Dr. Max Stadler (FDP):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dieser Untersuchungsausschuss war notwendig, und er war erfolgreich. Wir haben zahlreiche neue Erkenntnisse zutage gefördert. Nur ein Untersuchungsausschuss konnte es leisten, die verschiedensten Vorgänge minutiös zu überprüfen. Aus Sicht der FDP kam er am Ende zu einem klaren Ergebnis. Dieses Ergebnis lautet: Nach dem 11. September 2001 sind leider auch in Deutschland wiederholt rechtsstaatliche Grundsätze bei der Gefahrenabwehr massiv verletzt worden. Der Grund hierfür liegt in einer Fehlentwicklung im Denken; denn die Bundesregierung war der Meinung, die Rechte Einzelner müssten hinter einer vermeintlichen Staatsräson zurücktreten. Das ist die Hauptursache all der Fälle, bei denen etwas schiefgelaufen ist und die wir untersucht haben.
Heute gab es zu unserer Debatte eine gewisse Begleitmusik aus dem Bundesinnenministerium. Dort hat aufgrund terroristischer Bedrohungen eine Konferenz stattgefunden. Es ist richtig, dass sich die Sicherheitsbehörden darüber Gedanken machen. Es ging dort auch um die Beschaffung und Verarbeitung von Informationen. Das ist selbstverständlich eine Grundaufgabe der Sicherheitsbehörden. In einem Rechtsstaat müssen sich Nachrichtendienste und Polizei aber an die Regeln halten, die ihnen dieses Hohe Haus und die Verfassung vorgeben.
(Thomas Oppermann (SPD): Machen sie auch!)
Es darf keine Sicherheitspolitik zulasten der Grundrechte geben. Genau das mussten wir aber im Ausschuss feststellen.
(Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Thomas Oppermann (SPD): Wo denn?)
Die wesentlichen Ergebnisse nenne ich Ihnen gerne, Herr Kollege Oppermann.
Erstens. Der Bundesnachrichtendienst hat rechtswidrig Journalisten bespitzelt. Das war ein Eingriff in Persönlichkeitsrechte und in die Pressefreiheit.
(Thomas Oppermann (SPD): Das war vor unserer Zeit! Da war die FDP noch an der Regierung!)
Es war eine Provokation gegenüber dem Deutschen Bundestag, dass diese Praxis fortgesetzt worden ist, indem E-Mails einer Journalistin erfasst worden sind, kurz nachdem der Bundestag diese Praxis des BND öffentlich kritisiert hatte.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Zweitens. Die rot-grüne Bundesregierung hat durch den Bundesnachrichtendienst vor und während des Irakkriegs Informationen aus Bagdad gewinnen und an die USA übermitteln lassen. Diese Informationen waren für die Kriegsführung durchaus von Bedeutung. Damit hat die damalige rot-grüne Bundesregierung ein zentrales Wahlversprechen gebrochen, nämlich sich nicht am Irakkrieg zu beteiligen. Das ist in diesem Ausschuss ganz deutlich geworden.
(Beifall bei der FDP und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU Thomas Oppermann (SPD): Damit machen Sie sich doch lächerlich!)
Drittens. Das offizielle Nein der früheren Bundesregierung zum Irakkrieg führte zugleich dazu, dass man keine zusätzlichen Streitpunkte mit den USA riskieren wollte. Joschka Fischer brachte dies in Bezug auf die Verschleppung des unschuldigen deutschen Staatsangehörigen Khaled el Masri durch die Amerikaner deutlich zum Ausdruck. Der frühere Außenminister Fischer wurde in der Zeit vom 21. Dezember 2005 zitiert:
El-Masris wegen wollte Berlin nicht den großen Krach anzetteln.
Er hat der befreundeten Nation aber nicht einmal den dezenten Hinweis gegeben, dass die Methoden der Bush-Administration zur Terrorabwehr nicht unsere Methoden sind.
(Beifall bei der FDP und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Weil dies so war, sind wir der Auffassung: Es reicht nicht aus, sich im Bundestag in Resolutionen für die Schließung von Guantánamo auszusprechen. Auch das Handeln der Behörden in Einzelfällen muss an unseren eigenen rechtsstaatlichen Maßstäben gemessen werden.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Viertens. Als zwei Beamte des Bundeskriminalamts Herrn Khafagy kurz nach dem 11. September 2001 in Bosnien vernehmen sollten, lehnten sie eine Vernehmung vor Ort ab, weil Khafagy unter folterähnlichen Umständen inhaftiert war. Das rechtsstaatliche Gewissen war zu diesem Zeitpunkt noch intakt. Die richtige Entscheidung der beiden Beamten lautete, dass es keine Informationsgewinnung um jeden Preis geben darf.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Das war ein richtiger Grundsatz.
Fünftens. In der Folgezeit kam es zu einem Paradigmenwechsel in der deutschen Sicherheitspolitik. Es galt der von Otto Schily hier im Plenum oft vertretene Grundsatz: „In dubio pro securitate“ im Zweifel für die Sicherheit.
(Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD): Jetzt sind Sie aber bei Visa, Herr Stadler!)
Nein. Es ist eigentlich selbstverständlich, dass man für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger eintritt; aber dieser Grundsatz führte in der Praxis dazu, dass die Grundrechte Einzelner nicht mehr geachtet wurden. Das Grundgesetz verlangt aber eine Sicherheitspolitik unter Beachtung der Grundrechte, nicht unter ihrer Verletzung.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))
Im Zweifel für die Freiheit das ist der Geist der Verfassung. Dagegen ist verstoßen worden.
Ich nenne aus Zeitgründen nur ein einziges Beispiel, das verdeutlicht, wozu dieser Denkansatz geführt hat. Er hat zu einer von der Mehrheit im Bundestag getragenen Gesetzgebung geführt, die das Bundesverfassungsgericht immer wieder korrigieren musste, beispielsweise das verfehlte Luftsicherheitsgesetz.
Sechstens. Der Paradigmenwechsel im Denken wirkte sich auch auf das Regierungs- und Behördenhandeln aus. Gegen Murat Kurnaz lagen keine stichhaltigen Beweise, sondern nur vage Verdachtsmomente vom Hörensagen vor. Da setzte aber die unerbittliche Logik des Präventionsstaates ein. Die rot-grüne Bundesregierung setzte sich nicht etwa für die Freilassung von Kurnaz aus Guantánamo ein, sondern verfügte ganz im Gegenteil eine Wiedereinreisesperre. Die schreckliche Wirkung war eine Art Verbannung auf Verdacht. Diese Verdachtsmentalität war prägend für die Sicherheitspolitik.
Murat Kurnaz war ironischerweise einer der Gewinner der Bundestagswahl 2005, weil die Bundeskanzlerin Angela Merkel und der Außenminister Frank-Walter Steinmeier ihn nach jahrelanger Folter und Inhaftierung aus Guantánamo herausholten.
(Beifall bei der FDP)
- Moment, meine Damen und Herren. Warum Kanzleramtschef Frank-Walter Steinmeier 2002 nicht einmal den Versuch unternommen hat, Kurnaz aus Guantánamo freizubekommen, bleibt für die FDP nach wie vor völlig unbegreiflich. Ein Wort der Entschuldigung gab es bis heute nicht.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Herr Kollege Stadler.
Dr. Max Stadler (FDP):
Ich komme zum Schlusssatz, Frau Präsidentin.
Ralf Dahrendorf hat in seinem letzten Buch vor der Gegenaufklärung als Reaktion auf den Terrorismus gewarnt. Diese Mahnung sollten wir ernst nehmen. Wir müssen eine Sicherheitspolitik betreiben, die sich an den Werten der Aufklärung und des Grundgesetzes orientiert. Wenn der Untersuchungsausschuss dazu einen Beitrag geleistet hat, dann hat sich die viele Arbeit gelohnt.
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP und der LINKEN sowie des Abg. Laurenz Meyer (Hamm) (CDU/CSU))