Dr. Max Stadler Archiv Reden


Rede vom 16.12.2005

Überwachung von Journalisten durch den Bundesnachrichtendienst

9. Sitzung des Deutschen Bundestages

Vizepräsident Wolfgang Thierse:
Ich erteile dem Kollegen Max Stadler, FDP-Fraktion, das Wort.
Dr. Max Stadler (FDP):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Spätestens seit der berühmten „Spiegel“-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist der hohe Wert der Pressefreiheit für unsere Demokratie eigentlich geklärt.
(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: „Eigentlich“!)
Wer hätte gedacht, dass wir uns heute, im Jahr 2005, noch einmal mit Gefährdungen der Pressefreiheit auseinander setzen müssen, die teils schon länger zurückliegen, teils durchaus aktuell sind und eben in den letzten Wochen bekannt geworden sind?
Es ging in allen Fällen um ein Grundproblem: Staatliche Stellen haben geltend gemacht, sie hätten das Bedürfnis, undichte Stellen im eigenen Apparat herauszufinden. Um dies zu erreichen, sind Journalisten unter Beobachtung genommen worden, sind Redaktionsräume durchsucht worden und ist selbst recherchiertes Material beschlagnahmt worden. Dem muss das deutsche Parlament entschieden widersprechen. Dazu gibt die heutige Debatte Gelegenheit.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ich bin wirklich der Meinung, dass die Vorgänge, die im Verhältnis des Bundesnachrichtendienstes zu dem Journalisten Schmidt-Eenboom und anderen bekannt geworden sind, dem Ansehen des BND ungeheuer geschadet haben. Da kann man nur durch rückhaltlose Aufklärung Abhilfe schaffen.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: So ist es!)
Das wird jetzt durch einen Sonderermittler, einen ehemaligen Richter des Bundesgerichtshofs, versucht. Ich bin der Überzeugung, dass das Parlamentarische Kontrollgremium dann, wenn der Bericht vorliegt – hoffentlich möglichst bald –, geeignete Wege finden wird, um das, was nicht geheimdienstrelevant und nicht geheimhaltungsbedürftig ist, der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Wir warten auch darauf, dass uns der Sonderermittler Hinweise zu der Frage gibt, ob es erforderlich ist, das BND-Gesetz zu ändern. Es fällt auf, dass hier eine Schwachstelle in rechtsstaatlicher Hinsicht besteht. Dem Bundesnachrichtendienst ist es erlaubt, zur Eigensicherung im Inland tätig zu werden. In den Fällen, über die wir sprechen, in denen Journalisten und Publizisten observiert worden sind, war aber immer schon der Verdacht des Geheimnisverrates durch Mitarbeiter des BND gegeben. Also hätte rechtmäßigerweise zu einem bestimmten Zeitpunkt die Staatsanwaltschaft eingeschaltet werden müssen. Das ist wichtig; denn dann sind wir in einem geordneten Verfahren nach der Strafprozessordnung und dann werden solche Maßnahmen richterlich angeordnet und überprüft.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Hier war das nicht so!)
Das ist im Normalfall eine Garantie dafür, dass nicht so über das Ziel hinausgeschossen wird, wie das durch den BND selbst geschehen ist.
Wir haben am Fall „Cicero“ und an vielen anderen Fällen, die der Deutsche Journalisten-Verband dokumentiert hat, gesehen, dass in der Rechtspraxis die bisher bestehenden Vorschriften des Strafrechts und des Strafprozessrechts leider keinen hinreichenden Schutz davor bieten, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit missachtet wird. Das geschieht leider. Daher hat die FDP-Fraktion eine Initiative ergriffen und eine fraktionsinterne Sachverständigenanhörung durchgeführt. Dabei ist deutlich geworden, dass wir wahrscheinlich sehr radikal – im Sinne von: an der Wurzel des Problems – ansetzen müssen.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Radikal für die Freiheit!)
Niemand versteht, warum sich ein Journalist, der eine ihm mitgeteilte Information verwendet und veröffentlicht, der Beihilfe zum Geheimnisverrat schuldig macht, wenn doch der Geheimnisverrat bei den Mitarbeitern von Behörden liegt, die solche Informationen unzulässigerweise herausgeben. Trotzdem existiert eine solche Rechtsprechung. Wir werden gemeinsam überlegen müssen, ob wir als Gesetzgeber klarstellen, dass diese Strafbarkeit des Verhaltens der Journalisten auszuschließen ist. Strafbar ist das Verhalten der Mitarbeiter von Behörden, die gegen ihre Vorschriften handeln und solche Informationen herausgeben. In diese Richtung müssen wir gehen.
(Beifall bei der FDP)
Wir werden darüber hinaus erörtern müssen, ob man nicht auch in der Strafprozessordnung das Redaktionsgeheimnis klarer als bisher schützt, indem recherchiertes Material schlechthin beschlagnahmefrei gestellt wird. Damit entfallen auch Durchsuchungen in Redaktionsräumen sowie in Arbeits- und Wohnräumen der einzelnen Journalisten, wie sie, wie gesagt, nicht nur im Fall „Cicero“, sondern leider in einer Vielzahl von Fällen vorgekommen sind.
Wir sollten daher all diese Fälle zum Anlass nehmen, nach der Weihnachtspause als Gesetzgeber initiativ zu werden. Die FDP jedenfalls wird in Auswertung der von uns durchgeführten Anhörung hier bald Vorschläge unterbreiten. Ich lade Sie ein, diesen Vorschlägen zu folgen; denn sie haben das gemeinsame Ziel, einen besseren Schutz des Redaktionsgeheimnisses sicherzustellen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


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