Dr. Max Stadler Archiv Reden


Rede vom 30.11.2005

Innendebatte zur Regierungserklärung

4. Sitzung des Deutschen Bundestages

Das Wort hat nun der Kollege Dr. Max Stadler von der FDP-Fraktion.
Dr. Max Stadler (FDP):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Minister Schäuble, Ihrem letzten Satz ist nichts hinzuzufügen; da wird Ihnen jeder zustimmen.
Zu Beginn Ihrer Amtszeit wünscht Ihnen die FDP-Fraktion eine glückliche Hand bei Ihrer Arbeit, mit der Sie jetzt für unser Land beginnen, und bei der schwierigen Aufgabe, die Sie zu erfüllen haben.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Es würde zwar der parlamentarischen Tradition entsprechen, die so genannte 100-Tage-Frist als Schonfrist einzuhalten. Aber ich glaube, dann würden wir Sie unterfordern. Denn Sie sind einer der erfahrensten Politiker dieser Regierung und Sie haben sich auch nicht gescheut, bereits in Ihrem ersten Redebeitrag als Innenminister klare Positionen zu beziehen.
Deswegen sagen wir als FDP Ihnen ebenso klar: Die Koalitionsvereinbarung ist für uns im Bereich der Innen- und Rechtspolitik eine große Enttäuschung. Denn sie enthält eine bemerkenswert große Anzahl von völlig unverbindlichen Absichtserklärungen und von lediglich vagen Prüfaufträgen. Aber diese Koalitionsvereinbarung lässt an keiner Stelle erkennen, dass Sie bereit sind, die zahlreichen und unnötigen Grundrechtseingriffe der letzten Jahre zurückzunehmen. Das ist unsere Hauptkritik an der Koalitionsvereinbarung.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Wir befürchten, Ihre Eingangsworte haben uns darin bestätigt, dass die Politik des in dubio pro securitate (im Zweifel für die Sicherheit) fortgesetzt wird. Wir glauben allerdings, dass die für die Politik notwendige Abwägung zwischen den Sicherheitsinteressen und dem freiheitlichen Gehalt des Grundgesetzes bereits unter Rot-Grün nicht mehr stattgefunden hat.
(Beifall bei der FDP)
Dennoch wollen wir zu Beginn Ihrer Amtszeit auch feststellen, dass wir einige Ihrer Äußerungen, Herr Minister Schäuble, sehr positiv registriert haben: Sie haben zu Recht die Integration als eine Hauptaufgabe der Zukunft herausgestellt. Die FDP wird Sie dabei unterstützen, wie wir Ihnen auch unser umfangreiches Programm zur Integrationspolitik vom Dezember 2004 als Material anempfehlen dürfen.
Zweitens haben Sie sich zu Recht für den Dialog mit der islamischen Gemeinschaft ausgesprochen. Auch da teilen wir Ihre Meinung und auch die klare Aussage, die Sie getroffen haben: dass dabei die Regeln des Grundgesetzes unverzichtbar sind. Das ist auch unsere Position.
Drittens, damit komme ich, glaube ich, zum Kernthema dessen, worüber wir die nächsten Jahre vermutlich des Öfteren zu diskutieren haben, haben Sie in dem "Spiegel"-Interview, das am Montag dieser Woche veröffentlicht worden ist, sinngemäß erklärt, dass der Rechtsstaat sogar beim Kampf gegen Terrorismus nicht jedes Mittel einsetzen darf. Sie haben auf die konkrete Frage, wo denn für Sie die rote Linie verlaufe, was ein Rechtsstaat darf und was nicht, erklärt:
Das Folterverbot muss gelten.
Das ist zwar eine Selbstverständlichkeit, aber trotzdem wichtig und bemerkenswert. Denn damit haben Sie doch selber zum Ausdruck gebracht: Der Rechtsstaat darf vieles � und er muss vieles tun, um die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger bestmöglich zu schützen, aber er darf nicht alles. Es sind ihm auch Grenzen gesetzt, von der Verfassung, und diese Grenzen sind in den Grundrechten definiert, die die Freiheit in unserem Staatswesen verbürgen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Daher, Herr Minister, ist es nicht nur eine nebensächliche Debatte, ob man ein gespeichertes Datum einer Mautstelle zum Zwecke der Strafverfolgung verwenden darf, sondern so, wie Sie das vorhin erklärt haben, geht es hier schon um eine sehr grundsätzliche Auseinandersetzung: Kann es sein, dass der Staat, weil er ja sinnvolle Zwecke verfolgt wie etwa die Strafverfolgung oder Prävention, auf alle Daten zurückgreift? Oder gilt das, was bisher allgemeine Meinung war zum Datenschutz: nämlich dass es auch eine Zweckbindung von Daten gibt, auf die man sich als Bürger verlassen können muss;
(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Davon hat er nie etwas gehört!)
dass man die Sicherheit haben muss, dass bestimmte Daten eben nicht für andere, und seien es noch so hehre  Zwecke verwendet werden dürfen? Das ist jedenfalls unsere Meinung.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich verstehe jetzt besser, warum in der Koalitionsvereinbarung � das war mir beim ersten Durchlesen sofort aufgefallen � der Datenschutz schon wieder mit so einem negativen Touch erwähnt wird: Er kommt dort nur als Hindernis vor, das dem Staat im Wege steht, Sinnvolles zu tun. Das ist unserer Meinung nach eine völlig falsche Betrachtungsweise und das hat der Verfassungsgerichtspräsident Benda, einer Ihrer Vorgänger als Innenminister und CDU-Politiker, nicht verdient: dass das Grundrecht auf Datenschutz, das er mit dem Bundesverfassungsgericht aus Art. 2 des Grundgesetzes herausinterpretiert hat, so eingeordnet würde!
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich habe auch sehr aufmerksam zugehört, als Sie gesagt haben: Der Staat muss � fast; das sage ich jetzt dazu alles dafür tun, vor allem wenn es um die Prävention geht. Das klingt natürlich auch plausibel und wer wollte dem widersprechen? , aber man muss die Frage stellen  nein, Herr Benneter, die entscheidende Frage kommt: Wo ziehe ich dann noch Grenzen für staatliche Eingriffe? Wo ziehe ich noch Grenzen, wenn ich der Meinung bin, alles, was an Daten gesammelt wird, müsste verwendet werden?
(Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Wer will denn das?)
Herr Wiefelspütz, gerade Sie zum Beispiel haben sich gegen die von Ihnen selbst beschlossene, übrigens auf besonderen Wunsch der CDU/CSU so formulierte, Klausel im Mautgesetz gewandt, nach der es eine strikte Zweckbindung der Daten geben soll.
(Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Das können Sie doch selber nicht für richtig halten!) Doch, das war so: im federführenden Verkehrsausschuss. Wenn man die Aufgabe des Staates so schrankenlos definiert, dann fällt es schwer, überhaupt noch Grenzen anzugeben, zum Beispiel wie lange unsere Telekommunikationsdaten, die doch deutlich dem privaten Bereich angehören und die niemand anderen etwas angehen, gespeichert werden � um nur ein aktuelles Beispiel aus der EU anzuführen. Mir wird jetzt auch klar, warum Sie Präventivbefugnisse für das Bundeskriminalamt vereinbart haben. Es geht nicht um eine formale Zuständigkeitsregelung. Wir sehen die Gefahr in der Abkehr vom klassischen Polizeirecht. Das klassische Polizeirecht hat immer an konkrete Verdachtssachverhalte angeknüpft, die den Staat zum Einschreiten veranlassen.
(Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Das ist doch nicht der Stand der Diskussion! Wo haben Sie aufgehört zu lesen und nachzudenken, Herr Stadler?)
Doch, das ist die entscheidende Frage, Herr Wiefelspütz. Ich habe Ihre Koalitionsvereinbarung sehr aufmerksam gelesen. Ich bin auf einen Satz gestoßen, der beim ersten Lesen plausibel klingt, bei nochmaligem Lesen aber nicht. Zuerst habe ich gedacht, ich bin vielleicht zu skeptisch, ich denke aber, ich bin es nicht. Diesen Satz möchte ich ganz vortragen. Sie schreiben in ihrer Koalitionsvereinbarung etwas zum Verhältnis von Freiheit und Sicherheit darin haben wir Ihnen eben zugestimmt und schreiben dann auf Seite 116:
Beide Werte müssen immer wieder neu je nach den sich ändernden äußeren Bedingungen ins Gleichgewicht zueinander gebracht werden.
Das klingt plausibel. Aber was bedeutet die Passage je nach den sich ändernden äußeren Bedingungen denn? Gibt es nicht Grundrechte, die unveräußerlich sind, egal wie sich die Bedingungen ändern?
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Herr Minister Schäuble, ist das nicht Ihre Aussage im "Spiegel"-Interview, in dem Sie gesagt haben, es gebe Grenzen für das staatliche Handeln? In dem Zusammenhang, wo Sie sich klar für das Folterverbot ausgesprochen haben, sagen Sie auch, dass es eben nicht Grundrechte gibt, die je nach den äußeren Bedingungen zur Disposition stehen. Darauf müssen wir bestehen.
Herr Minister Schäuble, wir vertrauen darauf, dass auch das zutrifft, was Sie ebenfalls in dem "Spiegel"-Interview gesagt haben, nämlich dass Ihnen niemand zu erklären brauche, wie wichtig Bürgerrechte in einer freien Gesellschaft sind. So etwas hat man aus dem Bundesinnenministerium schon lange nicht mehr gehört. Deswegen erwähne ich diesen Satz ausdrücklich.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP)
Der Philosoph Wittgenstein sagt: Das Wort ist die Tat.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Liberale Interviews und strikte Gesetze: Das passt zusammen!)
Es ist eine Tat, wenn Sie sich so klar zu den Bürgerrechten bekennen. Aber Sie werden Verständnis haben, dass wir Sie dennoch an den weiteren Taten messen werden. Wenn es zutrifft, was Sie im "Spiegel"-Interview sagen, dass sich derjenige, der Sie im Verständnis einer freiheitlichen Verfassung übertreffen wolle, ziemlich anstrengen müsse, wenn das die Sicht der neuen Bundesregierung ist, dann werden Sie die FDP an Ihrer Seite haben. Aber auch nur dann.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


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