Dr. Max Stadler Archiv Reden


Rede vom 11.03.2005

Versammlungsrecht

Präsident Wolfgang Thierse:
Ich erteile Kollegen Max Stadler, FDP-Fraktion, das Wort.
(Beifall bei der FDP)
Dr. Max Stadler (FDP):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor vier Wochen jährte sich zum 250. Male der Todestag des großen Aufklärers und Vordenkers des Rechtstaats Baron de Montesquieu. Eines seiner berühmtesten Zitate hat auch heute noch Gültigkeit: „Wenn es nicht notwendig ist, ein Gesetz zu erlassen, ist es notwendig, kein Gesetz zu erlassen.“
(Beifall bei der FDP)
Meine Damen und Herren, selten hat der Ratschlag Montesquieus an den klugen Gesetzgeber so gut gepasst wie auf die von Rot-Grün und CDU/CSU vorgelegten Verschärfungen des Versammlungs- und Strafrechts.
(Sebastian Edathy [SPD]: Das ist aber ganz schön arrogant, Herr Kollege!)
Denn diese Änderungen sind erstens zum großen Teil nicht notwendig, zweitens zum Teil nicht geeignet und drittens mit verfassungsrechtlichen Risiken und politischen Nebenwirkungen verbunden.
(Beifall bei der FDP)
In der aktuellen Debatte geht es vor allem um drei Fragen: den Aufmarsch von Neonazis vor dem Holocaust-Mahnmal, den Marsch der NPD durch das Brandenburger Tor am 8. Mai und die jährliche Rudolf-Heß-Kundgebung in Wunsiedel. In dem vorliegenden Gesetzentwurf lösen Sie zwei dieser drei Probleme gar nicht und das einzige Problem, das Sie zu lösen vorgeben, hätte keiner gesetzlichen Neuregelung bedurft.
(Beifall bei der FDP)
Mit diesem letzten Punkt meine ich den Aufmarsch von Neonazis vor dem Holocaust-Mahnmal. Es wäre nicht akzeptabel, wenn dort Neonazis demonstrieren würden. Darin läge ein Angriff auf die Menschenwürde der Opfer und ihrer Angehörigen und auf die Würde des Ortes. Daher kann eine derartige Demonstration vor dem Holocaust-Mahnmal schon nach geltendem Recht verboten werden.
(Beifall bei der FDP)
Auch die Sachverständigenanhörung des Bundestages am letzten Montag hat klar ergeben: Dafür brauchen wir keine Gesetzesänderung.
(Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [FDP]: Genau so ist es!)
Damit komme ich zu den zwei der drei angesprochenen Probleme, die Sie nicht lösen. Ich gebe zu: Schwieriger liegt der Fall zwar beim geplanten NPD-Marsch durch das Brandenburger Tor; aber dieses Problem wird durch den Gesetzentwurf von Rot-Grün nicht gelöst.
(Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [FDP]: So ist es!)
Von der Union wird eine unpassende Lösung vorgeschlagen: die Ausdehnung des befriedeten Bezirks, die verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen würde.
Daher muss ohnehin auf das geltende Recht zurückgegriffen werden.
(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Das muss doch sowieso geschehen!)
Ebenso wie der Berliner Senator Körting, wie Verfassungsexperte Professor Battis und wie Herr Wiefelspütz von der SPD ist auch die FDP der Überzeugung: Das geltende Versammlungsrecht reicht aus, um einen Aufmarsch der NPD durch das Brandenburger Tor am 8. Mai zu verbieten. Von den Berliner Behörden erwarten wir, dass sie dieses Verbot aussprechen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Diese unerträgliche Provokation hat mit dem Jahrestag der Beendigung der Naziherrschaft zu tun. Daher dürfen Neonazis an genau diesem Tag nicht durch das Brandenburger Tor marschieren. Aber wir können nicht schlechthin einen Ort, an dem so viele – auch kommerzielle – Veranstaltungen stattfinden, ausgerechnet von politischen Versammlungen freihalten; denn das wäre eine unangebrachte Abwertung politischer Versammlungen und Demonstrationen.
(Beifall bei der FDP)
Meine Damen und Herren, richtig ist, dass die Versammlungen von Neonazis zum Gedenken an Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß in Wunsiedel in den letzten Jahren – im Gegensatz zu früher – von Gerichten gestattet worden sind. Sie, Rot-Grün und CDU/CSU, versuchen nun, dem mit einer Änderung des Strafrechts entgegenzuwirken. Da in meiner Heimatstadt jahrelang Bundesparteitage der DVU und der NPD stattfanden und auch ich dagegen demonstriert habe, sage ich ausdrücklich: Ich wünsche den geplagten Bürgern von Wunsiedel, dass sie nicht mehr alljährlich von Tausenden Rechtsextremisten aus ganz Europa heimgesucht werden. Aber die FDP hat erhebliche Zweifel, dass dies durch die Regelungen des vorliegenden Gesetzentwurfes zu gewährleisten ist; denn sein Wortlaut gibt dafür nichts her.
Erst in der Begründung Ihres Gesetzentwurfes wird erwähnt, dass die Verherrlichung von Personen aus der NS-Zeit strafwürdig ist. Wir werden sehen müssen, ob sich Gerichte damit zufrieden geben, dass Sie das, was Sie eigentlich regeln wollen, in die Begründung des Gesetzestextes schreiben. Warum haben Sie das, was Sie wollen, nicht in den Gesetzestext selbst geschrieben? Deswegen sage ich: Dieser Versuch ist untauglich.
(Beifall bei der FDP)
Da Ihre Vorschläge teils unnötig, teils untauglich sind, stellt sich die Frage: Lohnt sich im Sinne von Montesquieu dieser Aufwand, wenn auf der anderen Seite Risiken und Nebenwirkungen zu befürchten sind? Sie wissen genau: Kein Sachverständiger in der Anhörung wollte die Hand dafür ins Feuer legen, dass alles das in Karlsruhe Bestand haben wird. Hierin liegt ein Risiko.

(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr Sachverständiger hat gesagt: Wir können noch mehr machen!)
Und es ist nicht die erste verfassungsrechtlich problematische Gesetzgebung der rot-grünen Koalition in dieser Legislaturperiode. Ich erinnere zum Beispiel an das Luftsicherheitsgesetz; ich erinnere an die automatisierte Kontenabfrage oder auch an einzelne Elemente der so genannten Antiterrorgesetzgebung. Das ist die politische Nebenwirkung, auf die wir als Liberale aufmerksam machen: Dieser Bundestag gewöhnt sich daran, immer mehr in Grundrechte einzugreifen. Das ist in jedem Einzelfall vielleicht sogar noch plausibel begründbar, aber in der Summe ist es unserer Meinung nach eindeutig zu viel.
(Beifall bei der FDP)
Die Grundrechte der Meinungsfreiheit und der Versammlungsfreiheit sind von fundamentaler Bedeutung für jede Demokratie. Wenn also ein Eingriff in Art. 5 und Art. 8 des Grundgesetzes nicht zwingend erforderlich ist, dann sollte man es lieber bei der geltenden Rechtslage belassen. Aber Sie gehen mit Ihrem heutigen Gesetzesbeschluss einen Schritt weiter, in Richtung Gesinnungsstrafrecht und Gesinnungs-TÜV im Versammlungsrecht.
(Beifall bei der FDP – Widerspruch bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
– Jawohl, genau so ist es.
(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Wenn einem selber nichts einfällt, sollte man sachlich bleiben!)
Es ist doch gerade die freiheitssichernde Funktion der Grundrechte, andere Meinungen und ihre öffentliche Demonstration zuzulassen und zu ertragen, soweit nicht die Menschenwürde Dritter verletzt wird.
Ich erwähne das aus folgendem Grund: Jeder neue Grundrechtseingriff ist eine gefährliche Gratwanderung. Dem ersten Schritt folgt dann leicht ein zweiter. Ich muss schon daran erinnern: Wir hatten hier im Hohen Hause auch schon Vorschläge zu diskutieren, wonach Versammlungen zu verbieten seien, die dem außenpolitischen Ansehen der Bundesrepublik Deutschland schaden. Jeder erkennt: Wenn aus diesem Grund schon Versammlungen verboten werden dürften, wäre das offenkundig mit dem Grundsatz der Meinungsfreiheit unvereinbar. So etwas steht heute nicht zur Abstimmung, aber dies zeigt: Es gibt auch solche weiter gehenden Ideen hier im Bundestag. Deswegen ist es richtig, heute hier den Anfängen zu wehren.
(Beifall bei der FDP – Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn das für ein Vergleich? „Wehret den Anfängen!“ steht in einem anderen Zusammenhang!)
Sie werden sehen, dass die Ausweisung versammlungsfreier Orte in sehr großer Zahl vorgenommen werden wird. Ein Bundesland hat schon jetzt, ehe das Gesetz erlassen worden ist, angekündigt, dem Landesgesetzgeber 17 Orte vorzuschlagen, die versammlungsfrei sein sollen. Das zeigt: Es wird nicht dabei bleiben, dass nur ausnahmsweise einzelne Orte von herausragender historischer Bedeutung versammlungsfrei gestellt werden. Wenn das geschieht, was wir befürchten, dann ist dies nicht mehr mit der Brokdorf-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vereinbar, wonach man den Ort einer Demonstration frei wählen darf.
Damit kein Missverständnis entsteht: Es gibt eine große Gemeinsamkeit hier im Parlament, den Rechtsextremismus politisch zu bekämpfen.
(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)
Aber es muss erlaubt sein, darauf hinzuweisen, dass juristische Maßnahmen in diesem politischen Kampf gegen Rechtsextreme wenig bringen. Das haben wir doch beim gescheiterten NPD-Verbotsverfahren gesehen.
(Beifall bei der FDP)
Wir als FDP sind der Überzeugung, dass man Rechtsextremismus nicht dadurch wirksam bekämpft, dass man das für alle Bürgerinnen und Bürger geltende Versammlungsrecht einschränkt. Daher ist die von Ihnen vorgeschlagene Verschärfung des Versammlungsrechts der falsche Weg in der Auseinandersetzung mit den Rechtsextremisten.
Vielen Dank.
(Anhaltender Beifall bei der FDP – Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: So viel Beifall von der FDP!)


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