Dr. Max Stadler Archiv Reden


Rede vom 01.12.2006

Anti-Terror-Datei

Präsident Dr. Norbert Lammert:
Dr. Max Stadler ist der nächste Redner für die FDP-Fraktion.
(Beifall bei der FDP)
Dr. Max Stadler (FDP):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Minister Schäuble, Sie haben hier völlig zu Recht die Bedrohungslage eindringlich geschildert. Aber die FDP war zum Beispiel für eine praxisnahe Lösung bei der Zusammenarbeit der Sicherheitsdienste und für eine Indexdatei, wie sie auch Praktiker gefordert haben. Also führen wir doch bitte die Debatte hier nicht so, als ob denjenigen, die für rechtsstaatliche Lösungen eintreten, die innere Sicherheit nicht am Herzen läge. Einen solchen Gegensatz dürfen wir hier nicht aufbauen.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
Herr Minister Schäuble, es ist doch völlig unstreitig: Der Staat hat selbstverständlich eine Schutzpflicht gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern. Aber bei den Methoden, die er anwendet, ist er an die Grundrechte gebunden.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)
Deswegen ist sehr wohl über die Details zu diskutieren.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Jan Korte [DIE LINKE])
Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 haben die Geheimdienste Befugnisse bekommen wie nie zuvor. Das war in gewissem Umfang sogar notwendig. Aber es bleibt ein Grundproblem. Geheimdienste versuchen, schon im Vorfeld Informationen zu gewinnen. Die Polizeiarbeit setzt dagegen bei konkreten Gefahren bzw. konkreten Verdachtsmomenten an. Geheimdienste erfassen notwendigerweise viele Unschuldige. Deswegen muss ein Gegengewicht durch eine entsprechende Kontrolle der Geheimdienstarbeit gesetzt werden. Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie wollen heute die Geltungsdauer der Schily-Gesetze, die 2002 sehr eilig durch das Parlament gebracht wurden, verlängern.
(Dr. Carl-Christian Dressel [SPD]: 2001, Herr Stadler!)
Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, endlich eine bessere Kontrolle der Geheimdienste als Gegengewicht einzuführen.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
Es ist mir völlig unbegreiflich, warum Sie die Gelegenheit der heutigen Gesetzgebung nicht nutzen, endlich auf unsere Vorschläge einzugehen, aus denen hervorgeht, wie die Arbeit des Parlamentarischen Kontrollgremiums besser und effektiver gestaltet werden könnte. Noch einmal: Wir von der FDP könnten notwendigen Maßnahmen, die durchzuführen Sie den Geheimdiensten erlauben wollen, durchaus zustimmen, wenn Sie auf der anderen Seite bereit wären, die Kontrolle zu verbessern. Das sind Sie leider nicht.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)
Es ist schon gesagt worden, dass die Evaluierung, auf die Sie sich bei der Verlängerung der Schily-Gesetze berufen, nicht zureichend war. Dem stimme ich völlig zu; denn diese Evaluierung, die die Frage betrifft, wie sich die Gesetze in der Praxis ausgewirkt haben, ging einzig und allein vom Blickwinkel der Anwender aus und hatte überhaupt nicht im Blick, wie sich die neuen Vorschriften auf die Betroffenen auswirken, zum Beispiel, ob Menschen in Dateien aufgenommen worden sind, ohne etwas davon zu wissen, und dann berufliche Nachteile davon hatten. Das hätte evaluiert werden müssen, wenn Sie dies zur Grundlage einer Gesetzgebung machen wollen. Auch deswegen können wir nicht zustimmen.
Jetzt kommt der entscheidende Punkt. Die Koalitionsfraktionen bringen heute einen Entschließungsantrag ein. Es lohnt sich, ihn wörtlich zu zitieren. Er hat folgenden Text: „Die Bundesregierung wird aufgefordert, zeitnah einen Gesetzentwurf vorzulegen...“ – jetzt fasse ich zusammen –, der das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum großen Lauschangriff berücksichtigt. Meine Damen und Herren, das kann doch nicht Ihr Ernst sein. Sie regieren seit einem Jahr. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts datiert vom März 2004 und gibt dem Gesetzgeber auf, dafür zu sorgen, dass der Bereich der ganz privaten, intimen Lebensführung vom Staat nicht beeinträchtigt wird. Und Sie fordern heute die Bundesregierung auf, dies künftig bei Gesetzen zu berücksichtigen. Wir sind doch die Volksvertreter. Wir sind der Gesetzgeber.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Jan Korte [DIE LINKE] und des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])
Sie hatten ein Jahr Zeit, dies in die heutigen Gesetze einzuarbeiten. Das haben Sie nicht gemacht. Ihr Entschließungsantrag zeigt, dass Ihnen diese Lücke bewusst ist.
Sie machen folgende Politik: Heute beschließen Sie ein Gesetz, das verfassungswidrig ist, weil es ein Urteil aus Karlsruhe nicht berücksichtigt; dann sagen Sie: Um den Grundrechtsschutz kümmern wir uns morgen oder übermorgen.
Meine Damen und Herren, Sie können nicht erwarten, dass die Opposition bei einem solchen Verfahren mitmacht.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


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