Dr. Max Stadler (FDP):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die heutige Debatte gibt der FDP-Fraktion die Gelegenheit, die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen das Luftsicherheitsgesetz noch einmal zu präzisieren. Uns geht es dabei nicht wie der CDU/CSU in erster Linie um Kompetenzfragen und Fragen der Ausgestaltung der Amtshilfe, sondern um den gewichtigeren Kritikpunkt der Einschränkung der Menschenwürde und des Grundrechts auf Leben. Darüber muss hier noch einmal in aller Sorgfalt beraten werden.
(Beifall bei der FDP)
Die Fragen, die die CDU/CSU aufwirft, ob der Bundestag überhaupt die Gesetzgebungskompetenz hat und ob die Zustimmung des Bundesrats erforderlich ist, sind ebenfalls wichtig. Ich möchte Ihnen zum Inhalt Ihres Antrags aber sagen: Wir als FDP sind der Meinung, dass es immer besser ist, wenn man versucht, neuen Bedrohungen, wie etwa terroristischen Bedrohungen, mit den Regeln des bestehenden Systems zu begegnen.
(Beifall bei der FDP)
Das heißt, es muss bei einer klaren Trennung der Aufgaben von Polizei und Militär bleiben.
(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Richtig!)
Das Argument von Bundesinnenminister Schily – er trägt es oft vor –, dass die Grenzen zwischen polizeilichem und militärischem Handeln verschwimmen würden, überzeugt jedenfalls uns nicht.
(Beifall bei der FDP – Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was heißt das?)
Aber der Bundespräsident hat uns aufgegeben, noch einmal die Frage aufzuwerfen, ob es wirklich richtig war, dass in § 14 des Luftsicherheitsgesetzes in einem extremen Notfall künftig zugelassen wird, ein Passagierflugzeug abzuschießen und damit das Leben der Besatzung und unschuldiger Passagiere nicht nur aufs Spiel zu setzen, sondern als sichere Folge zu vernichten.
Dies ist in der Tat eine außerordentlich schwierige Frage; denn diejenigen, die das Gesetz mit Mehrheit im Bundestag beschlossen haben, nehmen für sich als moralische Legitimation in Anspruch, weitere Schäden in einem solchen Extremfall – dem 11. September 2001 ähnlich – zu verhüten. Dennoch sind wir der Meinung, dass es besser gewesen wäre, wenn der Gesetzgeber hier Zurückhaltung geübt hätte; denn derjenige, der in einer solchen Extremsituation den Abschussbefehl zu verantworten hat, befindet sich immer in einem unauflöslichen moralischen Dilemma. Wenn er eine solche Entscheidung wirklich trifft, dann tut er es in guter Absicht, um Leben zu retten, aber in vollem Bewusstsein, unschuldiges Leben preiszugeben. Diese Abwägung von Leben gegen Leben ist nach dem bisherigen Verständnis unserer Verfassung mit dem Grundgesetz unvereinbar.
(Beifall bei der FDP)
Nun könnten Sie für sich in Anspruch nehmen, dass Sie als Parlament dem Bundesverteidigungsminister, der die Entscheidung zu treffen hat, eine Vorgabe machen wollen. Ich sage noch einmal: Das ist ehrenwert. Aber dabei wird eines verkannt: Es gibt Extremsituationen, in denen es besser ist, dass sich das Parlament einer gesetzgeberischen Regelung von vornherein entzieht. Auch das ist keine befriedigende Position. Aber wir meinen: Das ist die angemessene. Wenn in einer Extremlage nach sorgfältiger und gewissenhafter Prüfung ein solcher Abschussbefehl gegeben wird, dann handelt der, der dies tut, zweifellos ohne persönliche Schuld. Dies ist ihm dann nicht vorzuwerfen. Deswegen ist es die richtige rechtliche Kategorie, dass wir jemandem, der sich in einem unauflösbaren moralischen Dilemma so oder so entscheidet, dies anschließend nicht strafrechtlich zum Vorwurf machen.
Das Luftsicherheitsgesetz, das Sie mit rot-grüner Mehrheit und in diesem Punkt mit Billigung der CDU/ CSU beschlossen haben, geht aber über diese Position deutlich hinaus;
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist die Frage!)
denn es hebt einen etwaigen Abschussbefehl auf die Ebene der Rechtmäßigkeit.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo steht das?)
Wenn der Abschussbefehl durch ein Gesetz zugelassen wird und er geradezu verlangt wird, dann gibt damit der Gesetzgeber zu erkennen, er sei rechtmäßig. Dies ist keine Unterscheidung, die nur für Juristen interessant ist, sondern das ist die richtige Kategorisierung des Themas.
(Beifall bei der FDP)
Ein solcher Abschussbefehl wäre ohne Schuld, aber er kann nicht von vornherein für legitim und rechtmäßig erklärt werden. Dies ist zwar eine schwierige Gratwanderung, aber unserer Meinung nach die richtige Lösung im Geiste des Grundgesetzes.
(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sind wir einer Meinung!)
Präsident Wolfgang Thierse:
Kollege Stadler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wiefelspütz?
Dr. Max Stadler (FDP):
Ja.
Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD):
Verstehe ich Sie richtig, Herr Kollege Stadler, dass wir uns als Gesetzgeber in schwierigsten Grenzsituationen aus der Verantwortung stehlen sollen und den staatlichen Entscheidungsträgern nichts anderes anzubieten haben als bestenfalls ein Schulterzucken? Wie sehen Sie das?
Dr. Max Stadler (FDP):
Ich glaube, Herr Kollege Wiefelspütz, Sie haben das nicht so gemeint. Ich habe unsere Position ohne Polemik dargestellt und auch die respektablen Absichten der anderen Meinung anerkannt. Wir gehen also über das Problem nicht mit leichter Hand hinweg. Aber noch einmal – das ist der entscheidende Gesichtspunkt –: Wenn Sie sich als Gesetzgeber dafür entscheiden, in der Extremsituation, dass ein Flugzeug entführt, als Waffe benutzt und dadurch das Leben Dritter bedroht wird, zu sagen, dass dann der Abschuss gerechtfertigt ist,
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo steht denn das?)
dann nehmen Sie die Abwägung von Leben gegen Leben vor.
(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!)
Sie wägen das Leben, das bedroht ist, gegen das Leben ab, das sicher vernichtet wird, nämlich der Insassen des Flugzeuges, also der Flugzeugbesatzung und der unschuldigen Passagiere.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch nicht wahr!)
Eine solche Abwägung von Leben gegen Leben ist unserem Recht völlig fremd.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)
Vielmehr ist die richtige Kategorie: Wenn jemand in die Situation kommt, dass er diese fürchterliche Abwägung treffen muss, dann können wir ihm nicht vorwerfen, wenn er sich für den Abschuss entscheidet. Das scheint nur für Juristen von Interesse zu sein, aber es gibt aus gutem Grund verschiedene Kategorien, nämlich die Kategorie der Handlung, als Nächstes die Kategorie der Rechtmäßigkeit der Handlung und als letzte die Kategorie der persönlichen Vorwerfbarkeit und der persönlichen Schuld. Wir meinen, hier geht es um die Frage der Schuld. Wir verneinen die Schuld dessen, der so entscheiden müsste. Aber dafür braucht man keine Regelung, die den ganzen Vorgang auf die Ebene der Rechtmäßigkeit zurückführt. Genau dies sind die Bedenken, die der Bundespräsident kraft der Autorität seines Amtes
(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Genau so ist es!)
und kraft der Autorität seiner Argumente formuliert hat. Das war mutig, erforderlich und das verdient Dank und Respekt.
(Beifall bei der FDP)
Deswegen sollten wir die Initiative der CDU/CSU zum Anlass nehmen, diese Bestimmung über den Abschussbefehl aus dem Luftsicherheitsgesetz zu streichen.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo steht denn was vom Abschussbefehl?)
– § 14 Abs. 3, Herr Kollege Ströbele, Sie wissen es genau.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da steht nichts von Abschuss!)
Tun wir das nicht in diesem Gesetzgebungsverfahren, dann wird das Bundesverfassungsgericht hierüber entscheiden. Der frühere Bundestagsvizepräsident Burkhard Hirsch hat bereits als Anwalt von etwaig betroffenen Piloten eine Verfassungsbeschwerde in dieser Woche erhoben, auch im eigenen Namen,
(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Sehr erfolgversprechend!)
eine Verfassungsbeschwerde, die der Herr Bundespräsident übrigens zur Klärung ausdrücklich angeregt hat.
Ich schließe mich dem Kollegen Koschyk an: Es ist besser, wenn das Parlament in dieser schwierigen Lage selber die Entscheidung trifft. Sie kann unserer Meinung nach nur lauten, die Bestimmung über den Abschussbefehl zu streichen. Das ist allemal besser, als wenn wir auf Nachhilfe aus Karlsruhe warten.
Vielen Dank.