Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat der Kollege Dr. Max Stadler von der FDP-Fraktion.
Dr. Max Stadler (FDP):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Fast auf den Tag genau vor einem Jahr, nämlich am 1. Juli 2004, fand in diesem Hohen Haus die große abschließende Debatte über das neue Zuwanderungsgesetz statt. Ich erwähne dies, weil man daran sieht, wie schnelllebig unsere Zeit ist. Mittlerweile stehen längst andere Themen im Vordergrund der politischen Auseinandersetzung. Es wird im bevorstehenden Wahlkampf entscheidend darum gehen, wer die besseren Konzepte hat, mit denen der Abbau von Arbeitsplätzen in Deutschland verhindert werden kann und mit denen neue Arbeitsplätze in Deutschland entstehen können.
Anscheinend ist bei manchen im letzten Jahr der genaue Inhalt des gemeinsam beschlossenen Zuwanderungsgesetzes in Vergessenheit geraten. Ich darf daran erinnern, dass gerade wegen der hohen Arbeitslosigkeit in Deutschland die Regelungen zur Zuwanderung sehr eng gefasst worden sind. Es gilt beispielsweise der Vorrang für Inländer bei der Bewerbung auf freie Arbeitsplätze und es gilt im Zuwanderungsgesetz das Verbot von Dumpinglöhnen. Dennoch hat Bayerns Innenminister Günther Beckstein in der letzten Woche vor massenhafter Zuwanderung, wie er sich ausgedrückt hat, gewarnt. Er kann damit jedenfalls nicht das von der FDP mitgetragene Zuwanderungsgesetz gemeint haben; denn dieses Gesetz verhindert ja gerade eine umfängliche Zuwanderung in unser Land.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)
Ich meine, wir sollten trotz des Wahlkampfes um eine sorgfältige Wortwahl bemüht sein.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Diese Debatte gibt aber auch Anlass, auf Folgendes hinzuweisen – es wäre eigentlich besser, sich mit diesem Herrn ansonsten nicht zu befassen –: Völlig unerträglich ist die Art und Weise, wie Oskar Lafontaine bei diesen Themen im Trüben zu fischen versucht.
(Beifall bei der FDP, der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Anstatt Ängste in der Bevölkerung zu instrumentalisieren, sollten wir uns gemeinsam darauf konzentrieren, endlich die ungelösten Probleme der Integration von Zuwanderern zu lösen. Aus Zeitgründen kann ich aus dem Bündel von Anträgen nur zu diesem Thema noch sprechen.
Die FDP hat auf Initiative unseres Kollegen Klaus Haupt im November 2004 ein umfangreiches Gesamtkonzept zur Integration vorgelegt. Ich fand es sehr fair, dass uns die Migrationsbeauftragte der Bundesregierung, Marieluise Beck, in ihrem Jahresbericht 2005 ausdrücklich differenzierte Lösungsvorschläge attestiert hat.
(Beifall bei der FDP)
Wir haben unser Konzept immer als einen Beitrag zur Versachlichung der Debatte empfunden, legen aber auch Wert darauf, dass es jetzt Schritt für Schritt umgesetzt wird.
Unser Integrationskonzept enthält drei zentrale Aussagen, die wir aus der Verfassung ableiten:
Erstens. Das Grundgesetz sichert jedem Einzelnen die persönliche Freiheit zu, gemäß den eigenen kulturellen Wurzeln sein Leben zu gestalten.
Zweitens. Das Grundgesetz kennt aber auch Pflichten. Kulturelle Eigenheiten finden ihre Grenze in der Wahrung der Rechte anderer. Deswegen finde ich zum Beispiel die Initiative von Justizminister Ulrich Goll von der FDP in Baden-Württemberg, Zwangsverheiratungen als eigenen Tatbestand in das Strafgesetzbuch aufzunehmen und unter Strafe zu stellen, sehr richtig.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Wir halten es auch für richtig, wenn die Rechtsprechung ein klares Signal gegen so genannte Ehrenmorde setzt, die in Wahrheit natürlich unehrenhafte Morde sind.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Drittens. Ein weiteres Anliegen des Grundgesetzes ist das Recht auf aktive Teilhabe an politischen Entscheidungen. Als Liberale verstehen wir daher nicht, warum Menschen, die schon länger als fünf Jahre rechtmäßig in Deutschland leben, in kommunalen Angelegenheiten, also im eigenen unmittelbaren Lebensbereich, nicht mitbestimmen dürfen. Das muss dringend geändert werden.
(Beifall bei der FDP)
Auch wir halten übrigens die Argumente der Innenministerkonferenz gegen ein Bleiberecht für Kinder und Jugendliche, die schon lange in Deutschland leben, für nicht stichhaltig. Wir meinen, die Innenministerkonferenz hat den alten Fehler gemacht, gerade denjenigen, die schon integriert sind, eine Zukunftsperspektive zu verweigern.
(Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Dabei hätten wir ohnehin noch viel zu tun bei der Integration vieler anderer Ausländer.
In diesem Zusammenhang begrüße ich ausdrücklich den Vorstoß der CDU/FDP-Landesregierung Niedersachsens, Sprachkurse verpflichtend auch für solche Ausländer anzubieten, die schon längere Zeit in Deutschland leben. Früher nannte man das etwas hochgestochen „nachholende Integration“. Dabei gilt das Prinzip des Forderns und Förderns. Integration setzt Angebote durch unsere Gesellschaft voraus, verlangt aber auch Anstrengungen von denjenigen, die in Deutschland leben und hier bleiben wollen. Ich glaube, das ist selbstverständlich.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Die parlamentarische Arbeit bringt es mit sich, dass über bestimmte Themen einmal im Jahr diskutiert wird und dann wieder der Alltag einzieht. Ich glaube, bei der zentral wichtigen Aufgabe der Integration können wir so nicht verfahren. Deswegen schlägt die FDP die Einrichtung einer ständigen Berichterstattergruppe des Innenausschusses vor, um die Migrationsbeauftragte und alle, die sich um dieses Thema bemühen, bei der Umsetzung der Integrationskonzepte zu unterstützen.
Wir bitten Sie, dem realistischen und konkreten 15-Punkte-Programm der FDP „Kulturelle Vielfalt – Universelle Werte – Neue Wege zu einer rationalen Integrationspolitik“ zuzustimmen und bei der Umsetzung tatkräftig mitzuwirken.
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Hartmut Koschyk [CDU/CSU])