Dr. Max Stadler

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Donnerstag, 3. Januar 2013

Rede vom 07.09.2004

Rede in der Haushaltsdebatte zur Innenpolitik

Dr. Max Stadler (FDP):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Nach der aus unserer Sicht erfreulichen Zusammenarbeit beim Zuwanderungsgesetz hat die FDP-Fraktion heute erneut Anlass, dem Bundesinnenminister Anerkennung zu zollen, und zwar aus folgendem Grund:
(Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Keine Anbiederung! – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Aber nicht auf der Schleimspur ausrutschen!)
In der nächsten Woche, am 17. September 2004, wird Otto Schily im Hotel Adlon in Berlin mit einem Preis ausgezeichnet, der seine besonderen Verdienste bei der Pflege der transatlantischen Beziehungen würdigt. Wir finden es wichtig und richtig, dass es in dieser Bundesregierung wenigstens einen Minister gibt, der die guten Beziehungen zu den USA pflegt.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Herr Minister, das müssen Sie zurückweisen!)
Ich erwähne dies aber auch noch aus einem anderen Grund: Die Laudatio wird der amerikanische Minister für Heimatschutz, Tom Ridge, halten. Herr Minister, das gibt mir den Anlass dafür, zu erwähnen, dass wir als Bundesrepublik Deutschland natürlich unsere eigenen rechtsstaatlichen Traditionen zu bewahren haben. Das ist für uns das Kernthema der Innenpolitik im Jahre 2004.
(Beifall bei der FDP)
Wie gelingt es uns, angesichts der von Ihnen beschriebenen Bedrohung unserer Sicherheit alles zu tun, um die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger zu wahren, zugleich aber trotzdem auch den freiheitlichen Gehalt des Grundgesetzes und die klassische Rechtsstaatlichkeit zu bewahren? Das ist das Kernthema.
(Beifall bei der FDP)
Über die Differenzen, die wir an manchen Stellen mit den amerikanischen Freunden haben, will ich nicht zu lange reden. An dem einen Thema, dem sich mein Kollege Ernst Burgbacher sehr stark angenommen hat, nämlich der Übermittlung von Fluggastdaten,
(Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Immer noch?)
lässt sich dieser Grundkonflikt aber sehr deutlich aufzeigen, Frau Kollegin Philipp. Es geht darum, einerseits zu akzeptieren, dass die Amerikaner bestimmte Sicherheitsbedürfnisse haben, andererseits aber auch deutlich zu machen, dass für uns bei der Übermittlung an persönlichen Daten vieles zu weit geht.
(Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Was geht denn zu weit? Beispiele!)
Ich erwähne dies auch noch aus einem anderen Grund. Frau Kollegin Stokar von den Grünen hat uns schon in Verwirrung gestürzt.
(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dazu sind wir da!)
Daniel Cohn-Bendit hat dies im Europawahlkampf zu einem seiner Hauptthemen gemacht.
(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, ich habe ihn unterstützt!)
Als wir aber im Bundestag vorgeschlagen haben, dass sich die Bundesrepublik Deutschland in der Europäischen Union gegen die überzogene Übermittlung von Passagierdaten wenden solle, haben die Grünen gegen unseren Antrag gestimmt. Das müssen Sie einmal erklären, Frau Stokar.
(Beifall bei der FDP)
Selbstverständlich haben auch wir unsere Sicherheitsinteressen. Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Konrad Freiberg, hat in letzter Zeit zu Recht auf einige Punkte hingewiesen. Es ist nicht verständlich, dass zu einer Zeit, in der alle von einer wachsenden Bedrohung sprechen, die Polizeidichte, also das Verhältnis der Polizeibeamten zur Anzahl der Bürgerinnen und Bürger, sinkt statt steigt, und zwar auch in Bundesländern wie Bayern und Nordrhein-Westfalen.
(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Aber nicht in Niedersachsen!)
Damit sehen wir uns vonseiten eines erfahrenen Praktikers und Gewerkschafters in unserer Grundposition bestätigt: Die Hauptsache bei der Gewährleistung der inneren Sicherheit ist ausreichend Personal, modernste Technik – Stichwort Digitalfunk – und natürlich genügende Finanzen für die Polizei und die sonstigen Sicherheitsbehörden. Dies allein ist aber nicht das Thema. Herr Minister, es ist keine Frage des Feuilletons, darüber nachzudenken, ob nicht doch manche Vorschläge der letzten Zeit mit erschreckender Leichtigkeit von Grundrechtstraditionen abweichen, die wir in Deutschland 50 Jahre lang gepflegt haben.
(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Wo? Welche denn?)
Ich nenne einige Beispiele: Das Bundesverfassungsgericht hat eine Entscheidung zum großen Lauschangriff getroffen. Demnach steht die Neuregelung dieses Instruments an. Übrigens wird es interessant sein, wie die Grünen im Bundestag abstimmen werden, aber das sei nur am Rande bemerkt.
(Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Natürlich zustimmen!)
Von Ihrer Kollegin Brigitte Zypries von der Bundesregierung kommt als Erstes ein Entwurf, der einen Kernpunkt dieses Themas, nämlich die Sicherung der Berufsgeheimnisse von Anwälten, Ärzten und auch von Journalisten im Verhältnis zu ihren Informanten, in völlig unzureichender Weise regelt. Es gibt zu denken, wenn das die Reaktion der Bundesregierung auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes ist. Wir erleben auch in den Ländern, dass im polizeilichen Bereich die klassische Vorgehensweise, an eine konkret begangene Straftat Verfolgungsmaßnahmen anzuknüpfen oder bei konkret bestehenden Verdachtsmomenten einzugreifen, immer mehr in Vergessenheit gerät und man stattdessen in die so genannten Vorfeldermittlungen mit der Folge hineinrutscht, dass polizeiliches Eingreifen gar nicht mehr richtig abgrenzbar ist. Dazu gehört für mich zum Beispiel die präventive Telefonkontrolle, wie wir sie jetzt aus einigen Bundesländern kennen lernen. Es handelt sich dabei um eine Telefonkontrolle, wenn jemand noch gar keine Straftat begangen hat, sondern sie möglicherweise begehen wird. Mein Kollege Jörg van Essen bemüht sich immer, das Ausufern der Telefonüberwachung in Deutschland mit seinen Anträgen zu beschneiden. Stattdessen erfahren wir aus den Bundesländern, dass es eine gegenteilige Tendenz gibt. Ich nenne ein nächstes Beispiel, das zeigt, dass Politik – das wissen wir alle – natürlich ein Kampf um die Begriffe ist. Der Bundesinnenminister hat im Laufe der Zuwanderungsdebatte die so genannte Sicherungshaft vorgeschlagen, sie aber zu Recht gegen unseren, aber auch gegen den Widerstand anderer, nicht durchsetzen können.
(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Aber er sagt, es bleibt auf der Tagesordnung!)
– Ich will Sie gerade zitieren, lieber Herr Kollege Koschyk. Nun hat der Kollege Koschyk dafür eine neue Begrifflichkeit gefunden. Herr Koschyk spricht jetzt vom „polizeilichen Abwehrgewahrsam für Topgefährder“.
(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Guter Begriff!)
Das ist sehr geschickt formuliert, Herr Kollege Koschyk; denn jeder möchte sich gegen Topgefährder schützen. Dass die Polizei hier Abwehrmaßnahmen ergreifen soll, ist vermutlich ebenso unstreitig. Gewahrsam hört sich auch ein wenig schonender an als Sicherungshaft. Aber in beiden Fällen wird vorgeschlagen, Personen für längere Zeit, für ein, zwei Jahre, zu inhaftieren.
(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Wer sagt das: ein, zwei Jahre?)
– Das ist in Ihren eigenen Vorschlägen enthalten. Es geht darum, Personen, denen man nichts nachweisen konnte, was zu einer strafrechtlichen Verurteilung geführt hätte, für längere Zeit zu inhaftieren. Auch in Zeiten der von uns ernst genommenen Bedrohung muss man doch darüber nachdenken, ob das der richtige Weg ist. Wir glauben, dass er das nicht ist.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Meine Damen und Herren, es kommt noch schlimmer. Mit den Beispielen, die ich Ihnen nenne, will ich versuchen, Nachdenklichkeit zu erzeugen. Es ist eigentlich egal, ob sie von der einen oder der anderen Seite kommen. Das nächste Beispiel stammt aus einem Antrag der CDU/CSU, der hier im Bundestag gestellt worden ist. Darin insinuieren Sie, dass die Bundesrepublik Deutschland sich notfalls aus der Europäischen Menschenrechtskonvention verabschieden soll. Es geht um Ihren Antrag auf der Drucksache 15/1239 mit dem Ziel, Abschiebungen zu erleichtern. Wir wissen alle, dass es manchmal durchaus schwer fällt, Abschiebungsschutz zu gewähren, weil Todesstrafe oder Folter drohen. Aber es gehört zu einem Rechtsstaat, sich zur Europäischen Menschenrechtskonvention zu bekennen.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Stadler, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Koschyk?
Bitte.
Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Herr Kollege Stadler, sind Sie denn bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass unser Antrag, aus dem Sie gerade zitiert haben, das Ziel verfolgt, dass die Bundesrepublik Deutschland sich mit anderen Unterzeichnerstaaten der Europäischen Menschenrechtskonvention zusammensetzt und darüber diskutiert, wie man mit dem Phänomen umgehen muss, dass Topgefährder, die eine Gefährdung der Sicherheit nicht nur für unser Land, sondern auch für andere Unterzeichnerstaaten der Europäischen Menschenrechtskonvention bedeuten, zwar rechtskräftig ausgewiesen, aber nicht abgeschoben werden können? Und sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass auch eine Persönlichkeit wie Professor Heilbronner in mehreren Zeitungsinterviews und Fachaufsätzen dies als Problem geschildert hat und dass wir es begrüßen, Herr Kollege Stadler, dass mehrere Kollegen mit Herrn Minister Schily auf einer informellen Tagung in Bayern, zu der Herr Minister Schily mehrere Innenministerkollegen aus der Europäischen Union eingeladen hat, eine Arbeitsgruppe eingerichtet haben, in der darüber beraten wird, wie man mit diesem Problem umgeht? Und sind Sie denn nicht bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass dies eine Herausforderung ist und dass wir nicht die Europäische Menschenrechtskonvention in ihrem Kerninhalt infrage gestellt wissen wollen, dass aber das Problem, wie wir mit dieser Frage umgehen, gelöst werden muss?
Dr. Max Stadler (FDP): Lieber Herr Kollege Koschyk, würde ich jetzt mit Ja antworten, wäre es problematisch, denn Sie haben einmal gefragt, ob ich bereit wäre, und einmal, ob ich nicht bereit wäre,
(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Dann antworten Sie doch!)
sodass ich etwas länger ausholen muss. Dass dieses Problem, das Sie sehr treffend beschrieben haben, besteht, steht außer Zweifel. Gerade deswegen haben wir in den interfraktionellen Verhandlungen zum Zuwanderungsgesetz nach einer Lösung für das Problem gesucht – Sie sagten es –, dass jemand rechtskräftig ausgewiesen ist, wir ihn aber nach unseren rechtsstaatlichen und humanitären Maßstäben nicht abschieben können, weil ihm dann Folter oder Todesstrafe drohen. Zunächst muss man klar sagen, ob es bei diesem Grundprinzip bleiben soll.
(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Ja!)
Wir als FDP sagen ja und ich begrüße es sehr, wenn Sie hier klarstellen, dass dies auch Ihre Meinung ist. Ihren Antrag lese ich allerdings anders.
(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Zitieren Sie doch aus dem Antrag!)
– Ich zitiere ihn. Ich bin jetzt dabei, Ihnen zu antworten und Sie müssen die Antwort bitte mir überlassen. Ich komme Ihrem Wunsch sowieso nach und zitiere aus Ihrem Antrag. Sie schreiben in Ihrem Antrag, die Abschiebungsvoraussetzungen müssten den aktuellen Herausforderungen angepasst werden. Abschiebungsvoraussetzung ist bisher, dass im Heimatland weder Todesstrafe noch Folter drohen. Was soll denn da wie angepasst werden? Da gibt es jetzt wirklich nur ein Ja oder Nein. Entweder bleibt es bei dieser Voraussetzung oder nicht.
(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Abschiebung in Drittländer, Herr Stadler!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege Koschyk, Sie haben eine sehr ausführliche Frage gestellt, die in viele Unterfragen unterteilt war. Jetzt müssen Sie dem Kollegen Stadler die Möglichkeit geben, in Ruhe zu antworten, und dürfen ihn nicht unterbrechen.
(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Ist in Ordnung, Herr Präsident!)
Dr. Max Stadler (FDP): Es ist eine komplizierte Frage. In den Kompromissverhandlungen zum Zuwanderungsgesetz haben wir versucht, eine Lösung zu finden, nämlich dass solche Personen Meldeauflagen bekommen, Residenzpflichten überwacht werden und – das hat es meines Wissens im deutschen Polizeirecht noch nie gegeben – dass ihnen die Benutzung von Kommunikationsmitteln verboten werden darf. Mit anderen Worten: Es gibt ein ganz dichtes Kontrollnetz. Jetzt sollten wir erst einmal das, was in diesem Kompromiss vereinbart worden ist, in der Praxis probieren. Ich habe nur meine Sorge zum Ausdruck gebracht, die sich aus folgendem Satz Ihres Antrags speist: Die Bundesregierung muss darum prüfen, wie … die Schutzpflichten, die sich aus … der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ergeben, in Übereinstimmung mit den Sicherheitserfordernissen Deutschlands gebracht werden können. Diese Prüfung ist richtig, aber ich habe die große Sorge – das ergibt sich aus dem Gesamtduktus Ihres Antrags –, dass Sie der Meinung sind, wir könnten uns von Grundsätzen verabschieden, die wir bisher gemeinsam getragen haben.
(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Das ist unverschämt!) Wenn Sie das heute damit korrigiert haben, ist es mir umso rechter.
(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Das ist überhaupt nicht wahr! Ihre verwirrte Interpretation! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Er hat nicht korrigiert! Er hat klargestellt!)
Ich komme zum Schluss. Ich möchte für die FDP-Fraktion feststellen, dass die FDP die Frage, die ich eingangs gestellt habe, nämlich ob es möglich ist, in Zeiten einer terroristischen Bedrohung den Freiheitsgehalt des Grundgesetzes aufrechtzuerhalten, die Rechtsstaatlichkeit zu bewahren und trotzdem zugleich die Sicherheit optimal zu gewährleisten, eindeutig mit Ja beantwortet.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Reinhard Grindel
[CDU/CSU]: Sie müssen sagen, wie Sie es machen wollen!)
Es ist nicht nur möglich, sondern es ist sogar unsere Pflicht, die wir als Gesetzgeber erfüllen müssen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Viel Freude der Koalition mit der FDP bei der inneren Sicherheit!)
DIE GRÜNEN)


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