Dr. Max Stadler Archiv Reden


Rede vom 06.06.2004

Rede Dr. Wolfgang Gerhardt Bundesparteitag

Rede Dr. Wolfgang Gerhardt MdB
Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion,
auf dem 55. FDP-Bundesparteitag in Dresden am 6. Juni 2004


Wir haben eben einen Antrag zu einer durchgängigen Reform des Gesundheitswesens beschlossen. Ich will Ihnen sagen, wir müssen alle wissen, was das jetzt bedeutet. Wenn wir hier hinten geschrieben haben „Die Kraft der Freiheit“, dann bedeutet das für jeden von uns, sobald er heute dieses Tagungszentrum verläßt, daß wir uns auch beweisen müssen. Wir lieben unser Land, aber es ist nicht in jedem Fall geradezu in der überwiegenden Mentalität begünstigend für den politischen Liberalismus, obwohl die Verfassung aus den Quellen des politischen Liberalismus gespeist ist und aus ihnen nur die Kraft zur Erneuerung kommt. Deshalb sage ich Ihnen, Parteitage müssen klare Kurzindikatoren beschließen. Aber das ist nur die eine Seite der Medaille. Die Menschen lesen nicht täglich unsere Prospekte, so gut sie auch gedruckt worden sind. Am Ende wird nur eine politische überzeugende Botschaft mit eigenem Credo von uns allen uns zu besseren Wahlergebnissen verhelfen. Das ist der Sachverhalt, mit dem wir es zu tun haben.
Und deshalb möchte ich zu Beginn doch noch einmal auf einige Credopunkte zurückkommen. In Deutschland fürchten für mich zu viele, daß Freiheit anderen mehr nutzen könnte als ihnen selbst. Es bevorzugen immer noch zu viele große kollektive Systeme. Es wird schwierig sein, einen Mentalitätswandel zu erreichen, aus großen Kollektiven zu individueller Verantwortung herauszukommen. Noch immer haben wir uns mit zu vielen Kräften auseinanderzusetzen, die solche Spielarten des staatlichen Paternalismus vertreten, sei es in Gestalt der CDU/CSU oder der staatlichen Fürsorge, die eigentlich am Ende doch nur die Menschen an der Erledigung ihrer Möglichkeiten hindern, anstatt sie zu begünstigen. Deshalb müssen wir die Partei sein, die sich gegen die Geringschätzung der Individualität wendet, und wir sind die Partei, die die Kraft hat, das auch öffentlich zu sagen.
Dem Liberalismus - das müssen wir vielen Gästen sagen und das sage ich auch vielen in der Medienlandschaft- ist der kategorische Imperativ von Immanuel Kant nicht fremd. Wir sind die Partei, die über persönliche Verantwortung die Menschen bittet, sich für Werte zu entscheiden. Deshalb reden wir auch in der Bildungspolitik
nicht nur über Schulorganisation. Werte, Verhalten, Fähigkeiten, Schlüsselqualifikationen, die eine Demokratie festigen, werden früher gelegt, als daß man einem Kind die Schultüte in die Hand drückt und es zur Schule schickt. Wenn in Deutschland im Grundgesetz steht, daß die Eltern das Recht auf Erziehung ihrer Kinder haben, dann haben sie auch die Pflicht dazu, ihnen ein Mindestmaß an Zivilisiertheit zu vermitteln, und zwar möglichst früh.
Der Staat, das sind eben nicht nur die anderen, und für die Erziehung der eigenen Kinder sind nicht nur Lehrerinnen und Lehrer zuständig. Man hat selbst überall einen Beitrag zu leisten, daß dieses Staatswesen freiheitlich erhalten wird. Wir nehmen sogar schwierige Lagen in Kauf, die uns auch schon oft schwere innerparteiliche Diskussionen beschert haben. Wir sagen, der Rechtsstaat ist in seinen Mitteln beschränkt. Er darf niemals seine ethische Überlegenheit gegenüber Kriminalität und Verbrechen aufgeben, die darin besteht, daß nicht jedes Mittel angewandt werden kann, um Kriminalität zu bekämpfen. Wir sind dadurch verletzlich. Aber wenn wir offen bleiben wollen, wenn wir freiheitlich bleiben wollen, müssen wir das in Kauf nehmen. Das ist ein Unterschied in der Botschaft zu anderen. Wir werden damit nicht jedes Publikum zufrieden stellen können. Wir haben sogar viele, die manchmal in den Diskussionen der inneren Sicherheit solchen öffentlichen, emotional auch verständlichen Vorwürfen weniger gewachsen sind, als andere. Aber wir sollten unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern sagen, daß wir diesen Preis zu zahlen bereit sind. Und da ich im Vorfeld des Parteitages vieles gehört habe, was man besser machen könne, was ich gern aufgreife, sage ich Ihnen aber auch, daß sie sicher sein können, daß die Bundestagsfraktion der FDP mit Max Stadler und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger an der Spitze Schily-Paketen nicht zugestimmt hat, die Schutzhaft ablehnt und Grenzen gesetzt hat. Am Wettbewerb um den schwarzen oder roten Sheriffstern nehmen wir nicht teil, wohl aber an einem Wettbewerb zu einer Neugründung freiheitlichen Bewußtseins in der Bundesrepublik Deutschland.
Damit will ich Ihnen sagen, daß wir bei allen Kämpfen, die wir manchmal miteinander, aber manchmal auch mit überwiegenden Mentalitäten in der Bundesrepublik Deutschland haben, darauf stolz sein können, daß wir wohl die anspruchvollste politische Botschaft in der Bundesrepublik Deutschland vertreten. Ich sage das sehr bewußt. Wir sind die Partei, die bereit ist, den Bürgerinnen und
Bürgern den größten Vertrauensvorschuß zu geben. Wir trauen ihnen mehr zu, in tausenden ihrer einzelnen persönlichen Tagesablaufentscheidungen, als einer zusammengefaßten demokratischen Staatsreglementiertenentscheidung. Das ist unsere andere Botschaft, das ist übrigens auch das Geheimnis der Nachkriegsgeschichte der alten Bundesrepublik Deutschland gewesen. Man wundert sich ja manchmal, daß so viele unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger über das Wirtschaftswunder verbunden mit Ludwig Erhard reden, daß die CDU/CSU seine Geburtstage, seine Todestage feiert. Ihr ist völlig aus dem Gedächtnis geraten, daß der Mann eines Tages zu seinem Freund Thomas Dehler gesagt hat: „Lieber Thomas Dehler, ich gehe besser zur CDU/CSU, denn die braucht Marktwirtschaftler stärker als die FDP.“ Das hat Thomas Dehler nicht gefallen, aber Ludwig Erhard hatte Recht. Was mit seinem Namen im Kern verbunden ist, ist diese Kraft der Freiheit, die der Mann aufgebracht hat. Der hat Preisbindungen über Nacht aufgehoben, der hat dem amerikanischen Kommissar Lucius D. Clay auf die Frage: „Warum haben Sie meinen Erlaß geändert?“ geantwortet: „Ich habe Ihren Erlaß nicht geändert, ich habe ihn aufgehoben.“ Und die Deutschen haben ihm nicht geglaubt, daß aus tausenden von einzelnen Entscheidungen etwas wird. Sie haben sich nicht vorstellen können, daß in den Geschäften wieder Waren ausgelegt werden, wenn man Menschen ermuntert, sie auszulegen. Das ist noch heute manchmal spürbar. Wir mißtrauen eher dem Markt. Über Marktversagen wird in Deutschland viel geredet, über Staatsversagen spricht überhaupt niemand.
Der Markt, das ist keine seelenlose Botschaft. Der Markt der Waren, der Dienstleistung, der Meinungen, das ist die Quelle eines freiheitlichen Staatswesens. Auf ihm wird gestritten, auf ihm wird sich offen auseinandergesetzt. Auf ihm muß Transparenz erscheinen. Bei ihm ist das entscheidende Instrument die Kundennachfrage. Aber der Markt braucht Regeln. Heute wird in der öffentlichen Diskussion über jeden Vorschlag der FDP, vor allem von dem politischen linken Spektrum, das Argument der bösen Neoliberalen ausgebreitet. Die haben alle am Geschichtsunterricht nicht teilgenommen, beginnend mit dem IG-Metall-Vorsitzenden bis zu Franz Müntefering. Die Neoliberalen waren gerade die, die dem Markt Regeln gegeben haben, die gegen Monopole waren, die Kartellgesetzgebung wünschten, die faire Regeln im Wettbewerb haben wollten, die auch so etwas gefordert haben, wie ich das auch heute gegenüber vielen deutschen Unternehmern sagen möchte, die früher sich immer leicht über die Politik hergemacht haben nach dem Motto: Wir können das alle besser, wie eine eigene Unternehmensführungshaltung. Das was im Nachgang zu Mannesmann da ist, mag legitim gewesen sein - politische Kultur war es nicht.
Wir sind nicht die kühlen Marktwirtschaftler. Wir verbinden mit dem Markt Engagement, Emotionen, Verbesserung von Dienstleistungen, kulturelle Veredlung von Produkten. Wenn wir wirklich Märkte hätten überall auf der Welt, könnten wir die Entwicklungshilfe einstellen. Die Länder würden vom freien Handel dreimal so viel profitieren, wie aus der Zahl der Entwicklungshilfe und es würde ihr Selbstbewußtsein stärken, nicht abhängig zu sein von anderen.
Die größten Menschenrechtsverletzer weltweit sind im Übrigen genau die, die ihre Märkte abschotten. Die niemanden hereinlassen, die den Menschen vormachen, daß so etwas wie eine Tobinsteuer das Geld im Land behielte und die unendlich mit dem Portemonnaie ihrer Bürger eingehen. Meistens verstehen die unter Sozialpolitik nur den Griff in die Tasche des anderen, aber nie einen Moment der eigenen Anstrengung und Leistungsbereitschaft. Liebe Freunde, lassen Sie uns das allen sagen: Leistungsbereitschaft ist keine Körperverletzung, sie gehört zu einem erfolgreichen Leben in freiheitlichen Gesellschaften.
Das Gedränge der Bevormünder in Deutschland ist riesengroß. Wir sollen uns nicht hineinbegeben. Dort befinden sich schon die CDU/CSU, die SPD sowieso, die PDS, und immer mehr Grüne laufen da hinein. Wir sollten die Partei sein, die sagt: Liebe deutsche Mitbürgerinnen und Mitbürger, der Staat sind nicht nur die anderen. Der Staat, das sind wir selbst. Wir werden nicht erfolgreich sein und nicht wieder wettbewerbsfähig werden, wenn die Zahl der Staatskunden in Deutschland immer wächst. Worauf die Freie Demokratische Partei in ihrer Existenz und bei Wahlen angewiesen ist, ist die Vergrößerung der Zahl der Staatsbürger, die nicht ausschließlich dem Staat als Empfänger gegenüber treten wollen, sondern die mit ihrer eigenen, persönlichen Verantwortung mit uns allen zusammen Staat machen. Das ist die Vorstellung der Bürgergesellschaft. Auf die wollen wir hinaus in allen Bereichen.
Warum denken wir so und warum machen wir das? Warum übernehmen wir eigentlich diese unendliche Anstrengung mit vielen ehrenhaften Wahlkampfführern jedes Jahr? Warum macht das Sivana Koch-Mehrin so brillant in der Europawahl, warum machen das bei den Wahlen, die ja auf uns zukommen, Uwe Barth in Thüringen, Christoph Hartmann im Saarland und Holger Zastrow in Sachsen. Ja, was speist uns eigentlich?
Ich glaube, daß im Kern unsere Politik eine Leistung liegt, die höher ist, als sie nur in unserer Programmatik ausgedrückt werden könnte. Die FDP hat aus meiner Sicht, und das sage ich zu Walter Scheel gerichtet, weil er als der älteste Ehrenvorsitzende hier heute Morgen auch anwesend ist, in ihrer Politik eine staatspolitische Leistung vollbracht, manchmal mit sieben Prozent, manchmal mit acht, manchmal , zum Beispiel 1969, fast um ihre Existenz kommend, die die größte war, wenn man deutsche Geschichte betrachtet. Sie hat immer andere Parteien dazu gezwungen, sich zur Mitte hin zu orientieren und damit den Ausbruch von Politik auf Flügeln verhindert. Das war die große staatspolitische Leistung der Freien Demokraten. Denn wir wissen alle, was in Deutschland passiert, wenn es keine Parteien mehr gibt, die die Mitte mit aller Kraft behaupten wollen. Das ist das, was wir auch für die Zukunft sehen müssen.
Wir werden deshalb gewaltige Widerstände überwinden müssen. Das mußten wir im Übrigen auch früher schon. Das ist nichts Neues. Wenn wir das tun wollen, müssen wir unsere Botschaft klar konkretisieren. Ich habe, wie Sie auch, an vielen Parteitagen schon teilgenommen. Zwischendurch beschlich mich immer das Gefühl eines Dranges, hier hinzugehen und manchen zu sagen, wie es unsere freisinnigen Nachbarn in der kleinen Schweiz machen auf ihrem Parteitag. Graf Lambsdorff und ich haben die Schweizer Freunde einmal besucht und in einem langen Gespräch in Bern über die Abläufe und Parteitage gesprochen. Wir haben ihnen dargelegt, daß wir absolut eine Vielzahl von Anträgen haben, dann auch noch immer Abstimmungen stattfinden, in welcher Reihenfolge die stattfinden und eine recht gute basisdemokratische Einstellung der Delegierten hätten und auch auf Spannungsmomente hingewiesen, daß an irgendeinem Punkt sich die Delegierten immer die Möglichkeit suchen, auch der Führungsgruppe mal einen kleinen Hinweis zu geben in Form einer Abstimmung. Die Schweizer Freisinnigen haben erklärt, daß sei in der Schweiz nicht anders. Aber sie würden auf einem Parteitag höchstens sechs Themen beraten mit ganz wenigen Anträgen, weil auch eigene Parteitage begreifen müßten, daß sie nur dann am Ende zum Erfolg führen, wenn sie mit menschlichem Maß kalkulieren und die Aufnahmefähigkeit der Öffentlichkeit beachten und nicht nur die Aktivität ihrer eigenen Gliederung widerspiegeln.
Das wollte ich doch nicht als eigene Empfehlung, aber als Nachricht aus einem Nachbarland an Sie weiterleiten. Und damit bin ich schon bei der Außenpolitik, meine Damen und Herren. Warum machen wir das alles? Warum machen wir das? Wir haben als tiefe Konsequenz aus der deutschen Geschichte uns europäisch eingebettet, transatlantisch orientiert und sind international engagiert. Das ist aber allein, ohne daß man seine außenpolitischen Ziele bestimmt, nicht ausreichend. Wir sind nicht formal in den Vereinten Nationen. Wir sind nicht formal in einem transatlantischen Bündnis und der NATO, und wir sind nicht formal Mitglied der Europäischen Union. Wir wollen mit dieser Orientierung etwas erreichen.
Im März des Jahres 2000 hat ein Gipfel in Lissabon beschlossen, Europa sollte im Jahre 2010 der innovativste Bereich der Welt sein, wissensbasiert, unheimlich wettbewerbsfähig. Wenn man sich das jetzt alles ansieht, mit unseren Wachstumsraten, mit der Bremse bei Reformen, mit schwerwiegenden Problemen beim Arbeitsmarkt, dann kann man nur sagen: Wir sind weit hinter den Vorstellungen zurück geblieben. Wir haben nur zwei Drittel des Pro-Kopf-Bruttoinlandsproduktes der USA und in der Produktivität bleiben wir auch hinter der USA zurück. In Lissabon wurde von stabilem Wachstum beschlossen. Wir sind weit davon entfernt. Wir können in noch so vielen internationalen Gremien Mitglied sein - wenn wir unsere Hausaufgaben nicht erledigen, wird das nichts werden. Deshalb muß hier der Arbeitsmarkt reformiert werden, deshalb muß hier die Wirtschaft wieder zu Beschäftigungsdynamik kommen.
Der einzige, der dazu tröstliche Worte findet, ist Franz Müntefering. Man glaubt es ja kaum. Wissen Sie, was der gute Mann zu unserem schwächelnden Wachstum sagt? Er sagt, die Deutschen seien ja schon da, wo andere erst hinwollten. Das ist an Schlichtheit nicht zu überbieten, meine Damen und Herren. Außenpolitik beginnt zuhause, hier bei uns. Und deutsche Außenpolitik wird nur Kraft haben und international gehört werden, wenn zu allererst eine der größten Volkswirtschaften der Welt auch mit Stärke und Wachstumsraten und Beschäftigungsdynamik dahintersteht, sonst wird das nicht gelingen können. Und genau in dem Bereich sind die beiden größten Kontinentalstaaten der Europäischen Union die schwächsten. Das dynamische Tandem Frankreich und Deutschland ist kein Vorbild mehr für andere. Und deshalb sage ich das auch gleich zu der Außenpolitik, die ich dann manchmal höre, sowohl vom bundesdeutschen Außenminister, gegenüber kleineren Ländern, wie vom französischen Präsidenten, der den osteuropäischen und mitteleuropäischen Ländern fast über den Mund fährt. Es kann nicht sein, daß dieses Tandem mit mittleren und kleineren Staaten in Europa so überheblich umgeht, und selbst nichts auf die Waage bringt, meine Damen und Herren.
Das war bei Walter Scheel, Hans Dietrich Genscher und Klaus Kinkel anders. Ich kenne keine größere Auslandsreise von unseren früheren FDP-Außenministern, auch zu internationalen Organisationen, ohne daß hinterher mindestens ein Besuch, und zwar ganz demonstrativ, bei einem kleineren europäischen Nachbarn stattgefunden hat, um zu zeigen, daß Deutschland gerade der Anwalt der mittleren und kleineren Staaten in Europa ist. Das ist verschwunden. Das muß aber wieder nach vorne kommen. Auf uns ruhen zu viele Hoffnungen, vor allem aus Mittel- und Osteuropa, von vielen kleinen Staaten, daß wir ihr Anwalt sein sollten und sie möchten nicht unter die Räder nur großer Direktorien kommen. Der Anspruch sollte von uns wieder erfüllt werden, wenn nicht heute, dann spätestens in 2006.
Meine Damen und Herren, wir sind der Anwalt der Kleinen. Früher bestand eine Fähigkeit der deutschen Außenpolitik immer darin, sich nie vor die Frage bringen zu lassen, zwischen Frankreich und den Vereinigten Staaten von Nordamerika wählen zu müssen. Immer war ein Stück deutsche diplomatische Führungskunst dabei, diese Frage gar nicht erst entstehen zu lassen. Wir haben es immer unausgesprochen als unsere außenpolitische Hausaufgabe empfunden, eigentlich Frankreich mit drin zu halten bei allen europäischen Angelegenheiten und zum transatlantischen Bündnis mitzunehmen auf dem Wege eines Dialogs mit den Vereinigten Staaten von Nordamerika.
Niemand von uns hat den amerikanischen Vorgang im Irak begrüßt. Guido Westerwelle, die gesamte Bundestagsfraktion und ich haben von Anfang an gesagt,
wir können unilaterales Vorgehen nicht akzeptieren. Aber das kann nicht die einzige deutsche Antwort sein. Deutsche Diplomatie und deutsche Außenpolitik hätte im Vorfeld des Irak-Krieges zu allererst eine europäische Abstimmung, und zwar mit allen EU-Mitgliedsstaaten und den neu hinzukommenden, vornehmen müssen, bevor man sich auf den Markt von Goslar stellt und den Amerikanern mit Megafon vermittelt, was jetzt zu tun ist. Dieser Vorlauf wäre unter unserer Verantwortung geschehen.
Ich sage das deshalb, weil nach all den Vorgängen wir uns auf diesem Parteitag über eines im Klaren sein müssen: Es gibt zur transatlantischen Zusammenarbeit bei den geostrategischen Potentialen, die die beiden Kontinente haben, keine wirkliche weltpolitische Alternative, außer purem Leichtsinn. Das muß eine Partei wissen, die drei Außenminister gestellt hat, die die deutsche Geschichte kennt, die die neuen Unebenheiten und Unsicherheiten in der Welt kennt. Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen diesen beiden Kontinenten ist unerläßlich, ihre beiden Potentiale sind überragend. Wir haben gemeinsame Werte, unsere wirtschaftlichen Möglichkeiten sind ausbaufähig. Deutschland kann nicht zwischen allen Stühlen sitzen. Es muß auch wissen, mit wem es befreundet ist. Und wir sind befreundet mit den Staaten von Nordamerika und nicht mit dem Präsidenten der Volksrepublik China, um das deutlich zu sagen, meine Damen und Herren.
Diese Sirenenklänge antiamerikanischer Ausrichtung in manchen europäischen Gesellschaften machen keinen Sinn. Schadenfreude ist nach meiner Überzeugung kein guter Ratgeber. Wir diskutieren über die EU-Mitgliedschaft der Türkei. Wissen Sie, was das bedeutet? Daß der Irak unser Nachbar sein wird, wenn es so entschieden wird. Wir können kein Interesse am Scheitern des Aufbaus des Irak haben, weil das unsere Sicherheit berührt in der Zukunft. Und deshalb müssen wir international Verantwortung zeigen und eigene Beiträge leisten. Niemand hat uns gefragt, Soldaten in den Irak zu entsenden. Oft beantwortet der Außenminister Fragen, die gar nicht gestellt sind. Das erwartet auch niemand von uns. Wir könnten es auch gar nicht. Mit einer Wehrpflichtarmee Bundeswehr sind wir an der Grenze unserer Leistungsfähigkeit angekommen. Deshalb ist die Antwort der Bundesrepublik Deutschland: Wir leisten das, was wir können und wenn wir im zivilen Aufbau vieles leisten könnten, dann sollten wir signalisieren, daß wir dazu bereit sind. Denn wir wollen, daß dort ein Irak entsteht, der in Zukunft ein friedlicher Nachbar Europas ist und ein Zeichen in die arabische Welt.
Das bedeutet, auch unseren amerikanischen Freunden doch einiges zu sagen. Ein Supermachtstatus allein reduziert nicht den Druck, Verbindungen einzugehen, und bedeutet nicht, auf Partner verzichten zu können oder sich aus internationalen Organisationen zurückzuziehen. Wer wie viele amerikanischen Politiker glaubt, das ginge, weil man so groß sei, weil man vielleicht in dem Land mit einem Flugzeug sechs Stunden umherfliegen kann und aussteigt und immer noch die gleiche Sprache spricht und die gleiche Staatsbürger trifft, macht einen Fehler. Wer glaubt, weil er größer ist als andere auf Verbindungen verzichten zu können, um unilateral handeln zu können, macht nicht nur einen strategischen Fehler, er macht auch einen kulturellen Fehler. Kein Land kann groß genug sein, um auf Verbündete und Freunde verzichten zu können. Das ist unsere Botschaft an die amerikanischen Freunde.
Angehörige der amerikanischen Streitkräfte haben nicht nur ihrem Land, auch der gesamten freiheitlichen Welt unermeßlichen Schaden zugefügt durch die Foltervorgänge, auch wenn jetzt die inneramerikanische Vorbereitung beginnt und die Vorgänge aufarbeitet. Das ist kaum mehr wieder gutzumachen im Imageschaden. Da werden wir lange dran zu arbeiten haben. Das wird nicht nur Amerika betreffen. Das ist ein Ankratzen der ethischen Überlegenheit der Freiheit, das wir weltweit mit diesem Vorgang erlebt haben, meine Damen und Herren.
Deshalb gilt für deutsche Außenpolitik ganz klar: Immer die Prinzipien zu beachten, die unser verfassungsgebundenes Handeln, auch nach innen bestimmen. Wenn wir weltpolitisch Laufen lernen, und wir müssen es, und unsere Visitenkarte bei Anderen abgeben, dann sollte das eine Visitenkarte sein, die ganz klar die Bindung an das Recht, die Bindung an das Völkerrecht, ein Zivilmachtkonzept mit militärischen Möglichkeiten bedeutet und deutsche Interessen nicht verleugnet, aber allen sagt, proaktiver Multilateralismus ist unsere Haltung und nicht abgeschottetes, unabgesprochenes Vorgehen, ohne mit anderen Kontakt aufzunehmen. Wir wollen Freunde anderer sein und nicht falsch verstandene Gegner. Auch an einem solchen Tag wie dem heutigen, am D-Day vor 60 Jahren, muß der amerikanischen Politik, bei allen Streitigkeiten, die wir haben, eines attestiert werden: Sie waren der Überzeugung, daß der Kriegseintritt notwendig ist, um Deutschland vom Hitlerregime zu befreien. Und diese Nation hat darüber nicht lange überlegt. Sie hatte immer in ihrer Geschichte, in ganz wichtigen Situationen, die auch heute unsere Freiheit ermöglicht haben, dieses Bewußtsein des Vorkämpfers für die Freiheit. Das möchte ich auch dem deutschen Bundeskanzler sagen, der jetzt im Europawahlkampf wieder plakatiert: Friedensmacht oder Zivilmacht. Niemand von uns will Krieg, wir alle lieben den Frieden. Aber es gibt Regimes, die allein mit auswärtiger Kulturpolitik nicht aus den Angeln gehoben werden können.
Zivilmacht allein kann kein Konzept sein. Die diplomatischen Mittel werden irgendwann wirkungslos, wenn sie im Notfall und im Ernstfall nicht militärisch unterlegt werden. Und dieses militärische Unterlegen hat nichts mit Leichtsinn zu tun oder mit der Suche nach Tätigkeitsfeldern für die Bundeswehr. Nein, meine Damen und Herren, ich bekenne mich dazu als Freier Demokrat, daß ich nicht emotional und persönlich tatenlos zusehen kann, wie in anderen Regionen der Welt Menschen unterdrückt, gefoltert, abgeschlachtet werden, niedergestochen und erschossen werden und dann der öffentliche Hinweis erfolgt: Keine Einmischung in die innere Souveränität dieser Staaten. Nein, meine Damen und Herren, Menschenrecht gilt für Alle. Es gibt keine Autonomie, die jemanden davon abhalten könnte.
Das begann im Übrigen, wir haben das ja gelernt, auf dem Balkan, vor unserer Haustür. Da stand Europa, dessen Teil der Balkan ist, lange ohne Entscheidung. Ohne den amerikanischen Einsatz dort wäre es heute noch nicht gelungen, Herrn Milosovic vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag zu haben. Deshalb ist dieser Hinweis auf Zivilmacht schön, aber er ist nicht ausreichend. Wir haben nicht mehr die alte bipolare Welt, wo Deutschland so eine Art Enfant Chérie des Kalten Krieges war und sich um die weltpolitischen Angelegenheiten die anderen gekümmert haben. Wir haben international neue Unsicherheiten, bei denen die großen leistungsfähigen freiheitlichen Staaten gefragt werden, wie sie dem entgegentreten. Und dazu muß die Antwort der Freien Demokraten heißen: Die Geografie ist in der Welt sowieso sehr eng. Wir sind nahezu alle Nachbarn. Wir müssen uns mit anderen freiheitlichen Demokratien schon zu Engagement entschließen, gebunden an das Völkerrecht mit Mandat der Vereinten Nationen, aber wenn, dann notfalls auch militärisch, wenn es anders nicht gelingt, Menschen am Leben zu erhalten in den Ländern dieser Welt. Das ist unser Credo.
Wenn wir jetzt in den Kosovo blicken und wir sehen, wie mühelos wieder Tausende zu gewalttätigen Ausschreitungen gebracht werden, nur mit einem öffentlichen Hinweis, dann zeigt das, daß wir dort noch lange nicht von militärischer Präsenz abgehen können. Wir werden die deutsche Bundeswehr noch lange dort stationiert haben. Die entscheidende Frage ist für die Bundestagsfraktion: Wir möchten jetzt politischen Konzepte dahinter sehen. Wir verlängern nahezu jährlich die Mandate der Bundeswehr überall auf der Welt. Aber das kann doch nicht die deutsche Antwort sein. Die Bundeswehrsoldaten haben hohes Ansehen in der Welt, aber wir stationieren doch nicht nur Militär, wir wollen die politischen Lösungen dahinter sehen, wo immer sie stationiert sind. Deshalb muß im Kosovo jetzt eine Lösung kommen. Wir wollen vom Bundesaußenminister hören, wie denn nun der Balkanstabilitätspakt weitergehen soll. Was er denn an politischen Entwicklungen überhaupt einleitet. Wann die nächsten Initiativen erfolgen. Wir hören aber ausschließlich Erklärungen zu militärischen Stationierungen.
Der Nahost- Friedensprozeß ist zum Stoppen gekommen. Das Quartett müßte ihn wieder neu anschieben. Der amerikanische Präsident übernimmt überhaupt keine Abstimmung mit den übrigen Verbündeten. Der Parteitag in Mannheim hat für uns ganz klar beschlossen, daß wir von einer Existenz freier Staaten ausgehen, die friedlich nebeneinander leben sollten: Israel und Palästina. Und wir haben ganz normal gesagt, daß es auch dazugehört, daß Israel seine Siedlungspolitik beendet und die Siedlungen abbaut. Und wir haben die Selbstmordattentate der Palästinenser klar verurteilt. Dabei bleibt es. Es wird dort nur Frieden geben, wenn beide zur Vertrauensbildung kommen und wenn die israelische Regierung die Existenz eines palästinensischen Staates, der nicht durchlöchert ist wie ein Schweizer Käse durch eigene Siedlungen, akzeptiert und die Palästinenser und die anderen arabischen Staaten das Existenzrecht Israels akzeptieren.
Wir sind in Afghanistan engagiert, in Kundus, im Norden des Landes. Sicher machen die Soldaten dort einen guten Einsatz. Die Berichte, die wir erhalten, zeigen, daß die Bevölkerung es als wohltuend empfindet, daß sie da sind. Aber andere Nationen sind
nicht hinzugekommen. Kundus ist faktisch wie eine Stecknadel im Heuhaufen. Um Afghanistan zu beschreiben, könnten wir heute sagen, wir sichern mit hoher militärischer Präsenz, so etwas wie einen Oberbürgermeister von Kabul. Wenn dieses Land durchgängig von Herrn Karsai, dem mein voller Respekt gehört, regiert werden soll, müssen andere Staaten der Europäischen Union jetzt mit uns Verantwortung übernehmen. Allein Kundus kann nicht der europäische Beitrag für den Wiederaufbau Afghanistans sein. Das ist zu wenig. Das ist nicht hinreichend.
Der Dialog mit Rußland findet in großen Foren statt. Ich weiß heute noch nicht, wenn man die Diskussion in den russischen Eliten sieht, ob dieses Land eher geneigt ist, wieder zu alter imperialer Größe zurückzugehen oder ob es sich wirklich öffnen will. Die Kräfte streiten noch. Wir sollten die Kräfte unterstützen, die sich öffnen wollen. Aber dann müssen wir auch offen sprechen. Dann müssen wir auch Worte finden bei allen Begegnungen mit dem russischen Präsidenten, was denn die Stationierung russischer Truppen in Moldavien und Georgien soll. Dann müssen wir auch ein Wort finden zu den permanenten Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien. Zur Unterstützung der weißrussischen Diktatur durch Rußland.
Es ist gut, daß Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Rapporteur des Europarates ist, um die Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze im Yukos-Verfahren zu überprüfen. Meine Damen und Herren, die mangelnde Pressefreiheit in Rußland ist doch unerträglich. Vorgestern ist die letzte kritische Fernsehsendung unterbunden worden. Auch ein Land wie Rußland muß Kritik ertragen können, wenn es mit westlichen Demokratien befreundet sein möchte. Diese Kritik ist notwendig. Diese notwendige Kritik wird aber nach meiner Auffassung den persönlich guten Kontakten Schröders und des bundesdeutschen Außenministers zu ihren jeweiligen russischen Kollegen untergeordnet. Ich will mal den Satz prägen: Neben die ausgestreckte Hand gegenüber Rußland, die wir in der FDP-Politik immer vertreten haben, gehört aber eben auch das offene Wort. Sonst nutzt das nichts.
Es gibt keine europäische Afrikastrategie. Der Bundesaußenminister hat den Kontinent mehrmals besucht. Er ist so in einer Art hineingestolpert mit hoher Kamerabegleitung. Das ist unser benachbarter Kontinent, das ist der Nachbar der Europäischen Union. Unser Nachbar Frankreich spürt hohe Wanderungsbewegungen aus seiner alten Kolonialgeschichte, ganze Gesellschaften stehen dort vor dem Absturz durch eine schlimme Krankheit. Und die europäischen Antworten sind Botschaftsschließungen an der einen oder anderen Stelle in afrikanischen Ländern. Es ist unbegreiflich. Wir nennen uns Europäische Union, wir wollen eine gemeinsame europäische Sicherheits- und Außenpolitik entwickeln. Die nationalen Staaten sollten nicht dort Botschaften schließen, sondern die Europäische Union sollte Botschaften der Europäischen Union mit koordinierter Entwicklungspolitik aufbauen in Afrika. Dann wird ein Schuh draus.
Wir sind mit Südamerika durch eine Vielzahl von Bindungen verbunden. Manche der Staatschefs aus ganz kleinen Ländern kommen in ihren unmittelbaren Vorfahren aus Deutschland. Wenn sie Deutschland besuchen, wie der Präsident Nicaraguas, dessen Stellvertreter im Übrigen mein Kollege in der Liberalen Internationale ist, dann haben sie Mühe, hochkarätige Termine in Deutschland zu bekommen. Es ist meist überhaupt nicht bekannt, welche Chancen wir dort haben. Die suchen aber nach uns. Die wollen nicht ausschließlich eine Orientierung an Nordamerika, die brauchen eine Art Twin-Partnership mit der Europäischen Union. Deutsche Außenpolitik nimmt die überhaupt nicht in den Blick, die existieren kaum für uns. Das sind aber Länder, die sich auf dem Weg befinden zu wirtschaftlichem Wachstum, die internationale Orientierung suchen, die in ihren Regionen sich so organisieren wollen, wie das die Europäische Union tut, die in manchem noch in den Kinderschuhen stecken, die aber insbesondere Deutschland und die Europäische Union suchen.
Meine Damen und Herren, es ist auch eine emotionale Frage deutscher Außenpolitik und nicht nur ökonomisches Interesse, den Ländern Chancen zu geben und sie mit uns enger zusammenzuführen, die mit uns emotionale Bindungen haben. Das ist ein Stück gemeinsamer Geschichte, gemeinsamer Familiengeschichte und gemeinsamer Zukunftschancen. Mittel- und Lateinamerika kann nicht weiter so stiefmütterlich von deutscher Außenpolitik behandelt werden, wie das gegenwärtig geschieht.
Deutsche Asienpolitik wird der wirtschaftlichen Bedeutung des Kontinents überhaupt nicht gerecht. Man hat ja manchmal den Eindruck, der Bundeskanzler identifiziert Asien mit China. Natürlich nimmt das Land eine gewaltige Entwicklung, natürlich sind wir glücklich, daß es in die WTO gekommen ist, natürlich glauben wir, daß es sich weiter demokratisiert, weil es sich freiem Handel aufschließen muß. Aber dort entwickeln sich gewaltige andere Kräftekonstellationen. Die Problematik auf der koreanischen Halbinsel, Auflösungserscheinungen im indonesischen Inselreich, Kernenergiefragen doch nicht nur in Nordkorea, sondern in den Kräftekonstellationen Pakistan – Indien. Nein, meine Damen und Herren, es muß eine kohärente und konsistente Asienpolitik entworfen werden, die der Bundesregierung fehlt. Dort leben über 50 % der Weltbevölkerung, das ist ein Kontinent, auf den sich unser Interesse richten muß. Der Bundeskanzler empfiehlt dem chinesischen Ministerpräsidenten, den Zugang zum Internet für die Chinesen zu ermöglichen. Vor wenigen Tagen werden dort tausende von Internetcafés geschlossen. Meine Damen und Herren, Deutschland darf in der Außenpolitik, wenn es hier bei der SPD Zivilmacht plakatiert, dann schon mal bei Besuchen in bestimmten Ländern auch diese Fragen klarer ansprechen. Das ist auch ein Stück notwendige Reaktion.
Es gibt auf der Welt leider noch immer Gesellschaften, die sich geradezu im freien Fall befinden. Es gibt Fundamentalismus, es gibt Repression, es gibt unendliche Unterdrückung. Wie wir auf dem Balkan erlebt haben, werden in manchen Bereichen ganz alte Landkarten aufgeschlagen, deren Trümmer nie ordnungsgemäß geschichtlich bei Seite geräumt worden sind. Es gibt Gewalt gegen Frauen und Kinder, die unerträglich ist. Es gibt frauenverachtende Praktiken und es gibt Repressionen, die wir nicht ertragen wollen. Oft werden die mit dem Hinweis auf die jeweilige regionale und kulturelle Autonomie beschönigt, und deshalb möchte ich das hier mal sagen. Für einen Freien Demokraten darf es weltweit keine kulturelle Autonomie geben, die Menschenwürde mißachtet. Wir sollten das nicht akzeptieren.
Die Globalisierung ist kein Schicksal, das wir ertragen müssten. Sie ist eine Chance. Sie ist eine Chance, wenn wir sie gestalten wollen, im Übrigen nicht in der alten Art Entwicklungshilfepolitik der Armutsbekämpfung, sondern in der Fähigkeit einer Politik, die Anderen Selbstbewußtsein gibt. Schwellenländer einzubinden, ihnen unsere Märkte zu öffnen, sie selbst zu ermutigen, ihnen damit zu zeigen, daß sie Selbstbewußtsein gewinnen können, ist marktwirtschaftlich durch freien Handel zehnmal mehr emotional wert, als die Überweisung von Frau Wieczorek-Zeul zur Bohrung eines Brunnens.
Die Stärkung dieser Potentiale ist das ganz Entscheidende. Daß Cancun, die Welthandelskonferenz, gescheitert ist, ist für jeden Liberalen ein Drama. Cancun wäre der Ort gewesen, eine wirklich neue Phase internationaler wirtschaftlicher Zusammenarbeit möglich zu machen, von alten Ethiken herunter zu kommen, neue Perspektiven für Schwellenländer und Entwicklungsländer zu ermöglichen. Cancun ist aber nicht nur daran gescheitert, weil man das von Reichen zu Armen immer noch nicht begriffen hat, freien Handel immer noch zurückhaltend bewertet, der Marktwirtschaft nicht so richtig traut. Cancun ist leider auch gescheitert, weil die hoch entwickelten Nationen, die im Wandel von der Industrienation zur Dienstleistungsgesellschaft sind, immer noch ihre Märkte abschotten, in Amerika genauso wie in der Europäischen Union, und immer noch nicht genügend Kraft haben, wirklich freiem Handel zu vertrauen. Ich sage Ihnen ganz einfach, damit die Menschen uns draußen verstehen: Wenn jedes Land die Güter produzieren würde, die es am besten kann und dann alle miteinander in Austausch kämen, hätten wir friedlichere Zustände und mehr wirtschaftlichen Erfolg auf der Welt, als wir jetzt haben, wo einer gegen den anderen seine Märkte abschottet.
Meine Damen und Herren, worauf ich hinaus will, ist ganz einfach. Wir brauchen eine gewaltige Anstrengung. Wir sitzen hier in einem Parteitag in Dresden, haben eben mit großer Freude Gesundheitspolitik besprochen und werden jetzt Außenpolitik beraten, handeln danach Anträge ab über Bildungspolitik und alles was uns hier beschwert und belangt. Ich möchte heute Morgen Ihnen sagen: Das ist ein Teil der Aufgabe, unser Frieden, unser Wohlstand, unsere Sicherheit hängt davon ab, ob wir mit anderen zusammen diese neuen Unübersichtlichkeiten und neuen Krisenprobleme der Welt bewältigen können.
Wir haben geschichtlich immer solange zugesehen, bis sich ein Problem bis zur Neige entwickelt hat, das dann nicht mehr gelöst werden konnte. Wir erleben innenpolitisch bei jedem Vorgang, daß wir politisch Jahre brauchen, um ein Strukturproblem zu lösen. Wir verschieben, wir verdrängen, wir vertagen, wir äußern uns nicht klar genug und dann schlagen Probleme über uns zusammen, die wir nicht entwirren können. Deshalb ist ein Stück vorgreifliche Politik, wie wir sie eben beim Gesundheitswesen beschlossen haben, wie wir sie in der Bundestagsfraktion und in der Partei auch zum Arbeitsmarkt beschlossen haben, wie wir sie überhaupt zur Reform der sozialen Sicherungssysteme beschlossen haben, notwendig. Sie ist unverzichtbar. Auch wenn wir jetzt noch Widerstände haben: Ich sage Ihnen, in zwei bis drei Jahren werden ganze Bischofskonferenzen in Deutschland Lösungen empfehlen müssen, wie wir sie auch auf diesem Parteitag zur Gesundheitspolitik beschließen.
Wir brauchen so eine Einstellung zum großen Wurf, weil ihn andere auch gar nicht haben. Wo ist er denn bei der CDU/CSU? Bei der SPD erwarte ich ihn nicht. Das war die Agenda 2010, das war es dann. Bei den Grünen wird er nicht mehr kommen. Die haben sich erschöpft. Wir haben, das will ich Ihnen vermitteln, als FDP eine großartige Chance. Die erfordert aber ein unglaubliches Rückrat, eine Haltung und große Courage und Überzeugung. Sie müssen mit Versammlungen rechnen, bei denen Wahlkämpfer von uns gegen eine Mehrheit in Versammlungen stehen. Sie müssen aber stehen, weil zu mir niemand mehr nach einer Wahl kommen sollte und mir sagen könnte, er habe das aber nicht gewußt und sei über den Tisch gezogen worden. Zum über den Tisch Ziehen gehören immer zwei. Einer, der es macht und der andere, der sich über den Tisch ziehen läßt.
Nach meiner Überzeugung wird in einer solchen öffentlichen Auseinandersetzung ein wesentlich höherer Prozentsatz, als wir ihn jetzt haben, zu gewinnen sein. Ich ziehe das wirklich nicht in Zweifel. Ich glaube, daß eine deutlich zweistellige prozentuale Zahl von Mitbürgerinnen und Mitbürgern mit uns einen Weg gehen würde, wenn er klar, präzise beschrieben, couragiert vertreten und am Ende des Tunnels auch aufgezeigt würde, warum wir den mühseligen Weg gehen und wo wir ankommen wollen. Das muß unsere Botschaft und unsere Haltung sein.
Die gibt es, die sind auch da. Wir erreichen sie oft nicht, manchmal sind wir zu kleinmütig, sie erreichen zu wollen. Manchmal beschleicht uns auch die Angst vor Themen zu ungünstigen Zeiten. Nein, meine Damen und Herren, es gibt überhaupt keine ungünstige Zeit für ein Thema. Wahlkämpfen können wir sowieso nicht entweichen. Parteitage finden immer statt und werden am nächsten Tag schon bewertet und Bürger bilden sich auch nicht nur ihre Meinung vier Wochen vor der Wahl. Also wenn schon viele Wahlkämpfe, dann müssen wir mit einer klaren Meinung hineingehen. Dann sollten sich die Geister scheiden. Wer Staatsorientierung sucht, kann CDU/CSU wählen, SPD, die Grünen und die PDS. Wer das aber nicht glaubt, wer glaubt, daß der Staat nicht über sich selbst wieder Beschäftigungsdynamik entfaltet, der hat nur eine Wahl in Deutschland: Die Freie Demokratische Partei. Darauf müssen wir hinaus.
Dazu gehört eine große Fähigkeit zur politischen Führung. Da sage ich auch: Wer politische Führung fordert, muß auch der politischen Führung einen ausreichenden, hinreichenden Raum eines eigenen Disponierens geben. Ich glaube, daß die Freie Demokratische Partei ohne eigene politische Führung nie ausgekommen ist. Sie war immer wichtig, auch für das öffentliche Bild. Politische Führung riskiert, daß sie auch kritisiert wird. Dem stellen wir uns auf Parteitagen. Das ist völlig klar. Aber solange wir ein Mandat von Ihnen haben, wollen wir sie auch ausüben, mit eigenem Credo, mit klarer marktwirtschaftlicher Orientierung, mit einem Bild der FDP, die nicht mit jedem und allem hantiert, deshalb war diese Volksparteidiskussion nach meiner Überzeugung auch so falsch. Wir sind für jeden wählbar, aber auf Grund eines klaren Programms und nicht indem wir hinter allen herlaufen, wie CDU/CSU und SPD und Grüne.
Wir haben eine gewaltige Aufgabe, die will ich gemeinsam mit Guido Westerwelle, ihm als Bundesvorsitzendem und mir an der Spitze der Bundestagsfraktion bewältigen. Wir sind im Übrigen nicht in allen Fragen einer Meinung, aber wir besprechen, wenn wir unterschiedliche Meinungen haben, wie wir sie verträglich miteinander händeln. Sie lesen von uns in den Zeitungen keine von uns ausgelöste Kontroverse, sondern höchstens ab und zu einmal Gestecktes, ob wir denn nicht da doch unterschiedlicher Meinung seien.
So kann ich einmal sagen, Guido Westerwelle bevorzugt einen europäischen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Ich auch. Ich glaube nur nicht, daß Frankreich und England ihn freiwillig räumen werden im nächsten Jahr zu Gunsten eines europäischen Sitzes. Deshalb sage ich, dann machen wir die zweitbeste Lösung, streben einen deutschen Sitz an, sagen aber, was dann auch dazu gehört. Verstehen Sie, Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen und schöner deutscher Sitz, ein Kaffeekränzchen ist das nicht. Wenn man dort einen ständigen Sitz hat, kommt man vor sehr unangenehme weltpolitische Fragen.
Deshalb sage ich am Schluß dieses Beitrags: Deutschland muß aus den Kinderschuhen weltpolitisch heraus. Es muß weltpolitisch Laufen lernen. Dazu muß es nicht immer den Vereinigten Staaten folgen, aber es braucht diese transatlantische Beziehung, um diese Schritte zu bewältigen. Und die Vereinigten Staaten von Amerika, die weltpolitisch laufen können, müssen wieder zurückgeholt werden in die internationale Situation. Es gibt keine Legitimation zu Krieg oder Frieden außerhalb des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen und nicht durch den amerikanischen Präsidenten.
Also, liebe Freunde, wir brauchen politische Führung, wir brauchen die Courage zur internationalen Verantwortung, wir brauchen den Mut im Innern zur Modernisierung Deutschlands, wir brauchen außenpolitische Strategien vor neuen Unsicherheiten. Das alles will Rot-Grün nicht. Vieles kann auch Rot-Grün nicht. Die Zukunft Deutschlands hängt aber davon ab, daß das geschieht. Wir, die FDP werden das tun. Spätestens ab 2006. Wir leben weltweit zu nahe aneinander, als daß wir uns zueinander neutral verhalten können. Die anderen müssen unsere Stimme hören, unsere Visitenkarte kennen. Sie ist friedlich, sie ist fair, sie ist auf internationale Zusammenarbeit ausgerichtet. Aber nirgendwo auf der Welt wird deutsche Politik, Außenpolitik, Sicherheitspolitik, Wirtschaftspolitik, alles, was wir an Segmenten nennen, zulassen und akzeptieren, daß die Würde des Menschen verletzt wird.
Herzlichen Dank!


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