anders verhalten müssen. Daher kann ich der Mehrheit in diesem Hause die Feststellung nicht ersparen:
Bei ihnen trifft der Satz zu: „Es gilt das gebrochene Wort“.

In der Sache selbst bleibt es jedoch dabei, dass die Zuwanderung auf den Arbeitsmarkt, die entscheidend wichtige Aufgabe der Integration sowie die Regelung humanitäre Verpflichtungen in einem Gesamtkonzept erforderlich ist. Diese drei Teile sind im Gesetzentwurf der Regierung mit unterschiedlicher Qualität abgehandelt.

Zum humanitären Teil hat es in der Sachverständigenanhörung erhebliche Kritik gegeben, die Sie nur zum Teil aufgegriffen haben, weil Sie der irrigen Meinung gewesen sind, dann leichter die Zustimmung der CDU/CSU zu erhalten. Somit bleiben in diesem Teil Lücken, auf die wir in unserem Entschließungsantrag hinweisen. In diesem Zusammenhang muß auch daran erinnert werden, dass entgegen dem Willen des Bundestages die Vorbehalte gegen die UN-Kinderrechtskonvention immer noch nicht zurückgezogen worden sind.

Richtig ist dagegen, dass schon die Genfer Flüchtlingskonvention den Schutz derjenigen Personen vorsieht, die von nichtstaatlicher oder geschlechtsspezifischer Verfolgung betroffen sind. Ein neuer Asylgrund ist damit nicht verbunden. Dies war schon immer die Auffassung der FDP. Für die neuerliche Klarstellung sind wir dankbar.

Der Kompromiß um das Nachzugsalter von Kindern mit einer Absenkung auf 12 Jahre bei einer gleichzeitigen Härtefallregelung kann noch akzeptiert werden. Die gesamte Diskussion ist in diesem Bereich aber sehr kleinlich geführt worden. Selbstverständlich ist es im Interesse der Integration wünschenswert, wenn Kinder in Deutschland aufwachsen. Wir meinen aber, dass die Union mit ihrer Haltung das Elternrecht und damit ein Grundrecht nicht hinreichend berücksichtigt.

2. Damit komme ich zum Zukunftsthema Integrationsaufgabe des Staates. Warum sind wir nicht in der Lage, diese Aufgabe als Staatsziel in das Grundgesetz aufzunehmen, um damit die überragende Wichtigkeit der Integration zu dokumentieren? Der Gesetzentwurf geht in die richtige Richtung, wenn die Vermittlung der deutschen Sprache als entscheidender Ansatzpunkt für die Integration formuliert wird. Kostenfragen mögen demgegenüber zweitrangig sein. Es ist trotzdem erwähnenswert, dass es Migratinnen und Migranten je nach ihrer Leistungsfähigkeit zumutbar ist, einen eigenen maßvollen Beitrag an den Kosten etwa von Sprachkursen zu übernehmen. Umgekehrt dürfen Bund und Länder diese Kosten den Kommunen aufgrund ihrer derzeitigen Finanzlage nicht überbürden.

Dies ist jedoch nicht das Entscheidende. Wichtig ist aus Sicht der FDP, dass Integrationspolitik sich nicht nur auf neue Migrantinnen und Migranten beziehen darf, sondern auch die bereits in Deutschland lebenden Ausländer einbeziehen muß und ebenso aus gegebenen praktischen Anlässen die neue Generation Kinder und Jugendlicher aus Aussiedlerfamilien. Der Gesetzentwurf hinterläßt an dieser Stelle einen zwiespältigen Eindruck, weil er sich zu knapp mit dem Integrationserfordernis auseinandersetzt und ein zwischen Bund und Ländern abgestimmtes Gesamtkonzept noch vermissen läßt. Hier bleibt für die Zukunft noch viel zu tun.

3. Ursprünglicher Anlaß für das Gesetz war aber die Erkenntnis, dass trotz hoher Arbeitslosigkeit in bestimmten Branchen und Regionen eine begrenzte und gesteuerte Zuwanderung auf den Arbeitsmarkt möglich gemacht werden muß. Es bleibt dabei: Eine Millionen Arbeitsplätze, insbesondere Facharbeiterstellen im Mittelstand, können derzeit aus dem einheimischen Arbeitsmarkt nicht besetzt werden. Wer will verantworten, dass unter diesen Umständen Menschen, die in Deutschland arbeiten wollen, der Zugang verwehrt wird? Wer will verantworten, dass Betriebe, die solche Fachkräfte dringend brauchen und derzeit nicht bekommen, das Angebot von Arbeitnehmern aus Drittstaaten annehmen?

Die Argumentation der Union, das Zuwanderungsgesetz führe zu mehr Zuwanderung, ist für diesen Bereich überhaupt nicht nachvollziehbar.

Wenn eine begrenzte und gesteuerte Zuwanderung auf den Arbeitsmarkt in unserem eigenen Interesse liegt, dann kann ich doch nicht als Kritik formulieren, dass mit einem Zuwanderungsgesetz mehr Arbeitskräfte auf den Arbeitsmarkt zuwandern werden. Dies entbehrt jeder Logik.

Sehr wohl muß man aber die Ängste und Vorbehalte in der Bevölkerung wahrnehmen und sich mit ihnen auseinandersetzen. Die FDP stellt daher fest:

1. Ein Zuwanderungsgesetz darf nicht dazu dienen, Versäumnisse der eigenen Politik auszugleichen. Es besteht weiterhin dringender Reformbedarf im Bildungswesen. Wir wollen der eigenen Jugend eine Ausbildung vermitteln, die ihr beste berufliche Perspektiven eröffnet. Wir wollen Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Wir wollen Qualifizierung der Arbeitslosen zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt. Wir wollen Reformen auf dem verkrusteten deutschen Arbeitsmarkt, die es erlauben, Angebot und Nachfrage in Einklang zu bringen. Wir wollen eine neue Wirtschafts- und Steuerpolitik, die zu neuen Arbeitsplätzen führt.

All dies geht vor. Es gilt aber auch das Vorrangprinzip, wonach ein Arbeitsplatz nur dann mit einem Bewerber aus einem Drittstaat besetzt werden darf, wenn kein Arbeitnehmer aus dem einheimischen Arbeitsmarkt zur Verfügung steht.

Insgesamt muß niemand Angst haben, dass eine zu umfangreiche, nicht verkraftbare Zuwanderung auf den deutschen Arbeitsmarkt stattfinden wird, sondern eine am Bedarf orientierte Zuwanderung, die zu neuem Wirtschaftswachstum und neuen Arbeitsplätzen führen wird.

Aus diesem Grund wünscht die FDP, dass am Ende des langen, in Detailfragen noch nicht abgeschlossenen Diskussionsprozesses ein liberales, von der Bevölkerung akzeptiertes Zuwanderungsgesetz zustande kommt.


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