Dr. Max Stadler (FDP):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Wir erleben wieder einmal den Unterschied zwischen einer Parlamentsdebatte und einem Gerichtsverfahren: Im Gerichtsverfahren kann der Angeklagte seinen Verteidiger wenigstens selbst wählen. Herr Kollege Wend, ich bin sicher, dass Burkhard Hirsch Sie nicht als Verteidiger gewählt hätte.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Sie haben in dieser Aktuellen Stunde damit begonnen – das war zu befürchten –, gegenseitige Schuldzuweisungen in Bezug auf Vorgänge, die wir in der letzten Legislaturperiode behandelt haben, vorzunehmen. (Ute Kumpf [SPD]: Wir wollten diese Aktuelle Stunde nicht!)
Worum geht es eigentlich? Die CDU/CSU hat diese Aktuelle Stunde beantragt, weil die Staatsanwaltschaft Bonn die Ermittlungen wegen Aktenvernichtungen und Datenschwund im Kanzleramt eingestellt hat. Welche Konsequenzen ergeben sich daraus? Dazu muss ich Ihnen, meine Kolleginnen und Kollegen von der CDU/ CSU, allerdings sagen: Sie – weder Sie, Herr von Klaeden, noch der CSU-Landesgruppenvorsitzende, Michael Glos – haben mit Verbalinjurien im Vorfeld dieser Aktuellen Stunde nicht gespart.
(Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: Zu Recht!)
Ich zitiere aus einer AP-Meldung von gestern eine Aussage von Michael Glos:
Diejenigen, die die Behauptungen aufgestellt hätten, seien jetzt als Lügner entlarvt worden. Sowohl Bundeskanzler Gerhard Schröder als auch sein – man beachte die Wortwahl – Helfershelfer Hirsch stünden als Verleumder da.
(Christine Lambrecht [SPD]: Das ist unerhört! –
Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Eine Tatsache ist das!)
Das sind starke Worte. Ich sage Ihnen eines: Starke Worte deuten oftmals auf schwache Fakten und Argumente hin.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Genau so ist es. Tatsache ist: Der Untersuchungsausschuss der letzten Legislaturperiode hat ergeben, dass der Vorwurf, die Regierung Kohl/Genscher sei politisch korrupt gewesen, nicht erwiesen ist und nicht zutrifft. Deswegen war es gerade für mich, der ich dieses Ergebnis hier immer verteidigt habe, besonders ärgerlich, dass die Aktenführung im Kanzleramt in Bezug auf diejenigen Punkte, die in diesem Untersuchungsausschuss zu klären waren, Auffälligkeiten aufwies. Es geht um das Thema „Panzerlieferungen nach Saudi-Arabien“, es geht um die Leuna- Akten und es geht allgemein um den Datenbestand im Kanzleramt.
Eine weitere Tatsache ist – das lässt sich nicht leugnen –, dass die Originale von sechs Aktenbänden zu Leuna im Kanzleramt fehlen. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Wo sind die denn? – Reinhard
Grindel [CDU/CSU]: Nein! Die lagen dem
Untersuchungsausschuss vor!)
Es fehlen die Kopien. Es existieren Zweitkopien, die man aus dem Bundesfinanzministerium hat. Heute kann man daher nicht mehr rekonstruieren, ob die Zweitkopien mit dem Original übereinstimmen. Ich möchte auf den Vorgang „Lieferung von Spürpanzern nach Saudi-Arabien“ zu sprechen kommen. Da weist die Akte im Bundeskanzleramt eine auffällige zeitliche Lücke von zweieinhalb Jahren auf. Diese Lücke
betrifft genau den Zeitraum, in dem die damalige Bundesregierung – übrigens aus nachvollziehbaren außenpolitischen Gründen – entschieden hat, dass entgegen der
früheren Praxis diese Panzerlieferung genehmigt wird. Die Akte lebt, wie man so sagt, vorher und sie lebt nachher. Also ist es auffällig, dass es diese Lücke gibt. Zu dem Datenschwund sage ich Ihnen: Es ist nach wie vor so, dass es beim Regierungswechsel 1998 einen Datenschwund von mindestens 1 Gigabyte im Kanzleramt
gegeben hat.
(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: 3 Gigabyte!)
Das entspricht, um es anschaulicher darzustellen, etwa 250 000 beschriebenen Schreibmaschinenseiten. Wenn all dies sich so verhält – das ist nach wie vor so –, dann bestand aller Anlass, da genauer hinzuschauen und Vorermittlungen zu führen. Mit diesen Vorermittlungen ist Burkhard Hirsch beauftragt worden. Er hat sie nach Recht und Gesetz durchgeführt. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
Jetzt argumentieren Sie, daran, dass die Staatsanwaltschaft das Verfahren eingestellt habe, sehe man, dass es sich um eine große Inszenierung handele (Zuruf von der CDU/CSU: Das war es doch auch!) und an all dem nichts dran sei. Damit verkennen Sie völlig, dass es ein totaler Unterschied ist, ob man, wenn es gewisse Verdachtsmomente gibt, die ich Ihnen dargestellt habe, in Vorermittlungen eintritt – übrigens Vorermittlungen
zu Disziplinarverfahren; die eigentlichen Disziplinarverfahren sind von Burkhard Hirsch gar nicht durchgeführt worden, weil er das als Nichtbeamter ja gar nicht hätte machen können – oder ob eine Staatsanwaltschaft am Ende langwieriger Ermittlungen zu dem Ergebnis
kommt, keine Anklage erheben zu wollen.
Das kann viele Gründe haben. Das kann den Grund haben, dass zwar Akten vernichtet oder aus dem Kanzleramt mitgenommen worden sind, die dort hätten bleiben müssen, aber der Vorsatz bei demjenigen, der das gemacht hat, nicht nachweisbar war, weil der gar nicht wusste, dass er sie dort hätte belassen müssen. Das kann den Grund haben, dass Daten gelöscht worden sind, aber man nicht mehr feststellen kann, ob möglicherweise die Berechtigten mit der Löschung einverstanden waren. (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Sagen Sie doch, was die Staatsanwaltschaft festgestellt hat!)
Das kann etwa zum Grund haben – ich beziehe mich auf die Panzerlieferungen –, dass man nach zehn oder zwölf Jahren nicht mehr feststellen kann, ob es dazu einmal Originalakten gegeben hat, und man jetzt nicht mehr klären kann, ob solche Originalakten vernichtet worden sind. Natürlich gilt in all diesen Fällen der Satz: in dubio pro reo.
Meine Damen und Herren, wenn eine Staatsanwaltschaft, Ermittlungen einstellt, dann freut mich das für die betroffenen Beschuldigten. Es wäre ungut gewesen, wenn es notwendig gewesen wäre, hohe Beamte wegen Aktenvernichtung und Urkundenunterdrückung vor Gericht zu stellen. Das heißt aber nicht, dass alles in Ordnung gewesen ist. In Wahrheit heißt das: Es gab Anlass, genauer hinzuschauen. Genau das hat Burkhard Hirsch gemacht. Deswegen sollten Sie ihm gegenüber zu einem
zivilisierten Umgangston zurückkehren.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)