Dr. Max Stadler Archiv Reden


Rede vom 24.10.2003

Europäische Ausländer-, Asyl- und Zuwanderungspolitik transparent machen

Dr. Max Stadler (FDP):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Wir haben es heute mit dem seltenen Fall zu tun, dass gleich ein Antrag abgelehnt werden wird, nämlich der Antrag der CDU/CSU, (Dr. Ole Schröder [CDU/CSU]: Warum das
denn?)
dieser Antrag aber dennoch einen politischen Erfolg bewirkt hat, den die Antragsteller beabsichtigt haben.
Wir von der FDP werden diesen Antrag ablehnen, denn er hat zum Inhalt, dass das geltende deutsche Asyl- und Ausländerrecht als verbindliche Verhandlungsposition für Verhandlungen der Bundesregierung auf EU-Ebene festgeschrieben werden soll.
(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Auf Max Stadler ist Verlass!)
Ohne auf den Inhalt einzugehen, muss ich doch daran erinnern, dass es immer die gemeinsame Haltung aller Fraktionen des Hohen Hauses gewesen ist, vernünftigerweise
einer Bundesregierung bei Verhandlungen mit etlichen anderen Mitgliedstaaten auf EU-Ebene einen gewissen Verhandlungsspielraum zu gewähren. (Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Es versteht sich doch von selbst, dass wir für ein europäisches Asylrecht sind. Dieses kann aber nur dann zustande kommen, wenn Kompromisse geschlossen werden. Von daher haben wir die Idee, die früher bei den Grünen eine Rolle gespielt hat, nämlich die Bundesregierung mit einem imperativen Mandat nach niederländischem Beispiel völlig zu binden, immer abgelehnt. (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: So schlecht ist das doch nicht!)
Daher werden wir auch Ihren Antrag ablehnen.
(Beifall bei der FDP)
Gleichwohl, meine Kollegen von der CDU/CSU, haben Sie bei der Bundesregierung offenbar Wirkung erzielt. Denn wir stellen fest, dass die Bundesregierung bzw. Minister Schily in den Verhandlungen über die beiden entscheidenden Richtlinien, um die es jetzt geht – dabei handelt es sich um die Richtlinie zur Definition des Flüchtlingsstatus, die so genannte Qualifizierungsrichtlinie, und um die Asylverfahrensrichtlinie –, in Brüssel sehr, sehr vorsichtig agiert. (Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er ist sehr vorsichtig! – Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Kraftvoll!)
Ich stelle aus Sicht der FDP fest, dass zum Beispiel die Qualifizierungsrichtlinie verabschiedungsfähig wäre. Alle Mitgliedstaaten sind sich einig, aber der Vorbehalt der Bundesregierung verhindert die Verabschiedung dieser wichtigen Richtlinie.
(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Ich stimme Ihnen darin ausdrücklich zu!)
Es war immer die Position von Edzard Schmidt- Jortzig, dem ehemaligen Justizminister, und der FDP-Fraktion, dass nichtstaatliche und geschlechtsspezifische Verfolgung für den Flüchtlingsbegriff mit maßgebend sein muss.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Nichts anderes steht in dieser Richtlinie. Deswegen würden wir die Bundesregierung ermutigen, an dieser Stelle einen Schritt voranzugehen. Dies geschieht aber nicht – in diesem Zusammenhang bin ich anderer Meinung als Frau Akgün –, weil die Bundesregierung die Verhandlungen über das Zuwanderungsgesetz, die morgen beginnen, im Hinterkopf hat. Minister Schily will dieses Gesetz durchsetzen
(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Wir auch!)
und braucht dafür die CDU/CSU.
(Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Stimmt das,
Herr Koschyk? Brauchen Sie uns? – Gegenruf
des Abg. Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Darüber
reden wir morgen!)
Aus diesem Grund – das war Ihr politisches Anliegen – scheuen Sie sich, die auf EU-Ebene bereits vollendeten Tatsachen auch auf Bundesebene umzusetzen. Dadurch haben Sie eine Wirkung erzielt, die ich allerdings nicht für besonders glücklich halte.
(Beifall bei der FDP)
Denn es geht auch um die Asylverfahrensrichtlinie. In diesem Zusammenhang erwecken Sie immer wieder den Eindruck, Herr Grindel, diese Richtlinie würde dazu führen, dass der Asylkompromiss der Bundesrepublik Deutschland von 1993 ausgehebelt würde.
(Dr. Ole Schröder [CDU/CSU]: Selbstverständlich!
Das hat doch der Gutachter
gesagt! – Reinhard Grindel [CDU/CSU]: In
der Anhörung ist das klar gesagt worden!)
– Hören Sie einmal zu, Herr Grindel! – Die Anhörung hat bereits vor mehreren Wochen stattgefunden. Mittlerweile hat sich der Verhandlungsstand verändert. Es geht um das Konzept der sicheren Drittstaaten. Dies bedeutet, dass ein Asylsuchender, der aus einem sicheren Drittland kommt, in dem die Standards der Menschenrechtskonvention, der Europäischen Flüchtlingskonvention und eines rechtsstaatlichen Asylverfahrens eingehalten werden, keinen Anspruch auf Asyl in Deutschland oder Frankreich hat, sondern darauf verwiesen werden kann, sein Asylbegehren in dem Land vorzubringen, aus dem er kommt. (Zuruf von der FDP: So ist es!)
Meine Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, es ist sozusagen die dialektische Umkehrung Ihres Anliegens eingetreten. Auf EU-Ebene wird jetzt in einer Weise diskutiert, durch die dieses rechtsstaatliche Merkmal nicht mehr gesichert ist. Denn nach der neuesten
Entwicklung der Diskussion soll auch die Zurückweisung von Asylsuchenden in solche Länder möglich werden, die nicht die Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnet haben.
(Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Sehr richtig! –
Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Genau!)
Man muss beinahe Ihrem Antrag zustimmen, wenn Sie verlangen, Schily möge auf EU-Ebene das deutsche Recht durchsetzen; denn dieses ist rechtsstaatlicher als das, was in der EU neuerdings diskutiert wird.
(Beifall bei der FDP – Dr. Dieter
Wiefelspütz [SPD]: Was haben Sie denn beantragt,
Herr Grindel? – Josef Philip Winkler
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das verstehe
ich aber von der CDU/CSU nicht!)
Ich würde es begrüßen, wenn Sie von der CDU/CSU sich ebenfalls so vehement dafür einsetzen würden, unsere rechtsstaatlichen Grundsätze auf EU-Ebene umzusetzen.
Ich möchte zum Schluss noch eines feststellen: Die gesamte Debatte ist nur der Prolog zu den Verhandlungen über das Zuwanderungsgesetz. Dazu will ich nur eine Bemerkung machen, Herr Grindel. Zum wiederholten Male versuchen Sie, im Deutschen Bundestag den Eindruck zu erwecken, als wäre mit einem Zuwanderungsgesetz eine automatische Zunahme der Zuwanderung nach Deutschland verbunden.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN – Reinhard Grindel [CDU/CSU]:
Das ist doch richtig!)
Das lassen wir Ihnen nicht mehr durchgehen. Sie wissen ganz genau, dass mit dem Gesetzentwurf, den auch die FDP unterstützt – das kommt in unserem Kompromissvorschlag deutlich zum Ausdruck –, ein Instrumentarium geschaffen werden soll, das eine gesteuerte Zuwanderung auf den deutschen Arbeitsmarkt ermöglicht, wenn es erforderlich ist, das es aber auch so beschaffen ist, dass die Zuwanderung auf null zurückgefahren werden kann. Darüber entscheiden der Bundestag und der Bundesrat. Das, was Sie vorgaukeln, entspricht also in keiner Weise der Wirklichkeit.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich möchte wie Frau Akgün die Gelegenheit nutzen, an Rot-Grün und die CDU/CSU zu appellieren: Lassen Sie uns in der morgigen Sitzung der Arbeitsgruppe des Vermittlungsausschusses den ernsthaften Versuch machen, für die Zuwanderung auf den Arbeitsmarkt ein vernünftiges Instrumentarium zur Verfügung zu stellen, die humanitären Regelungen der Genfer Flüchtlingskonvention in Deutschland beizubehalten und – das ist unser gemeinsames Ziel – für mehr Integration in Deutschland zu sorgen.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


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